Bericht

In welchem Sinne sich Gedike seines Auftrages entledigt hat, sagt er am besten uns selbst Wenn er in dem Begleitschreiben an Friedrich Wilhelm II. hervorhob, dass er nunmehr jederzeit imstande sei, „die über irgend eine Sache oder Person künftig etwa erforderlichen Nachrichten auf eine glaubwürdige Art einzuziehen“, so stellen schon die in 7 Reisewochen 1) eingezogenen Informationen dem Fleiße wie der Umsicht des Berichterstatters das beste Zeugnis aus. Der praktische Schulmann verleugnet sich freilich keinen Augenblick. Mit dem Famulus Wagner scheint er der Oberzeugung zu leben, dass der Vortrag des Meisters Glück mache. Auch wo ihm ein sachkundiges Urteil zusteht, setzt er das Wissenschaftliche häufig voraus und beschränkt sich auf die Äußerlichkeiten des Vortrags der gehörten Dozenten. Keiner ist dabei schlechter gefahren als Schiller. Seine „schwäbische Aussprache und die verwünschte Art, wie er alles deklamiert“, hatte nach seines Jugendfreundes Andreas Streicher Erzählung 2) bereits den Misserfolg seiner ersten Fieskovorlesung vor den Mannheimer Schauspielern verschuldet. Die Hörer des Dramatikers von 1782 fanden, dass „er alles in dem nämlichen hochtrabenden Ton hersage, ob es heiße: „Er macht die Thüre zu“, oder ob es eine Hauptstelle seines Helden sei“. Der Hörer von 1789 tadelt genau so den pathetischen deklamalorischen Ton des Professors, der häufig zu den Simpeln historischen und geographischen Tatsachen gar nicht passe. Auch auf dem Katheder hatte Schiller, wie man sieh!, den Dialektfehler nicht abgelegt. Aber während der Mannheimer Regisseur sein erstes Urteil nach der Lektüre des Fiesko nachträglich modifiziert und berichtigt, versäumt es Gedike, auf den Inhalt der Vorlesung einzugehen, ohne hier wie sonst seine Entschuldigung darin zu finden, dass der wissenschaftliche Ruf des Dozenten als bekannt vorausgesetzt wird. Denn auch er sieht wie der Jenaer Student in Schüler nur den „bekannten theatralischen Dichter“, hätte also doch wohl in diesem Falle die Verpflichtung gehabt, die wissenschaftliche Eigenart des Verfassers eines historischen Buches von der Bedeutung des „Abfalls der Niederlande“ auf dem Katheder etwas näher zu charakterisieren. Wenn er tadelnd bemerkt, Schillers Vorlesung sei mehr eine Rede als ein unterrichtender Vortrag gewesen, so stellt er sich als Mann der Praxis ganz auf den Standpunkt des Durchschnittsstudenten, für den nach dem Urteil eines freundlicheren Hörers 3) Schillers Vortrag „viel zu gut“ war, hält auch er „Lernen, nicht Denken und Genießen“ für den Zweck jeder Vorlesung. Mit Recht meinte Körner, als im zweiten Semester der Erfolg dem Freunde nicht treu blieb: „in einer Hauptstadt für einen Zirkel gebildeter Menschen, die den philosophischen Geist und die Schönheit der Darstellung in der Geschichte zu schätzen wissen, wären Deine Vorlesungen an ihrem Platze, Jena ist kein Himmelsstrich für solche Blumen“. Aber Gedike hat das Seinige getan, dem Historiker Schiller den Weg nach der Hauptstadt und zu den größeren Universitäten Preußens zu versperren. Noch am 4. November 1789 setzte Schiller auf den „Universitätsbereiser“ Hoffnungen, die der Bericht vom 17. Dezember grausam zerstörte. Eröffnet uns somit Gedike schon 1789 einen keineswegs tröstlichen Ausblick auf die Dornen der akademischen Laufbahn unseres größten Dramatikers, in die Jahre des vergeblichen Harrens, der Überarbeitung und bitteren Not, so dürfen wir ihm doch dankbar sein, dass er ohne jede Tendenz zur Beschönigung schildert, was er gesehen, gehört und erkundigt hat. Als kulturgeschichtliches Denkmal ersten Ranges würde sein Bericht, von der berührten Einseitigkeit abgesehen, nichts zu wünschen übrig lassen, wenn er sich auf alle außerpreußischen Universitäten deutscher Zunge erstreckte. Wie lehrreich ist schon der Abstecher des Aufklärers in das katholische aufgeklärte Mainz, wie überraschend der Kontrast zwischen Mainz und Heidelberg in der Epoche seines tiefsten Verfalls. Bis auf Leipzig und Wittenberg, die wegen der Eile des Heimwärtsstrebenden etwas zu kurz gekommen sind, ist die Physiognomie jeder von Gedike besuchten Hochschule plastisch herausgearbeitet, 4) der Verfall in Heidelberg, Altdorf und Erfurt, die Stagnation in Helmstädt, Marburg, Gießen, Erlangen, selbstgenügsames Beharren in Tübingen, die Anfänge neuer Blüte in Jena, künstliches Gedeihen in Stuttgart und sattes Machtbewusstsein in Göttingen. Die Universitätsreklame prallt an dem Berichterstatter völlig ab. Schon im zweiten Göttinger Kapitel wird er des trockenen Tones satt. Einen Kauz wie den Helmstädter Wundermann Beireis hat er noch viel zu ernst genommen, so dass man in Gedanken immer Goethes launiges Porträt in den Annalen nur Ergänzung daneben halten muss, während schon in der Charakteristik Göttingens und seines esprit de corps ein gewisser trockener Humor zu seinem Rechte kommt.

