Aus Stanleys Werk: „Fünf Jahre am Kongo“ entnehmen wir (Kapitel XXVI) folgende Stellen

„ . . . Am anderen Morgen, nachdem wir zwei Stunden marschiert waren, erkannte ich den Platz, eines Dorfes, das ich auf meiner Karte von 1877 mit dem Namen Maonembé bezeichnet hatte. Aber 1877 lag das Dorf hinter starken Verschanzungen eingeschlossen, während heute nicht die kleinste Hütte mehr existierte. Wie wir näher kamen, konnten wir noch die Überreste einiger Bananenbäume und die Spuren der Fußpfade unterscheiden, die vom Ufer des Flusses zu dem Dorfe führten, aber nichts Lebendes gab es ringsum. Eine Feuersbrunst hatte Alles vernichtet. Das Dorf hatte aufgehört zu existieren, als ob sein Dasein nur ein Traum gewesen wäre. Was hatte sich denn inzwischen ereignet?

Ein wenig weiter zog eine andere Erscheinung unsere Aufmerksamkeit an. Zwei oder drei große Kähne, mit der einen Spitze in die Erde vergraben, standen aufrecht in ganzer Höhe am Ufer des Flusses, wie gespaltene und ausgehöhlte Baumstämme. Was bedeutete dieses phantastische Schauspiel? Nur die Araber konnten ein solches Kraftstück ausführen, diese Kähne, aufrechtstehend wie Schildwachen, verrieten, dass die Sklavenjäger unterhalb der Stanley-Fälle erschienen waren! . . .


Später vernahmen wir, dass hier in dieser heute verödeten Gegend früher die Ortschaft Yomburri gestanden hatte. Gleich darauf sahen wir auf demselben Ufer eine neue Szene von Trostlosigkeit und Elend: eine ganz niedergebrannte Stadt, abgehauene Bananenbäume und wieder die ominösen Leichensteine in Form von Kähnen. Aber hier gab es wenigstens noch menschliche Wesen, welche uns eine Erklärung dieser Szenerien geben konnten. Ungefähr 200 Eingeborene kauerten vor den Trümmern. Einige hielten das Haupt in die Hände vergraben, andere starrten verzweifelt ins Leere, wieder andere, das Kinn in die Hand gestützt, blickten uns mit stupidem geistlosen Ausdruck an. Ihre Augen schienen zu sagen: „Die Grausamkeit der Menschen ist über uns gekommen: wir haben Alles verloren, unser Eigentum, unser Glück, unsere Hoffnung. Welches neue Böse könntet Ihr uns antun: wir haben so viel gelitten, dass Ihr keine größeren Grausamkeiten mehr ersinnen könnet.“

Ich gab Yambila Befehl, die Unglücklichen auszufragen. Da erhob sich denn ein Greis, niedergedrückt von Verzweiflung, und begann uns die Geschichte ihres Unglücks mit äußerstem Wortschwalle zu erzählen. Das Städtchen war ganz unerwartet von einer Bande überfallen worden, die mit wildem Geschrei und ohrenbetäubendem Flintengeknalle die Luft erfüllte. Diese Briganten hatten alle Bewohner erwürgt, die aus den brennenden Hütten zu entweichen versuchten; nicht ein Drittel der männlichen Bevölkerung kam mit dem Leben davon und die Frauen und Kinder waren zumeist fortgeschleppt, Gott weiß wohin.
„Und in welcher Richtung sind die Missetäter abgezogen?“ ließ ich fragen.
„Fluss aufwärts: es sind jetzt acht Tage seitdem verflossen.“
„Haben sie alle Dörfer niedergebrannt?“
„Alle ohne Ausnahme, zu beiden Seiten des Flusses.“ —

So weit der Bericht des Alten. Am Morgen des 17. November hielten wir uns am Ufer eine Weile mit Holzhauen auf, als plötzlich etwas den Fluss heruntertrieb. Der „En-avant“ ruderte darauf zu und einer unserer Leute hielt den fraglichen Gegenstand an. O Schrecken! Es waren zwei Frauenleichen, mir einem Strick zusammengebunden! Und allem Anscheine nach war das Verbrechen vor noch nicht 12 Stunden begangen. Wie wir noch über diese schaurige Tat nachdachten und auf dem Fluss weiter fuhren, sahen wir auf einmal eine Menge weißer Gegenstände vor uns. Mit Hilfe meines Fernrohres erkannte ich Gruppen von Zelten. Wir waren auf die Araber vom Nyangué gestoßen. Einen Augenblick kämpfte ich einen schrecklichen Kampf mit mir selbst. Ich fand mich unwiderstehlich getrieben, die Uhrheber so vieler Verbrechen und Metzeleien zu züchtigen. Die Erinnerung an die verwaisten und niedergebrannten Häuser, an die armen, aus ihren Wohnungen gerissenen Menschen, an jenen Greis, der so beredt in seinem Schmerze war, und an die Leichen der Frauen, die mitten im Strome verwesen, das alles rief nach Rache. Aber die Überlegung kam nach. Mit welchem Rechte konnte ich mich zum Richter in Afrika machen? Und wozu konnte die Bestrafung der Schuldigen nutzen? Alle diese Verbrechen waren begangen, die Asche der verbrannten Hütten war kalt, das Blut der Opfer hatte der Boden getrunken. Und doch, noch befanden sich die Gefangenen in den Händen ihrer Räuber, dort gab es noch Schmerz zu trösten, noch Tränen zu trocknen, deren Quelle noch längst nicht versiegt war. . . Übrigens, was kann uns später diese fruchtbare Gegend nutzen, wenn wir zugeben, dass die Barbaren sie so verwüsten?

