Der Walfischfänger - Abenteuergeschichte

Autor: Friedrich Gerstäcker (1816-1872), Erscheinungsjahr: 1856
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In der Nähe der Westküste Amerikas, aber noch weit aus Sicht von Land, kreuzte ein Walfischfänger, um dort nach Fischen auszusehen.

Es war ein Nordamerikaner, die „Martha's Vineyard“ – ein Schiff, das nach der Insel gleichen Namens getauft worden und von dort aus auch seine Bemannung hatte. So seetüchtig und gut gebaut die amerikanischen Schiffe aber auch sonst gewöhnlich sind, die „Martha's Vineyard“ machte davon eine Ausnahme, und der Reeder, der sie in New York von einem Holländer alt gekauft und wohl frisch angemalt, aber sonst in einem desolaten Zustand gelassen hatte, hoffte das wenige dafür ausgelegte Geld gleich mit der ersten Walfischfahrt herauszuschlagen, wenn es dann auch keine zweite machte. Die Hauptsache blieb nur, tüchtige Leute dafür zu gewinnen, und deshalb taufte er auch das alte Gretje von Rotterdam, welchen Namen die Bark vielleicht schon dreißig Jahre geführt, nach der Insel „Martha's Vineyard“, die ihrer Seeleute wegen berühmt ist, und erreichte dadurch seinen Zweck vollkommen.

Die Zeiten waren in Amerika nicht besonders. Der Krieg hatte gerade begonnen, und er fand Leute genug für die Bemannung, die denn auch mit dem alten Kasten getrost in See gingen und erst draußen, als es zu spät war, merkten, welchem Fahrzeug sie sich eigentlich anvertraut, um darauf eine mehrjährige Reise zu machen. Walfischfänger müssen sich nämlich stets darauf gefasst machen, drei Jahre auszubleiben, ehe sie ihr Schiff füllen können, und das ist eigentlich eine lange Zeit, wenn man noch dazu bedenkt, dass derartige Schiffe nur sehr selten einen Hafen anlaufen und fast immer draußen auf offener See herumkreuzen, um nach Fischen auszuschauen.

Anfangs wurde die Mannschaft auch noch eigentlich nicht so recht inne, wie es mit ihrem Fahrzeug stand, denn mit günstigem Wind liefen sie an der Ostküste Amerikas immer nach Süden hinab, und so vor dem Wind segelte es leidlich. Schwer enttäuscht sahen sie sich aber, als nach einer kurzen Windstille eine konträre Brise eintrat. Der Kapitän wollte allerdings lavieren, aber du lieber Gott, das alte Schiff brauchte sieben Strich, um gegen den Wind aufzukreuzen, und machte dabei noch anderthalb Strich Abdrift, sodass sie nicht allein nicht von der Stelle kamen, sondern sogar noch zurückgetrieben wurden. Den Harpunieren war das auch gar nicht recht, sie wären am liebsten wieder umgekehrt, um ihren Kontrakt aufzukündigen, der Kapitän wollte jedoch nichts davon wissen und redete ihnen so lange zu, bis sie sich endlich zufrieden gaben.

Was lag auch daran, ob ein Walfischfänger schnell segelt oder nicht – die Reise an Ort und Stelle dauerte etwas länger, ja; aber erst einmal auf ihrem Fischgrund angelangt, und sie durften mit demselben Recht erwarten, dass Fische an sie anlaufen würden, als dass sie dieselben durch rasches Fahren erreicht hätten – ja manchmal machte so ein Schiff an guten Stellen viel bessere Geschäfte, wenn es ruhig beilag, als ziellos auf dem Meer umherkreuzte.

Nur die Reise um Kap Horn war eine entsetzlich lange, jedoch konnten sie auch schon bei den Falklandinseln auf Walfische rechnen, und kurz und gut, sie behielten ihren Kurs bei, der sie auch mit jetzt wieder günstigerem Wind rascher gen Süden brachte, als sie selber anfangs geglaubt.

Bei den Falklandinseln war aber nichts zu machen. Sie trieben sich wohl vier Wochen in der Nähe herum, ohne einen einzigen Wal anzutreffen, und da gerade ein scharfer Ostwind einsetzte, hielt der Kapitän die Gelegenheit für günstig, das Kap zu dublieren und nach der Westküste Amerikas hinüber zu steuern. Dort lagen auch die besten Jagdgründe für Walfische: in der heißen Zone für Cajelots und weiter nach Norden hinauf für den richtigen Wal, und da sie der Wind nicht im Stich ließ – denn mit Kreuzen wären sie nie um das Kap gekommen – erreichten sie nach ziemlich kurzer Fahrt das Stille Meer.

Aber auch hier zeigte sich der Fang nicht so ergiebig. Sie bekamen allerdings in der Höhe der Maghellanstraße einen tüchtigen Fisch, mussten ihn aber, wie sie nun eben begonnen hatten einzuschneiden, wieder loswerfen, denn ein heftiger Wind setzte ein, dem sie kaum frei und allein die Stirn bieten konnten.

Es war das ein schwerer Schlag für die Mannschaft, die – wie Kapitän und Harpuniere – nur auf den Anteil am Fange geworben werden, ließ sich aber nicht ändern, und der Kapitän vertröstete die Leute auf die nächste Zeit. Sie hatten ja nun einmal einen Beginn gemacht und die Boote erprobt, die sich als ganz vortrefflich bewährten. Die blieben ja doch immer die Hauptsache, und wenn sie nur Fische fanden, konnten sie auch reiche Beute machen.

Sie fanden aber keine. Langsam, entsetzlich langsam rückten sie weiter und weiter nach Norden hinauf, an Chile vorüber und an der chilenischen Küste hin, bis ziemlich zu vier Grad Süderbreite hin, wo sie die erste school oder den ersten Trupp Spermacetifische antrafen und augenblicklich Jagd darauf machten. Der erste Harpunier kam auch an einen tüchtigen Fisch fest, der alte Bursche verstand aber die Sache unrecht, drehte sich um, wandte sich gegen das Boot selber und gab ihm mit seinem breiten Kopf einen solchen Stoß, dass es in Stücken auseinander ging und die Mannschaft desselben nur mit Mühe von den anderen herbeieilenden Booten gerettet werden konnte.

