Der Vampir - Schrecken im 19. Jahrhundert

Autor: Krause, Ernst alias Sterne, Carus (1839-1903), Erscheinungsjahr: 1873
Themenbereiche
  1. Den Beweis von der ungeschwächten Fortdauer der ohne Frage furchtbarsten Wahnvorstellung
  2. Der Vampirismus wurde zeitweise zu einer förmlichen Pest und Landplage
  3. Was die Naturwissenschaft zur Vampirsage zu bemerken hat
Auszug aus dem 1. Teil

Dem Jahre 1872 blieb es vorbehalten, den Beweis von der ungeschwächten Fortdauer der ohne Frage furchtbarsten Wahnvorstellung , welche jemals die überreizte Phantasie eines kranken Gehirnes ausgesponnen hat, bis vor ein preußisches Obertribunal zu bringen. Denn furchtbar muss der Vampirglaube nicht bloß wegen seines selbst starke Nerven erschütternden Inhalts genannt werden, sondern noch mehr wegen der Lebensgefahr, in welche er, einer ansteckenden Seuche gleich, die von ihm Befallenen stürzt. Ich bitte im Voraus diejenigen meiner freundlichen Leser, die leicht von bösen Träumen heimgesucht werden, den nachfolgenden Bericht, welchen ich aus den zuverlässigsten Quellen schöpfen konnte, lieber Vormittags oder bei hellem Tage, als Abends oder Nachts zu lesen, da ich mich außer Stande sehe, das Grässliche des Gegenstandes zu mildern, obwohl ich mich natürlich bestreben werde, es nicht durch Übertreibungen zu verschlimmern.


Auszug aus dem 2. Teil

Der Vampir-Aberglaube hätte wahrscheinlich ebensowenig wie der Hexenglaube jemals eine größere Gewalt über die Gemüter gewonnen, wenn demselben nicht die Kirche ihre Autorität geliehen hätte. Als die Trennung der griechischen Kirche von der römischen eine Tatsache geworden war, hielten es die Patriarchen der ersteren vor Allem nöthig, eine straffe Kirchendisziplin einzuführen, wozu sich wiederum nichts zweckmäßiger zeigte, als die Ausstattung des Kirchenbannes mit übernatürlicher Gewalt. Sei es, daß man auf einem in Osteuropa vorhandenen Aberglauben fußte oder denselben neu schuf, es schlich sich in die kirchliche Verfluchungsformel der Abtrünnigen der Satz ein: „Dein Platz sei bei dem Teufel und dem Verräter Judas! Nach Deinem Tode sollst Du in Ewigkeit nicht zu Asche werden, sondern unverweslich liegen wie Stein und Eisen!“ Während die katholische Kirchenlehre in vielen Fällen die Unverweslichkeit eines Todten als Zeichen besonderer Heiligkeit auffasste, bestrebte sich die griechische Kirche, denselben Zustand als Zeichen ihres Fluches darzustellen, und bald bildete sich die neue Lehre dahin aus, daß der Teufel sich des unverweslichen Leichnams als seines Eigentums und einer Maske bemächtige, um damit die überlebenden Verwandten so lange zu plagen, bis sie dafür gesorgt hätten, daß der Verstorbene vom Kirchenbanne losgesprochen sei. Die griechische Kirche brauchte, wie man sieht, einen Ersatz für das von ihr verworfene, aber für die Kirche sehr einträgliche Fegefeuer. Man nannte solche im Kirchenbanne gestorbene unverwesliche Leichen Tympaniten, weil sie sich durch Aussaugen des Blutes Lebender nähren und dadurch aufschwellen wie eine Trommel oder Schafzecke.


Auszug aus dem 3. Teil

Wenn man den Quellen der verschiedenen Aberglaubensformen nachgeht, so wird man unter ihnen wenigen Phantasieschöpfungen begegnen, die so vielfache Unterstützung in natürlichen Vorkommnissen fanden, mithin so erklärlich und so entschuldbar erscheinen, als gerade die Vampirsage. Eine erbliche Familienkrankheit, eine ansteckende Seuche, die vielleicht aus einem schlechten Brunnen oder Aborte des Hauses ihren natürlichen Ursprung herleitet, oder sich wirklich von Person zu Person überträgt, rafft die Angehörigen eines Hauses in unerbittlicher Folge hin; welche Vorstellung könnte da dem Naturmenschen angemessener und näherliegend sein, als die, daß der Vorhergestorbene den Überlebenden abhole? Eine so solide Grundlage besitzen nur die wenigsten abergläubischen Vorstellungen, und doch ist das erst der Keim des Vampirs, der nun durch manche unglückliche Gedankenverbindungen, die im Grunde gar nichts miteinander zu thun haben, groß gezogen ward.