Der Tod des Clowns Humsti – Skizze

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 18. 1927
Autor: Hans Schoenfeld, Erscheinungsjahr: 1927

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Zirkus, Clown, Spaßmacher, Artist, Publikum, Animateur, Freude,
Als der Clown Bumsti während der Rundreise des Zirkus Algarotti in Südamerika vom wütenden Stier bei einem Toreadorengefecht unversehens getötet wurde, glaubte sein Kumpan Humsti, die gewaltsame Lösung ihrer berühmten Doppelrolle nicht lange überstehen zu können. Hatten die zwei Spaßmacher sich auch nicht sonderlich nahegestanden, ja sich heimlich Duckmäuser, Zänker, Nörgler benamst, so merkte der kleine Humsti erst an dem Fehlen Bumstis, wie sehr sie ihre Abseitigkeit im menschlichen Leben und ihr gemeinsamer Beruf doch aufeinander angewiesen hatten.

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Humsti gab also seinem Leben keine zwei Jahre mehr. Und doch hatte er noch kaum die Fünfzig überschritten. Wenn er nachrechnete, wie lange Bumsti nun schon auf dem Kirchhof von Fray Bentos lag, so kam er auf fünf Jahre, in denen er seine Alleinrolle auch ohne den Gegenspieler recht und schlecht versehen hatte. Zwar stand er wie alle Stiefkinder der Natur dem Leben gallig gegenüber und hielt sich für den Gevatter Tod jederzeit bereit; doch musste er sich gestehen, dass seit Bumstis Hingang das Leben nach den schweren Wochen der Niedergeschlagenheit über Vereinsamung
und unerträglich werdende Alleinspaßmacherei noch seine Annehmlichkeiten gezeigt habe. Das Publikum blieb ihm treu auch ohne Bumsti.

Aber seit einiger Zeit fühlte Humsti sein Stündlein nahen. Das Herz tat nicht mehr mit. Die Glieder, so winzig und leicht sie waren, waren wie Blei. Abends schlich sich das Fieber wie ein tückischer Wolf heran, und die armen Lungen gaben nur mit Mühe die Sprünge, Krächzlaute und das Heisahopsasa der Klownsintermezzi her. Ruhe wäre Erlösung gewesen. Aber Humsti hatte Angst. Er kannte sich und die Verhältnisse beim Zirkus zu gut. Wenn er ausspannte — ein paar Tage nur, eine Woche oder zwei —, war's so gut wie aus mit der Zirkusherrlichkeit und mit dem Leben überhaupt. Aber so sang- und klanglos trat der Spaßmacher des Zirkus Algarotti, den die Tradition eines Menschenalters mit dem berühmten Unternehmen aufs tiefste verband, von der Narrenbühne des Lebens nicht ab.

Artistenblut rollte auch in des alten Humsti Adern. Er hatte es an Mensch und Tier mit der resignierten Weisheit des Lebenskenners hundertfältig mitangesehen: In den Sielen sterben mit Anstand oder — wie es dem Clown zukommt — mit einem Peitschenschlag auf Freund Hein, das ist für unsereins der beste Abgang.

Eines Abends, mitten im Juhu, spürte Humsti etwas Feuchtes, Süßliches im Munde. Er erschrak. Auch ohne heimlich mit dem Finger nachzutupfen und die unerträgliche Farbe des Auswurfs festzustellen, wusste er: das ist Blut. Junge — jetzt wirds Ernst. Nein, im Blutsturz wollte er nicht zusammenbrechen und wie der Torerogaul hinausgeschleift werden. Solche Aufregung verdiente sein Publikum nicht. Warum Frauen und Kinder schrecken und eine hässliche Todesszene dem ohnehin bedrückten Menschenvolk ausgerechnet durch den Spaßmacher vorsetzen? Nein, so geht es nicht mit uns, Gevatter Tod! sprach Humsti, der allein viel mit sich redete, auf dem Nachhauseweg.

