Erste Fortsetzung

Es ist übrigens nicht unwahrscheinlich, dass das Klima Deutschlands seit Tacitus milder geworden; denn es sind viele Wälder verschwunden und mit ihnen manche Sümpfe und sonstige Behälter stagnierenden Wassers, Allein diese Vorteile werden wieder zweifelhaft, wenn es wahr ist, dass der Wald wegen Zurückstrahlung der Bodenwärme die Winterkälte ermäßigt.

Die Beweise, dass durch Waldrodungen das Klima eines Landes verbessert oder verschlechtert worden sei, sind nicht überzeugend genug. Erstens lässt sich eine Temperatur-Veränderung wohl nicht ohne Thermometer bestimmen, ein Instrument, waches erst seit hundert Jahren in einer geeigneten Beschaffenheit angefertigt wird; es muss daher eine andere Methode gewählt werden, um die Temperatur zu ermitteln, welche vor der Rodung des Waldes geherrscht hat. Hierzu eignen sich die Erscheinungen des vegetativen Lebens und das Vorkommen gewisser Pflanzen, von welchen man weiß, welcher Temperatur sie zu ihrem Gedeihen bedürfen. Dieser Maßstab ist jedoch gleichfalls unsicher, weil die periodischen Erscheinungen der Vegetation auch ohne klimatische Veränderung in verschiedenen Jahren nicht zur nämlichen Zeit eintreten. Man müsste Durchschnittswerte aus früherer Zeit haben, an denen es aber gänzlich mangelt. Die geographische Verbreitung der Pflanzen hängt nicht bloß von der Temperatur, sondern auch vom Boden ab, daher kann das Areale, der Verbreitungsbezirk einer Pflanze im Laufe der Zeit wechseln, ohne dass die Temperatur sich geändert habe. Auch sind die Pflanzen, über deren Vorkommen sich in den Schriften der Alten Notizen finden, meistens Agrikulturgewächse, die je nach dem Stande der Kultur auch die Grenzen ihrer Verbreitung ändern konnten. Zweitens bleibt noch festzustellen, ob wirklich Rodungen stattgefunden haben. Die Nachweisung wird meistens unmöglich oder ungenau sein. Man kennt die Flächengröße der Waldungen mancher europäischen Staaten nicht mit Sicherheit; wie solle sich nachweisen lassen, ob die Wälder von Ägypten oder gar von Ostindien sich vermindert haben! Der einzige Weg, der zur Bestimmung des Einflusses der Wälder auf die Temperatur fuhren kann, ist, dass man letztere gleichzeitig an zwei Punkten, von welchen der eine innerhalb einer großen Waldmasse, der andere im Freien sich befindet, mit dem Thermometer untersucht, dabei aber Rücksicht nimmt, ob nicht schon klimatische Verschiedenheiten zwischen beiden Punkten bestehen, welche eine Abweichung der Temperatur bedingen.


In Bezug des Wäldereinflusses auf Hydrometeore oder vornämlich auf Regen und ob die Waldungen eine Vermehrung oder Verminderung der atmosphärischen Niederschläge bewirken, muss erinnert werden, dass für jede Temperatur ein Maximum von Wasserdampf besteht, welches die Luft aufnehmen kann. Ist dies vorhanden und sinkt die Temperatur, so tritt der Dampf teilweise in den flüssigen Zustand zurück und es entsteht nach Umständen Regen, Tau, Reif, Schnee etc.

Werden zwei Luftschichten, welche vollständig mit Dampf gesättigt sind, mit einander gemengt, so wird ein Teil des Dampfes zur Flüssigkeit, weil das Maximum von Dampf, welches die Luft bei bestimmter Temperatur aufnehmen kann, in einem stärkeren Verhältnisse als die Temperatur steigt. Gleichen sich die Temperaturen beider Luftschichten aus, so wird ein Überschuss von Dampf ausgeschieden werden müssen, ja, es kann sogar ein Niederschlag erfolgen, auch wenn die beiden Luftschichten nicht vollständig mit Feuchtigkeit gesättigt, aber von verschiedener Temperatur sind; die Bildung von Regen, Nebel etc. wird befördert, wenn zwei mit Wasserdämpfen geschwängerte Wolken zusammentreffen. Bewirken die Waldungen eine Vermehrung des Regens, so kann dies nur dadurch geschehen, dass sie eine niedrigere Temperatur besitzen, als wald-lose Gegenden, oder dass die Luft in ihnen mehr Dämpfe entält. Bezüglich der Temperatur ist bereits gesagt, dass dieselbe zu gewissen Tages- und Jahreszeiten geringer als im freien Felde ist. Die Wälder können also im Sommer bei Tage und gegen Ende des Winters auf die Regenvermehrung einwirken. Anders ist es in den Sommernächten und im Anfang des Winters; zu diesen Zeiten ist eine höhere Temperatur im Walde, welche den obigen Prozess nicht begünstigt.

