Erste Fortsetzung

Die traurigen Schilderungen der vorstehenden Blätter dürften genügen, um dem Leser ein ungefähres Bild von dem grässlichen Druck zu geben, unter welchem die [Schwarzen] schmachten, von dem Abgrunde des Elendes, aus dem sie nicht nur zum Himmel und gegen die Missionare, sondern vielmehr gegen einen Jeden ihrer Mitmenschen verzweifelnd die Hände ausstrecken, schreiend und wehklagend: Rettet, rettet uns, wir gehen zu Grunde! Und sicher, wessen Herz könnte gefühllos bleiben beim Lesen dieser Zeilen? Wenn wir aber von jedem Menschen ohne Ausnahme voraussetzen müssen, dass solche Schilderungen ihm den Wunsch nach Abhilfe einflößen, um wie viel mehr gilt dies von unseren christlichen und katholischen Glaubensgenossen. Uns Katholiken leitet dabei nicht allein das Mitgefühl, es kommen sehr gewichtige andere Gründe für uns in Betracht.

Unser heil. Vater Leo XIII. erklärte es am 5. Mai laut und feierlich vor dem ganzen Erdkreis, unter allen Gaben, die man ihm zu seinem Jubiläum dargebracht, habe keine seinem Herzen wohler getan, als jene, mit welchen man den Sklaven in Brasilien die Freiheit wiedergab.


Liebe Leser, welche edle Mahnung liegt in diesen Worten an das Herz der treuen Söhne unseres allgeliebten obersten Hirten! Noch ist das Jubeljahr nicht vorüber, noch ist es Zeit, dieses schönste Fest der katholischen Kirche auf ewige Zeiten zu verherrlichen, und zwar indem wir noch in diesem Jahre den Grundstein legen zu einem Werk, das bestimmt ist, auf Jahrtausende hinaus Früchte zu tragen und den Namen Leo XIII. auf immer tief in die Herzen der Menschen einzugraben. Möge von dem Jubiläum Leos XIII. die Befreiung der afrikanischen Sklaven datieren!

Und zweitens, lieber Leser, liebe Leserin, kann ein Katholik gleichgültig bleiben beim Anblicke jenes ehrwürdigen Greises, der noch im Alter allen Mühen trotzt und zum Wanderstabe greift, um Europa den Kreuzzug zu predigen gegen entmenschte Horden? Welches große Opfer bringt dieser Mann, der längst genug gearbeitet, um seine alten Tage in Ruhe beschließen zu können, und welches geringe Opfer verlangt er dagegen von uns, wenn er bittet, ihm und seinem Werk mit einem Scherflein zu Hilfe zu kommen? Dieser große Mann ist der Ruhm seines Jahrhunderts, der noch strahlendere Ruhm seiner Kirche: soll die Nachwelt von ihm sagen, dass er Großes vollbracht und noch Größeres hätte vollbringen können, wenn nicht gerade Jene ihn im Stich gelassen hätten, auf deren Hilfe zu hoffen er ein Recht hatte? Das wäre eine Schmach für unser Jahrhundert, eine noch größere Schmach aber für uns Katholiken, denen vor Allem das Gebot heilig sein muss: Liebe deinen Nächsten! — Nein, das soll nicht sein, das wird nicht sein! Und wenn das Wort wahr ist, dass Jener vor Allem unser Nächster ist, der unserer Hilfe am notwendigsten bedarf, so findet es sicher mit Recht Anwendung auf die armen Schwarzen im Herzen Afrikas. Die bedürfen unserer Hilfe in doppelter Hinsicht: einmal, um ihr Leben und ihre Freiheit, dann um ihre noch vom Dunkel des Heidentums eingehüllte Seele zu retten. Das Eine wird durch das Andere erreicht. Die leibliche Wohltat, welche wir ihnen erweisen, wird ihre Herzen dem Christentum geneigt machen und wir werden die hohe Befriedigung haben, zu sehen, wie unsere gespendeten milden Gaben, so klein sie sein mögen, tausend und millionenfache Früchte tragen. Wohl kaum gibt es ein Volk, das sich leichter dem Christentum ergibt, als der [Schwarze], und mit welcher Festigkeit und Überzeugung die Schwarzen für ihren Glauben Zeugnis; abzulegen wissen, davon hat uns die Christenverfolgung im Königreiche Uganda vom Jahre 1886 ganz wunderbare Beweise geliefert. Wer Gelegenheit hatte, vor zwei Jahren in jenen Berichten zu lesen, wie neugetaufte, ja noch nicht einmal getaufte [Schwarze], Erwachsene wie Kinder, freudig für Christum den Tod erlitten, der fühlte sich unwillkürlich in die ersten Zeiten des Christentums zurückversetzt, dem ist es aber auch zum Bewusstsein gekommen, dass auch der [Schwarze] unter seiner schwarzen Haut ein gutes, für das Höchste verständnisvolles Herz besitzt, und dass dort in Afrika für das Christentum ein ungemein fruchtbares Feld zur ausgedehntesten Tätigkeit sich darbietet. Also umso mehr und umso ernster müssen wir jetzt die Frage uns vorlegen: Sollen wir jene Völkerschaften, die nur von uns Hilfe erwarten können, ihren Henkern überlassen, sollen wir eine Rasse von hundert Millionen Seelen vernichten lassen, noch ehe es unseren Missionaren möglich war, sie zum christlichen Glauben zu führen? Sollen wir es geschehen lassen, dass man unsere Neugetauften und im Unterricht Befindlichen unter den Augen der Missionare mordet oder, was noch schlimmer ist, sie dem Fanatismus koranwütiger Muselmänner ausliefert, damit diese jeden sprossenden Keim christlichen Glaubens ersticken? Lieber Leser, und besonders Du, liebe Leserin, deren Herz bei dem Anblick gewöhnlichen Elendes schon weich wird, beantworte Dir diese Frage.

