Vorbemerkungen.

„Nur wenige von denen, die sich redlich bemühten, die allgemeinen Grundgedanken der Religion der Naturvölker zu erfassen, werden jemals wieder geneigt sein, sie für lächerlich zu halten Ihr Denken und Tun in Glaubenssachen ist weit davon entfernt ein zusammengelesener Haufen von allen möglichen Torheiten zu sein; sie sind vielmehr in so hohem Grade folgerichtig im Denken und Tun, dass man, sobald man sie auch nur oberflächlich nach bestimmten Gesichtspunkten zusammenstellt, sofort die Grundzüge ihrer Entstehung und Weiterentwicklung erkennen kann; und diese Grundzüge beweisen, dass sie ihrem Wesen nach vernünftig sind, obwohl die geistige Verfassung, unter der sie zustande kommen, in einer groben und althergebrachten Unwissenheit besteht." — E. B. Tylor, Primitive Culture, New-York 1874, 1. 21.

Die vorliegende Monographie verfolgt den Zweck, für rasches Nachschlagen alle Angaben über die Verwendung des menschlichen oder tierischen Kotes oder Harnes oder solcher Stoffe, die augenscheinlich als Ersatz dafür gedacht sind, zusammenzustellen, seien es nun Gebräuche von deutlich religiöser oder medizinischer Art, oder seien es solche, die zwar nicht in ausgesprochener Weise dazu gehören, aber dennoch Andeutungen enthalten, dass es Überbleibsel früherer Harntänze oder Harnorgien bei solchen Stämmen und Völkern sind, aus deren späterer Lebensweise und Denkart man sie ausgeschaltet hat.


Die Schwierigkeiten, die mit der Aufhellung dieses Gegenstandes verbunden sind, stellen sich wohl jedem Forscher auf dem Gebiete der Anthropologie und Ethnologie entgegen. Die hier besprochenen Gebräuche und Handlungen findet man nur in gänzlich von der übrigen Welt abgeschlossenen Gemeinwesen und sie sind von solcher Art, dass sich selbst Primitive scheuen, sie ohne Nötigung einem Fremden zu enthüllen. Andererseits haben es aber sehr häufig fähige Beobachter unterlassen, Gelegenheiten aufzusuchen, um das Vorhandensein derartiger Gebräuche festzustellen, während wiederum andere, durch ein unangebrachtes Anstandsgefühl bewogen, ihre Bemerkungen in allgemeine und unbestimmte Redensarten einkleideten, ohne daran zu denken, dass ein Arzt, der etwas Tüchtiges leisten will, seine Patienten nicht nur wenn sie krank, sondern auch wenn sie gesund sind, kennen lernen muss. Ebenso soll auch der Anthropologe den Menschen studieren, nicht nur so lange er die Herrlichkeit seines Schöpfers in ihm sehen will, sondern auch in Bezug auf seine roheren und tierähnlicheren Neigungen.*)

*) Eingehende Auseinandersetzungen über die Berechtigung und Notwendigkeit unserer Studien enthalten die Vorworte zum I. und II. B. der Anthropophyteia, sowie die Berichte: „Zur Geschichte der Anthropophyteia" in den Anthr. VI— IX. Am 23. April 1912 gab das Reichgericht zu Leipzig nach dem Vortrag des Oberreichanwaltes Schweigger die Anthropophyteia-Studien frei. Dies Datum und der Name Schweigger verdienen in der Geschichte unserer Disziplin ein Andenken in Ehren.

Die erste Ausgabe der „Notes and Memoranda usw." über den vorliegenden Gegenstand verteilte die Smithsonian Institution, und ich war der Ansicht, dass sich dieser Gegenstand für einen großen und fortwährend wachsenden Kreis von Gelehrten von ganz besonderem Interesse erweisen würde, und dass, um die Worte zu wiederholen, die ein großer Kaiser gebraucht und ein noch größerer Philosoph angeführt hat, alles, was auf den primitiven Menschen Bezug hat, für diejenigen der Forschung und Prüfung würdig sei, die sich mit seiner Geschichte und Entwicklung vertraut machen wollen.

„Wir müssen so weit kommen, dass wir wie Kaiser Maximilian sagen können: Homo sum, humani nihil a me alienum puto, oder wörtlich übersetzt: Ich bin ein Mensch und nichts Menschliches soll mir fremd sein." *)

Ich halte auch das Gefühl, dass es einem solchen Kreise gegenüber gar nicht nötig sein würde, eine Verteidigungsrede zu halten, ähnlich derjenigen, durch die in den ersten Zeiten der Buchdruckerkunst Pellegrini den edlen Beruf des Arztes zu verteidigen suchte.*) Aber dennoch sah ich mit großem Stolze, dass meinem Schriftchen die Ehre zuteil wurde, ernsthafte Beachtung solcher Männer zu erlangen, die in der Welt des Denkens eine hervorragende Stellung einnehmen. Sie haben mit freundlich gegebenen und dankbar angenommenen Anregungen und Kritiken zur Erweiterung der ursprünglichen „Notes and Memoranda" in die vorliegende Abhandlung beigetragen.

