Abschnitt 2

Friedericke Krüger - Teil 3


Einen zweiten Beweis seiner ehrenhaften Gesinnung hat General von Borstell 1815 gegeben. Das eine der beiden sächsischen Garde-Bataillone, welche sich gegen Blücher empört hatten, wurde nach Namur, wo Borstell als Befehlshaber des zweiten Heerhaufens sein Hauptquartier hatte, verlegt, und dieser erhielt den Befehl, das Bataillon zu entwaffnen und seine beiden Fahnen im Angesichte desselben zu verbrennen. Der Feldmarschall hatte sich zu Letzterem durch seinen Zorn, in welchem der Mensch nicht thut, was recht ist, hinreißen lassen. Borstell aber, edler als er, ließ zwar die Sachsen (ich erzähle als Augenzeuge, mit zu dem traurigen Geschäfte befehligt) entwaffnen; die Fahnen aber ließ er nicht verbrennen und meldete dem Feldmarschall, daß jenes geschehen sei, zu diesem sei kein Grund vorhanden gewesen 2). Darüber bekam er Arrest und wurde fortgeschickt. Die Kriegszucht mag das fordern, das ganze Armeecorps aber bedauerte tief den Verlust seines trefflichen Führers.


Nach kürzerem Aufenthalte in Magdeburg setzte unsere Heldin ihre Reise nach Berlin fort. Hier wurde sie dem Könige gemeldet, der sie mit einer Jahresrente von 72 Thalern belohnte. Er empfahl sie auch in einem eigenen von ihr selbst auf ihrer noch im Dezember nach Friedland gemachten Reise zu übergebenden Schreiben seinem Schwiegervater, dem Großherzoge Carl von Meklenburg-Strelitz, und dieser edle Fürst verlieh ihr ein Jahrgehalt von 50 Thalern. In der vom 10. Januar 1816 datirten Urkunde heißt es:

„Nachdem Wir der Auguste Krüger aus Friedland zur Belohnung ihrer ausgezeichneten Vaterlandsliebe und ihres in den Feldzügen gegen Frankreich bewiesenen Muth's eine jährliche Pension von 50 Thalern bewilligt haben, so haben Wir derselben darüber die gegenwärtige Versicherung ertheilt“

u. s. w. – unterzeichnet ist diese Urkunde von ihm selbst und gegengezeichnet von seinem Minister von Oertzen, der seinem Herrn an Hochherzigkeit um nichts nachstand.

Von dem Besuche in ihrer Vaterstadt weiß ich nichts Besonderes zu erzählen, als daß der pommersche Unteroffizier in seinem Kriegskleide (blau mit weißem Kragen und Aufschlägen, beide mit goldenen Tressen besetzt) die Augen aller Menschen auf sich gezogen hat, daß ihr überall, wo sie sich zeigte, mit aller größten Achtung und Aufmerksamkeit ist begegnet worden. Ob aber von der Stadt als solcher ihr irgend eine Ehre widerfahren oder eine Auszeichnung ertheilt sei, etwa das Ehrenbürgerrecht oder die Anwartschaft auf eine kostenfreie Versorgung in unserm reichlich ausgestatteten und trefflich eingerichteten Bürgerchospitale für ihr Alter, oder eine solche Zufluchtsstätte künftig für etwa der Unterstützung bedürftige Kinder – wozu in diesem Augenblicke Gelegenheit wäre – davon habe ich keine Kunde erhalten. Sehr wohlwollend aber hat man sie in jener Zeit des Paßzwanges mit einem Passe entlassen, den ich als eine Probe des Kanzleistils der alten Zeit dem Leser nicht vorenthalten will. Er lautet:

„Wenn Vorzeiger dieses, der Unterofficier August Krüger, welcher mit einem postfreien Reisepasse zum Besuch seiner Eltern hier angekommen nunmehr mit seinen Sachen, die, da er seine Sachen mitnimmt, gegenwärtig an die 100 Pfund wiegen können, von hier nach Berlin zurückzureisen gewilliget und um Ertheilung eines beglaubten Passes nachgesuchet, so wird in Deferirung dessen Gesuches hiemit nicht nur obrigkeitlich attestiret, daß hiesigen Ortes Gott Lob! Weder unter Menschen noch Vieh eine ansteckende Seuche grassiret, sondern es werden auch alle und jede Obrigkeiten respective nach Standesgebühr geziemend ersucht, obbenannten Unterofficier Krüger aller Orten frei und ungehindert passiren zu lassen, welches wir in vorkommenden Fällen zu erwidern unermangeln werden. Sign. Friedland in Meklenburg d. 7. Januar 1816.