Das Vorstehende war bereits geschrieben, als der Kardinal seine Rede in Brüssel hielt. Eben hatte er neue Berichte von seinen Missionaren erhalten, die neue Scheußlichkeiten meldeten. Wir wollen nur drei davon nachtragen.

Einer der Patres, welcher nach Brüssel kam, erzählte, wie er das Kongo-Gebiet betreten habe, sei er Zeuge von dem Begräbnis eines Häuptlings geworden, mit dem toten Häuptling aber begrub man zwanzig lebende Sklaven!!!

Ein anderer Pater erhielt den Besuch eines Häuptlings, und dieser bat, der Pater möge auch ihn wieder besuchen kommen. „Wenn Du kommst,“ sagte der Wilde, um den Pater zu überreden, „lasse ich acht lebende Frauen vor meinem Hause verbrennen.“ Das erschien ihm als eine besondere Ehrenbezeugung, oder wohl auch als das größte Vergnügen!!!

Ein anderer Häuptling, Menta mit Namen, besitzt ein ganzes Musikcorps, besonders viele Tambours darin. Er findet aber, dass Trommelstöcke keinen guten Klang hervorbringen. Was tut der Kannibale? Er schneidet seinen Sklaven die Hände ab und lässt sie mit den verstümmelten Armen die Trommeln schlagen!!!

Genug davon: man könnte Tausende von Bogen schreiben, wollte man alle Grausamkeiten der Sklavenhalter und Sklavenjäger verzeichnen. Auch an uns richten sich die Worte des Kardinals, die er in Brüssel an seine Zuhörer richtete: „Begreifet Ihr jetzt, warum ich von meiner Heimat abgereist bin, um mich an das christliche und zivilisierte Europa zu wenden? Ist es möglich, dass ein Bischof, der solche Dinge kennt, nicht Mittel suche zu ihrer Abstellung?“ Wir fügen hinzu: Ist es möglich, dass das christliche und besonders das katholische Europa dem Kardinal seine Hilfe verweigert, dass es diese Schandtaten fortdauern lässt? Nein und abermals nein! Abhilfe, schleunigste Abhilfe fordert das Gebot der Humanität, noch mehr das Gebot des Christentums: unser heil. Vater Leo XIII. war derjenige, welcher seinen würdigen Sendboten in die Welt sandte, um sie aufzufordern, mit bewaffneter Hand dem schauderhaften Treiben zu steuern: schon regt es sich in Frankreich, in Belgien, in Holland, in England mächtig: wollte Deutschland zurückbleiben? Auch wir haben unsere Interessen in Afrika zu vertreten, unsere ostafrikanischen Gebiete stoßen ganz nahe an die Regionen des Sklavenraubes, es wäre somit schon im Reichsinteresse zu wünschen, dass Deutschland die Sklavenjäger seine schwere Hand fühlen ließe und mit Energie dem Handel ein für alle Mal ein Ziel setzte. Indem haben ja auch die Signaturmächte des Berliner Kongo-Kongresses sich feierlich zur Unterdrückung der Sklaverei verpflichtet.

