I. Beziehung zwischen Bauten, Monumenten und Plätzen.

Im Süden Europas, besonders in Italien, wo nicht nur die antiken Stadtanlagen, teilweise wenigstens, sondern auch viele Gewohnheiten des öffentlichen Lebens sich lange (mitunter bis heute) erhalten haben, sind die Hauptplätze der Städte auch bis auf neuere Zeit dem Typus des alten Forums in mehrfacher Hinsicht treu geblieben.

Ein immerhin ansehnlicher Theil des öffentlichen Lebens blieb ihnen erhalten und mit ihm auch ein Theil ihrer öffentlichen Bedeutung, sowie manche naturgemäße Beziehung zwischen den Plätzen und den sie umgebenden Monumentalbauten. Die Unterscheidung in Agora oder Forum einerseits und Marktplatz andererseits blieb aufrecht. Ebenso das Streben, an diesen Hauptpunkten der Stadt die hervorragendsten Bauwerke zu vereinigen und diesen stolzen Mittelpunkt des Gemeinwesens mit Brunnen, Monumenten, Statuen, anderen Kunstwerken und historischen Ruhmeszeichen auszuzieren. Diese kostbar geschmückten Plätze waren auch im Mittelalter und in der Renaissance noch der Stolz und die Freude der einzelnen Städte, auf ihnen vereinigte sich der Verkehr, hier wurden öffentliche Feste abgehalten, Schaustellungen veranstaltet, öffentliche Staatsactionen vorgenommen, Gesetze verkündet und dergleichen mehr. Je nach Größe oder Leitung dieser Gemeinwesen in Italien dienen diesen praktischen Bedürfnissen zwei oder drei solcher Hauptplätze, selten nur einer, indem meist der Unterschied zwischen kirchlicher und weltlicher Autorität, den die Antike in dieser Weise nicht kannte, auch bei den Plätzen zum Ausdrucke kam. Demzufolge entstand als selbstständiger Typus der Domplatz, gewöhnlich noch mit Baptisterium Campanile und bischöflichem Palast umgeben; ferner der weltliche Hauptplatz, die Signoria, und neben beiden gesondert der Mercato. Die Signoria (s. als Beispiel Fig. 5) gehört als Vorplatz zur fürstlichen Residenz und ist außerdem noch mit Palästen der Großen des Landes umgeben, mit historischen Denkmälern und Monumenten geschmückt. Häufig findet sich in irgend einer Weise architektonisch durchgebildet eine Loggia für die Leibgarde oder Stadtwache und damit verbunden oder besonders hergestellt eine erhöhte Terrasse zur Verkündigung der Gesetze und öffentlichen Anzeigen. Das schönste Beispiel hiezu sehen wir in der Loggia dei Lanzi (der Halle der Lanzknechte) zu Florenz (s. vorstehende Tafel). Am Marktplatz steht fast ausnahmslos das Rathhaus, eine Anordnung, welche auch durchgängig bei allen Städten nördlich der Alpen zu beobachten ist. Auch fehlt hier niemals der nach Maßgabe der Mittel möglichst umfangreiche Brunnen mit Bassin, noch heute häufig Marktbrunnen genannt, wenn das fröhliche Treiben des Marktlebens auch schon längst in den glaseisernen Vogelkäfig einer Markthalle gesperrt wurde.


Das Alles, nur flüchtig hier in Erinnerung gebracht, bestätigt das noch rege Vorhalten eines öffentlichen Lebens auf den freien Plätzen. Aber auch die höhere künstlerische Potenzirung bis zur Herausbildung eines reinen Kunstwerkes, ähnlich dem der Akropolis von Athen, blieb in neuerer Zeit nicht unversucht. Die Piazza del Duomo zu Pisa ist ein solches Kunstwerk des Städtebaues, eine Akropolis von Pisa. Hier ist Alles zusammengetragen, was die Bürger der Stadt an kirchlicher monumentaler Kunst in bedeutenderem Umfange und Reichtum zu schaffen im Stande waren: der herrliche Dom, der Campanile, das Baptisterium, der unvergleichliche Campo Santo; dagegen alles Profane, Alltägliche ausgeschieden. Die Wirkung dieses von der Welt abgeschiedenen und doch an edelsten Werken menschlichen Geistes so überreichen Platzes ist daher eine überwältigende; kaum dürfte ein nur halbwegs künstlerisch empfindsamer Mensch sich der zwingenden Gewalt dieses mächtigen Eindruckes verschliessen können. Da ist nichts, das unsere Gedanken zerstreut, nichts, das uns an die gewöhnliche Geschäftigkeit des Tages erinnert, da stört uns den Anblick der ehrwürdigen Domfacade kein aufdringhcher Kramladen eines modernen Schneiders oder das Gerumpel eines Kaffeehauses nebst dem Geschrei der Kutscher und Dienstmänner, da herrscht Ruhe, und die Geschlossenheit der Eindrücke befähigt unser Gemüth, die hier angehäuften Kunstwerke zu geniessen, zu verstehen.

