Kapitel

Kansas, einer der jüngeren Staaten der nordamerikanischen Union, wird von dem in den Missouri mündenden Strome gleichen Namens von Westen nach Osten durchschnitten. Auf dem östlichen Fünftel schmücken dichte Waldungen mit kurzen Unterbrechungen seine Ufer und Thäler. Je weiter westlich, um so mehr schwinden sie, bis endlich die unbegrenzte Prairie in ihrer Eintönigkeit sich vor dem ermüdeten Auge ausdehnt. Auch der Arkansas ragt im Südwesten in den genannten Staat hinein und vermehrt mit seinen ungezählten Zuflüssen dessen Wasserreichthum.

Heute ist Kansas, so weit die Bodengestaltung es begünstigt, verhältnißmäßig dicht bevölkert. Außerhalb dieser Gebiete ziehen kluge Speculanten ihren Gewinn aus zahlreichen Rinderherden, die auf den endlosen Grassteppen unter der Aufsicht verwegener Hirten, der sogenannten Vaqueros oder Cowboys, eine Art Wanderleben führen.


Schon frühzeitig hatte Kansas mit seinen verheißenden Fluren Ansiedler, vorzugsweise Squatter, angelockt, die auf die von ihnen nach Willkür in Besitz genommenen Ländereien das Vorkaufsrecht behaupteten, sobald die Regierung sie zu dem gesetzlichen Preise auf den Markt brachte. Da aber die Speculanten vielfach nach Quadrathmeilen zu berechnende Bodenflächen über die Köpfe der Squatter hinweg an sich brachten, diese dagegen nicht willens waren, Jahre hindurch im Schweiße des Angesichts eine Heimstätte zur Blüthe gebracht zu haben, um schließlich vertrieben oder, bei Vereinbarung über Entschädigungssummen, in schamloser Weise geprellt zu werden, so konnte nicht ausbleiben, daß Zusammenstöße erfolgten, bei denen Büchse und Revolver nur zu oft das entscheidende Wort führten.

Derartige Feindseligkeiten verschärften sich und gewannen an Umfang, als die südlichen Sclavenbarone, begünstigt durch die Präsidenten Pierce und Buchanan, den Gesetzesparagraphen, laut dessen die Sclaverei nicht über den sechsunddreißigsten Grad nördlicher Breite ausgedehnt werden durfte, zur Schmach des ganzen Continents umstießen. Solches geschah im Jahre 1855.

Um nach voraussichtlicher Aufnahme des „Kansasterritoriums“ in den Staatenbund bei der Verfassungsfrage die Mehrzahl der Stimmen auf ihrer Seite zu haben, überschwemmten die Sclavenbarone nunmehr das Territorium mit gedungenen Abenteurern und Freibeutern. Diese galten als Ansiedler und waren dazu berufen, die bereits ansässigen Kolonisten zu bedrängen, bis endlich der Norden zu einem ähnlichen, jedoch auf ehrenwerthere Elemente gestützten Verfahren sich aufraffte. Das Jahr 1859 brachte darauf die Entscheidung. Kansas wurde nicht nur von der eigenen Bevölkerung, sondern auch von dem Kongreß in Washington als Staat der freien Arbeit anerkannt.

Es war in einem der letzten Jahre, in denen die Südstaatler zur Eroberung eines neuen Feldes für die Sclaverei ihre ungesetzlichen, von Raub, Mord und Brand begleiteten Anstrengungen verdoppelten. Dem Mai hatte der erste Sommermonat sich angereiht, und in ihrem prächtigsten Schmuck prangten Wälder und Fluren, als ein einsamer Reiter von Süden her dem Smoky–Hill–Fork, dem südlichen Hauptarm des Kansasstromes, sich näherte.