Schon mehr als einmal ist darauf hingewiesen, dass man in der Erschließung Afrikas zu jetziger Zeit eine Ausführung des Planes der göttlichen Vorsehung erblicken dürfe, dass auch endlich von den armen Söhnen Chams der Fluch genommen werde, der seit dem Frevel ihres Stammvaters auf ihnen lastet. Das Heidentum ist Dunkelheit, das Christentum Licht, und dieses Licht soll nunmehr auch über den „dunklen Erdteil“ strahlen, auf den die Augen aller Welt gerichtet sind. Sollte man nicht annehmen dürfen, dass der Schrecken des Sklavenhandels unmittelbar dazu dienen werde, dem Inneren Afrikas geordnete Zustände und die Predigt des Evangeliums zu bringen? Gottes Wege sind wunderbar, aber er fordert von uns, dass wir unsere Pflicht tun, und was Afrika angeht, ist gegenwärtig unsere heilige Pflicht: Unterstützung der Bestrebungen des heil. Vaters und seines würdigen Sendboten, Sr. Eminenz des Kardinals Lavigerie!

Ein Jeder nach seiner Art: wer das Zeug zu einem Stanley, Emin Pascha oder Jouberr in sich fühlt, wer den Degen und die Büchse führen und über seine Person frei verfügen kann, wer nach Lorbeeren in einem edlen Kampfe strebt, der möge seinen Namen in die Liste Jener eintragen, die bereits aus den Ruf des Kardinals antworteten, und sich bereit halten für den Augenblick, wo man an seinen Mut appelliert. Unausführbar ist das Werk nicht, wie wir gesehen. Die Übrigen aber, und vor Allem Ihr, liebe Leser und Leserinnen, haben erfahren, was die Pflicht der Nächstenliebe verlangt: Unterstützung durch freiwillige Geldspenden Jener, die für das leibliche und geistige Wohl der armen verfolgten Mitmenschen Leben und Gesundheit aufs Spiel setzen. Wenn ein paar Dutzend tatkräftige Männer in Europa die Werbetrommel rühren, eine kleine Zahl von fähigen Leuten um sich scharen und sich mit ihnen der kriegerischen Ausbildung der Neger widmen, wenn alle die Millionen Deutschlands, Österreichs, Frankreichs, Englands, Belgiens, Italiens und der übrigen Länder nach Kräften beisteuern, um den zu bildenden schwarzen Truppen Waffen und Munition zu verschaffen, so wird die Sklavenjagd bald ein unrentables Unternehmen werden und Menschlichkeit und Christentum haben dann einen großen Sieg errungen.

Aber, wie der Kardinal so eindringlich predigt, schleunige Hilfe tut Not. Beginnen wir bald die Arbeit. Verbreiten wir überall die Kunde von den Schandtaten, sorgen wir besonders, dass dieses Büchlein in jedes Christen Hände gelangt, Männer, Frauen, Mädchen, alle finden etwas darin, was sie besonders interessiert, was ihr Mitleid erregt. Und die Lektüre ist mindestens ebenso interessant, wie unsere „spannenden Romane“, welche vielfach nur dazu dienen, den Panzer der Selbstsucht und Genusssucht um das Herz zu legen.

Und ist die Kenntnis der afrikanischen Zustände einmal allgemein geworden, so hat der Schreiber dieses Werkchens seinen Zweck erreicht, dann ist der Boden vorbereitet, der Same, aus dem christlicher Opfergeist entsprießen soll, ist ausgestreut und mit Gottes Hilfe wird er reichliche Früchte bringen.

Es ist nicht die Aufgabe des Verfassers, Vorschläge zu machen, in welcher Weise wir das uns so ernst ans Herz gelegte Gebot der christlichen Lebe am besten erfüllen können: er ist nur der Bote, der Euch, liebe Leser, den Willen Gottes, den sehnlichsten Wunsch des hl. Vaters, die Bitten des Apostels Afrikas, die Hilferufe unserer armen [Schwarzen] übermittelt. Aber einen Wunsch möchte er aussprechen, den, dass sich bald alle deutschen Männer und Frauen zu einem großen Bunde vereinigen, dessen Losung ist: Keine Sklaven mehr! Mit vereinten Kräften wirkt man Wunder, und unsere Zeit kennzeichnet sich durch einen ganz besonderen Hang zu Vereinigungen: möge dieser Hang die Morgenröte der Freiheit und Zivilisation für die armen, bedauernswerten Bewohner des schwarzen Kontinents werden.