Um den Einfluss genau zu ermitteln, müsste man die Abweichung, welche die Temperatur im Walde gegen das freie Feld zeigt, kennen; diese Versuche in komparativer Weise fehlen gleichfalls noch. Ziemlich sichergestellt und erklärlich ist, dass die Luft in den Waldungen zu gewissen Jahreszeiten einen höheren relativen Feuchtigkeitsgehalt besitzt als im Freien. Das im Boden verteilte Wasser kann in den Wäldern nicht so schnell verdunsten, weil die indirekte Einwirkung des Sonnenstrahles fehlt und der Luftzug gehemmt ist, welcher im Freien fortwährend neue, trockene Luftschichten mit dem Boden in Berührung bringt, welche zur Aufnahme von Wasserdämpfen geeignet sind. Um zur Überzeugung zu gelangen, inwiefern die feuchte Luft des Waldes den Regen begünstige, muss die Frage über das Schweben der Wolken in Berührung gezogen werden. Da die Wolken nicht aus Wasserdampf, sondern aus Nebelbläschen bestehen, welche durch ihre Schwere in der Luft sich fortwährend senken, im Falle aber durch die von der Erde aufsteigende trockene Luft wieder in Dampf aufgelöst werden, der im Entgegengehalte zur Luft leichter erscheint, so steigt er wieder in die Höhe, wo er neuerdings sich zu Nebel verdichtet. Trifft aber das fallende Nebelbläschen auf feuchte, gesättigte Luft, so löst es sich begreiflich nicht mehr auf, sondern wird durch Aufnahme von Dämpfen und Vereinigung der Bläschen zum Regentropfen. Ist die Luft in Wäldern also feuchter, so ist es unzweifelhaft wahr, dass in den Waldungen mehr Regen fällt, als unter gleichen Verhältnissen im Freien. Auch Laubhölzer müssen vorteilhafter auf die Regenvermehrung einwirken als Nadelhölzer, weil erstere zur starken Blattausdünstung geneigt sind, die letzteren weniger.

Der Wald ist ferner, so wie das Gebirge, ein mechanisches Hindernis für den Zug der Regenwolken. Indem sie dieselben auf ihrem Zuge aufhalten, geben sie Gelegenheit ihr Wasser fallen zu lassen. Nach allen diesen Anführungen ist es zwar wahrscheinlich, dass die Waldungen die Regenmenge vermehren, aber eine Gewissheit geben dieselben gleichfalls nicht, weil wir keine positiven Zahlen über Temperatur-Erniedrigung und den Feuchtigkeitszustand der Luft in den Wäldern aufzustellen vermögen. Dem Anscheine nach sollte sich die Frage auf praktischem Wege durch Vergleichung der Regenmenge von bewaldeten und nicht bewaldeten Orten lösen lassen. Es ist auch so, nur geben die vorhandenen Materialien keine apodiktische Gewissheit. Es müssen eigene Untersuchungen angestellt und die Regenmesser dürfen nicht zu weit von einander aufgestellt werden, weil sich sonst wieder andere Einflüsse geltend machen könnten.