Bürgermeister und Rath.

gez. Uterhart, Consul dirigens.“

Nach Berlin ging sie zunächst zurück, um das Ordensfest, zu welchem sie geladen war, und auf welchem sich, was sie nicht ahnen mochte, ihr ferneres Geschick günstig für sie entscheiden sollte, am 18. Januar mitzufeiern. Schon vor dieser Reise begegnete sie in Berlin ihrem Landsmann Adolf Brunn, welcher daselbst seinem durch den Krieg unterbrochenen Studium der Thierarzneikunde wieder oblag. Mit diesem verkehrte sie häufig, und ihm verdanke ich wiederum das Folgende. Nach seiner Erzählung hat sie bis zu ihrer Verlobung im aktiven Dienste gestanden, jedoch irrt er, wenn er die Pommern, unter denen sie dort als Unteroffizier verwendet wurde, für ihr Regiment hielt; dieses blieb jenseits des Rheines und sah das Vaterland erst 18l7 wieder, nachdem die Besetzung des nördlichen Frankreichs aufgehört hatte. Es werden wohl pommersche Ersatzmannschaften, Genesene und Geheilte aus den Lazarethen u. s. w. gewesen sein, über die sie zu walten hatte. „Als ich erfuhr“, erzählt er, „daß ein weiblicher Unteroffizier unter den Pommern sei, wußte ich, daß dies Niemand als meine Landsmännin sein könne; ich erkundigte mich nach ihr und einer von den Soldaten führte mich in ihr Quartier, wo ich sie in der Uniform fand. Bei meinem zweiten Besuche traf ich sie nicht zu Hause; die Wirthin sagte mir, sie sei in völliger Rüstung zum Wachtdienste ausgezogen, lobte sie, daß sie, wenn der Dienst sie nicht rufe, still und steißig daheim sei und sich Kleider nähe. Ich sei außer dem Burschen, der ihr aufwarte, die einzige männliche Person, welche sie noch bei ihr gesehen habe. Als ich sie ein ander Mal wieder antraf, fand ich sie mit der Anfertigung weiblicher Kleidungsstücke beschäftigt, und sie erklärte mir ihren Entschluß, den Waffenrock alsbald für immer auszuziehen. Bei Gelegenheit eines Spaziergangs mit ihr bin ich Zeuge von ihrer Geistesgegenwart und Entschiedenheit gewesen und von dem Respekt, welchen der kleine Unteroffizier den sechs Fuß langen Gardisten einzuflößen wußte. Wir waren in ein Wirthshaus eingetreten und saßen bei einem Glase Bier, als mehrere Pommern, die ihren Unteroffizier hatten hineingehn sehen, eintraten und ihn baten, ihnen beizustehen; übermüthige Gardisten hätten sie vom Tanzsaale, der im Hintergebäude sei, unter groben Beleidigungen verdrängt. Sofort erhob sie sich und ging hin; ich folgte ihr und war Zeuge, wie sie die großen Gardisten mit ihrer weiblichen Stimme andonnerte, ihnen ihren thörichten Hochmuth, ihr unkameradliches Benehmen vorwarf, ihnen einrieb, daß die Pommern unendlich viel mehr geblutet, gelitten und gethan hätten, als die Garden, und sie so zurecht setzte, daß sie, beschämt, nichts zu entgegnen hatten und sich von Stund' an mit ihren Waffenbrüdern gut vertrugen.“

Da waren auf dieses männliche Weib Virgies Worte anzuwenden:

Ac veluti magno in populo quum saepe coorta est Seditio, saevitque animis ignobile vulgus.
Jamque faces et saxa volant, furor arma ministrat:
Tum pietate gravem ac meritis si forte virum quem
Conspexere, silent,, adrectisque auribus adstand:
Iste regit dictis animos et pectora mulcet –

Zu deutsch:

Wie, wenn in großer Versammlung des Volks sich manch-
mal ein Aufruhr
Hebt und im Grimm aufraset der namenlosere Pöbel;
Schon sind Bränd' und Steine geschnellt, Wuth bietet die
Waffen:
Wenn dann etwa ein Mann, durch Verdienst ehrwürdig
und Tugend,
Vortritt, schweigen sie all' und stehn mit gespannten
Ohren;
Jener bezähmt durch Worte den Zorn und besänftigt die
Herzen.




2) Von der Ursache des Aufruhrs ging im Heere die Rede, die Garden seien erbittert gewesen sowohl über die Theilung Sachsens, als darüber, daß man von denjenigen unter ihnen, die dem an Preußen gefallenen Theile des Königreichs Sachsen angehörten, gefordert habe, dem Könige von Preußen zu schwöhren, bevor sie von ihrem bisherigen Kriegsherrn ihres Eides entbunden waren. Wenn dieses wahr wäre, so würde sich darauf Vorstells mildere Anffassung ihres an sich allerdings schweren Verbrechens, welches sogar das theure Haupt des Feldherrn arg bedrohte, erklären lassen.