Auf dem Rande der Prairie anhaltend, sandte er einen forschenden Blick über das tiefer gelegene, sich weithin erstreckende liebliche Thal. Länger betrachtete er eine steil in den Äther emporsteigende dünne Rauchsäule, die gegen anderthalbtausend Schritte stromaufwärts der Uferwaldung zu entsteigen schien. Mehrere eingefriedigte Äcker, die hinter einem Hain hervor in das Wiesenland hineinragten, eine Anzahl weidender Rinder und ein Dutzend Pferde legten Zeugniß davon ab, daß hier, fern jeder Nachbarschaft, ein Squatter schon vor einer längeren Reihe von Jahren mit bestem Erfolg seinen Herd gegründet hatte. Nachdenklich sah der Reiter zur Sonne hinauf, die bereits vor einer Stunde über den Zenith hinweggeschlichen war, dann lenkte er sein Pferd den steilen, unwegsamen Abhang hinunter.

Üppig grünendes und blühendes Wiesenland, nur hie und da mit Baum- und Strauchgruppen besetzt, dehnte sich dort bis zur Uferwaldung vor ihm aus. Deren Saum sich nähernd, wendete er sich, die Umgebung fortgesetzt aufmerksam prüfend, stromaufwärts. Plötzlich richtete er sich etwas höher auf. Er war eines Baumschößlings ansichtig geworden, dessen vertrocknetes und zum Theil abgefallenes Laub der Vermuthung Raum gab, daß ihm die Wurzeln fehlten. Ungesäumt ritt er darauf zu, das nach langem Marsch ermüdete Pferd unwillkürlich zu schnellerer Gangart spornend.

Dieses gehörte zu jenen unansehnlichen Thieren, die, ursprünglich verwildert, allen vom Wetter und den Jahreszeiten abhängigen Einflüssen ausgesetzt bleiben, bis sie endlich einen Herrn finden, der es versteht, sie zu bändigen und ihre wunderbare Zähigkeit, Ausdauer und Schnelligkeit sich dienstbar zu machen.

Beim ersten Anblick erzeugte es den Eindruck, als hätte es unter der ihm aufgebürdeten Last zusammenbrechen müssen, schritt aber einher, als wäre sein Reiter nicht schwerer gewesen, als die vertrockneten Blätter, die trübselig an dem abgestorbenen Schößling hingen. Und ein gewichtiger Reiter war er. Eine Handbreite über die gewöhnliche Größe hinausgewachsen, zeigte er einen Körperbau, der einem Preisringer zur Ehre gereicht hätte. Gekleidet war er nach Art der Steppenjäger. Ein verschossenes blaues Flanellhemd hing lose um die breiten Schultern. Die Ärmel hatte er bis über die Ellenbogen aufgerollt, dadurch Muskeln bloßlegend, die wie aus Stahl zusammengeschweißt erschienen. Indianisch befranste Lederbeinkleider reichten bis zu den büffelledernden Mokassins und den schweren mexikanischen Schnallsporen nieder. Ein formloser grauer Filzhut mit breiter Krempe beschattete sein sonnenverbranntes, jugendlich mannhaftes Gesicht, dessen gefällige, wenn auch unregelmäßige Formen durch einen verwitterten hellblonden Vollbart noch gewannen.

Ein eigenthümlicher Ausdruck trotzigen Selbstbewußtseins, wie es bei weniger geschulten Gemüthern durch das Gefühl außergewöhnlicher Körperkraft bedingt wird, charakterisirte das Antlitz des wohl kaum fünfundzwanzigjährigen Reiters. Ähnliche Regungen verriethen seine blauen Augen, die zuversichtlich und zufrieden vor sich hin blickten. Das Seltsame seiner Erscheinung wurde dadurch erhöht, daß eine blonde lockige Mähne unter dem Hut hervorquoll und mit dem unteren verblichenen Ende bis auf die Schultern niederfiel. Vor ihm auf dem Sattel ruhte eine Büchse.

Revolver, Beil und Messer beschwerten seinen Gurt. Außerdem führte er hinter sich auf der Kruppe des Thieres eine zusammengeschnürte, grellfarbig gestreifte Decke mit sich, die zugleich Mantelsack, wie in den geräumigen Satteltaschen Mundvorrath und Schießbedarf. Das war seine ganze Ausrüstung, darauf berechnet, die Prairie von einem Ende bis zum anderen zu kreuzen.