Bei dem Mangel an direkten Untersuchungen hat man sich darauf beschränkt, alle Notizen zu sammeln, welche folgern lassen, dass die Waldungen die Regenmenge vermehren; man hat hierbei mehr auf die Zahl als auf die Schärfe der Belege gesehen. Man. ging in das Altertum zurück, um zu beweisen, dass Medien, Syrien etc. durch die Ausrottung der Wälder ein trockenes Klima erhalten haben, ohne die geringste Sicherheit darüber zu haben, ob die Waldungen jener Länder wirklich gelitten haben. Da kultivierte Länder ein ganz anderes Ansehen haben als öde Steppen, so ist das Klima überhaupt auch von der Kultur bedingt; wenn daher an die Stelle eines ackerbautreibenden Volkes ein Nomaden-Volk tritt, so gewinnt die Oberfläche des Bodens ein anderes Ansehen und es treten an die Stelle von Feldern und Wiesen die Steppen mit wildwachsenden Pflanzen, Haiden.

Auf den Wasserreichtum der Quellen, daher in weiterer Folge der Bäche und Flüsse, können die Waldungen in doppelter Weise einwirken, nämlich durch Vermehrung oder Verminderung der Regenmenge und dadurch, dass sie die niederfallenden Meteorwasser aufnehmen und erst nach und nach an den Boden und die' tieferen Lagen desselben abgeben und den Quellen Nachhaltigkeit sichern.

In Anbetracht des Ersteren wurde im Vorstehenden bereits gesagt, dass die sicheren Beweise fehlen, wenn es gleich wahrscheinlich ist, dass die Wälder die atmosphärischen Niederschläge begünstigen. Man hatte in dem Wasserreichtum der Quellen einen sicheren Beweis für den Einfluss der Waldungen auf die Regenmenge zu finden geglaubt, aber nicht mit Recht, weil dieser Einfluss nicht erwiesen ist und durch andere Umstände wieder verdeckt werden kann. Der Wasserst und der Quellen und ihre Beobachtung kann sohin keinen Aufschluss geben, ob die Abholzung der Wälder die Verminderung des Regens herbeiführt. Auch wird auf abgeholzten Flächen ein großer Teil des niederfallenden Regenwassers durch Wärme der Sonne und den Wind aufgezehrt, ehe es in den Boden eindringen kann.

Die Theorie spricht daher ganz dafür, dass sowohl die Ergiebigkeit als auch die Nachhaltigkeit der Quellen durch Entwaldung leidet, und aus den Beobachtungen hat sich dasselbe ergeben. Man konnte viele Beispiele anführen, beschränkt sich aber auf die Mitteilung einer einzigen von Boussingault überlieferten Beobachtung aus dem Grunde, weil sie zeigt, dass der Quellenreichtum durch die Waldrodung geringer geworden, durch Wiederbewaldung aber von Neuem hergestellt worden sei. Einer der interessantesten Landstriche Venezuelas — sagt Boussingault — ist das Tal von Aragua, nicht weit von der Küste, begünstigt durch Klima, Boden und die Kulturgewächse der Tropenländer. Auf den Höhen, die La Vittoria beherrschen, gedeiht der Weizen; im Norden beschränkt durch die Berge der Küste, im Süden durch eine Gebirgskette von den Llanos geschieden, findet sich das Tal von Aragua im Osten und Westen durch eine Reihe Hügel begrenzt, die es vollkommen schließen. In Folge dieser Lage führen die Flüsse, die hier entspringen, ihr Wasser nicht dem Ozean zu, sondern sie vereinigen sich in dem niedrigsten Teile des Tales und bilden den schönen See von Tacarigua oder Valencia, den v. Humboldt für größer hält, als den von Neuschatel. Er liegt 439 Meter über dem Meere.

Als Humboldt das Tal besuchte, waren die Bewohner wegen der allmählichen Austrocknungen, welchen der See seit 31 Jahren unterlag, sehr in Sorge. In der Tat war nach den Angaben älterer Schriftsteller der Wasserstand beträchtlich niederer geworden. Die Tatsache spricht dafür, dass Oviedo, der gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts das Thal so oft durchwanderte, sagt: Neu-Valencia sei im Jahre 1555 in einer Entfernung von einer halben Lieue vom See von Tacarigua gegründet worden. Im Jahre 1800 fand Humboldt, dass die Stadt 2.560 Meter von dem Gestade des Sees entfernt war.