Die übrigen Fische gingen gegen den Wind auf, und die „Martha's Vineyard“, die zu erbärmlich am Wind lag, um ihnen dahin folgen zu können, musste sie eben laufen lassen. Übrigens hielt der Kapitän diesen Platz für gut und beschloss deshalb, eine Weile dort beizulegen. Es war einesteils möglich, dass die Fische dorthin zurückkehrten, wo sie Nahrung gefunden hatten, und dann konnten sie hier auch ebenso gut als irgendwo anders weiteren begegnen.

Drei Wochen kreuzten sie deshalb auf der nämlichen Stelle, das heißt die Strömung setzte dabei allmählich immer weiter nach Norden hinauf, bis sie unmittelbar unter der Linie von Windstille befallen wurden.

Das Meer lag jetzt spiegelblank, wenn auch leise wogend da, und der Ausguck oben im Top konnte selbst den geringsten Gegenstand, der sich auf der blitzenden Fläche zeigte, mit leichter Mühe erkennen. Aber nichts ließ sich sehen, als dann und wann einmal die spitze Flosse eines Hai, der faul und träge durch die Flut schnitt und, wenn er zum Schiff kam, von einem der Bootssteuerer mit ausgeworfenem Speck an einem starken Haken gefangen wurde – es war doch wenigstens eine Unterhaltung, welche die entsetzliche Monotonie ihrer Tage unterbrach.

Endlich, am vierten Tage der Windstille, gerade wie sich im Süden die ersten Wolken wieder zeigten und das sich in jener Richtung dunkel färbende Meer die von dort heraufkommende Brise ankündigte, ertönte der so lang ersehnte Ruf des Mannes im Top oben:

„There she blows!“ (Dort bläst einer), und selbst von Deck aus konnten sie bald darauf den ausgeworfenen einzelnen Wasserstrahl eines Spermfisches oder Cajelot, dem bald ein zweiter folgte, erkennen.

Jetzt kam Leben an Bord, und so faul und schläfrig die Offiziere den ganzen Tag herumgelegen, im Nu sprangen sie nun auf ihre Füße, um jeder nach seinem Boot zu sehen und so rasch als möglich damit ab- und hinauszukommen.

Jedes Boot hat seine bestimmte Mannschaft: seinen Harpunier, seinen Bootssteuerer und vier Mann zum Rudern, und hängt, zum augenblicklichen Gebrauch stets bereit, unter seinen Kranen. Dicht daneben ist der schwere Bottich mit dem aufgekoilten Harpunentau befestigt, um rasch hereingehoben zu werden.

Die verschiedenen Leute haben dabei ihre verschiedenen Pflichten bei der Ausrüstung, damit im Moment des Einschiffens keine Verwirrung oder Zögerung entsteht. Der Bootssteuerer muss die Waffen, Lanzen, Harpunen, Beile und Messer, stets blank und haarscharf halten. Einer der Leute hat für Wasser zu sorgen, dass augenblicklich ein Fässchen gefüllt und ins Boot geschafft wird, ein anderer sorgt für Lebensmittel, da man nie wissen kann, wie lange die Boote gezwungen sind, auszubleiben. In einem kleinen verschlossenen Verschlag im Boot selber befindet sich ein Kompass, womöglich eine Karte, und ist das Fahrzeug gut ausgestattet, auch einige konservierte Lebensmittel mit einer Flasche Rum; und von dem Moment an, wo der Befehl zum Niederlassen des Bootes gegeben wird, dauert es gewöhnlich nur wenige Minuten, bis es von Bord abschießt und nun, mit Rudern oder Segeln, je nachdem sich die letzten führen lassen, seinem Ziel entgegenstrebt.

Dabei wird fast kein Wort gesprochen, denn jede Bootsmannschaft hat natürlich ihren Ehrgeiz darin, die Erste zu sein, die zur Verfolgung der auftauchenden Walfische fertig ist, und vom Mast aus gibt dann der Mann im Top mit einem an der Stange befestigten und schwarz bemalten großen Leinwandball – der weithin leicht erkenntlich ist – die Richtung an, welche die Fische nehmen, damit ihnen die Boote folgen oder den Weg abschneiden können.

Die „Martha's Vineyard“ führte vier Boote, denn das zerstörte des ersten Harpuniers war schon wieder durch ein Reserveboot ersetzt worden, und noch hatte die aufkommende Brise das Schiff nicht erreicht, als sie schon hinaus ruderten in das Weite und der Richtung zu, in welcher sich die Spermfische kurz vorher gezeigt.

Es war das genau gen Osten, und die Leute legten sich wahrlich mit gutem Willen in die Ruder, dass sich die elastischen Eschenhölzer oder Riemen, wie man sie nennt, vor der Kraft der Arme bogen. Aber das dauerte nicht lange, denn jetzt kräuselte sich das Meer, ein frischer Südwind setzte ein, und im Nu wurde die kurze Segelstange aufgerichtet und die Leinwand blähte aus, um den ersten Windzug zu fangen. Der brachte sie nicht allein leichter, nein auch rascher vorwärts, und die Hauptsache: sie konnten sich den Fischen viel geräuschloser nähern, als das mit Rudern möglich ist. Der Wind zeigte sich ihnen auch vollkommen günstig, denn er kam gerade von der Steuerbordseite, und schnell und lautlos schossen sie dahin.

Die Fische waren, wie sie das oft tun, eine ganze Weile nicht nach oben gekommen, und der Mann im Mast konnte den Leuten deshalb auch kein Zeichen geben, welcher besondern Richtung sie zusteuern sollten; sie behielten deshalb die bei, die sie bis dahin eingehalten, in der Voraussetzung, dass sich die Cajelots unter Wasser nicht so weit entfernen und vielleicht an der nämlichen Stelle noch einmal nach oben kommen würden – und das geschah denn auch wirklich. Kaum eine Viertelstunde mochten sie gesegelt sein, als der Matrose, der damit beauftragt war, den Mann im Top der Barke im Auge zu behalten, plötzlich des Harpuniers Auge durch seinen Ausruf dorthin lenkte. Jener Ausguck hob seinen schwarzen Ballon, der selbst von hier aus noch deutlich erkennbar war, hoch in die Höhe und ließ ihn dann wieder gerade nach vorn herunterfallen – ein sicheres Zeichen, dass der Kurs der richtige sei, und es dauerte denn auch nur wenige Sekunden, bis sie selber die schon lang ersehnten Strahlen gerade voraus erkannten und sich jetzt zum Gefecht fertig machten.