Vor dem verdorrten Schößling sprang er zur Erde. Mit flüchtigen Griffen entledigte er das Pferd des Sattels und Zaumzeugs. Nur den Lasso befestigte er an seinem Halse, so daß er in ganzer Länge nachschleifte, und die feuchte Rückenhaut zärtlich streichend, sprach er in tiefem Schmeichelton:

„Billy, Billy, wenn du nicht der feinste vierbeinige Gentleman bist, der je in zweimal vierundzwanzig Stunden seine hundertundzwanzig englische Meilen zurücklegte, will ich zum letztenmal den Fuß in einen Steigbügel gestellt haben.“

Das Pferd wieherte leise und kehrte die Nüstern dem Flusse zu.

„Deine Zunge ist trocken; kann's mir denken,“ hieß es weiter, „so mach, daß du hinkommst, und übernimm dich nicht.“

Ein leichter Schlag mit der flachen Hand traf das Pferd, welches alsbald in die vor ihm befindliche, tief ausgewühlte Regenfurche hinabglitt und eilfertig dem Wasser zuschritt.

Auch der Reiter begab sich hinunter, und vor den Schößling hintretend, legte er genau sechsunddreißig Schritte in entgegengesetzter Richtung zurück. Dort betrachtete er das linke Ufer aufmerksam. Er brauchte nicht lange zu suchen. Ein aus dem Erdreich hervorragender Stein gab dem auf ihn ausgeübten Druck nach und fiel ihm entgegen. Es wurde dadurch eine in die Uferwand ausgescharrte Aushöhlung bloßgelegt. Wilde Begeisterung sprühte aus seinen Augen, indem er, wie zuvor zu dem Pferde, eigenthümlich sanft vor sich hin sprach:

„Schon allein um des braven Viehs willen sollst du tausendmal gesegnet sein.“

Er griff in die Höhle hinein und zog zunächst einen zerknitterten Streifen altes Packpapier hervor. Nachdem er ihn geglättet hatte, las er die wenigen Zeilen, die groß und unbeholfen, wie von Kinderhand, mit einer zugespitzten Holzkohle niedergeschrieben waren: „Gleichviel, wann du kommst, suche mich nicht vor Sonnenuntergang,“ lauteten die Worte.

Vernehmlich lachte der Reiter vor sich hin. Der Zettel verschwand in den Falten des Flanellhemdes, und weiter beschäftigte er sich mit dem Inhalt der Höhle. Achtzehn aus ihren Hülsen geschälte Maiskolben zählte er vor sich hin, ohne indessen den Vorrath zu erschöpfen. Behutsam schloß er das Versteck wieder, und die Maiskolben zusammenraffend, begab er sich nach der Stelle hinüber, wo er das Sattelzeug niedergelegt hatte. Mit einem gewissen Behagen ordnete er sie im Schatten des über ihn hinwegragenden Baumwiptels, als das kreischende Wiehern, Schnauben und Stampfen seines Pferdes ihn störte. Wie ein Blitz schnellte er empor, und die Büchse ergreifend, eilte er an den Fluß. Zunächst hatte er einen Gehölzstreifen zu durchschneiden. Kaum aber erhielt er die Aussicht über eine bis zum Ufer reichende Lichtung, als er einen wilden Fluch ausstieß, dem alsbald lautes höhnisches Lachen folgte. Er war zweier Strolche der verworfensten Art ansichtig geworden, wie solche damals jene Gegend in Fülle durchstreiften, die eben im Begriff waren, sich seines Mustangs zu bemächtigen. Beide hielten den Lasso, jedoch mit keinem anderen Erfolg, als daß das gewürgte Thier sich wie rasend gebärdete und sie mit den stets schlagfertigen Hufen bedrohte, so oft sie versuchten, sich ihm zu nähern.

Auf das höhnische Lachen ließen sie den Lasso fallen, und dem jungen Reiter sich zukehrend, waren sie im Begriff, ihre zuvor niedergelegten Büchsen wieder an sich zu nehmen, als jener ihnen mit nicht mißzuverstehendem Ernst zurief:

„Stehen geblieben, in der Hölle Namen! Wer den ersten Schritt thut, ist ein todter Mann!“

„Keine Ursache zum Schießen, wenn jemand ‘nen herrenlosen Gaul um das Woher und Wohin befragt,“ antwortete der eine Wegelagerer herausfordernd.

