Der Teufel auf Burg Ehrenfels im Liesingtal

Autor: Ueberlieferung
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Auf der Burg Ehrenfels im Liesingtal hauste einst ein mächtiges Raubrittergeschlecht. Die Salzstraße, die sich entlang der Liesing hinzog, und die nahe Heerstraße bei St Michael gaben den adeligen Schnapphähnen die beste Gelegenheit, ihr räuberisches Handwerk auszuüben. Kaufleute, die mit ihren kostbaren Waren von Österreich nach Italien zogen, wurden ausgeplündert, gefangen genommen, und wenn sie sich nicht mit schwerem Lösegeld loskauften, erbarmungslos gemordet. Ob harmloser Wanderer, ob biederer Landmann, keiner war seines Lebens sicher. Kirchen und Klöster wurden überfallen und ausgeraubt, die Mönche getötet, die Gebäude in Brand gesteckt. Unheimlich verkleidete Gestalten machten die ganze Umgebung unsicher.

Wohl versuchte man wiederholt, das Felsennest auszunehmen, die adeligen Ritter zu fangen und unschädlich zu machen. Aber die Ritter hatten stets eine große Zahl gleichgesinnter Raubgesellen um sich und trotzten auf ihrer uneinnehmbaren Burg hohnlachend allen Stürmen. Jedesmal mußten die Belagerer mit empfindlichen Verlusten abziehen, ohne das geringste erreicht zu haben. Die Raubritter aber wurden immer kühner, dehnten ihre Streifzüge bis ins Enns-, Mur- und Mürztal aus und verübten immer verwegenere Schandtaten.

Am tollsten trieb es der letzte Sprößling dieses grausamen Geschlechts.

Eines Tages saß der wilde Raubgraf mit seinen Söhnen und etlichen Spießgesellen bei Tisch. Gefangene Nonnen und Ritterfrauen, die man gewaltsam entführt hatte, mußten die Speisen auftragen, den Wein kredenzen und sich dabei die widerlichen Huldigungen der wüsten Gesellen gefallen lassen. Der Wein hatte die Gemüter erregt und die Ausgelassenheit auf den Höhepunkt getrieben. Da öffnete sich plötzlich die Tür des Saales, und ein ehrwürdiger Einsiedler trat über die Schwelle. Hohngelächter und gotteslästerliche Fläche empfingen den frommen Mann, der unerschrocken auf die Zechenden zuschritt und sie aufforderte, von ihren Freveltaten abzulassen und Buße zu tun.

»Ja, Buße tun, Buße tun«, brüllte der wütende Raubgraf, »du wirst Buße tun für dein unverschämtes Eindringen und deine frechen Worte!« Damit befahl er seinen Knechten, den Waldbruder zu ergreifen.

Die Knechte wollten ihres Herrn Befehl ausführen, aber der ehrwürdige Mann hob warnend die Hand. »Ihr werdet mir kein Haar krümmen«, rief er hoheitsvoll, und die Mörderrotte wich scheu zurück. Der Greis aber winkte den unglücklichen Frauen, ihm zu folgen, und verließ mit ihnen den Saal, ohne daß einer der Räuber es zu hindern vermochte. Wie durch geheime Kraft festgebannt, standen und saßen sie herum und waren nicht imstande, die Davoneilenden aufzuhalten. Schäumend vor Wut stieß der Raubgraf die gräßlichsten Flüche aus.

Auf einmal erscholl im Burghof Lärm und Waffengeklirr. Schwarze Gestalten auf feuerschnaubenden Rossen erfüllten den Hof, Männer in glühenden Harnischen schickten sich an, die Burg zu ersteigen. Der Schloßherr und seine Spießgesellen, die auf den Lärm hin zu den Fenstern geeilt waren, gewahrten erbleichend den höllischen Spuk, aber sie sahen sich vergebens nach Rettung um. Unter Donnerkrachen erbebte der Fels, Flammen schlugen ringsum empor, das Höllenheer verschwand und mit ihm der Raubgraf; die Burg aber sank in Trümmer.

Der Teufel mit seinem höllischen Heer hatte die sonst unbezwingliche Raubritterburg eingenommen und zerstört, ihre Bewohner aber mit in die Hölle hinabgerissen. Auch die zahlreichen Gefangenen in den Kerkern und Verliesen fanden bei diesem Zusammenbruch den Tod. Sie können keine Ruhe im Grab finden und irren zu mitternächtiger Stunde gespenstisch zwischen den zerborstenen Mauern umher. Auch den Ritter und seine Gesellen kann man zuweilen sehen. Sie eilen in stürmischen Nächten laut heulend in der verfallenen Burg hin und her.

Die ungeheuren Schätze und Kostbarkeiten liegen noch heute unter Schutt und Mauertrümmern der Burg vergraben. Manchmal bemerkt ein später Wanderer, wenn er bei Nacht vom Liesingtal zur Ruine hinaufschaut, auf den Schloßmauern blaue Flämmchen glühen. Sie deuten die Stelle an, wo die Schätze verborgen liegen. Schon mancher Schatzgräber hat sich die größte Mühe gegeben, das alte Gestein zu durchwühlen und den Schatz des Raubgrafen zu heben, aber bisher ist es noch keinem gelungen.