Das Ansehen des Terrains gibt hierfür neue Belege. Hügel, welche sich in der Ebene erheben, fuhren noch heute den Namen Inseln, den sie damals mit vollem Rechte trugen, als sie noch vom Wasser umgeben waren. Die durch das Zurückweichen des Sees trocken gelegten Ländereien waren in bewunderungswürdigste Kulturen von Baumwollstauden, Bananen und Zuckerrohr verwandelt. Nahe am See erbaute Wohnungen sahen das Wasser von Jahr zu Jahr sich entfernen. Im Jahre 1796 kamen neue Inseln zum Vorschein. Endlich fand Humboldt beim Besuch zweier Inseln aus Granit, Cura und Cabo Blanco, mitten unter Gesträuchen, bei einigen Metern Höhe über dem Niveau des Wassers feinen mit Heliciten vermengten Sand. So bestimmte und unzweideutige Tatsachen mussten Seitens der Gelehrten Erklärungen hervorrufen, die sich alle in der Annahme vereinigten, das Wasser des Sees habe einen unterirdischen Abfluss. Humboldt verwarf diese Hypothese und erklärte nach gründlicher Untersuchung der Ortsverhältnisse die fortschreitende Verminderung des Tacariguasees aus dem Urbarmachen großer Strecken Landes, welches seit einem halben Jahrhundert stattgefunden hat.

„Seit Oviedo hat der Anbau eine außerordentliche Ausdehnung gewonnen. Das Tal von Aragua hatte im Jahre 1800 eine so dichte Bevölkerung wie die bestbevölkertsten Teile Frankreichs, und man war überrascht den Wohlstand zu erblicken, der in zahlreichen Dörfern dieser gewerktätigen Gegend herrschte. So war der gewöhnliche Zustand dieses schönen Landes beschaffen, als Humboldt die Hacienda von Cura bewohnte."

Fünfundzwanzig Jahre später untersuchte ich (Boussingault) auf meiner Reise das Tal von Aragua. Ich nahm meinen Aufenthalt in der kleinen Stadt Maracay. Seit mehreren Jahren hatten die Bewohner die Beobachtung gemacht, dass sich das Wasser des Sees nicht allein nicht mehr vermindere, sondern sogar ein merkliches Steigen wahrnehmen lasse: Ländereien, unlängst noch durch Baumwollstauden bepflanzt, waren unter Wasser gesetzt, die Inseln waren wieder überflutet und bildeten als Untiefen ein Hindernis für die Schifffahrt. Die von den Uferbewohnern so lange gehegten Befürchtungen hatten ihre Natur verändert; es war nicht mehr die Austretung des Sees, was Sorge machte. Man fragte sich, ob das Wasser noch lange fortfahren würde, sich des Eigentums der Bewohner zu bemächtigen; diejenigen j welche die Abnahme des Wassers im See aus dem Vorhandensein unterirdischer Kanäle erklärt haben, waren genötigt, diese zu schließen, um eine Erklärung von dem Steigen des Wassers zu geben.

Während der bis zu dieser Zeit verflossenen 22 Jahre hatten schwere politische Ereignisse das Land heimgesucht; Venezuela gehört nicht mehr Spanien. Das friedliche Tal von Aragua war der Schauplatz der blutigsten Kämpfe gewesen. Ein Krieg auf Tod und Leben hatte die lachenden Gefilde zerstört, ihre Bevölkerung dezimiert. Beim ersten Rufe nach Unabhängigkeit fand eine große Anzahl Sklaven ihre Freiheit, unter den Fahnen der neuen Republik Dienste nehmend. Die großen Anpflanzungen wurden verlassen und der unter den Tropen so unaufhaltsam vordringende Wald hatte in kurzer Zeit einen Teil des Landes, welches Menschen ihm durch eine längere als hundertjährige und beschwerliche Arbeit abgenommen hatten, wieder an sich gerissen.

Zur Zeit des zunehmenden Wohlstandes des Tales von Aragua waren die Hauptzuflüsse des Sees abgeleitet und zu Bewässerungs-Anlagen benutzt, die Flussbote lagen länger den sechs Monate des Jahres über trocken; in der späteren Zeit, von der eben die Rede war, wurden ihre Wässer nicht mehr benutzt und ihrem natürlichen Laufe überlassen.