Ich muss es dahingestellt sein lassen, inwieweit Gedikes Bericht spätere Berufungen beeinflusst hat 5) So äußerlich seine Personalnotizen in der Regel sind, wird man doch auch sie als Beitrag zur Gelehrtengeschichte willkommen heißen. Alles in allem verdanken wir ihm einen Komplex von Nachrichten, die wir in anderen Quellen jener Zeit vergebens suchen. 6) Sie in den Zusammenhang der Geschichte der Universitäten einzuordnen, kann ebensowenig die Aufgabe dieser einleitenden Bemerkungen wie der Anmerkungen sein, die sich, da der Bericht sich selbst erklärt, auf kurze Ergänzungen beschränken.


1) Vom 16. Juni bis 1. August. Tagebuch bei Horn S. 171. 204 ½ Meilen mit Extrapost (Berlin -Helmstädt 25, Helmstädt -Oöttingen 16, Oöttingen -Marburg 15, Marburg-Gießen 3, Gießen -Mainz 11, Mainz -Heidelberg 12, Heidelberg-Stuttgart 11, Stuttgart -Tübingen 4, Tübingen -Altdorf 31, Altdorf -Erlangen 6, Erlangen -Erfurt 32, Erfurt-Jena 5, Jena-Leipzig 9Vj, Leipzig -Wittenberg 8, Wittenberg -Berlin 13). Die ausgesetzten Diäten, ein Taler pro Meile, reichten nicht, da allein die Auslagen für die Extrapost 189 Taler 23 betrugen. (Nach der Liquidation bei den Akten).

2) Schillers Flucht von Stuttgart, zuletzt wieder abgedruckt bei Hecker. Schillers Persönlichkeit, Urteile der Zeitgenossen 1904. S. 226.

3) Körner an Schiller 17. November 1789. Briefwechsel 3. August von L. Geiger II, 96.

4) „Jede der deutschen Akademien hat eine besondere Gestalt: denn, weil in unserem Vaterlande keine allgemeine Bildung durchdringen kann, so beharrt jeder Ort auf seiner Art und Weise und treibt seine charakteristischen Eigenschaften bis aufs letzte; eben dieses gilt auch von den Akademien.“ Goethe, Dichtung u. Wahrheit, 6. Buch.

5) Spätere Berufungen an preußische und andere Universitäten sind in den Anmerkungen notiert. Die Fluktuation nach Preußen war danach eine relativ geringe.

6) Nur über Tübingen ist Nicolai im 11. Bande seiner Reisebeschreibung weit ausführlicher.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Universitäts-Bereiser