Nun ist die Einteilung an Bord eines Walfischbootes auf der Verfolgung die nachstehende: der Bootsteuerer wird, sobald ein Wal in Sicht kommt, vorn in den Bug des Bootes mit der Harpune postiert, denn sein Amt ist es, an den Fisch festzukommen, während nachher der Harpunier oder erste Offizier mit der Lanze, an der sich keine Widerhaken befinden, dem Tier den Todesstoß gibt. Der Harpunier hat indessen hinten im Stern des Bootes den langen Steuerriemen (das Ruder, das zum Steuern benutzt wird und in einem eisernen Ring liegt) in der Hand und führt dasselbe so an den Fisch heran, dass der Bootsteuerer zum Wurf kommen kann. Wo dieser den Fisch dabei trifft, ist ziemlich gleichgültig, irgendwo auf dem Rücken, in der Seite, im Schwanz, nur so, dass die Harpune tief genug eindringt, um ordentlich festzukommen. Sobald er dies erreicht hat und das im Bottich aufgekoilte Tau abläuft – wobei er jedoch aufpassen muss, nicht in dieses verwickelt zu werden –, springt er zurück, um jetzt das Steuer des Bootes zu übernehmen, während der Harpunier nach vorn steigt und seine lange, scharfe Lanze aufgreift, mit der er nun, des tödlichen Wurfs gewärtig, aufgerichtet vorn im Boot stehen bleibt und nur darauf achtet, dass die rasend schnell ablaufende Leine, an welcher der Fisch hängt, nicht unklar wird.

Der geworfene Fisch schießt indessen mit ungeheurer Schnelle vorwärts, taucht auch wohl einmal unter und kommt wieder nach oben, und hat dabei das Boot fortwährend im Schlepptau. Sobald nämlich die Leine abgelaufen ist, hält sie, mit ihrem untern Ende um einen festen Kran befestigt, straff an, und der vorgespannte Fisch macht das Boot nur so durch das Wasser fliegen. Ginge er aber zu tief nach unten, so würde er es auch rettungslos in die Tiefe reißen, und für einen solchen Fall steckt ein scharf geschliffenes Beil dicht daneben, mit dem die Leine im Nu gekappt oder abgehauen werden kann. Es versteht sich aber von selbst, dass man nur im äußersten Notfall zu diesem verzweifelten Mittel greift, denn damit ist wohl das Boot befreit, aber zu derselben Zeit Fisch, Harpune und Leine ebenfalls verloren.

Jetzt noch stand der Bootssteuerer vorn im Bug, die Harpune, in welche nur leicht ein kurzer, fester Eichenpaken gesteckt ist, in beiden Händen, und in der Linken noch ein langes Ende leicht aufgekoilter Leine haltend, um mit dem Wurf gleich nachgeben zu können, damit die Harpune keine falsche Richtung bekommt. – Die Fische sind in Sicht – da und dort steigt der schräge, nicht eben hohe Strahl über die Oberfläche der nur leicht gekräuselten See – es müssen zehn oder zwölf verschiedene Cajelots sein, die sich hier spielend in der warmen Flut herumtreiben –, vielleicht sogar noch mehr, und dann und wann kam wohl auch einmal der halbe Kopf eines der mächtigen Burschen zum Vorschein, wie er sich ein Stück aus der Flut heraushob, das Wasser schnaubend ausblies und dann langsam wieder zurück in sein Element tauchte.

Der erste Harpunier, ein alter Walfischfänger, der sich seit seiner frühesten Jugend in diesen Meeren herumgetrieben, hatte sein Boot mit dem größten Segel versehen und war den anderen auch wohl um mehrere hundert Schritte voraus. Jetzt flog die Harpune von dessen Bootssteuerer aus, und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit beobachteten die anderen Boote den Erfolg. Zog er die Leine wieder ein? War der Wurf misslungen? Nein, er sprang in den hintern Teil des Boots zurück, er musste festgekommen sein, und vor Erwartung zitternd standen die Übrigen, ob ihnen nicht auch das Glück einen Fang beschere.

Die Leute im ersten Boot hatten mit Rudern aufgehört und rasch das Segel niedergeworfen, damit es sie nicht, wenn der Fisch in den Wind hineinlief, gefährde – die übrigen Boote näherten sich rasch, denn noch lief die Leine ab und das kleine Fahrzeug lag verhältnismäßig still – da kam links ein neuer Fisch auf, dem der zweite und dritte Harpunier folgten, und der vierte, ein noch junger Bursch, wollte sich eben mit zu diesen halten, als plötzlich, unmittelbar vor seinem Boot, ein Wal mit solcher Gewalt an die Oberfläche schoss, dass er mit fast der Hälfte des riesigen Körpers aus dem Wasser herausschnellte, und wieder zurückschlagend die See wogengleich beiseite drängte.

Aber ein tüchtiger Bootssteuerer stand vorn, mit der Harpune bereit, der sich durch die plötzliche Erscheinung des Ungetüms nicht einschüchtern ließ und auch mit keiner Faser seines Herzens der Gefahr gedachte, der sie eben entgangen; denn hätte der Fisch mit dieser Gewalt das kaum verfehlte Boot getroffen, so wäre es in Splittern auseinander gebrochen.

Während die Matrosen erschreckt nach ihren Rudern griffen, um das Boot zurück und aus dem Bereich der Gefahr zu werfen, hob sich seine Harpune, und noch war der Leviathan der Tiefe nicht wieder verschwunden, als auch schon das Eisen ausflog und sich tief in dessen Weichen bohrte.

„Ruder ein! Segel nieder!“ Wie eine Schlange glitt er zurück, während der junge Harpunier, der seine erste Reise in dieser Eigenschaft machte, vor Eifer zitternd nach vorn sprang und die schon bereit liegende Lanze aufgriff.