„Erstens ist ein Gaul mit ‘ner Fangleine am Halse nicht herrenlos,“ versetzte der Reiter gelassen, „dann aber, da er selbst keine Auskunft ertheilen kann, werd' ich's an seiner Stelle thun. Legte ich euch beide mit durchlöcherten Schädeln auf den Rasen, so befände ich mich in meinem Recht, und euch wäre geschehen, wie's zwei Pferdedieben der verruchtesten Sorte gebührte – stillgestanden, sag' ich, wenn euer Leben euch nur so viel werth ist, wie ‘n ausgelaugter Tabaksknoten! Im Übrigen bin ich nicht blutdürstig. Ich schenke euch sogar den Gaul, und der ist unter Brüdern seine zweihundert Dollars werth, sofern es euch gelingt, die Hand drauf zu legen, des Besteigens nicht zu gedenken.“

„Ein gutes Angebot,“ meinte der eine Strolch nunmehr lachend, „auch möcht' ich dich beim Wort nehmen, steckte weniger von ‘nem Satan in dem Vieh drinnen. Und jetzt noch ein Wort in aller Freundschaft: Pferdestehlen ist nicht unser Metier; aber da erlegten wir ein Stück Wild,“ und er wies nach der anderen Seite der Lichtung, „und weil der Gaul uns gerade entgegenkam, hielten wir dafür, es möchte ihm leichter werden, das Fleisch vor unser Kampfeuer zu schaffen, als uns beiden.“

„Eine feine Ausrede,“ erwiderte der trotzige Bursche, in die bezeichnete Richtung schauend, „aber des Henkers will ich sein, wenn ich je in meinem Leben von ‘nem scheckigen Hirsch hörte.“

„Wild ist Wild,“ spottete der Strolch sorglos, „gleichviel, ob's in ‘nem Kuhstall geworfen wurde oder im Gehölz.“

„Ich vermuthe, Daniel Howitt, der ‘ne kleine halbe Stunde Weges von hier auf seiner Scholle sitzt, denkt anders darüber.“

„Wer ist Howitt? Was kümmert uns der sammt seiner Scholle?“

„Nicht mehr und nicht weniger, als daß das Rind bald genug in seiner Heerde vermißt wird, und ich euch von Herzen gönne, von ihm und seinen Jungens eingeholt zu werden. Die knüpfen euch nämlich mit einer Gemüthsruhe und Gewandtheit an den nächsten Baumast, als hätten sie's von ‘nem richtigen Hängemann gelernt.“

„Das eilt nicht,“ hieß es wieder höhnisch zurück, „nebenbei gehören zum Aufknüpfen mindestens zweie; nämlich einer, der stillhält, und einer, der ‘s Hängen besorgt, oder ich will verdammt sein. Scheint gut befreundet mit dem verrufenen Squatter zu sein.“

„So gut befreundet, wie mit jedem ehrlichen Manne, der Haare auf den Zähnen hat und sein Eigenthum zu vertheidigen weiß. Im Übrigen reicht meine Freundschaft nicht so weit, daß ich die Verantwortlichkeit auf mich nähme, wenn von seiner Heerde ein Stück abstreift und ‘nem Unrechten in die Hände fällt. Verdammt! Auch möchte's ihm nicht gefallen, steckte ich meine Nase in seine Angelegenheit.“

Die letzten Worte sprach er mit scharf hervortönender Erbitterung, so daß der eine Strolch sich bewogen fühlte, zu fragen:

„Scheinst ebenfalls gegen klingende Entschädigung für die Südlichen zu reisen?“

Schärfer betrachtete der junge Reitersmann die gegen zwanzig Ellen entfernten Freibeuter. Wie erwachendes Verständniß lugte er aus seinen ehrlichen Augen; zugleich verrieth sich in dem seltsamen Blinzeln ein hoher Grad von Verschlagenheit.

„Ich, als einzelner Mann?“ fragte er nach kurzem Sinnen gedehnt.