Die Direktion hatte ihm nahegelegt, sich zu schonen. Der alte Humsti ließ sich durch schöne Worte nicht täuschen. Er gehörte nach dem Urteil der Direktion zum alten Eisen. Clownersatz tat not. Ein zwergenhafter Spaßmacher ist eben mit Fünfzig verbraucht. Bumstis Abgang war großartig, eines Artisten wert und zum Ruhme des Hauses Algarotti gewesen. Gnadenbrot wünschte Humsti, der sich um nichts schlechter fühlte als der allzeit mit Ehren von der Firma genannte Bumsti, nicht von seinem Brotherrn zu nehmen. Die Zeiten nach dem Kriege waren schlecht. Die Direktion hatte es auch nicht übrig, ein Menschenwrack mit durchzuschleppen. Und Humsti blieb Artist. Er wünschte sich einen Abgang, der dem Hause Kosten sparte, dem Zirkus Ehre, dem Publikum eitel Vergnügen machte und ihn zu Gevatter Beinlein führte auf die Art, wie es Clown Humsti und nicht der Knochenmann wünschte. Soviel Freiheit behielt auch ein Narr über sein eigenes fragwürdiges Leben.

Humsti nahm den dargebotenen Urlaub also nur unter der Bedingung an, dass er sich einen neuen Trick überlegen und alle Vorbereitungen dazu treffen wolle. Man möge im Programm nur darauf hinweisen. Der Direktion, die in Bluff und Reklame lebte, war es schon recht; mochte es dann gehen, wie es wollte. In seiner kleinen, sauberen Wohnung setzte sich der kranke Spaßmacher, der im Leben ein verteufelt ernster, selten lachender und sehr solider Mann mit der einzigen Schwäche war, sich wie ein Stutzer zu kleiden und die großen Geschäftsstraßen der Städte, in denen Algarottis Gastrollen gaben, fleißig auf und ab zu flanieren, in seinen mächtigen Klubsessel und dachte nach. Die halbe Nacht blieb er bei abgedrehtem Licht in diesem Möbel hocken, das ihn fast verschlang. Die Alte hatte höllisch eingekachelt. Trotzdem fror Humsti. Er schaute melancholisch zum vollen Mond hinauf, nickte ihm zu und kehrte zu seinen Gedanken zurück. Es wollte ihm nicht gelingen, einen Trick zu finden, der zugkräftig war, seine Lunge, Herz und Glieder schonte und ihn bei guter Gelegenheit sanft in die jenseitigen Gefilde . . . und beiläufig zum lange wartenden Bumsti führte. Etwas ganz Ausgefallenes musste es sein, das stand dem alten Artisten bombenfest. Für ihn persönlich würde das Neue ein Spiel mit dem Tode, ein Daransetzen des Lebens bedeuten. Glückt‘s, schlägt man dem Knochenmann ein Schnippchen, geht's aufs Ganze — auch gut!

Aber einstweilen gingen die Gedanken beharrlich ihre eigenen Wege rückwärts. Da zog eine bunte Karawane am Auge des fiebernden alten Clowns vorbei: der zahme Eber, den er geritten, die Gänse, die er dressiert hatte, all die Gäule, zwischen deren Kunststücken im Galopp mit der reifenspringenden Tänzerin obenauf er seine ablenkenden Späße eingeschoben hatte; die berühmte Doppeltür fehlte nicht, in die Humsti-Bumsti hineingingen, ohne wieder herauszukommen, während die Zehntausende, die dies spurlose, nie aufgeklärte Verschwinden nachkontrollierten, brav zur nächsten Tür hinausgingen, weil ihnen nichts anderes übrigblieb.

Der alte Humsti lächelte in Erinnerung an die wochenlange gewaltige Verblüffung und Verärgerung des p. t. Publikums. Er kroch fröstelnd enger in sich hinein, rollte sich wie ein Igel zusammen und träumte weiter, derweil das Herz mit rasenden Schlägen hüpfte.

Langsam spannen sich die Gedanken ins weite Bereich wunderlicher Vorstellungen hinüber. Humsti schaukelte leidenschaftlich gern. Aber es bekam ihm nicht. Das Herz und die Lungen wehrten sich. Stets hatte er die Trapezleute, die Schleifenfahrer bewundert und sich lustvolle, körperlich
unbeschwerte Vorstellungen von einer Riesenschaukel oder irgend einem Gerät gemacht, mit dem er hinsauste durch den Raum, dass einem Hören und Sehen verging, bis das kuriose Fahrzeug irgendwo sanft landete und man lustig ausstieg, oder bis die Schaukel stillstand und man herabhüpfte.

