Marburg

Auf dieser Universität hielt ich mich nur anderthalb Tage 1) auf, weil ich sehr bald gewahr ward, dass ich hier nur wenig Stoff zu neuen Bemerkungen finden könnte.

Diese Universität war unter dem vorigen Landgrafen von Hessen Kassel sehr gesunken. Die Zahl der Studenten betrug kaum hundert, und unter den Professoren war fast kein einziger ausgezeichneter Mann, woran vornehmlich die höchst armseligen Gehalte der meisten Professoren Schuld waren. Unter dem jetzigen Landgrafen 2) hat die Universität sich schon sehr gehoben. Er hob das sogenannte Carolinum in Kassel auf, und versetzte mehrere Professoren hierher mit ansehnlichen Besoldungen. Jetzt hat daher diese Universität mehrere berühmte und vortreffliche Professoren. Die Zahl der Studenten hat sich daher auch beträchtlich vermehrt. Es waren jetzt in allem 316 Studenten da, darunter 34 Mediziner, von denen jedoch etwa 8 bloß des chirurgischen Studiums wegen hier waren. Die Zahl der Theologen und Juristen war ungefähr gleich. Es sind unter ihnen viele Pfälzer, Zweibrücker u. s. w.


1) Am 26.-27. Juni auf der Reise, dürfte Gedike Sonntag den 28. in Marburg eingetroffen sein, um es Montag Nachmittag zu verlassen.

2) Wilhelm IX. seit 1785. Vgl. K. W. Justi, Grundzüge einer Gesch. der Universität Marburg, S. 104 ff.


Die Hessischen Landeskinder müssen wenigstens zwei Jahre hier oder in Rinteln studieren, ehe sie eine auswärtige Universität beziehen dürfen.

Nur einige 30 Stipendiaten genießen einen Freitisch, der von den Städten unterhalten wird. Die Städte präsentieren sie dazu, und sie werden alle halbe Jahr von einer Kommission von Professoren examiniert.

Auf keiner einzigen Universität sind die Besoldungen so ungleich als auf dieser. Die neuern Professoren, die größtenteils von Kassel hierher versetzt worden, haben zum Teil so ansehnliche Besoldungen wie auf keiner einzigen Universität Dagegen die Professoren der alten Fundation nur sehr geringe Besoldungen haben, zum Teil nur 300 Gulden, oder gar noch weniger. Dagegen hat der Kanzler und erste Professor juris, Herr von Selchow, eine Besoldung von 2.500 Thalern in Gold oder 500 Louisdor, der Geheimrat und erste Professor der Medizin Baidinger bekömmt zweitausend Thaler in Golde, der Hofrat Jung 1.200 Thaler, der Hofrah Michaelis 800 Thaler, der Geheimrat und jüngste Prof. juris Erxleben 800 Thaler, der Hofrat Tiedemann 700 Thaler u. s. w. Mit den Civil Charakteren eines Hofraths oder Geheime Rath ist man hier nicht sparsam. Die Honoraria sind hier weit geringer als in Göttingen; bei der philosophischen Fakultät am geringsten, nämlich nur 4 Gulden.

Die Universitätsbibliothek ist unbedeutend, höchstens 18.000 Bände ohne Plan. Der Fonds ist äußerst gering, etwa nur so Thaler jährlich. Der größte Teil dieses kleinen Fonds kömmt von einem Anteil an den Strafgefällen her, vornehmlich wenn sich ein Student vom Carcer loskauft, wofür er für jeden Tag 3 Taler zahlt. Man hat schon öfters bei dem Landgrafen um Vermehrung der Bibliothek und Erhöhung des Fonds dazu nachgesucht, aber bisher immer vergebens.

Die Lebensart der Studenten ist noch etwas roh und wild. Den Tag vor meiner Ankunft hatten sie erst das schwarze Brett abgerissen und zertrümmert, die Edikte daran zerrissen, einen öffentlichen Brunnen ruiniert u. s. w. Schlägereien und Ordensverbindungen selbst mit den Gießenschen Studenten sind hier sehr häufig. Die Hauptorden sind hier: die Franken und die — niemand weiß warum? so genannten schwarzen Brüder oder der schwarze Bund (der auch in Göttingen floriert). Die Nähe von Gießen (es sind nur 3 Meilen) tut den Sitten der Marburger Studenten vielen Schaden.

Öffentliche Institute sind hier bei der Universität gar nicht. Doch sind zu einem Klinikum 200 Thaler ausgesetzt. Zur Anatomie müssen die Armenanstalten Kadaver liefern.