In solcher Reinheit steht der Domplatz von Pisa allerdings beinahe einzig da, obwol Manches, wie die Situirung von S. Francesco zu Assisi oder der Certosa zu Pavia etc. nahe hinanreicht. Im Allgemeinen ist die neuere Zeit der Bildung so reiner Accorde nicht eben günstig, sie liebt gleichsam mehr contrapunktische Arbeit und demgemäss fliessen auch die vorher aufgezählten Typen des Domplatzes, der Signoria und des Marktplatzes nur zu häufig in allen denkbaren Gruppirungen ineinander. Es ergeht da dem Städtebau, selbst im Vaterlande der antiken Kunst, eben nicht anders als dem Palast und Wohnhausbau selbst. Auch diese bilden nicht mehr ein einziges Urmotiv stetig weiter, sondern verbinden die Urform des nordischen Hallenbaues mit der Urform des südländischen Hofhauses. Ideen und Geschmacksrichtungen vermengen sich mannigfaltig, sowie die Völker selbst sich vermischen; das Gefühl für das einfach Typische geht mehr und mehr verloren. Am längsten unzersetzt erhielt sich die Gruppirung der Marktplätze als ständigen Zugehöres zum Rathhaus unter Beigabe des nie fehlenden Marktbrunnens. Es ist hinlänglich bekannt, wie viele prächtige Stadtbilder auch der Norden dieser Combination verdankt. Aus der Fülle des hierüber vorhandenen Stoffes sei nur eines, ohne besondere Wahl, herausgegriffen: das Rathhaus zu Breslau mit dem Marktplatz (Fig. 6), dessen Bild genugsam die vielfältigen malerischen Reize vorführt, welche dieser Vereinigung entspringen.

Bei dieser Gelegenheit sei eine kleine vorgreifende Bemerkung gestattet. Es ist nicht vorgefasste Tendenz dieser Untersuchung, jede sogenannte malerische Schönheit alter Städteanlagen für moderne Zwecke neuerdings zu empfehlen, denn besonders auf diesem Gebiete gilt das Sprichwort: Noth bricht Eisen. Was sich aus hygienischen oder anderen zwingenden Rücksichten als nothwendig herausgestellt hat, das muss geschehen und sollen darüber noch so viele malerische Motive über Bord geworfen werden müssen. Diese Ueberzeugung darf uns jedoch nicht hindern, alle, auch blos malerische Motive des alten Städtebaues genau zu untersuchen und in Parallele mit den modernen Verhältnissen zu setzen, damit wir ganz klar sehen, wie die Frage auch nach ihrer künstlerischen Seite hin steht, damit wir bestimmt erkennen, was sich denn für uns von den Schönheiten des alten Städtebaues etwa noch retten lässt, und das wenigstens als Erbgut festhalten. Dies vorausgesetzt, bleibe es an dieser Stelle noch dahingestellt, was und wie viel wir von den Motiven unserer Vorfahren auch heute noch verwenden können; dagegen sei vorläufig rein theoretisch festgestellt, dass in Mittelalter und Renaissance noch eine lebhafte praktische Vcrwerthung der Stadtplätze für öffentliches Leben bestand und im Zusammenhange damit auch eine Uebereinstimmung zwischen diesen und den anliegenden öffentlichen Gebäuden, während sie heute höchstens noch als Wagenstandplätze dienen und von einer künstlerischen Verbindung zwischen Platz und Gebäuden kaum mehr die Rede ist. Heute fehlt die mit Säulenhallen umgebene Agora bei den Parlamentshäusern, die weihevolle Ruhe bei den Universitäten und Domen, das Menschengedränge mit aller Geschäftigkeit des Marktlebens bei den Rathhäusern und über haupt der Verkehr gerade dort, wo er im Alterthume am regsten gewesen ist, nämlich bei den öffentlichen Monumentalbauten. Es fehlt also nachgerade Alles, was bisher als Merkmal alter Platzhcrrlichkeit hervorgehoben werden konnte.