„Weßhalb nicht? Bei allen sieben Todsünden, auf deren jeder einzelnen der Galgen steht, kommen ‘ne Anzahl gesunder Jungens zusammen, so wird schließlich eine Compagnie daraus, oder ich will mir den Tod an des alten Howitt Kalb anfüttern.“

„Da könnte ich in dieser Gegend lange suchen, um in solche ehrenwerthe Gesellschaft zu gerathen,“ meinte der junge Hüne listig.

„Gerade so lange, wie du Zeit gebrauchst, um mit nach unserem Kamp zu kommen, und das dauert keine drei Viertelstunden.“

„Wieviel seid ihr eurer schon?“ fragte jener, jetzt aber mit einem Ausdruck von Einfalt.

„Ungefähr anderthalb Dutzend. Wir erwarten indessen Nachschub.“

„Und was treibt ihr da?“

„Wir bauen ‘ne Blockhütte. Da hinein setzen sich zwei von uns, um als ansässig zu gelten. Ist die fertig, ziehen wir weiter, um auf ‘ner anderen Stelle ebenso zu verfahren. Acht Farmen gründeten wir schon, und die sind am Wahltage so viel werth wie sechzehn Stimmen.“

„Verdammt schlau,“ erklärte der junge Steppenreiter, und mit der linken Hand in seiner Mähne wühlend, sah er wie unentschlossen um sich. Plötzlich belebten seine ruhigen Züge sich im Erstaunen seltsam, doch nur auf zwei, drei Sekunden, um ebenso schnell sich wieder zu glätten. Mit seinen geübten scharfen Augen hatte er hinter einem Strauch des die Lichtung begrenzenden Waldsaumes das Gesicht eines jungen braunen Eingeborenen entdeckt, der, offenbar näher bekannt mit ihm, durch ein unzweideutiges Zeichen ihn warnte, seine Anwesenheit zu verrathen. „Verdammt schlau,“ wiederholte er gedehnt, indem er sich den ihn sorglos überwachenden Freibeutern wieder zukehrte, „da kann es freilich nicht ausbleiben, daß die Südlichen mit dem schwarzen Arbeitsvieh festen Fuß hier gewinnen.“

„Was ihnen sicher zu gönnen für das viele Geld, das sie unter die Jungens von unserer Sorte vertheilen.“

Abermals anscheinend zweifelnd um sich spähend, und dem versteckten braunen Jäger einen flüchtigen Blick schenkend, antwortete der Reiter, wie nach langem tiefen Sinnen, endlich verschmitzt:

„Euch begleiten? Hol mich der Teufel, wenn das nach meinem Geschmack ist. Denn erstens ist das Holzfällen und Häuserbauen nicht von mir erfunden worden, und ferner liegt mir an Blasen in den Händen blitzwenig.“

„Wir überarbeiten uns nicht,“ warf der eine Strolch lachend ein, „und ein Bursche von deinem Gliederbau wäre gerade eine Zierde für unsere Compagnie.“

„Mag sein, allein wie auf der einen Seite geschundene Hände mir verhaßt sind, lobe ich mir auf der anderen statt der Sclaverei freie Arbeit. Müßte ich mich indessen ernstlich an eurem Unternehmen betheiligen, so könnte es nur geschehen, um zu beobachten, wie ihr alle miteinander, eure südlichen Herren an der Spitze, gehangen werdet.“

„Was nicht stattfindet, bevor du selber dreimal zur Hölle gefahren bist.“

„Was zweimal zu oft wäre,“ erklärte der Reiter, in sorglosem Lachen seine Mähne schüttelnd, „auch würde ich dem Teufel selber die Hölle bald so heiß machen, daß er froh wäre, mich auf gute Art wieder los zu werden. – Doch jetzt ein letztes Wort: Ist euch an einer gesunden Windpfeife gelegen, dann beeilt euch, mit eurer Beute fortzukommen, bevor der alte Howitt und seine Jungens euch den Weg verlegen. Die sind nämlich verdammt viel weniger friedlich gesinnt, als ich.“ Er pfiff auf dem Finger, was zur Folge hatte, daß sein Pferd, welches hinter der Uferwand des Flusses verschwunden war, plötzlich wieder oben erschien und neben ihn hin trabte. Spöttisch grinsend sah er den beiden Strolchen nach, die auf seine Warnung zu ihrer Beute hinübereilten. Dem Indianer sich wieder zukehrend, wechselte er einige Zeichen mit ihm, auf die jener tiefer in das Gebüsch zurückschlich. Die Büchse auf der Schulter und den Mustang hinter sich, schlug der Reiter alsdann die Richtung nach seiner Raststätte ein.