Vor ihnen her flog jetzt der erste Harpunier mit seinem Boot, denn der Fisch hatte die Leine und zog an, und ihr Gefangener schien die nämliche Richtung nehmen zu wollen – die Leine glitt mit Blitzesschnelle aus. Die Leute mussten die Ruder wieder aufnehmen, um ihm ein wenig zu folgen und das Boot in der Richtung zu halten – jetzt plötzlich tat es einen Ruck – die Harpune hielt, und fort ging es, dass die Gischt hoch am Bug emporschäumte, hinter dem gefangenen Ungeheuer her, gerade dem andern Boot nach. – Liefen sie aber schneller als dieses? – rasch näherten sie sich ihm, und als sie vorüberflogen, wie von einer Dampfmaschine getrieben, hörten sie nur noch, dass der alte Harpunier darin fluchte und wetterte und seinen Leuten befahl, die Leine einzuholen – die Harpune musste aus dem Speck gerissen sein und der Fisch war jedenfalls freigekommen.

Sie aber hatten natürlich keine Zeit, sich damit aufzuhalten. Im Schlepptau des Wals flogen sie nur so über die wenig bewegte See, immer genau ein und dieselbe Richtung einhaltend, gen Osten zu. Übrigens sahen sie, dass eins der Boote – es war das des zweiten Harpuniers – sich gewendet hatte und mit vollem Segel hinter ihnen drein kam, um ihnen vielleicht den Fisch sichern zu helfen, denn der erste Harpunier hatte noch eine ganze Weile damit zu tun, um seine Harpune wieder an Bord zu holen.

Und wie der Fisch lief! Ein so genannter Finnbackwalfisch hat es allerdings in der Gewohnheit, mit der Harpune in solcher Art fortzulaufen, und deshalb ist sein Fang so schwer und undankbar, und die Walfischfänger wollen auch nichts von ihm wissen; gibt er doch auch viel zu wenig Tran für die Mühe, die er kostet, sodass der Gewinn in keinem Verhältnis zu der Gefahr steht. Der Spermwal dagegen läuft gewöhnlich erst eine Strecke geradeaus, hält dann ein und taucht in nicht zu große Tiefe unter, weil er bald zum Atemholen wieder an die Oberfläche zurückkehrt. Dadurch nun gibt er dem an ihm festgekommenen Boot Gelegenheit, ihm den Todeswurf mit der Lanze hinter eine der beiden Seitenflossen zu versetzen – der einzige Platz, und der nicht einmal sehr große, wo er tödlich getroffen werden kann.

Die Matrosen des vierten Bootes kümmerten sich aber wenig um das Laufen, denn sie wussten, dass ihr Vorspann damit bald aufhören würde. Sie lachten und jubelten, und besonders war der junge Harpunier ganz außer sich vor Vergnügen, dass er einen Fisch bekommen hatte, während der erste Harpunier, der ihn bis jetzt immer über die Achsel angesehen, mit leerem Boot zum Schiff zurückkehren musste. Er konnte auch die Zeit nicht erwarten, bis ihnen der Wal in Wurfnähe kommen würde. – Dass er ihn sicher und gut traf, sollte seine Sorge sein.

„Es ist übrigens Zeit“, sagte der eine der Matrosen, dass wir einmal richtig an einen Fisch festkommen, denn zehn Monate sind wir jetzt aus, mit noch nicht einer einzigen Tonne Tran an Bord – die Butter ausgenommen, die der Holzkopf von Koch für uns eingelegt hat. Das Schiff war bis jetzt wie verbrannt, ordentlich als ob wir verhext gewesen wären. Wenn wir den nur erst wenigstens sicher langseit und eingeschnitten hätten.“

„Keine Not, mein Bursche“, lachte der Harpunier, „der lockert die Leine schon. Er wird müde – holt ein – je eher wir heimkommen, desto besser.“

Zwei der Matrosen sprangen nach vorn und nahmen Hand über Hand die Leine ein; der Fisch schien in der Tat müde geworden zu sein, denn er lag entweder ganz still oder schwamm auch vielleicht, wie sie das tun, in anderer Richtung langsam weiter.

„There she blows“, rief der eine Matrose plötzlich mit unterdrückter Stimme, als er dicht voraus den Strahl erkannte. Der Fisch war an die Oberfläche gekommen, um Atem zu holen, und sie konnten jetzt deutlich erkennen, dass er noch von ihnen abgewendet lag, also nur einfach im Laufen inne gehalten hatte. Jedenfalls mussten sie so viel wie möglich von der Leine bergen, um ihm das nächste Mal, wenn er wieder einhalten sollte, näher zu sein. Beide Matrosen zogen so rasch ein, als sie konnten, vermochten aber dadurch nicht, das eingenommene Tau auch ebenso schnell und ordentlich wieder aufzukoilen.

„Habt Acht da vorn“, sagte der Bootssteuerer, der das bemerkte. „Verwickelt die Leine nicht – wenn er plötzlich wieder anreißt –“

„Da kommt er wieder nach oben!“, rief der Harpunier und sprang vorn auf die kleine Bank des Bugs, um besser von da ab ausschauen zu können, aber unvorsichtig genug trat er dabei in ein paar Schlingen des eingeholten Taues, und in dem Moment fast schoss der Fisch nach vorn und in die Tiefe, wobei er die Leine hinter sich her riss.

„Habt Acht da vorn!“, rief noch einmal der Bootssteuerer, aber seine Warnung kam für den Harpunier zu spät. Während er mit dem rechten Fuß hinaustreten wollte, schlang sich die auslaufende Leine um diesen, und wie ein Blitz warf es ihn hinaus über Bord. Zu gleicher Zeit hatte sich eine Schlinge um den in der Mitte befestigten Kran oder Nagelbalken geschlagen, an dem die Leine überhaupt befestigt wird, wenn sie halten soll, und pfeilschnell riss der Wal das Boot hinter sich her.

„Kappt das Tau!“ war der erste, unwillkürliche Ruf des Bootssteuerers, der in diesem Augenblick seinen Platz nicht verlassen konnte, wenn er nicht das Boot gefährden wollte, das natürlich umgeschlagen wäre oder sich gefüllt hätte, sobald es die furchtbare Kraft des Wals auf die Seite riss. Ehe aber nur einer der Leute dem Befehl Folge leisten konnte, schrie er auch schon wieder „Halt! Lasst sein!“ – denn wie er den Blick zurückwarf, sah er, dass das Boot des zweiten Harpuniers, von der frischen Brise begünstigt, kaum fünfhundert Schritt entfernt hinter ihm dreinkam. Außerdem wusste er, dass der Harpunier ein ausgezeichneter Schwimmer war. Jenes Boot mochte ihn deshalb aufnehmen, und wenn der Wal wieder hielt, konnte es herankommen und den verlorenen Offizier seinem eigenen Boot zurückbringen. Sie durften den gefangenen Fisch nicht so leichtsinnig aufgeben – weshalb hatte auch der Harpunier nicht besser aufgepasst?

