Helmstädt

Ich hielt mich auf dieser Universität zwei Tage (den 18 und 19ten Junius) 1) auf, wehrend welcher Zeit ich Gelegenheit hatte, fast alle Professoren kennen zu lernen, auch die meisten lesen zu hören.

Die theologische Fakultät besteht gegenwärtig aus 4 Professoren: der älteste derselben, der Abt Carpzov, 2) ist schon zu alt und schwach, um für die Universität noch beträchtlichen Nutzen zu stiften. Indessen liest er, obwohl er schon über 70 Jahre alt ist, doch noch immer einige Collegia.


Desto nützlicher ist der Abt Henke, 3) ein gelehrter und ungemein tätiger Mann, der in großer Achtung steht und unter den theologischen Professoren bei weitem den größten Beifall hat. Ich hospitierte bei ihm in der Kirchengeschichte, die nach Maßgabe der dort nur geringen Zahl der Studierenden ziemlich zahlreich besetzt war, und auch von mehreren juristischen Studenten gehört wird. Sein Vortrag ist fließend, gründlich und deutlich, nur schien er mir doch nicht anziehend und lebhaft genug und überhaupt etwas zu einförmig, auch, wie es mir vorkam, hie und da etwas zu weitläufig. Er wird indessen sehr gern gehört. Er ist erst einige 30 Jahr alt. Unter seinen theologischen Schriften hat ihm besonders seine Kirchengeschichte 4) Ehre gemacht. Der dritte Professor Theol., Abt und Generalsuperintendent Sextroh,5) ist erst kürzlich aus Göttingen hierher berufen. Sein Vortrag ist ebenfalls ziemlich fließend und deutlich, jedoch nicht sehr lebhaft. Er scheint nicht recht zufrieden in Helmstädt zu leben. Wenigstens setzte er in einer mündlichen Unterredung die hiesige Universität gegen Göttingen sehr herunter, und schien es fast zu bedauern, dass er Göttingen verlassen, wo er jedoch nur Prof. extraord. und Prediger war. Hier hingegen soll er sehr gut situiert sein, in dem er, wie mir der Abt Henke versicherte, von seinen drei Posten als Professor, Generalsuperintendent und Abt, eine jährliche feste Einnahme von fast 1.200 Thalern haben soll, ohne was er von Honorariis für seine Kollegien einnimmt. Da er nicht nur in Göttingen Prediger war, sondern es auch wieder in Helmstädt ist, so ist er vorzüglich im Stande, sich um die praktische Bildung der künftigen Prediger verdient zu machen. Auch hörte ich nachmals in Göttingen, dass man von dieser Seite ihn dort ungern vermisste. Zu der Industrie-Schule in Göttingen hat er den ersten Grund gelegt, und den Plan gemacht, wiewohl um die eigentliche Ausführung der dortige Pastor Wagemann bei weitem das größte Verdienst hat, obwohl der Abt Sextroh sich selbst fast einzig und allein alles Verdienst um diese nützliche Stiftung zuschrieb, wie er denn überhaupt von sich selbst eine hohe Meinung zu haben scheint. Als theologischer Schriftsteller ist er noch nicht sehr bekannt Die Pastoraltheologie und andere zur praktischen Bildung eines künftigen Predigers abzweckende Kollegia sind sein Hauptfach.

1) Für die 25 Meilen von Berlin bis Helmstädt brauchte G. also, da er am 16, aufbrach, zwei Reisetage.

2) Johann Benedict Carpzov 1720-1803.

3) H. Ph. K. Henke 1752-1809. Im Tagebuch a. a. O. 171 wird Henke als Gewährsmann für „viele Nachrichten“ über H. erwähnt.

4) Allgem. Geschichte der christlichen Kirche. Braunschweig 1788.

5) Heinrich Philipp Sextroh 1746-1838.


Der vierte theologische Professor Pott 1) ist ebenfalls erst kürzlich aus Göttingen hierher gekommen, woselbst er Privatdozent oder Repetent war. Er ist noch ein junger Mann, und doziert mit vieler Munterkeit und Lebhaftigkeit, daher er sehr gern gehört wird. Sein Vortrag hat recht viel angenehmes, nur hie und da noch etwas jugendliches.

Auch die juristische Fakultät hat jetzt vier Professores ordinarios. Den ersten Professor, Hofrath Frick, 2) konnte ich, da er sehr krank lag, nicht kennen lernen. Doch hörte ich, dass er nur mittelmäßigen Beifall haben soll.