Belgien hat den Kreuzzug begonnen. Wie Gottfried von Bouillon an der Spitze seiner Belgier zum heil. Lande zog und den Türken das Grab des Erlösers entriss, so wird auch heute das katholische Belgien wieder an der Spitze des neuen Kreuzzuges stehen. Der Kardinal hat 100 entschlossene Männer aufgerufen, die aus Begeisterung für die heil. Sache, nicht aus Lust zu Abenteuern, den Kampf beginnen wollen. Mit ihnen hofft er den Sklavenhandel am Tanganika-See lahm zu legen. Die Kosten, ca. 1 Mill. Francs, erwartet er von der Mildtätigkeit der Menschenfreunde in Belgien. Aber das ist nur erst ein Anfang und betrifft nur einen Punkt auf dem belgischen Ufer des Tanganika. Am anderen Ufer ist deutsches Gebiet, und gerade aus diesem deutschen Gebiet kommen die Sklavenhändler, die den Sklavenjägern im belgischen Kongo-Gebiet ihre Menschenware abkaufen. Damit ist auch uns unser Ziel angedeutet Setzen wir den Kardinal in den Stand, nicht bloß am Tanganika-See, sondern an allen Punkten, wo die Sklavenjägerei und der Sklavenhandel betrieben werden, kleine Abteilungen aufzustellen, versehen wir ihn mit einem Worte mit den nötigen Mitteln, um sein Rettungswerk überall zu beginnen und durchzuführen. Das zu bringende Opfer ist groß, aber gering für den Einzelnen, wenn die Beteiligung eine allgemeine ist, und der Lohn ist ein unermesslich großer. Mit einer Mark rettet man ein Menschenleben!

„Mögen Alle,“ sagt der Engländer Cameron, „welche wünschen, dass der Sklavenhandel ausgerottet werde, sich regen und durch ihr Wort, ihre Börse, ihre Energie denjenigen zu Hülfe kommen, denen das Unternehmen anvertraut werden kann. Möge man den Missionaren in Afrika würdige Gehilfen senden, die bereit sind, ihr Leben der übernommenen Aufgabe zu widmen. Nicht durch Reden noch durch Schriften kann Afrika regeneriert werden, sondern nur durch Taten. Wer sich im Stande fühlt, die Hand dazu zu bieten, tue es. Nicht Jeder kann reisen, Apostel oder Kaufmann werden, aber Jeder kann den Leuten, welche Hingebung oder Beruf dorthin führt, brüderlich Hilfe leisten.“

Dieses Wort des englischen Protestanten ist nicht mehr neu, indes; erst heute hat es Aussicht, recht gewürdigt zu werden. Aber befolgen wir es rasch, antworten wir ohne Zögern auf den Ruf des heil. Vaters, seines Kardinals und unserer unglücklichen Brüder. Jeder Tag kostet 4.000—5.000 von ihnen Leben und Freiheit, gehen wir von Worten, von Ausbrüchen der Entrüstung zur Tat über. Wir haben so viele Vereine in Deutschland, die sich der Förderung humaner und katholischer Zwecke widmen, gründen wir — ich schließe mich hiermit dem Wunsche an, der in der katholischen Presse bereits mehrfach ausgesprochen wurde — einen neuen Verein, der speziell die Abschaffung der Sklaverei auf seine Fahne schreibt. Vom Wohltun ist noch kein Volk verarmt, viele kleine Beiträge machen große Summen aus, und solche sind es, die ein so mächtiges und fruchtbares Werk verlangt. Mit Trauer und Stolz zugleich gedenken wir bei diesen Zeilen eines leider zu früh entschlafenen edlen Jünglings unseres Bekanntenkreises, dessen Mitleid mit den armen Negern und ihrer traurigen Lage so groß war, dass er noch in den letzten Tagen seines Lebens sich zu der größten Sparsamkeit entschloss, um nur möglichst viele der Unglücklichen aus ihrem Elende befreien zu können, ohne deshalb die übrigen Werke christlicher Liebe zu vernachlässigen — sein Name ist Hermann Graf von Stainlein-Saalenstein, dessen Bild dem Verfasser dieses Schriftchens bei der Abfassung vor Augen gestanden hat und den er hier als ein leuchtendes Vorbild für Alle hinstellen möchte, denen Gott irdische Glücksgüter und — ein warmes Herz für die Leiden ihrer Mitmenschen gegeben hat. Noch eben lese ich, dass die hochherzige Gräfin 20.000 Frcs. im Namen ihres verewigten Sohnes für den „neuen Kreuzzug“ spendete und diesem damit wohl das denkbar schönste Denkmal setzte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Sklavenhandel in Afrika und seine Gräuel