Jetzt ging die Reise wieder fort, rascher als vorher und immer nach Osten zu, und die Matrosen waren dabei eifrig beschäftigt, die fast in Verwirrung geratene Leine wieder zu ordnen, dass sie das Boot nicht in Gefahr bringe. Das gelang ihnen endlich, und sie sahen zu ihrer Beruhigung, dass das zweite Boot ihren Harpunier gefunden hatte und an Bord nahm. Dadurch wurde jenes freilich in seinem Fortgang sehr aufgehalten, und sie ließen es jetzt weit zurück.

„Die holen uns im Leben nicht wieder ein, Sir“, sagte der eine Matrose, indem er den Kopf zurückwandte.

„Wär auch kein Unglück, Bob“, lachte dieser trotzig. „Weshalb hält der junge Herr seine Finnen nicht aus der Leine – aber im schlimmsten Fall kannst du das Boot doch eben so gut an einen Wal hinansteuern als ich, Bob, wie?“

„Sollte denken, Sir“, schmunzelte dieser. „Bin wenigstens lange genug dabei und einmal selber eine Jahreszeit Bootssteuerer gewesen, als wir eins unserer Boote mit der Mannschaft verloren.“

„Nun gut“, nickte der Offizier, „sobald der Fisch wieder aufkommt, Bob, nimmst du das Steuer, und ich denke, ich kann ihm die Lanze ebenso gut an der richtigen Stelle beibringen, wie Mister Broom – und vielleicht noch ein verdammt Teil besser“, brummte er leise vor sich in den Bart.

Es wurde jetzt kein Wort weiter gesprochen, und die Bootsmannschaft war dabei so mit ihrem Wal beschäftigt, dass sie gar nicht auf die Tageszeit achtete und dass die Brise anfing einzuschlafen. Weiter und weiter flogen sie, von dem verwundeten Tier in wilder Hast vorwärts geschleppt, und doch jeden Augenblick erwartend, dass es wieder halten und sie hinanlassen sollte.

„Hol mich dieser und jener“, brummte da einer der Matrosen plötzlich – „da hinten geht die Sonne unter, und wo ist denn eigentlich unsere „Martha's Vineyard“?“

Der Bootssteuerer warf den Blick zurück, aber er konnte ebenfalls nichts mehr von dem Schiff erkennen, da sich noch dazu ein leichter Dunst auf den westlichen Horizont gelegt hatte.

„Alle Wetter!“, rief er aus. „Kapitän Burker wird doch wahrlich nicht verlangen, dass wir den ganzen Weg mit dem Fisch zurückrudern sollen? Der kann uns gar nicht gefolgt sein.“

„Vielleicht ist noch eins der anderen Boote festgekommen, Sir“, sagte Bob, „und er hat sich mit dem aufgehalten.“

„Und was machen wir jetzt?“, rief der Bootssteuerer. „Wir können doch wahrhaftig jetzt, im letzten entscheidenden Augenblick, den Fisch nicht aufgeben?“

Die Leute schwiegen. Sie wollten den Fisch natürlich auch nicht gern einbüßen, denn es war das Erste, was sie auf ihrer langen Fahrt verdient hatten; dann aber auch kannten sie recht gut selber das Gefährliche ihrer Lage, wenn sie auf offener See ihr Schiff verloren.

„Es ist eine ganz verfluchte Geschichte“, brummte Bob, „und wo steckt denn nur das zweite Boot? Vorhin war es doch noch hinter uns!“

„Eben hab ich es da drüben noch gesehen“, sagte Dick, ein anderer der Leute. „Jetzt müssen sie aber ihr Segel eingenommen haben, ich kann nichts mehr erkennen.“

„Die Brise ist ganz eingeschlafen“, sagte der Bootssteuerer, indem er sein Gesicht nach Süden wandte, „die See fängt an wieder glatt zu werden.“

„Wenn der verdammte alte Trankasten nur von der Stelle käme!“, knurrte da Bob, „so hätten sie uns gar nicht im Stich lassen können, und jetzt dürfen wir nur ruhig die Leine kappen und uns selbst das Brot vom Munde wegschneiden.“

„Hol's der Teufel, Leute!“, rief der Bootssteuerer, „wenn ihr denkt wie ich, so lassen wir unsern Vorspann noch eine Weile ziehen. Lange kann er es nicht mehr aushalten – er hat schon eine etwas andere Richtung genommen und sich ein wenig mehr nach Süden gewandt. Das ist immer ein sicheres Zeichen, dass sie müde werden. Kommen wir dann, bis völlig Nacht, nicht fest – nun denn in Gottes Namen, dann haben wir wenigstens unsere Schuldigkeit getan und sind dann auch nicht viel weiter vom Schiff als jetzt.“

Die Leute erwiderten nichts, und in unverminderter Schnelle flog indessen der Wal mit ihnen durch die Flut – aber er hielt nicht an. Die Sonne war im Meer verschwunden, und bleiern lagerte sich die Nacht auf den Ozean.

Der Bootssteuerer hatte Bob das Ruder gegeben und stand vorn an der Leine – plötzlich fühlte er, dass diese schlaffte.

„Beim Himmel, er hält“, rief er vergnügt aus. „So ist's vielleicht doch noch nicht zu spät.“

„There she blows!“, rief der eine Matrose.

Der Wal war nach oben gekommen, verschwand aber im nächsten Augenblick wieder, und schon hatten die Leute ein tüchtiges Stück von der Leine eingeholt, als sie ihnen der Wal wieder aus der Hand riss, ohne dass sich ihr Boot aber von der Stelle bewegt hätte.

