Erfurt

Von keiner Universität kann ich so wenig, und lässt sich überhaupt so wenig sagen, als von dieser. In der Tat ist es die unbedeutendste Universität unter allen, die ich auf dieser Reise gesehen. Auch ist die Frequenz sehr gering. Sie hat in allem, katholische und protestantische Studenten zusammengenommen, nicht hundert, und doch sind unter diesen hundert nicht fünfzig, die, um dort zu studieren und Kollegia zu hören, da sind. Denn man rechnet hier eine Menge Menschen mit zu den Studenten, die keine Kollegia mehr hören, sondern als Informatoren oder in andern Situationen leben. Die kleine unbedeutende Universität verliert sich in der großen öden Stadt, und man kann mehrere Tage sich hier aufhalten, ohne zu merken, dass man in einer Universitätsstadt ist.

So klein die Zahl der Studenten ist, so groß ist doch die Zahl der Professoren, in allem 40. Aber nirgends kosten auch einer Universität ihre Professoren so wenig als hier. Nirgends sind armseligere Besoldungen. Daher ist unter den Professoren fast kein einziger Mann von ausgebreitetem Ruf. Es gibt hier Professorbesoldungen von 50 Gulden, viele von hundert oder 150 Gulden. Daher haben denn auch fast alle Professoren noch Nebenämter, oder richtiger das Professorat ist bei allen nur ein Nebenamt Die katholischen Professoren bei der theologischen und philosophischen Fakultät sind größtenteils Mönche aus den hiesigen Klöstern, die lutherischen Theologen sind Prediger, die juristischen Professoren, wie auch mehrere von der philosophischen Fakultät, haben bürgerliche Bedienungen, die medizinischen Professoren sehen ihre Praxis als die Hauptsache an, und die Philosophen sind ebenfalls teils Mönche, teils bürgerliche Beamten, teils Schullehrer von den dortigen öffentlichen Schulen. Alle Professoren des dortigen Gymnasiums sind zugleich Professoren bei der Universität. Unter der Regierung des vorigen Kurfürsten von Mainz 1) wurden einige außerordentliche nicht unbeträchtliche Besoldungen ausgesetzt, wofür man einige Protestantische Gelehrte anstellte. Durch diese Männer [unter ihnen war Wieland 2) und Meusel 3)] bekam die Universität einigen Ruf und fing an, sich zu heben. Aber als diese Männer abgingen, zog man die Besoldungen größtenteils wieder ein. An berühmte Gelehrte unter den hiesigen Professoren ist daher gar nicht zu denken. Die Kollegia werden nachlässig gelesen und nachlässig besucht. Wer etwas gründlicher lernen will, kann hier sein Studieren nicht absolvieren. Die meisten Studenten besuchen daher noch andre Universitäten. Indessen sind doch die Landeskinder durchaus verbunden, zwei Jahre entweder hier oder in Mainz zu studieren. Die Beneficia ziehen noch manchen her. Unter andern gibt es hier einige sogenannte Collegia oder Bursae, in denen eine bestimmte Anzahl von Studenten freie Wohnung und etwa 40 Gulden jährlich bekömmt, dergleichen sind das Collegium Saxonicum, die Porta coeli für geborne Soester u. s. w.


Die unmittelbare Aufsicht über die Universität führt eine hier befindliche akademische Kommission, die aus zwei Räten der hiesigen Regierung und dem Coadjutor besteht. An diese akademische Kommission muss jeder Professor monatlich berichten und eine tabellarische Beurteilung seiner Zuhörer einreichen. Diese Tabellen werden dann von der akademischen Kommission nach Mainz gesandt. Wenn das Rektorat der Universität in der Reihe auf einen Mönch fällt, so muss diese akademische Kommission gewöhnlich dem Rektor zu Hilfe kommen.

Was hier noch gutes geschieht, das ist einzig das Verdienst des vortrefflichen Koadjutors von Dalberg.4) Er interessiert sich mit lebhaften (!) und einsichtsvollen (!) Eifer für die Verbesserung der Universität und des eben so verfallnen Schulwesens. Aber er hat gegen viele Vorurteile, gegen verjährte Observanzen und — was das wichtigste ist — gegen einen gar zu auffallenden Mangel an Fonds zu kämpfen. Aber man kann mit Recht erwarten, dass unter der künftigen Regierung dieses edlen, einsichtsvollen Herrn, dem ich die angenehmsten und lehrreichsten Stunden während meines kurzen Aufenthalts in Erfurt zu danken habe, auch diese fast erstorbene Universität ein neues Leben bekommen werde.

1) Emmerich Joseph v. Breidenbach, gest. 1774.

2) 1769-1772

3) Vor seiner Berufung nach Erlangen (s. o. S. 74 A. 1), 1769-1779.

4) Karl Theodor v. Dahlberg 1744-1817, war seit 1772 Statthalter in Erfurt, seit 1787 Koadjutor.


Den meisten Beifall (wenn man hier von Beifall reden kann) hat unter den hiesigen Professoren der Prof. Loßius. 1) Er hat kein Nebenamt, ist aber nicht nur lutherischer Prof. der Theologie, sondern auch der Philosophie.

Der junge Prof. Bellermann, 2) der zugleich Professor am Gymnasium ist, soll ebenfalls ein guter Dozent sein. Wenigstens ist er im Umgange sehr unterhaltend und lebhaft.

Unter den Juristen wird der junge Prof. Weißenborn 3) am meisten gerühmt, der jedoch mir selbst versicherte, dass er des akademischen Lebens müde sei und sich um ein bürgerliches Amt bewerben wolle.

Ich war gerade an einem Sonnabend 4) in Erfurt. An diesem Tage liest niemand, daher ich niemanden hier hören konnte. Und doch hatte ich von dem schlechten Zustande der Universität und von dem schlechten Vortrage der meisten Professoren 5) zuviel gehört, als dass ich mich zu einem langem Aufenthalt hätte entschließen können.

1) Johann Christian Lossius 1743-1813.

2) Joh. Joachim Bellermann 1754-1842, ging 1804 als Gymnasialdirektor nach Berlin. Seine bei der vierhundertjährigen Jubelfeier der Universität (1792) gehaltene Festrede bei Jakob Dominikus, Zum Andenken der vierten akad. Jubelfeier (Erfurt 1792) S. 85 ff., zeigt, mit Gedikes Bericht verglichen, wie sich der Schein zum Wesen verhält.

3) Johann Friedrich Weißenborn 1750-1799.

4) 25. Juli. Vgl. oben S. 74 A. 5.

5) Es ist zu bedauern, dass Gedike kein Wort über den Erfurter Historiker Jakob Dominikus (1762-1819) sagt, Dalbergs Vertrauensmann, der sich als einer der ersten warmen Bewunderer der universal-historischen Übersicht Schillers im ersten Bande der Memoires in einem leider verschollenen Briefe an diesen ein Andenken gestiftet hat. Vgl. Schiller an Karoline 15. Mai 1790 in Schillers Briefen, herausgegeben von Jonas III, 76. Auch in Karolines Briefen an Schiller begegnet er wiederholt.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Universitäts-Bereiser
Erfurt, Anger mit Brunnen

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Erfurt, Augustiner-Kloster

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Erfurt, Dämmchen

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Erfurt, Fischmarkt mit Rathaus

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ERfurt, Hinter der Krämerbrücke

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Erfurt, Lutherdenkmal

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Erfurt, Rathaus

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Erfurt, Rathausbrücke

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Erfurt, Stadtansicht

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