Fortsetzung

Haben wir wirklich derartige traurige Zustände zu befürchten oder dürfen wir der Zukunft getrost und ohne Sorgen für uns und unsere Nachkommen entgegen sehen? — Die Beantwortung dieser Frage hängt ganz von der Art und Weise ab, wie wir unsere Wälder in Zukunft benutzen und pflegen und uns gegen die Verheerungen durch die Wildbäche und Flüsse schützen. Viel, sehr viel ist durch fehlerhafte Benutzung und Pflege der Waldung schon verdorben und durch Unterlassung oder mangelhafte Ausführung der Schutzbauten an Wildbächen und Flüssen vernachlässigt worden und bereits treten die bösen Folgen unserer Sorglosigkeit — wer wollte oder könnte das in Abrede stellen — drohend und warnend vor unsere Augen. Die großartigen Verheerungen durch die Hochwasser im Herbst 1868; die wüsten, breiten, in gewöhnlichen Zeiten nur zum kleinsten Teil mit Wasser bedeckten Bette unserer Flüsse, die sich an den Hängen immer tiefer in die Erde eingrabenden und im Tal hoch über das Niveau des umliegenden Landes erhebenden, das Wasser nur durch künstliche Dämme zusammenhaltenden Rinnsale der Wildbäche, die vielen verrüften und verrutschten Gehänge und die große Zahl der sich jedes Jahr aufs Neue mit unfruchtbarem Geschiebe bedeckenden Schuttkegel, die sich sichtbar vergrößernden Schutthalden am Fuße steiler, felsiger Hänge, die mit voller Sicherheit nachgewiesene Abnahme der Fruchtbarkeit der Alpen und die häufig wiederkehrenden Überschwemmungen der Talgüter sind ganz geeignet, uns zu zeigen, was aus unserm schönen Lande werden müsste, wenn die bisherige Sorglosigkeit in der Behandlung der Wälder und der Wildbäche länger andauern würde.

Zum Glück haben die ernsten Mahnungen Sachverständiger seit einiger Zeit — wenigstens teilweise — Gehör gefunden. Die eidgenössischen Behörden haben die Korrektion der großen Flüsse als eine nationale Unternehmung bezeichnet und die Ausführung derselben kräftig und mit gutem Erfolg unterstützt, dessen ungeachtet bleibt noch viel, sehr viel zu tun. — Das Volk ist in seiner Mehrheit noch nicht von der Notwendigkeit einer durchgreifenden Verbesserung der Forstwirtschaft und von der Wirksamkeit der Verbauung der Wildbäche überzeugt. Es nimmt daher die diesfälligen Arbeiten nur mit Widerwillen und Misstrauen an die Hand, während doch gerade in der Lösung dieser Aufgabe das durchgreifendste und — wenn auch langsam, doch dauernd wirkende Mittel zur Minderung der bereits vorhandenen und noch drohenden Übel liegt. Die Korrektion und Eindämmung der Flüsse ist ein großes Werk, ein Werk, dessen günstige Wirkungen nicht lange auf sich warten lassen und das daher auch baldige und volle Anerkennung findet. Der Nutzen, den es dem Lande bringt, ist aber nur dann ein bleibender, wenn man gleichzeitig die Quelle des Übels zu verstopfen sucht und diese liegt in den Wildbächen, welche den Flüssen große Geschiebemassen zuführen, in der geringen Bewaldung vieler unserer Berge und in dem schlechten Zustande eines großen Teils unserer Gebirgswälder. So lange dem allzu raschen Abfließen des Regen- und Schneewassers von den Bergen nicht Hindernisse entgegen gestellt werden, und so lange nicht dafür gesorgt wird, dass sich die Wildbäche nicht mehr tiefer in die Hänge einschneiden, so lange überhaupt das Geschiebe nicht zum größten Teil im Gebirge zurück gehalten wird, so lange werden die Flusskorrektionen ihren Zweck nur teilweise und nicht für die Dauer erfüllen. Die Flussbette füllen sich nach und nach wieder mit Geschieben, ihre Sohle erhöht sich und wenn nicht fortwährend an deren Vertiefung oder an der Erhöhung und Verstärkung der Dämme gearbeitet wird, so vermögen sie die Hochwasser bald nicht mehr zu fassen. Dammbrüche und Überschwemmungen kehren in nicht gar ferner Zeit wieder und das Übel, das man mit großen Opfern gehoben zu haben glaubt, stellt sich aufs Neue und zwar in verstärktem Masse wieder ein.



Es wäre nicht zu rechtfertigen, wenn man die Bauten an den Flüssen einstellen wollte, um alle Kräfte auf die Verbauung der Wildbäche, die Aufforstung kahler Hänge und die Verbesserung der noch vorhandenen Waldungen, mit einem Wort, auf die Verstopfung der Quelle des Übels verwenden zu können. Man hilft mit Recht zuerst und am bereitwilligsten da, wo sich das Übel am fühlbarsten macht. Noch weniger aber ließe es sich rechtfertigen, wenn man über dem Streben, die Flusskorrektionen möglichst rasch durchzuführen, die Verbauung der Wildbäche und die Aufforstungsarbeiten versäumen wollte. Wenn irgendwo, so verdient hier die Regel: das Eine zu tun und das Andere nicht zu lassen, angewendet zu werden. Wenn auch die letzteren Arbeiten auf den ersten Blick nur ein lokales Interesse zu haben scheinen, so verdienen sie doch die Unterstützung der Kantone und der Eidgenossenschaft in demselben Maß, wie die Flusskorrektionen, und es würde ein unverantwortlicher, nie wieder gut zu machender Fehler begangen, wenn man die Verbauung der Wildbäche und die Aufforstung ihrer Quellengebiete den Grundbesitzern und den Gemeinden überlassen wollte. Diese Arbeiten würden von den Letzteren noch weniger in ausreichender Weise ausgeführt als die Flusskorrektionen, weil die Vorteile derselben nur langsam zu Tage treten und der unmittelbare Nutzen die Opfer nie ausgleicht.

Hoffen wir daher, der ernste Mahn- und Weckruf, der in den letzten Überschwemmungen liegt, verhalle nicht ungehört am Ohr des Volkes und der Behörden, sondern veranlasse beide, mit allen Kräften und voller Energie die Hand ans Werk zu legen und sie nicht mehr von demselben abzuziehen, bis die Aufgabe, soweit sie durch die Intelligenz und Tatkraft der Menschen gelöst werden kann, wirklich gelöst ist. Jetzt ist es noch Zeit, jede Verzögerung erschwert aber die Lösung der Aufgabe und ein langes Hinausschieben würde sie an vielen Orten unmöglich machen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Wald Haushalt der Natur und der Menschen