„Los mit eurer Leine!“, rief Bob, der Erfahrung genug mit diesen Burschen hatte. „Nehmen Sie das Beil zur Hand, Mr. Sikes!“

Der Bootssteuerer folgte fast unwillkürlich der Warnung, und der alte Bob hatte nicht Unrecht gehabt – der Wal tauchte mit rasender Schnelle. Die letzten Teile des losgeworfenen Taues flogen zischend über Bord, gerade nach unten zu, und mit der letzten Elle hatte der Bootssteuerer kaum noch Zeit, das haarscharfe Beil auf den Bootsrand niederzuhauen. Das Tau schlug ihm ordentlich das Beil fort, als auch im nächsten Moment der Bug ihres Bootes bis auf den Wasserrand niedergetaucht wurde und die salzige Flut ihre Woge hineinwarf. Glücklicherweise aber war das Tau schon so weit durchgehauen, um sie nicht ganz hinabzerren zu können – die letzten Fasern rissen, und während das von seiner ungeheuren Last befreite kleine Fahrzeug auf- und niedertanzte, war allerdings die unmittelbare Gefahr beseitigt, aber der Wal auch mit ihrer ganzen Leine verloren.

„Hell!“, sagte Bob lakonisch, indem er sich auf die Bank niedersetzte und einen noch viel wilderen Fluch in seinen Tabak hineinkaute. „Ob der alte verbrannte Kasten denn nicht Unglück mit allem hat, was er anfängt. Da sitzen wir jetzt, den Harpunier nach der einen und den Wal nach der andern Seite, und außerdem noch das ganze Schiff und Leine und Harpune verloren, und keine Tonne Tran für irgendetwas bekommen. Es ist zum Halsabschneiden!“

„Das nächste Mal mehr Glück, Bob“, sagte der Bootssteuerer, indem er aber selber in nicht viel besserer Laune der Richtung nachsah, in welcher der Spermfisch verschwunden war. „Es ist eine verfluchte Geschichte, ja, lässt sich aber nun doch einmal nicht mehr ändern, und wir haben wenigstens unsere Schuldigkeit getan. Und nun an eure Ruder, meine Burschen, dass wir wenigstens das Schiff wieder finden, denn in der Windstille wird es uns wohl nicht weggelaufen sein.“

„Weggelaufen, nein“, brummte Bob. „Der alte Kasten läuft schon nicht fort, aber weggetrieben. Und wenn wir's nun nicht finden?“

„Ach was“, sagte der Bootssteuerer, „nicht finden. Der Kapitän hat jedenfalls seine bunten Signallaternen aushängen, die man Meilen weit leuchten sieht. Vorwärts, ihr Leute, lasst uns keine Zeit mehr versäumen.“

„Und sollten wir nicht erst ein wenig essen, Sir?“, fragte der alte Matrose. „Wir haben eine lange Arbeit vor uns.

„Ich traue dem Wetter gar nicht“, meinte der Offizier. „Da drüben im Osten lag es schon vor Sonnenuntergang wie eine feste Wolke auf dem Wasser.“

„Das war das Land, Sir“, sagte Bob. Ich kenne die Küste, da drüben regnet's immer.“

„Na meinetwegen, dann können wir auch ebenso gut erst unsere Mahlzeit halten – nachher aber scharf wieder an die Arbeit. Was kann's helfen, es ist ja doch einmal unser Geschäft.“

Die Leute erwiderten nichts. Sie waren ordentlich hungrig geworden, und der Schiffszwieback mit dem Salzfleisch mundete ihnen vortrefflich. Sehr mäßig tranken sie aber dazu von dem mitgenommenen Wasser, denn in einem Boot auf offener See kann man nie wissen, wie lange man gezwungen ist, auszuliegen, und je vorsichtiger man dabei mit dem Wasser umgeht, desto besser.

Der Bootssteuerer versuchte indessen das kleine Spintje zu öffnen, das sich im Boot befand, aber der Schlüssel stak nicht – den hatte der Harpunier in der Tasche. Eine Weile überlegte er es sich – den darin befindlichen Kompass brauchten sie eigentlich noch nicht – aber die Flasche Rum – ein Schluck davon würde ihnen allen wohl getan haben. Es war außerdem besser, wenn sie den Kompass heraus hatten – und zu der Überzeugung gekommen, nahm er ohne weiteres das kleine Handbeil, schlug mit dem dicken Ende desselben auf das Schloss und sprengte es.

Dadurch brachte er auch die Leute in etwas bessere Laune. Denn man glaubt nicht, welch wohltätige Wirkung, mäßig genossen natürlich, ein Schluck Grog oder auch reiner Rum auf See und in der feuchten Luft ausübt. Wie aber jeder sein Glas ausgetrunken hatte, mahnte der Bootssteuerer wieder zur Heimkehr an Bord, und die Leute griffen jetzt ihre Ruder auf.

„Merkwürdig, Mr. Sikes“, sagte da Bob, indem er seinen Riemen in die Dolle warf, „was für ein sonderbarer Schein auf dem Wasser liegt. Es sieht ordentlich aus, als ob es rauchte – wenn wir nur keinen Nebel bekommen, das wäre ein schöner Spaß.“

„Hm“, sagte der Angeredete, indem er den Blick nach rechts und links hinüberwarf, „'s ist mir auch schon so vorgekommen – wär bös, Bob, aber wollen's nicht hoffen. Vorwärts, ihr Leute, wir dürfen keinesfalls mehr Zeit versäumen.“

Die Leute hatten die Ruder eingelegt und fingen an zu arbeiten – aber nicht willig. Die Vordersten flüsterten leise miteinander und ruderten dann wieder schweigend weiter. Was der alte Matrose gefürchtet, sollte sich aber nur zu rasch bewahrheiten, denn trotz der Dunkelheit wurde der über dem Meer lagernde Dunst immer bemerkbarer und hob sich dabei höher und höher, sodass sie jetzt schon gar nicht mehr voraus, sondern nur noch einzelne Sterne sehen konnten.

„Mr. Sikes“, sagte Bob, die Geschichte wird faul. Die Lichter an Bord sind wir nicht mehr imstande zu erkennen, und wenn wir vorbeifahren, haben wir das blaue Weltmeer vor uns.“

„Aber Bob, wir sind noch lange nicht weit genug gefahren, um das zu ermöglichen“, sagte der Bootssteuerer. „Ein paar Stunden dürfen wir noch immer so fortrudern.“

Bob warf – während die Leute sämtlich mit Rudern aufgehört hatten – den Blick nach oben. Der Nebel war indessen so hochgestiegen, dass er schon wie ein Schleier über ihnen lag und nicht einmal die Sterne mehr deutlich erkennen ließ.

