Der Türkensteig bei St. Veit a. d. Glan

Autor: Ueberlieferung
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In der Nähe der alten Herzogstadt St. Veit erhebt sich auf einem kegelförmigen Hügel die Ruine der alten Burg Taggenbrunn.

Zur Zeit der Kreuzzüge lebte dort der geachtete Ritter Heinrich von Taggenbrunn mit seiner frommen Gemahlin Hildegard. Wie so viele andere seiner Standesgenossen entschloß sich auch Heinrich, zum Kampf gegen die Ungläubigen auszuziehen. Widerspruchslos unterwarf sich Hildegard dem Willen ihres geliebten Ehemannes und bereitete mit fraulicher Umsicht den nötigen Reisebedarf vor. Neben anderen notwendigen Kleidungsstücken gab ihm die Frau auch ein schneeweißes Leinenhemd mit auf den Weg mit den Worten: »Dieses weiße Hemd möge dich stets an meine immerwährende Treue erinnern; trage es immer am Leib!« So zog Heinrich in das Heilige Land fort.

Bei einem unglücklichen Gefecht fiel der Ritter in die Hände des Sultans und wurde mit anderen Gefangenen zu den niedrigsten Arbeiten verwendet; er mußte sogar wie ein Zugtier den Pflug durch die Äcker ziehen und wurde wie ein solches mit Schlägen und Peitschenhieben angetrieben, wenn er schweißbedeckt nicht mehr weiterkonnte oder vor Mattigkeit umzusinken drohte. Trotz Schweiß und mancher blutrünstiger Schwielen, die von den Geißelhieben herrührten, trotz Regen, Schmutz, Kälte und Sonnenschein blieb sein Hemd wunderbarerweise immer rein, was bald allgemein bekannt war. Auch der Sultan hörte die seltsame Kunde. Er ließ den Ritter zu sich kommen und befragte ihn, woher er dieses Kleidungsstück habe und warum es nicht wie andere Hemden schmutzig werde.

Da antwortete Heinrich von Taggenbrunn: »Als ich aus der Heimat fortzog, gab mir meine Ehegattin dieses Hemd mit und sagte, an seiner Reinheit würde ich stets ihre Treue erkennen. An der weißen Farbe magst du sehen, daß meine Ehefrau rein und tugendhaft ist und in Treue meiner Rückkehr harrt.« Der Sultan wollte die Treue der Rittersfrau auf die Probe stellen und schickte einen verläßlichen Mann in die Heimat des Ritters, der mit großen Geldmitteln und reichlichen Geschenken versehen war, um die Frau zur Untreue zu verleiten. Gelinge dies, meinte der Sultan, so müßte es sogleich an einer Veränderung des Hemdes bemerkbar sein.

Auf der Burg Taggenbrunn angekommen, erzählte der Sendbote des Sultans, welch trauriges Los dem Ehegatten Hildegards in der Gefangenschaft widerfahren sei, und versetzte dadurch die Gattin des Ritters in tiefe Trauer und Betrübnis. Aber all seine Versuche, Hildegard von ihrer Liebe zum Ehegatten abzubringen, mißlangen, und er mußte endlich erfolglos in sein Land zurückkehren.

Nun hüllte sich Frau Hildegard in ein Mönchsgewand und zog mit einer Laute, die sie meisterhaft zu spielen verstand, in das Morgenland. Bald hatte sie den türkischen Sendling eingeholt, der sie nicht erkannte, und machte an seiner Seite den Weg in das Morgenland, wo sie gut ankam. Dort ließ sie ihr Lautenspiel in den Häusern der Vornehmen ertönen, fand überall Beifall und spielte eines Tages auch vor dem Sultan Dieser war über ihr schönes Spiel so begeistert, daß er ihr die Erfüllung eines Wunsches versprach. Hocherfreut bat sie um einen der christlichen Gefangenen, die im Pflüge gingen. sie durfte sich einen davon auswählen und fand bald den geliebten Ehemann, den sie nun zum Geschenk erhielt Gemeinsam reisten die beiden nach der Heimat, wobei Hildegard noch immer ihre Verkleidung nicht ablegte, so daß der Gatte sie nicht erkannte und als seinen Freund betrachtete. In der Gegend von Laibach trennten sie sich, und der angebliche Mönch sagte:

»Hier, lieber Freund, scheiden sich unsere Wege; gib mir zum Andenken an unsere gemeinsame Reise ein Stück Linnen von deinem Hemd.« Gern erfüllte Heinrich diesen Wunsch und verabschiedete sich mit herzlichen Dankesworten von seinem Wohltäter.

Hildegard zog nun allein ihren Weg weiter und kam früher als der Ehemann auf die heimatliche Burg. Hier legte sie ihr Mönchsgewand ab, schlüpfte wieder in Frauenkleider und erwartete den Gatten. Aufs herzlichste wurde der Heimkehrende empfangen, Frohsinn und Freude zogen auf der Ritterburg ein. Doch nicht lange währte das ungetrübte Glück. Böswillige Neider trugen Heinrich die Nachricht zu, seine Ehefrau habe während seiner Abwesenheit die Burg verlassen und sei wie ein leichtfertiges Frauenzimner monatelang in der Welt herumgezogen. Nagende Zweifel an der Treue der Ehefrau schlichen sich in das Herz des mißtrauischen Ritters. Eines Tages beschloß er, sich Gewißheit zu verschaffen, und stellte seine Frau zur Rede. Schweigend verließ sie den Saal. Nach einiger Zeit erschien sie wieder, als Mönch gekleidet, die Laute in der Hand und ein Stück des weißen Hemdes, daß ihr der Ritter, als sie voneinander schieden, gegeben hatte. Mit bebenden Worten erzählte sie dem erstaunt aufhorchenden Ehemann von ihrer Reise ins Morgenland und wie sie es gewesen, die ihn aus der schmachvollen Gefangenschaft befreit habe. Zum Beweis ihrer Worte wies sie ihm das Stück Linnen vor, das sie beim Abschied von ihm erbeten habe. Zutiefst gerührt von der opferwilligen Treue seiner Ehefrau, bat sie der Ritter mit Tränen in den Augen um Verzeihung für seinen Argwohn, und alle Verleumder und Ankläger verstummten und wagten sich nicht mehr unter ihre Augen. Der Friede kehrte wieder in die Burg ein, und Heinrich und Hildegard lebten noch lange Zeit in ungestörtem Glück.

Noch heute heißt ein Fußweg südlich der Stadt St. Veit »der Türkensteig«. Dort soll der Bote des Sultans über den Berg gestiegen sein, um nach der Burg Taggenbrunn zu kommen.