Den bei weitem größten Beifall hat der Hofrath Oelze, 3) der, obwohl nur der 2. Professor in der Ordnung, dennoch Ordinarius oder Direktor der Juristen Fakultät ist, und in dieser Qualität die praktischen Arbeiten der Fakultät, insofern sie als Spruchkollegium zu betrachten, dirigiert. Er wird auch wegen seiner praktischen Arbeiten sehr gerühmt. Der dritte Professor Haeberlin 4) liest vornehmlich das Jus publicum und die Reichshistorie. Er las aber gerade in diesen beiden Tagen nicht, so dass ich nicht Gelegenheit hatte, ihn zu hören. Doch soll er überhaupt nur mittelmäßigen Beifall haben. Den vierten Professor juris Namens Günther 5) hörte ich über die Pandekten lesen. Die Zahl der Zuhörer war freilich nur klein. Indessen hatte ich viel Ursache mit seinem Vortrage zufrieden zu sein. Er ist deutlich, gründlich, und nicht ohne Leben. Er ist übrigens noch ein junger Mann, der auch erst kürzlich Prof. Ordinarius geworden. Aber er wird wegen seines gebildeten Geschmacks und wegen seiner humanistischen Kenntnisse, die er mit der Jurisprudenz verbindet, geschätzt.

1) David Julius Pott 1760 — 1838.

2) Albrecht Philipp Frick 1733 — 1798.

3) Gottlob Eusebius Oeltze 1734 — 1807

4) Karl Friedrich Häberlin 1756 — 1809. Seine Hauptleistungen, das Handbuch des deutschen Staatsrechts nach dem Pütterschen System und die Redaktion der 62 Hefte des Staatsarchivs, fallen erst in das folgende Jahrzehnt.

5) Personalnotizen mir nicht erreichbar.


Die beiden außerordentlichen juristischen Professoren: Eisenhart 1) und Haselberg 2) könnt ich nicht hören, weil die von ihnen angekündigten Kollegia nicht zu Stande gekommen waren, welches mir freilich keine große Idee von ihrem Vortrage machte. Da indessen fast alle Studiosi bei dem Hofrath Oelze hören, so können freilich bei der kleinen Anzahl von Studenten diese jungen juristischen Professoren keinen großen Beifall erwarten. Der Prof. Haselberg ist erst kürzlich von Göttingen, wo er als Doctor legens lebte, hierher berufen worden, und wird von mehreren seiner Kollegen als ein geschürter junger Mann gerühmt.

In der medizinischen Fakultät sind drei Professoren, unter denen nur der einzige Hofrath Beireis 3) mit Beifall liest. Einen fleißigem Professor gibt es schwerlich auf irgend einer Universität. Er liest gewöhnlich 10 bis 12 Kollegia täglich und hat dabei doch noch eine starke Praxis. Er liest nicht nur alle medizinische Kollegia, sondern, da er auch Mitglied der philosophischen Fakultät ist, liest er auch mehrere philosophische, besonders aber auch kameralistische Kollegia. Er wird sehr gern gehört, und wirklich ist sein Vortrag sehr deutlich und angenehm, nur mit gar zu vielem Selbstlob und Verachtung anderer Gelehrten untermischt. Überhaupt ist es zu bedauern, dass dieser Mann, der wirklich sehr ausgebreitete Kenntnisse besitzt und wegen seiner reellen Verdienste von jedem, der ihn kennt, sehr hoch geachtet wird, dennoch durch Eitelkeit hingerissen oft gewissermaßen den Charlatan spielt und sich in und außer seinen Vorlesungen Großsprechereien erlaubt, die kaum einem jungen Mann, geschweige denn einem Mann von seinem Alter (er ist bereits 60 Jahre alt) zu verzeihen sind. Seine Sammlungen von Naturalien, Kunstsachen, Präparaten, Münzen u.s.w. sind äußerst beträchtlich, und voll der Seltenheiten aller Art.

1) Ernst Ludwig August Eisenhardt 1762 — 1808.

2) Wie Anm. 2.

3) Gottfried Christoph Beireis 1730 — 1809, Vgl. das Tagebuch a. a. O. 173-76. Goethe über ihn in den Annalen zu 1805. Jubil. Ausg. 30, 159, 163ff.


Der 2. medizinische Professor Cappel wird gar nicht geachtet.

Der 3. Prof. Bergrath Grell 1) ist durch seine Schriften als Chemikus berühmt. Aber so großen Ruhm er in diesem Fach hat, so kömmt doch selten sein Kollegium über die Chemie zu Stande, weil die Chemie auch von Beireis gelesen wird, bei dem die Studenten sie lieber hören. Man sagte mir, Crells Vortrag habe etwas unangenehmes, wiewohl vielleicht auch die große Vorliebe der Studenten für Beireis die Ursache sein kann, dass Grell als Professor nicht geachtet wird.

