Einfluss des Waldes auf die Menschen

Ich habe die Wichtigkeit des Waldes, in Hinsicht des Klimas, geschildert; viel ernster und wichtiger ist der Einfluss des Waldes, wenn wir ihn aus einem höheren Gesichtspunkte betrachten, nämlich auf die durch die Waldverwüstung veranlasste Schwächung und Verschlechterung des Menschenstammes selbst, worüber ich auf meinen weiten Reisen selbst Gelegenheit hatte manche Erfahrungen zu sammeln. Ich habe das Riesengebirge, den Thüringer Wald, die Tiroler und Steyermarkischen Alpen zu Fuß durchwandert, und wie der Wald hinsichtlich des Ortes und der Lage, des Zustandes und des Grundes verschieden war, ebenso fand ich einen Unterschied in dem Körperbau des Menschen. In den Wäldern und Waldbergen ein frisches, gesundes, starkes und fröhliches, dagegen an den kahlen, abgetriebenen, leeren Waldbergen ein schwächliches, kränkliches, trübes Geschlecht. Man sehe den Goten in den Wäldern Schwedens und vergleiche ihn auf den nebenliegenden kahlen Inseln der Ostsee, welcher Unterschied zwischen den Menschen von Blekingen und Smaland, und den von Laland und Falster, die, ohne den Schirm und Dunst der Wälder, mitten im windüberfahrenen Meere wohnen! Man sehe den Bergschotten in seinen rauen, von einem langen Winter umlagerten Wäldern, den starken, riesigen, stattlichen Mann, und man setze zu seinem Bruder hinüber nach den westlichen Hebriden, oder nach den schottländischen Eilanden, und man wird ein schwächeres, kleineres, von der Natur fast unterdrücktes Volk finden.

Ich habe 13 Gouvernements Russlands durchreist und gerade in den waldreichsten Gouvernements die schönsten, kräftigsten Menschen angetroffen. Wer kennt nicht die schöne Leibgarde des russischen Hofes, die aus dem Kerne des Landes gebildet wird, und die meistens Söhne aus den waldreichen Gouvernements sind; allein ich habe auch Gouvernements angetroffen, welche so arm und entblößt von Holz waren und wo die Holz-Not schon so eingerissen ist, dass sie kaum ihre Häuser im Winter erwärmen und ihre Speisen gehörig abkochen können. Getrockneter Kuhmist vertritt die Stelle des Holzes; sie sind gezwungen, den größeren Teil des Winters in ihrem Schafpelze auf dem Ofen zuzubringen, und nicht selten findet man dort verkrüppelte Gestalten und im Allgemeinen ein armseliges, schwächliches Geschlecht.


Auf meine Anfrage im cherson'schen Gouvernement, warum die Saatfelder so ausgezeichnet stehen, antwortete mir einst ein einfacher Bauer: „Mein Herr! es ist nicht Alles Gold, was glänzt! Was nützen uns diese so üppigen, reichen Saatfelder ohne Holz, ohne Wald! In der ganzen Umgegend ist kein Strauch zu finden, worunter sich ein Rebhuhn verstecken kann, geschweige Wald oder Gestrüppe, die die Not und Kälte des Winters von uns abwenden; wir müssen mit Kuhmist die Stuben notdürftig erwärmen und unsere Speisen kochen, und wir müssen unsere Zuflucht zum Branntwein nehmen, um uns zu erwärmen; wir verschlingen unsere Speisen halb gekocht, und welche traurige Folgen entspringen daraus? Jedes Jahr erscheinen bösartige Fieber und Krankheiten, und viele unserer wackeren Brüder werden ein Opfer derselben, und wie viele haben schon ihr väterliches Haus und Habe verlassen, um in ein anderes Land überzusiedeln, wo Wald ist."

In dem simbirsk'schen Gouvernement, wo ich zwei Jahre die Wälder der Gräfin Orloff organisierte, fand ich einen ausgezeichnet schönen Menschenschlag, der sich durch seine natürliche, schnelle Fassungskraft vor vielen andern Nationen auszeichnet, aber sonderbar, dass dort gerade das weibliche Geschlecht das männliche an Körperkraft übertrifft. Ich staunte, wie ich die Weiber dreschen, ackern, Holz fällen, kurz, die schwersten Arbeiten verrichten sah, während ihre Männer sich bloß mit den leichtesten Arbeiten beschäftigten.

Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir, das Leben der russischen Waldbewohner etwas genauer zu schildern:

Mitten im Walde, von anderen Ortschaften 30 — 40 russische Werste*) entfernt, findet man zuweilen 1 — 3 Familien wohnend. Mit einer einfachen Hacke baut sich der dortige Bauer sein Haus selbst, und fügt die runden Stämme so künstlich zusammen, ohne sie zu behauen, dass mancher deutsche Zimmermann sich ein Muster daran nehmen könnte. Seine Instrumente von Eisen sind der Pflug, Hacke, Bohrer, Sense, Schaufel, Sichel und ein gutes Messer; Schloss oder Riegel kennt er nicht, denn ich habe in dreizehn Jahren, während meines ganzen Aufenthaltes in Russland, es noch nie auf dem Lande erlebt, dass mir etwas gestohlen wurde, wohl aber in Petersburg die Kunst der Taschendiebe erfahren, die bei hellem Tage mir die schönste goldene Uhr samt Kette im Gedränge abnahmen, ohne dass ich es ahnte.

*) Nach Littrows Vergleichung der Maße ist 1 russische Werst = 3.374,8 Wiener Fuß, oder ungefähr 7 russische Werste = 1 deutschen Meile.