Dort eingetroffen, überwachte er eine Weile wohlgefällig, wie die harten Maiskörner zwischen den Zähnen des Pferdes krachten. Dann warf er sich auf den Rasen, und die Satteltaschen zu sich heranziehend und öffnend, hielt nunmehr auch er sein aus gedörrtem Büffelfleisch und einem steinharten Schiffszwieback bestehendes Mahl. Ein mäßiger Trunk aus der Branntweinflasche bildete den Schluß, worauf er mit einem Ausdruck des Behagens die Arme unter den Kopf schob, um sich von dem mahlenden Geräusch der Zähne des Pferdes in den Schlaf singen zu lassen. Die Strolche schien er vergessen zu haben. Noch weniger fürchtete er einen hinterlistigen Angriff. In dem Mustang besaß er eine Schildwache, die nicht hintergangen werden konnte.

Die Sonne brannte unterdessen noch immer mit besten Kräften auf die stille Landschaft nieder. Was dem einen zu viel wurde, gewährte dem anderen Befriedigung. Senkten die Blüthen erschöpft ihre Kelche, und neigten an Baum und Strauch die Blätter sich träge, so erfüllten Bienen und Käfer, rastlos einherschwirrend, die Atmosphäre mit endlosem einschläfernden Summen. Die Eidechsen hatten ihre Schlupfwinkel verlassen und sonnten sich auf Steinen, sogar auf dem glühend heißen Sattel, von dem der Schatten allmälig heruntergeglitten war, während Falter hie und da mit den gefallsüchtig gespreizten Schwingen die Sonnenstrahlen in Empfang nahmen. Der Mustang hatte sein Körnermahl beendigt und graste emsig. Der junge Reitersmann schlief noch immer fest. Erst als das abwärts weidende Pferd mißtrauisch wieherte, rieb er sich die Augen. Auf den Ellenbogen sich aufrichtend, sah er dahin, wohin der Mustang spähte.

Zweier Reiter wurde er ansichtig, die von unten heraufkamen, also das Lager der Freibeuter berührt haben mußten. So viel er in der Entfernung von etwa vierhundert Schritten zu unterscheiden vermochte, gehörten sie nicht zu den eigentlichen Steppenreisenden. Sie führten wenigstens keine Büchsen; außerdem verrieth ihre Bekleidung, daß sie in Städten sich heimischer fühlten, als in der erst spärlich von Squattern belebten Wildniß. Mit dem Erfolg seines Spähens zufrieden, sank er wieder auf den Rücken. Die beiden Reiter kümmerten ihn augenscheinlich nicht mehr, als die Eidechsen, die bei seiner ersten Bewegung von dem Sattel hinunterhuschten. Erst als sie ihre Pferde vor ihm anhielten, unterzog er sich der Mühe, jedoch ohne seine Lage zu ändern, sie herablassend zu betrachten.

Ein älterer und ein jüngerer Mann waren es, die mit ihren bis auf den Kinnbart glatt geschorenen Gesichtern den Eindruck von Leuten machten, die gewandter mit der Feder und Berechnungen umzugehen verstehen, als mit den von ihren Hüften niederhängenden Pistolen. Zutrauen erweckend erschienen sie sicher nicht; weit eher gewohnt, unter der Maske größter Menschenfreundlichkeit ihrem weniger pfiffigen Nächsten die Haut über die Ohren zu streifen. So blickte der Ältere mit den dunklen Augen so listig unter dem breiten Panamahut hervor, wie ein ausgefeimter Beutelschneider, der geübt, jeden ihm Begegnenden betreffs des Inhaltes seiner Börse abzuschätzen. Der andere, vielleicht dreißig Jahre alt, eine kleine unansehnliche Gestalt, stand nicht hinter ihm zurück, indem, für einen aufmerksamen Beobachter erkennbar, Tücke und Habgier aus seinen wässerigen grauen Augen verstohlen hervorleuchteten, und ein Zug von Lüsternheit und Grausamkeit gemeinschaftlich mit einem abstoßenden Lächeln der Überlegenheit die schmalen Lippen umlagerte.