„Das tut's nicht, Sir“, sagte er. „Wenn wir jetzt irre fahren, reiben wir unsere Kräfte auf und wissen nachher nicht einmal, nach welcher Richtung wir das Schiff suchen sollen.“

„Wenn man nur den Kompass erkennen könnte“, sagte der Bootssteuerer, jetzt selber unsicher gemacht. „Aber es ist ja stockdunkel und nicht einmal eine Laterne in der Spintje – die gehörte eigentlich hinein.“

Die Leute hatten, ohne einen weiteren Befehl abzuwarten, ihre Ruder aufgenommen und in das Boot gelegt. Der Bootssteuerer schaute eine Weile schweigend und unschlüssig vor sich nieder, aber er sah in der Tat selber keine Möglichkeit, mitten in Nacht und Nebel einen bestimmten Kurs zu halten. Ja, wenn sie noch Wind gehabt hätten, so konnten sie eher auf- und absegeln, ohne die Leute zu erschöpfen, und wer wusste denn, ob sie nicht am nächsten Morgen ihre Kräfte notwendig brauchen würden.

„Es wird nicht anders“, seufzte er endlich leise. „Wir müssen jedenfalls den Nebel abwarten. So legt euch denn schlafen, Leute, und ruht euch aus – aber eine Wache müssen wir halten. Wir können ja einander ablösen, denn es wäre doch möglich, dass das Schiff in unsere Nähe käme, oder einen Schuss abfeuerte, nach dem wir im Stande sind, die Richtung zu bestimmen.“

„Gut, Sir, dann will ich die erste Wache nehmen“, sagte Bob. „Ich bin doch noch nicht müde, und wenn wir alle zwei Stunden abwechseln, wird ja der Morgen auch da sein.

„Aber sowie der Nebel sinkt und die Sterne wieder sichtbar werden“, sagte Mr. Sikes, „weckt ihr augenblicklich.“

„Gewiss, Sir“, nickte der Alte und zog die neben ihm liegende dicke Jacke an, die er sich aus Vorsorge mitgenommen hatte und um die ihn die Übrigen jetzt nicht wenig beneideten. Der Nebel fiel recht kalt und nass, und es war eben kein angenehmer Aufenthalt in dem offenen Boot.

Mr. Sikes suchte sich jetzt ebenfalls so gut als möglich wegzustauen, um der Nacht ein paar Stunden Schlaf abzuringen; es war das aber nicht so leicht, und bequem konnte er es sich auch nicht machen. Von der Anstrengung und Aufregung der letzten Stunden erschöpft, schlief er aber doch endlich wirklich ein, und Grabesstille herrschte in dem kleinen Fahrzeug.

Und weshalb schliefen die Leute nicht? Müde hätten sie wohl auch sein können, aber andere Dinge gingen ihnen im Kopf herum, und als sie erst sicher wussten, dass der Bootssteuerer sie nicht mehr hörte, saßen sie vorn im Bug des Bootes gedrängt zusammen und flüsterten leise miteinander.

Bob schien anfangs nicht ganz ihrer Meinung zu sein, denn er schüttelte ein paar Mal entschieden mit dem Kopf; endlich hörte er still und schweigend zu, und als sich die anderen zuletzt zum Schlafen niederlegten, saß er noch lange regungslos auf seinem Brett und starrte in tiefen Gedanken in den Nebel hinaus.

Wie er zwei Stunden gesessen hatte – er konnte auf seiner alten silbernen Uhr den Zeiger fühlen – weckte er die nächste Wache. Am Wetter hatte sich indessen noch nichts geändert, als dass der Nebel dichter zu werden schien. Nicht der Schimmer eines Sternes ließ sich mehr erkennen, und ebenso wenig regte sich ein Luftzug.

„Phh! – Phh!“, hörte die Wache da dicht neben dem Boot das Schnaufen von zwei Walfischen, die langsam und behaglich ihre Bahn verfolgten, und so willkommen ihnen allen gewiss der Ton an Bord ihres Schiffes oder mit ihren Waffen in Ordnung gewesen wäre, so ängstlich horchte der Mann jetzt dem zischenden Laut. Sie hatten nicht einmal mehr eine Leine an Bord, wenn sie wirklich daran denken konnten, einen der Fische zu harpunieren, und rannten die riesigen Tiere jetzt zufällig gegen ihr Boot an, so war es verloren.

„Hallo! Hallo!“, rief auch der Matrose, als das Schnaufen sich wiederholte, und jetzt zwar in kaum zwanzig Schritt vom Boot selber. „Walfische! Habt Acht! Bootssteuerer, Bob, Bill – auf mit euch!“

Die Leute sprangen erschreckt empor, und in demselben Moment fast gingen die beiden schwerfälligen Geschöpfe, ohne das Boot zu sehen oder zu beachten, unmittelbar daran vorüber, und zwar das eine rechts, das andere links, dass man sie hätte mit einem Bootshaken erreichen können. Die Mannschaft griff auch in der Tat erschreckt nach ihren Rudern, obgleich ihnen die nichts mehr hätten nützen können – aber die Gefahr war schon vorüber und das Boot schaukelte nur etwas stärker in dem aufgeregten Element.

„Das hätte noch gefehlt“, brummte der Bootssteuerer, als er bestürzt und noch halb im Schlaf hinter ihnen dreinsah. „Und den Nebel dazu! – Wie viel Uhr ist's, Bob?“

„Geht auf elf, Sir“, erwiderte dieser, nachdem er seine Uhr wieder befühlt.

„Elf erst – das wird eine lange Nacht!“, seufzte der Seemann und rückte sich wieder auf seine Bank zurecht.

Die Wachen wechselten, aber an der Witterung änderte sich nichts. Der Nebel lag zäh und milchweiß auf dem spiegelglatten Meer, und als der Tag anbrach, war die Sonne nicht einmal imstande durchzudringen. Der Bootssteuerer aber, mit der Verantwortlichkeit, die er für das Boot trug, schien auch nicht gesonnen, längere Zeit zu versäumen, und kaum war es hell genug geworden, um den Kompass zu erkennen, als er sich in der See Gesicht und Hände badete, und dann von den Lebensmitteln unter die Leute verteilte.