Es ist in vielen öffentlichen Schriften viel von dem neuen Flor dieser Universität posaunt worden. Sie hat auch allerdings viel gewonnen, vornehmlich seit der Anstellung mehrerer junger und berühmter Professoren. Indessen ist der Abfall, wenn man, wie ich diesmal, aus Göttingen sogleich nach Marburg kömmt, sehr auffallend. Manche Studien liegen hier ganz. Z. B. Philologie, Mathematik, auch zum Teil Philosophie.

Die theologische Fakultät ist reformiert und besteht aus drei Professoren, von denen der älteste (Endemann) 1) 14 Tage vorher verstorben war. Die beiden übrigen Professoren, der Konsistorialrat Pfeifer 2) und der Prof. Coing 3), sind in der gelehrten Welt wenig oder gar nicht bekannt.

1) Samuel Endemann 1727-1789. Er starb in Hanau am 31. Mai.

2) Johann Jakob Pfeiffer 1740-1791.

3) Johann Franz Coing 1725-1792.


Der erstere schien mir ein sehr gutherziger, aber sehr begrenzter Mann zu sein. Sein Vortrag ist sehr weitschweifig. Er hat hier jedoch jetzt nach des Prof. Endemanns Tode als erster Prof. Theol. an 900 Thaler Besoldung. Der zweite Prof. Going soll ein sehr schlechter Dozent, und sein Vortrag sehr ermüdend sein. Ein junger Prof. extraord. der Theologie Namens Zimmermann 1) war soeben im Begriff, von Marburg nach Hanau zu gehen.

In der juristischen Fakultät steht nicht nur dem Range, sondern auch den Verdiensten nach der Kanzler und Geheimrat Herr von Selchow 2) oben an. Er hat unter allen Professoren den meisten Beifall. Befremdend war es mir zu hören, dass er von mehreren Studenten und Bürgern den Titel Excellenz erhielt. Als Canzler hat er vornehmlich die Berichte an den Landgrafen und das Ministerium zu machen.

Die beiden Professoren Sorber 3) und Hofmann 4) sind schon bejahrt und haben jetzt keinen Beifall mehr, lesen auch fast gar nicht mehr. Der Prof. und Revisionsrat Robert 5) war ehedem Professor der Theologie. Wegen einiger Uneinigkeiten mit seinen Kollegen entschloss er sich, die theologische Fakultät zu verlassen. Er legte sich mit großem Privatfleiß auf das juristische Fach, ward darauf. D. juris und erhielt eine juristische Professur. Indessen ist doch in eigentlich juristischen Kollegiis sein Beifall nicht groß, welches man aus einer Art von Misstrauen, als ob er kein gründlicher Jurist sei, erklären will. Hingegen hat er in jure naturae Beifall. Seine Besoldung ist 650 Thaler.

Der fünfte juristische Professor ist der Geheime Justizrath Erxleben, 6) der vordem Advokat war. Er hat nächst Herrn von Selchow den größten Beifall. Ich hörte ihn über die Pandekten vor einer Anzahl von 80-90 Studenten lesen. Sein Vortrag verdient viel Lob. Er ist deutlich, gut geordnet, freimütig, natürlich und lebhaft, und sein Ausdruck gut gewählt.

1) Johann Lorenz Zimmemiann 1762-1834.

2) Johann Heinrich Christian v. Selchow 1732-1795.

3) Johann Jakob Sorber 1714-1797.

4) Johann Andreas Hofmann 1716-1795.

5) Karl Wilhelm Robert 1740-1803, ging 1797 als Oberappellationsgerichtsrat nach Kassel.

6) Johann Heinrich Christian Erxleben 1753-1811.


In der medizinischen Fakultät ist der Geheimrat Baidinger 1) allerdings eine Zierde dieser Universität. Wenigstens hat er wegen seiner wirklich sehr ausgebreiteten Gelehrsamkeit eine große Zelebrität. Auch als praktischer Arzt wird er sehr gerühmt Sein Name zieht viele Mediziner hierher. Sein Vortrag ist sehr, nur zu lebhaft, aber er verwirrt sich öfters wie man sagt und verliert sich zu sehr in Anekdoten und Digressionen.

Der zweite Professor Medicinae ist der Hofrath Michaelis,2) ein lebhafter angenehmer Mann, dessen Vortrag nach seiner Munterkeit im Umgang zu schließen, anziehend und unterhaltend sein muss, und auch wirklich sehr gerühmt wird. Bei der Uneinigkeit zwischen ihm und Baidinger verliert er indessen zu sehr.