„Hallo, Fremder!“ redete ersterer den rastenden Reiter freundschaftlich an, „Sie sind wohl in dieser Gegend zu Hause?“

„Befragte ich Sie schon, wo Sie in die Welt gesetzt wurden?“ antwortete der junge Hüne wie gelangweilt, die Arme wieder unter den Kopf schiebend.

„Das freilich nicht. Meiner Neugierde lag nur die Hoffnung zu Grunde, durch Sie über die umliegenden Ländereien etwas Auskunft zu erhalten.“

„So gehört ihr zu den verwünschten Südlichen, die darauf aus sind, den Boden hier herum für die Sclavenzucht klar zu machen. Zwei von euren Leuten lernte ich schon kennen. Sie hatten eines ehrlichen Mannes Rind über den Haufen geschossen; da setze ich voraus, ihr kostet selber ein geröstetes Stück davon.“

„Mit demselben Recht könnten wir muthmaßen,“ versetzte der Jüngere verbissen, „daß Sie zu den Desperados zählen, die im Lande herumstreifen und den einsamen Wanderer mit den Worten: Geld oder Blut! begrüßen.“

Ohne Mißmuth zu verrathen, entgegnete der trotzige Bursche: „Wäret ihr beide nicht solche jämmerliche Creaturen, könnte mich die Lust anwandeln, euch etwas näher zu betrachten. Ich rief euch nicht, und noch weniger verspüre ich die Neigung, mich von dem ersten besten Unbekannten in's Verhör nehmen zu lassen.“

„Wohlan denn,“ nahm der Ältere wieder das Wort, „ich bin der Landagent Baxter, und mein Freund hier ist der Richter Margin.“

„Und ich heiße Robert King,“ erwiderte dieser sichtbar ergötzt, „zwischen hier und Neumexiko bekannt als King Bob, der König aller Vaqueros, nebenbei ein Mann, der mit seinen Kindern verdammt viel barmherziger verkehrt, als ihr und euresgleichen mit den zweibeinigen Ochsen und Eseln, die dumm genug sind, euren Rath zu suchen.“

„Rauhe Worte, Mr. King Bob,“ fuhr Baxter, seinen Verdruß niederkämpfend, fort, „doch wir befinden uns hier auf einem freien Territorium, wo man keine Ansprüche an große Zuvorkommenheit erheben darf. Aber, Scherz beiseite, ich wünsche zu erfahren, ob der Rauch, der da hinter dem Waldvorsprung aufsteigt, von dem Herdfeuer eines gewissen Daniel Howitt herrührt, und die dort weidende Heerde zu seiner Farm gehört.“

Bei Nennung des Namens Howitt schnellte King Bob in eine sitzende Stellung empor. Argwöhnisch prüfte er die beiden Reiter eine Weile, bevor er in die Worte ausbrach:

„Da kann ich nur muthmaßen, daß ihr mit dem Gedanken umgeht, den Daniel Howitt mit euren verfluchten Teufelsränken von seiner Besitzung zu vertreiben. Bei dem kommt ihr aber an den Unrechten, und wenn ihr mit unzerbrochenen Schädeln von seinem Hofe herunterreiten wollt, dann haltet eure glatten Zungen im Zaume.“

„Sie kennen ihn genauer?“

„Wenigstens hinlänglich, um euch zu gönnen, daß er seine Faust auf euch legt. Die ist nämlich verdammt knochig, und trifft die eine ihm unbequeme Nase, so gleitet sie mit der Spitze so tief in den Kopf hinein, daß sie zeitlebens den Weg nicht wieder herausfindet. Doch zieht eure Leine jetzt; ich sah und hörte genug, um euch beide zur Hölle zu wünschen.“