„So, meine Burschen“, sagte er dabei, „jetzt esst, und dann an die Arbeit. Ihr habt nun ordentlich ausgeschlafen und wir müssen sehen, dass wir die „Martha's Vineyard“ wieder finden, Nebel oder keiner. Jedenfalls läuten sie doch die Glocke an Bord und blasen oder schießen wohl auch ein paar Mal, und wenn wir nur halbwegs in die Nähe kommen, müssen wir es ja hören.“

Die Leute verzehrten schweigend ihr frugales Frühstück, ohne ein Wort auf die Anrede zu erwidern. Sie beeilten sich aber auch nicht damit und nahmen dann, als sie fertig waren und keine Entschuldigung mehr hatten, ihre Ruder langsam auf und legten sie in die Dollen. Der Bootssteuerer hatte indessen mit dem Steuerriemen, den kleinen Kompass neben sich stehend, den Bug nach Westen herumgeworfen.

„Ein mit euren Riemen, ihr Leute“, rief er dabei. „Zögern hilft uns nicht. Je länger wir hier warten, desto später kommen wir an Bord.“

Keiner der Matrosen rührte sich, um dem Befehl zu gehorchen. Sie starrten schweigend und finster vor sich nieder, und augenscheinlich mochte keiner von ihnen zuerst das Wort ergreifen.

„Nun? Wird's bald?“, sagte der Bootssteuerer, die Stirn runzelnd.

„Ich will Ihnen etwas sagen, Mr. Sikes“, übernahm der alte Bob die erste Eröffnung. „Die Leute denken, dass wir in dem Nebel das Schiff verfehlen werden und nachher ohne Wasser und Lebensmittel da draußen verschmachten müssen!“

„Und wollt ihr hier liegen bleiben?“

„Nein – aber das feste Land ist nicht so schrecklich weit. Wir haben gestern Abend schon die Wolken gesehen, die darüber liegen, wenn man auch die Berge noch nicht erkennen konnte; und je weiter wir wieder nach Westen fahren, desto weiter kommen wir vom Land ab, und sind vielleicht nie mehr imstande es zu erreichen.“

„Das feste Land?“, rief der Bootssteuerer erstaunt aus.

„Wisst ihr nicht, dass ihr zur „Martha's Vineyard“ gehört?“

„Das Schlimmste, was uns passieren konnte“, brummte der eine der anderen Leute, Bill, der Segelmacher. „Verdamm den alten blutigen Kasten. Ich wollte, ich hätte ihn mein Lebtag nicht gesehen, denn alles, was er ergreift, hat Unglück.“

„Auf dem Schiff liegt ein Fluch“, sagte jetzt auch Tom. „An vier, fünf Fischen sind wir schon festgewesen, aber den ersten Tropfen Tran sollen wir noch zu sehen kriegen. Zehn Monate sind wir jetzt aus und haben nicht einmal genug eingebracht, um uns die Stiefel damit zu schmieren.“

„Ja, und sitzen dabei in Schulden bis über die Ohren“, fiel Dick, der Vierte, ein. „Keinen Cent verdient und dann auch noch vierzig oder fünfzig Dollars der Mann für warme Kleider zu bezahlen, dass uns am Kap die Seele nicht aus dem Leib fror. Ich will von Heuschrecken zu Tode getreten werden, wenn ich wieder einen Fuß auf den verdammten Blubberkasten setze.“

„Also Meuterei?“, rief der Bootssteuerer, sich emporrichtend und die vier mürrischen Burschen mit seinem Blick überfliegend. „Wisst ihr, welche Strafe darauf steht?“

„Ach was, Sir“, sagte aber auch Bob jetzt. „Das ist keine Meuterei, wo wir mit dem Boot, im Nebel verloren und Gott nur weiß wie weit vom Schiff entfernt, auf offener See sind. Nur unser Leben wollen wir retten, dass es uns nicht am Ende geht wie den Booten von ‚Esser‘, auf denen die Mannschaft zuletzt darum losen musste, welchen von ihnen sie fressen wollten, um nur nicht zu verhungern. Jetzt können wir noch an Land kommen, die See ist ruhig und die Küste nicht so weit – morgen vielleicht schon nicht mehr.“

„Aber heute auch nicht, meine Burschen“, schrie da der Bootssteuerer, den der Zorn übermannte, indem er das neben ihm liegende Beil aufgriff. „Verdamm meine Seele, wenn ich nicht dem Ersten, der jetzt noch zu murren wagt, den Schädel einschlage wie einer faulen Robbe! Ein mit euren Rudern, sag ich – ihr wisst –“

„Damn your eyes“, fuhr aber Bill empor, „werft oder schlagt und seid verdammt, aber einen könnt Ihr nur treffen, und dass die anderen dann die Haifische mit Euch füttern, darauf dürft Ihr Euch verlassen.“

„Wenn's darauf ausgeht“, rief da Tom, der Dritte, indem er sein Ruder einzog und eine der vorliegenden Lanzen aufgriff und wandte, „so spielen wir auch noch mit. Legen Sie Ihr Beil hin, Mr. Sikes, Sie sehen, dass Sie gegen vier Mann nichts machen können. Wir wollen Ihnen auch kein Leides tun und haben nie daran gedacht, aber verdammt will ich werden, wenn ich Ihnen nicht das alte Eisen mitten in den Leib hineinwerfe, sowie Sie nur den Arm heben.“

Der Bootssteuerer hatte das scharfe Beil krampfhaft festgepackt, und es zuckte ihm im Arm, seine Drohung wahr zu machen – aber er sah die Unmöglichkeit ein, die vier kräftigen Seeleute zu ihrer Pflicht zu zwingen, wenn er sich nicht selber sicherem Verderben aussetzen wollte.

„Meuterei! Bei Gott! Helle, blanke Meuterei“, knirschte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch. „Und wisst ihr denn, was ihr an der fremden Küste findet, und ob ihr da nicht erst recht von wilden Menschenfressern angefallen und totgeschlagen werdet?“

„Hat keine Not, Sir“, lachte aber der alte Bob. „An der Küste fressen sie keinen, und verwünscht wenig Indianer, die wir da antreffen werden. Bill hat aber Recht. Ich bin selber schon auf manchem Whaler mein Lebstag gewesen, so erbärmlich ist's mir aber noch auf keinem gegangen, und wenn wir nichts fangen, wird uns nicht einmal für unsere ganze Arbeit etwas zugute getan, und wir müssen die paar Lumpen etwa zu dem vierfachen Preis von dem, was sie in Edgarton gekostet hätten, aus unserer eigenen Tasche bezahlen.“
...

Friedrich Gerstäcker

Friedrich Gerstäcker