In ganz ähnlicher Weise hat sich auch in Bezug auf die figurale Ausschmückung der Plätze das Verhältniss genau ins Gegentheil verkehrt, und zwar nicht zum Vortheile der neuen Anlagen. Der Reichthum antiker Formen an Statuen wurde schon erwähnt; dass sich von dieser Art Kunstliebe großen Styles ein gut Theil noch weiter erhielt, bestätigt ein einziger Blick auf das bereits vorgeführte Bild der Signoria von Florenz und der Loggia dei Lanzi an demselben Platze.

Speciell in Wien blüht zur Zeit eine hervorragende Bildhauerschule, und die Zahl bedeutender Werke, welche aus derselben hervorgegangen, ist wahrlich keine geringe; aber wenige ausgenommen, von denen noch zu sprechen sein wird, zieren sie nicht die öffentlichen Plätze, sondern nur die öffentlichen Bauten. Reich und kostbar ist der Figurenschmuck der beiden Hofmuseen, ebenso das in dieser Richtung bereits Ausgeführte und nicht minder das noch Auszuführende am Parlamentsgebäude. Die beiden Hoftheater, das Wiener Rathhaus, die neue Universität, die Votivkirche erhielten zahlreiche vorzügliche Werke der figuralen Plastik. Die Votivkirche soll allmälig gefüllt werden mit einer Reihe grabmalähnlicher Monumente nach dem Muster der alten Dome. Auch an der Universität und am österreichischen Museum wurde hiemit bereits begonnen. Wo bleiben aber die öffentlichen Plätze? — Da verkehrt sich sofort das gewonnene erfreuliche Bild in sein gerades Gegentheil und so verhält es sich nicht nur in Wien, sondern mehr weniger überall.

Während bei Monumentalbauten so viel Platz für figurale Ausstattung sich ergibt, dass Commissionen zusammenberufen werden müssen, um nur ausfindig zu machen, was man da Alles hinstellen soll, findet sich oft nach jahrelangem Suchen in einer ganzen Stadt kein Platz, auf dem auch nur eine einzige Statue nach Wunsch untergebracht werden könnte, ob wohl sie allesammt leer stehen. Das ist doch gewiss sonderbar. Nach langem Suchen werden noch obendrein die riesig großen, leeren neuesten Plätze endlich allesammt als untauglich verworfen, und man bringt schliesslich das lange unterstandslose Monument auf einem kleinen alten Platz unter. Das ist noch sonderbarer! Dieses Schicksal erfuhr das schöne Gänsemädchen, das lange umherirrte, bis es ein bescheidenes Plätzchen in einer Strassenecke fand; desgleichen Vater Haydn, der endlich auch auf einem kleinen alten Platz zu allgemeiner Zufriedenheit anlangte. Vater Radetzky ergeht es genau so, denn der neue Prachtplatz, für den er bestimmt war, erwies sich bei der Schablonen-Probe als zweifellos untauglich, und somit soll dieses mächtige Monument wieder auf einem alten, ohnehin schon beschränkten, mit Brunnen und Mariensäule versehenen Platz Aufstellung finden. Wenn es glücklicherweise dazu kommt, wird das Kunstwerk sicher hier zu voller Geltung kommen und eine gewaltige Wirkung ausüben, wofür sorglos jeder Künstler, der solche Wirkungen im Voraus zu übersehen vermag, die volle moralische Verantwortung zu übernehmen nicht anstehen wird.*)