Dass diese ekelhaften Gebräuche ganz bestimmt einen religiösen Ursprung haben, wird niemand zu leugnen wagen, der die hierauf bezüglichen, im folgenden in Unmenge beigebrachten Angaben aufmerksam gelesen hat; und dass ihre Nachprüfung zu wichtigen Ergebnissen führen muss, wird gleichfalls nicht in Abrede gestellt werden können; vorausgesetzt, dass diese Prüfung vom weiten Gesichtskreise aus durchgeführt wird, dass der Nutzen oder der Schaden, die der Menschheit aus der Religion im Allgemeinen oder aus einer besonderen Form der Religion erwachsen sind, nur dann richtig abgeschätzt werden kann, wenn man zwischen den Handlungen des Menschen und seinen Grundsätzen der Lebensführung auf den frühesten Kulturstufen Vergleichungen anstellt und denjenigen, die man als Ausfluss des religiösen Gefühls der Gegenwart beobachten kann.

Juden und Christen werden einen gemeinsamen Boden, auf dem sie sich beglückwünschen können, in der Tatsache finden, dass die Anhänger ihrer Glaubenslehren gegenwärtig von jeder Andeutung dieser schmutzigen Färbung frei sind, denn jedes Beispiel für das Gegenteil stünde im schroffen Widerspruch zu dem Geiste und dem Brauch dieser beiden großen Religionsgenossenschaften, denen die Gesittung der ganzen Welt so fielen Dank schuldet.

*) Max Müller, Chips from a German Workshop; die Stelle stammt aus Terentius, Heautontimorumenos.
**) Johann Baptist Pellegrini, der eine „Apologia . . . adversus Philosophiae el Medicinae calumniatores" (Bologna 1582) verfasste, gebraucht folgende Worte: „Quamvis humanis corporis excrementa conspicienda considerandaque esse praecipiat, non tarnen propter hoc aliquid suae nobilitati el praestantiae detrahitur." (S. 190). Er meint also, der Adel des ärztlichen Berufes leide keineswegs durch die Tatsache, dass ein tüchtiger Arzt die Entleerungen seines Patienten untersuche. „Mag der Gegenstand solchen Lesern, die ihn nicht unter dem Gesichtspunkte der Wissenschaft betrachten, auch noch so ekelhaft vorkommen, so ist diese Abhandlung doch ein gutes Beispiel für den Grundsatz, dass einem wissenschaftlich denkenden Geist für die Betrachtung nichts völlig abstoßend oder bedeutungslos ist, wie es andererseits den Satz beweist: Dem Reinen ist alles rein. Viele von den auf diesen Blattern beschriebenen Gebräuchen zeigen, wie tief in den Menschengeist der Trieb eingegraben ist, abstrakte Gedanken und Naturerscheinungen in Sinnbildern auszudrücken, zu vermenschlichen und zu vergöttlichen." Auszug aus einer Besprechung von A. Gatschet im Folklore Journal (Boston).


Aber von einem jeden Gesichtspunkte aus ist das Studium des primitiven Menschen eine Unmöglichkeit und ein Unding, führt man es nämlich nicht als eine Untersuchung über die Art und Weise seines religiösen Denkens durch, denn die Religion war ja die Führerin alles Denkens und alles Handelns in seinem täglichen Leben. Nachdem Rink darauf hingewiesen hat, dass sich das ganze Studium des vorgeschichtlichen Menschen bisher fast ausschließlich auf das Studium der Zierrate, Waffen und anderer Überbleibsel der primitiven Völker stützte, in Zukunft aber auf eine Untersuchung seines Denkens begründet werden müsse, bemerkt er, dass „sicherlich die Zeit kommen wird, wo man jedes Überlebsel des geistigen Lebens der vorgeschichtlichen Menschheit, das sich bis zu unserer Zeit erhalten hat und das in der Folklore abgeschlossen lebender, noch auf einer primitiven Stufe stehender Völker zu finden ist, gerade so hoch bewerten wird, wie diese primitiven Überbleibsel."*)

*) Tales and Traditions of the Eskimo, Edinburgh 1875, S. 6 der Vorrede.

Mag der Stoff mithin auch in mancher Hinsicht abstoßend sein, so fühle ich mich doch verpflichtet, alles das wiederzugeben, was ich gesehen und gelesen. Ich hoffe daher, dass bei der größeren Beachtung, die jetzt alle Formen der primitiven Religion finden, auch diese, vielleicht die brutalste von ihnen, ihren Anteil an der Prüfung und Erörterung verlangen kann. Als Kern für die später gesammelten Notizen und Bemerkungen soll meine ursprüngliche Monographie dienen, die zuerst in den „Transactions of the American Association for the Advancement of Science" im Jahre 1885 erschien. Sie wird deshalb im folgenden Abschnitt wieder abgedruckt .
Indianer. A Dog Dancer. Hidatsa

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Indianer. Assiniboin Warrior

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Indianer. Blackfood. Sun Dance Headdress

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