Die übrigen medizinischen Professoren konnte ich nicht Gelegenheit finden kennen zu lernen.

In der philosophischen Fakultät sticht am meisten der Hofrath Tiedemann 3) hervor. Er ist als Philosoph und als ein scharfsinniger Forscher in der Geschichte der Philosophie bekannt Ich hörte ihn über die Geschichte der Philosophie lesen. Es waren etwa 20 Zuhörer zugegen. Sein Vortrag ist zwar nicht eben lebhaft, und es fehlt ihm an Abwechselung; übrigens aber ist sein Vortrag deutlich, frei, und ohne Affektation.

Der Hofrath Jung 4) ist von Heidelberg hierher gerufen worden. Er liest den ganzen Kursus der Kameralwissenschaften, jährlich in 9 Kollegien. Auch hat er darüber schon 9 Kompendien geschrieben. Ich hörte ihn in der Technologie. Sein Vortrag ist natürlich, frei, deutlich und lebhaft. Die Zahl der Zuhörer war indessen in diesem Kollegium nur klein.

Der Prof. Bering 5) liest hier über die Kantische Philosophie, worüber er anfänglich vielen Verdruss hatte. Die theologische Fakultät brachte es sogar dahin, dass es ihm von Kassel aus verboten ward, über die Kantische Philosophie zu lesen.

1) Ernst Gottfried Baldinger 1738-1804.

2) Christian Friedrich Michaelis 1754-1814.

3) Dietrich Tiedemann 1748-1803.

4) Johann Heinrich Jung 1740-1817, genannt Stilling, Goethes Straßburger Studienfreund, siedelte 1803 wieder nach Heidelberg, 1806 nach Karlsruhe über.

5) Johannes Bering 1748-1825.


Jetzt ist es ihm wieder verstattet worden. Jedoch darf Kants Name bei Ankündigung seiner Kollegien im Lektionskatalog nicht genannt werden. Sein Vortrag ist etwas trocken und ohne Leben.

Der Professor Justi 1) ist zugleich lutherischer Prediger und liest zugleich theologische Kollegia für die lutherischen Theologen, wiewohl diese gewöhnlich nach Rinteln gehen. Er ist ein gelehrter Mann, aber sein Vortrag ist schon im gemeinen Leben etwas schwerfällig, stotternd und unzusammenhängend, und ebenso soll sein Vortrag auf dem Katheder sein.

Der Prof. Curtius, 2) ein schon ziemlich bejahrter Mann, hat in manchen Kollegien, wie z. B. in der Kirchengeschichte, vielen Beifall.

Die übrigen Professoren werden wenig geachtet. Der Prof. Schroeder 3) liest gar nicht. Der Prof. Wepler 4) wird durch epileptische Zufälle oft gehindert. Der Prof. der Mathematik Waldin 5) hat wenig Beifall. Eben so wenig der Prof. Stegmann, 6) obgleich des letztem Geschicklichkeit in Verfertigung physikalischer Instrumente gerühmt wird.

Noch hatte ich hier Gelegenheit, das vortreffliche Leskische Naturalienkabinett zu besehen.

Leske 7) ward von Leipzig hierher berufen als Prof. der Kameralwissenschaften. Er starb aber wenige Tage nach seiner Ankunft. Das von ihm hinterlassene Naturalienkabinett steht aber noch hier und wartet auf einen Käufer. Man fordert 6.000 Thaler. Den wichtigsten Teil der Sammlung machen die Mineralien aus, die vortrefflich geordnet sind. Indessen enthält es auch sehr viele Merkwürdigkeiten aus dem Tierreich. Ganz vorzüglich schön ist die Insektensammlung. Die Universität wünscht sehr, dass der Landgraf dis Kabinett für die Universität kaufen mögte, aber man macht sich wenig Hoffnung dazu.

Ich lege in der Beilage mehrere Lektionskatalogen, ferner die Matrikel nebst den Gesetzen und dem Depositionsschein bei.

1) Leonhard Johann Karl Justi 1753-1800, später nach Göttingen berufen.

2) Michael Konrad Curtius 1724-1802.

3) Johann Wilhelm Schröder 1726-1793.

4) Johann Heinrich Wepler 1755-1792.

5) Johann Gottlieb Waldin 1728-1795.

6) Johann Gottlieb Stegmann 1725-1795.

7) Gottfried Nathanael Leske 1751-1786.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Universitäts-Bereiser