Baxter zuckte die Achseln und trieb sein Pferd an. Zähneknirschend und doch von heimlicher Scheu vor dem trotzigen Gesellen beseelt, folgte Margin seinem Beispiel. Nachdem sie weit genug geritten waren, um von King Bob, der sich wieder auf den Rücken geworfen hatte, nicht mehr verstanden zu werden, bemerkte Margin mit bösem Hohn: „Dieser ungeschlachte Strauchdieb! Gerade so, wie die beiden Esel, die sich von ihm in's Bockshorn jagen ließen, ihn schilderten. Trieben sich viele von der Sorte hier herum, möchte unseren Leuten die Lust vergehen.“

„Ist die Zeit da, so erhalten sie so starken Nachschub, daß ein paar Dutzend von seinem Kaliber nicht in's Gewicht fallen,“ versetzte Baxter zuversichtlich; „man braucht ihnen nur ausreichend Whisky und eine Handvoll Dollars zu bieten, und sie stimmen für Tod und Teufel, um mit Begeisterung obenein.“

Und weiter ritten sie in eifrigem Gespräch am Waldsaum hin, der vor ihnen eine Biegung nach Norden beschrieb.

Als die beiden Landspeculanten um das vorspringende Gehölz herumbogen, lagen vor ihnen eingefriedigte Felder mit grünenden Saaten, und im Hintergrunde ein kleines Gehöft. Da nach beendigter Frühjahrsbestellung die Ackerarbeit ruhte, hatten die Bewohner der Farm sich einer anderen Beschäftigung unterzogen, welche die beiden nahenden Reiter mit heimlichem Argwohn erfüllte. Man war nämlich ans Werk gegangen, die Zwischenräume zwischen Blockhütte, Stall und Schuppen durch starke Palissaden abzuschließen, ebenso den Vorplatz bis auf eine schmale Einfahrt fest einzufrieden.

„Wie gefällt Ihnen das?“ fragte Margin gehässig. „Hat es nicht den Anschein, als rüste man sich, irgend welchen Angriffen zu begegnen? Es müssen doch wohl beunruhigende Gerüchte hierher gedrungen sein.“

„Den Anschein hat es allerdings,“ gab Baxter zu, „allein um einen Angriff abzuschlagen, muß er zuvor unternommen werden. Ist der Mann erst darüber aufgeklärt, daß er auf meinem Grund und Boden haust, also nur noch geduldet ist, wird er sich schon bekehren. Gesetz bleibt Gesetz, oder das ganze Weltall ginge aus den Fugen.“

Mißmuthig betrachtete Margin ein halbes Dutzend älterer und jüngerer Burschen, die munter ihre Äxte schwangen und Löcher für die Pfähle gruben.

„Er soll eine wilde, störrische Natur sein,“ erwiderte er, „einer von jener granitenen Sorte, die keinen Herrn über sich anerkennt. Da seine Begriffe von Recht und Gesetz andere sind, als die der Mehrzahl vernünftiger Menschen, ist schwerlich viel Nachgiebigkeit von ihm zu erwarten.“

„Auch der Störrischeste muß sich zum Schluß vor der Gewalt beugen,“ meinte Baxter, der sich als Herr auf seinem Eigenthum fühlte, leichtfertig; „und er wäre nicht der erste, der, um seine Heimstätte zu einem mäßigen Preise zu retten, für Einführung der Sclaverei stimmte, sogar seinen Einfluß bei den Nachbarn, und den soll er in hohem Grade besitzen, ausnutzte, daß sie sich ihm anschlössen.“

„Was heißt Nachbar, wenn es eine Stunde guten Reitens erfordert, um den nächsten zu besuchen?“

„Um so besser. Säßen sie so nahe bei einander, wie die Bienen in ihrem Bau, möchten sie sich zusammenrotten und bald hier, bald hört den Unserigen das Leben sauer machen.“

Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück. Um so aufmerksamer beobachteten sie, wie die jugendlichen Arbeiter in eine Gruppe zusammentraten. Die noch offene Seite des Palissadenzaunes lag gerade vor ihnen und damit die Vorderseite einer umfangreicheren Blockhütte. Es konnte ihnen also nicht entgehen, daß ein höchstens vierzehnjähriger Knabe die Axt zur Seite warf und in's Haus eilte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Vaquero.