In der philosophischen Fakultät sind mehrere geschickte Dozenten. Der Prof. der Geschichte Remer 2) liest mit Beifall und hat einen angenehmen muntern Vortrag. Der Prof. Schulze, 3) der erst kürzlich aus Wittenberg hierher berufen worden, liest die eigentlichen philosophischen Kollegia ebenfalls mit vielem Beifall. Sein Vortrag ist deutlich und lebhaft, nur fast etwas zu laut.

Der Prof. Pfaff 4) ist erst kürzlich als Lehrer der Mathematik angesetzt worden. Er ist ein noch sehr junger Mann, wird aber wegen seiner Geschicklichkeit sehr von seinen Kollegen geachtet. Ich könnt ihn nicht hören, weil die von ihm angekündigte Mathesis applicata aus Mangel an Zuhörern nicht zu Stande gekommen war. Nach der mündlichen Konversation zu urteilen, glaube ich indessen, dass sein Vortrag nicht unangenehm sein kann. Bei dem Prof. Wideburg 5) hospitierte ich in einem Disputatorio. Er spricht ziemlich fertig und fließend Latein, auch half er den Disputierenden mehrenteils recht gut zu recht. Dieser Mann dirigiert zugleich ein pädagogisch-philologisches Seminarium, dessen Mitglieder Lehrer des sogenannten Pädagogiums sind. Dis Pädagogium soll teils eine Gelehrten-Schule sein, in welche die Scholaren aus der Stadtschule, von der übrigens dis Institut abgesondert ist, versetzt werden, teils eine Übungsanstalt für künftige Schulmänner. Die ältesten Mitglieder des philologischen Seminariums sind Lehrer an diesem Institut, und bekommen eine kleine Besoldung. Ich hörte zwei von diesen jungen Leuten dozieren, die zwar von dem Prof. Wiedeburg sehr gerühmt wurden, mir jedoch sehr wenig Genüge taten, und nur wenig Bekanntschaft mit den neuern Verbesserungen der Methode zeigten. Auch war die Zahl der in zwei Klassen verteilten Schüler nur gering.

Den berühmten Orientalisten Prof. Bruns 6) hörte ich in einem Hebraico über den Propheten Jesaias. So gelehrt dieser Mann ist, so unangenehm ist doch sein Vortrag, vornehml. wegen des gar zu monotonischen und schreienden Tons der Stimme. Auch liest er fast alles vom Papier, wenigstens sieht er seinen Zuhörern nicht freimütig ins Gesicht. Es ist Schade, dass dieser wegen seiner Gelehrsamkeit und seines Charakters äußerst schätzbare Mann keinen bessern Vortrag hat. Indessen können diejenigen Studenten, die sich darüber wegsetzen, sehr viel bei ihm lernen.

Die Universität hat außer ihm noch einen andern großen Orientalisten an dem Prof. Bode, 7) der aber für die Universität ganz unnütz ist. Schon seit langer Zeit kündigt er seine Vorlesungen ohne allen Erfolg an.

1) L. F. F. V. Grell 1744 — 1816, ging 1810 nach Göttingen.

2) Julius August Remer 1736 — 1803. Vgl. Wachler, Gesch. der hist. Forschung II, 809

3) Wie S. 8 A. 2.

4) Johann Friedrich Pfaff 1765 — 1825, 1810 nach Halle versetzt

5) Friedrich August Wiedeburg 1751 — 1815, blieb nach Auflösung der Universität in Helmstadt als Leiter des Pädagogiums.

6) Paul Jakob Bruns (1743 — 1814) wurde trotz dieser Empfehlung 1810 nach Halle berufen.

7) Christof August Bode 1722 — 1796.


Der Professor eloquentiae et poeseos Hofrath Wernsdorf, 1) ist ein ungemein gelehrter Mann, aber schon bejahrt. Indessen hat er auch in jüngeren Jahren wenig Beifall gehabt, daher denn überhaupt das humanistische Studium hier sehr in Verfall ist.

Zwar liest auch der jüngere Wernsdorf als Prof. extraord. (ein Sohn des vorhergehenden) humanistische Kollegia, aber mit noch wenigerm Erfolg als sein Vater.

Andere Privatdozenten gibt es gegenwärtig in Helmstädt nicht. Bei der kleinen Zahl der Studenten können sie auch nicht recht substitiren.