Vielleicht das drastischeste Beispiel moderner Verkehrtheit bildet die Geschichte des David-Kolosses von Michelangelo welche zu Florenz der Heimat und hohen Schule alter monumentaler Pracht sich ereignete. Dort stand das riesige Marmorbild an der Steinwand des Palazzo vecchio links neben dem Haupteingange auf der von Michelangelo selbst gewählten Stelle. Keine moderne Commission würde diesen Platz gewählt haben, dafür könnte man getrost sein Haupt zum Pfand setzen; die öffentliche Meinung würde den Vorschlag dieses anscheinend geringfügigsten und schlechtesten Platzes entweder für Scherz oder Wahnwitz halten. Michelangelo wählte ihn aber, und Michelangelo soll Einiges von solchen Dingen verstanden haben. Dort stand das Bildniss von 1504 bis 1873. Alle Jene, welche das merkwürdige Meisterwerk an dieser merkwürdigen Stelle noch gesehen haben, geben Zeugniss von der ungeheueren Wirkung, welche es gerade hier auszuüben vermochte. Im Gegensatze zur verhältnissmässigen Beschränktheit des Platzes und leicht vergleichbar mit den vorbeigehenden Menschen schien das Riesenbild noch in seinen Dimensionen zu wachsen; die dunkle, einförmige und doch kräftige Quadermauer des Palastes gab einen Hintergrund, wie er zur Hervorhebung aller Linien des Körpers nicht besser hätte ersonnen werden können. Einen Theil dieser Wirkung kann man noch an der großen Photographie der Alinari erkennen. Seither steht der David in einem Saale der Akademie unter eigens hierfür gebauter Glaskuppel unter Gypsgüssen, Photographien und Kohledrucken nach Werken Michelangelo's als Muster zum Studium und als Untersuchungsobject für Historiker und Kritiker. Es gehört eine besondere geistige Vorbereitung dazu, alle die bekannten Empfindung ertödtenden Momente eines solchen Kunstkerkers, Museum genannt, zu überwinden, um endlich zu einem Genuss des erhabenen Werkes sich durchzuarbeiten. Damit war dem kunsterleuchteten Zeitgeiste aber noch nicht Genüge gethan. David wurde auch in Bronze gegossen in der Grösse des Originales und auf weitem freien Ringplatz (natürlich haarscharf im Centrum des Zirkelschlages) ausserhalb Florenz auf Viale dei colli aufgestellt auf hohem Postament; voran eine schöne Aussicht, rückwärts Kaffeehäuser, seitlich ein Wagenstandplatz, quer durch einen Corso, ringsherum Bädeker-Rauschen. Hier wirkt das Standbild gar nicht, und man kann oft die Meinung verfechten hören, dass die Figur nicht viel über Lebensgrösse sein könne. Michelangelo hat es also doch besser verstanden, seine Figur aufzustellen, und die Alten haben dies durchweg besser verstanden als wir heutzutage.

Der entscheidende Gegensatz zwischen Einst und Jetzt in diesem Falle besteht darin, dass wir immer möglichst großartige Plätze für jedes Figürchcn suchen und dadurch die Wirkung drücken, statt sie durch einen neutralen Hintergrund, wie ihn in ähnlichem Falle Porträtisten für ihre Köpfe sich wählen, zu heben.

Ein anderes Moment hängt damit enge zusammen. Die Alten stellten ihre Monumente und Figuren, wie sich zeigte, an den Wänden ihrer Plätze herum, wofür auch die zwei vorher beigegebenen Ansichten von der Signoria in Florenz ein sprechendes Zeugniss abgeben. An den Wänden eines Platzes herum ist aber Raum genug für hunderte von Figuren, die alle gut stehen werden, weil sie stets (wie dies beim Falle des David gezeigt wurde) dort einen günstigen Hintergrund finden. Wir aber halten nur die Mitte des Platzes für dazu geeignet, woher allein es schon kommt, dass wir auf jedem noch so großen Platze bestenfalls nur eine einzige Aufstellung machen können. Wenn aber der Platz unregelmässig ist und sonach ein Mittelpunkt sich geometrisch nicht abzirkeln lässt, dann können wir nicht einmal dieses einzige Monument unterbringen, und der Platz muss für ewige Zeiten vollständig leer bleiben.

Diese Erwägung führt aber zu einem anderen Grundsatz alter Städteanlagen, dem der folgende Absatz gewidmet ist.

*) Die Aufstellung ist seither dort erfolgt und bestätigt obige Voraussetzung.