Humsti lächelte mit geschlossenen Augen. Ja, jetzt war er auf dem rechten Wege zu seinem Trick. Mit der Schaukelei war's natürlich nichts, wo man auf dem letzten Loch pfiff. Eher machte sich's mit etwas Gleitendem, Rollendem.

Der winzige Mann im tiefen Klubsessel gab einen Grunzlaut der Befriedigung von sich. Jetzt standen vor seinem inneren Auge ganz klar Vorgang und Gerät: eine mächtige gläserne Tonne würde den zwergenhaften Fahrer aufnehmen. Jeder würde ihn sehen können: Zuerst wie er hineinschlüpfte, sich lang ausstreckte, dann die Griffe seitlich fasste, die Füße in die Kappen stemmte. Ein Galonierter verschlösse das Türlein; ein Hupensignal ertönt, und los saust in toller Umdrehung auf der Schleifenbahn die Tonne abwärts und aufwärts im Ring, wieder abwärts und führe unten in blankes Wasser (eine Wasserpantomime darf ja nicht fehlen) oder gegen einen elastischen Prellbock! Heraussteigen würde — oder auch nicht — der unverwüstliche Humsti, bald im Hochtouristenkostüm, bald als Zeitgenosse im Schlafrock, oder was der Sportkostüme für solche Fahrt noch mehr sind. Na, das Publikum und die Direktion! Sowohl wenn es glückte, als auch wenn in der Tonne alles still blieb und man einen kleinen, sonderbar schlappen Leib herauszog. Dann: armer Humsti! Ein großer Rührungsakt, nicht auf dem Programm stehend. Gratiszugabe des weiland Humsti und der Direktion. Einmalige, nie wiederkehrende Gelegenheit das wäre ein Abgang. Tja, so würde es gehen. Humsti lachte leise vor sich hin — ein Röcheln, schaurig anzuhören in der stillen Stube, in die der Mond fragend guckte: Na, Humsti, wie steht's?

Nun der neue Trick fix und fertig in der Idee stand, entfaltete der Erfinder eine erstaunliche Geschäftigkeit. Zuerst das Testament; für alle Fälle. Das war schnell gemacht. Halt! — noch ein letzter Trick — ein Peitschenschlag, mit dem der unverbesserliche Spaßmacher aus dem Leben schied. Ich wünsche in der Glastonne beerdigt zu werden, so dass jedermann mich sehen kann, bis ich unter der Erde bin. Hihi! Da sollten sie gucken und spucken! Um diesen letzten Willen eines unbestraften Bürgers, Untertanen und sauberen Steuerzahlers kamen sie nicht herum. So, und dann ausgezeichnet die benötigten Utensilien! Gleich morgen wird alles der Direktion vorgelegt. Die soll staunen. Das hat mit dem Urlaub nicht lange gedauert. Keinen ganzen Tag. Tja, der alte Humsti steht seinen Mann noch und ist nicht so leicht totzukriegen. Dann also auf zur Fahrt im Glaskasten! Unaufhörlich. In unermessliche Weiten.

Der Clown des Zirkus Algarotti dehnte sich befriedigt — so lang, wie er in seiner lebendigen Zwergenhaftigkeit noch nie gewesen war, und tat einen tiefen Atemzug. Jetzt hatte er Ruhe.

Am Morgen fand die große alte Frau ihren Herrn starr und steif im Klubsessel; verknäuelt und ineinandergebogen wie ein Kürbis. Aber auf dem eingefallenen Gesicht schwebte ein Lächeln der Befriedigung.

Drei Clowns des Zirkus Saraffani
Der kleine Mar mit seinem eigens für ihn angefertigten Wunderhund im Zirkus Sarassani

Zirkus - Drei Clowns des Zirkus Sarassani

Zirkus - Drei Clowns des Zirkus Sarassani

Zirkus - Der kleine Max mit seinem eigens für ihn angefertigten Wunderhund im Zirkus Sarassani

Zirkus - Der kleine Max mit seinem eigens für ihn angefertigten Wunderhund im Zirkus Sarassani