Die Zahl der Studenten in Helmstädt beläuft sich ohngefähr auf 150, höchstens 160, worunter etwa 12 Mediziner sind. Die Theologen und Juristen sind ohngefähr in gleicher Anzahl.

Alle Braunschweigische Landeskinder müssen zwei Jahr hier studieren, und wenn sie nachmals noch eine fremde Universität besuchen wollen, müssen sie dazu Erlaubnis suchen.

Es sind hier für die Studiosi beträchtliche Beneficia. Der größte Teil genießt den öffentlichen Freitisch. Durch Entziehung desselben auf immer oder auf einige Zeit werden manche Exzesse bestraft, und die Furcht dieser Strafe hindert manche Unordnungen.

Der Ton unter den Studenten ist ziemlich gesittet. Dazu trägt, wie mir mehrere Professoren sagten, die seit einigen Jahren eingeführte halbjährige Censur-Conferenz sehr viel bei. Es werden nämlich in Gegenwart aller Professoren die Namen aller Studenten verlesen, und die Urteile und Erinnerungen jedes Professors über einen oder den andern niedergeschrieben. Die einer Erinnerung bedürftigen Studenten werden dann nochmals vor ein sogenanntes Privat-Consistorium, das aus dem Prorektor und Dekanen besteht, gefordert, wo ihnen über die in ihrem sittlichen Betragen und Fleiß bemerkten Mängel die nöthigen Erinnerungen und Warnungen erteilt werden.

Die Studenten -Orden blühten hier noch vor kurzem sehr. Es fand sogar eine Verbindung zwischen den hiesigen und Göttingischen Ordensbrüdern Statt, und zwischen beiden Universitäten wurden zum öfteren förmliche Rendezvous bestimmt. Die Professoren glauben, dass diese Ordenssucht jetzt ziemlich unterdrückt sei, und wollen dis vornehmt dadurch bewirkt haben, dass sie diese Verbindungen auf alle mögt Art lächerlich zu machen suchten.

Alle halbe Jahr muss jeder Professor bei dem Curator eine Liste seiner Zuhörer mit Bemerkung derer, die sich durch besondern Fleiß oder besondre Nachlässigkeit ausgezeichnet, einsenden.

1) Johann Christian Wernsdorf 1723 — 1793. Allg. deutsche Biographie XLII, 98 ff.

Die Kollegia frei zu geben ist den Professoren förmlich verboten. Bloß solchen Studenten dürfen sie das Honorarium erlassen, die ein gerichtliches Zeugnis der Armut produzieren.

Die Besoldungen der Professoren sind hier größtenteils sehr gut. Besonders sind die theologischen Professoren gut situiert, indem immer drei von ihnen Äbte sind. Die juristische Fakultät bekömmt von auswärts ziemlich viel Akten zugeschickt. Auch die Professores extraordinarii genießen hier schon großenteils eine Besoldung. Professor Günther bekam als extraord. schon 300 Thaler, jetzt als Ordinarius 400.

Die Universitäts-Bibliothek ist nicht beträchtlich. Auch ist der jährliche Fonds nur gering, kaum 200 Thaler. Das Theatrum anatomicum ist klein und dunkel. Auch wird nicht genug für Cadavers gesorgt, deren jährlich nur wenige hierher geliefert werden. Der botanische Garten ist unter Aufsicht des Hofrath Beireis in gutem Zustande, und enthält eine beträchtliche Zahl von Gewächsen, die jährlich vermehrt wird.

Öffentliche Institute sind hier:

1) Das Seminarium theologicum. Ein schriftlicher Aufsatz des H. Abt Henke in der Beilage (litt. B.) gibt hiervon nähere Nachricht.

2) Das Seminarium philologico paedagogicum unter Aufsicht des Prof. Wideburg. Mir gefiel an diesem Institut vornehmlich das, dass die Seminaristen nicht bloß zu Philologen, sondern zu wirklichen Schulmännern durch praktische Übungen im Unterrichten gebildet werden. Von der Einrichtung dieses Instituts findet sich ausführlichere Nachricht in den gedruckten Nachrichten des Prof. Wideburg, die ich in dem Volumine der mitgebrachten gedruckten Sachen mit beigelegt.

3) Die deutsche Gesellschaft ist eigentlich ein Institut zur Übung im Deutschen Stil unter Aufsicht des Prof. Wideburg, das jedoch wenig leistet.

In dem Volumine gedruckter Sachen habe ich einige Lektionskatalogen wie auch die akademischen Gesetze u.s.w. beigelegt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Universitäts-Bereiser