Wir landeten und schlugen unser Lager etwas oberhalb des Araberlagers auf, und einige Minuten später wechselten unsere Zanzibariten lebhafte Händedrücke mit den Manyemas, den Sklaven von Abed-ben Alim, welche diese Gegend verheert hatten, um ihrem Herrn neues Elfenbein und neue Sklaven zu bringen. Diese Horde von Banditen — denn einen besseren Namen verdiente sie nicht — operierte unter dem Kommando mehrerer Führer, von denen die ersten Karema und Kiburuga heißen. Sie hatte 16 Monate zuvor die Stadt Uane Kirundu, 50 Kilometer von Vinya Njara gelegen, verlassen. Elf Monate hindurch hatte sie die ganze Gegend zwischen dem Kongo und dem Lubiranzi verwüstet, und dieselbe haarsträubende Arbeit wollte sie nun zwischen dem Biyerre und Uane Kirundu vornehmen. Ein Blick auf meine Karte zeigte mir dass die heimgesuchte Gegend, auf dem rechten und linken Ufer, eine Oberfläche von mehr als fünfundfünfzig Tausend fünfhundert Quadrat-Kilometer — 3200 Quadrat-Kilometer mehr als Irland einnimmt und dass sie eine Bevölkerung von ungefähr einer Million Seelen umfasste.

Das Lager der Räuber war etwa 125 Meter von dem unsrigen entfernt und durch ein Stacket geschützt, dass aus den Überresten der zerstörten Häuser von Yangambi hergestellt war. In Mitten des geschlossenen Raumes erhoben sich eine Anzahl von Schuppen, die einen Raum von etwa 100 Quadrat-Meter bedeckten, am Ufer zählte ich 54 Kähne, von denen ein jedes wohl 10—100 Personen — je nach ihrer Größe — halten konnte. Das Lager ist buchstäblich angefüllt mit Menschen. Auf allen Seiten sieht man Gruppen von [Schwarzen], unbeweglich oder umherirrend, schweigsam und finster, lebhaft von den weißen Mänteln der Araber abstechend. Unter den Schuppen sieht man nackte Körper in allen Stellungen, zahllose Reihen von Beinen, die unglücklichen Schlafenden angehören, kleine Kinder, deren noch in der Entwicklung begriffene (Glieder kaum das Geschlecht erraten lassen: hier und da einen Trupp alter Frauen, gebeugt unter der Last von Körben, angefüllt mit Kohlen oder Bananen, geführt von zwei oder drei mit Karabinern bewaffneten Banditen. Wie ich mir das Bild näher ansah, bemerkte ich, dass alle die Unglücklichen Ketten trugen: die jungen Leute hatten um den Hals Zwingen, welche durch Ringe mit anderen Zwingen verbunden waren, so dass immer zwanzig der Gefangenen zusammen gehalten wurden. Die Kinder im Alter von zehn Jahren trugen um die Beine kupferne Ketten, welche ihre Bewegungen hemmten: die Mütter trugen kürzere Ketten, an denen die kleineren Kinder befestigt waren. Nicht ein einziger kräftiger Mann befand sich unter den Gefangenen.

Nach ihrer eigenen Angabe führen die Menschenjäger zurzeit nur 2300 Gefangene mit sich. Und doch haben sie wie eine Geißel, tötend und zerstörend ohne Mitleid, was ihnen begegnet, ein ganzes Land durchzogen, das größer ist wie Irland: 118 Dörfer, 43 größere Gemeinden umfassend, sind verheert, und dieses Vernichtungswerk hat den Unholden nur 2300 Sklaven, Frauen und Kinder, und etwa 2000 Elefantenzähne eingebracht. Die große Zahl Lanzen, Säbel und Waffen aller Arten, welche sich bei der Beute befinden, deuten an, dass Hunderte von wehrfähigen Männern im Kampfe gefallen sind. Nehmen wir an, dass eine jede der 118 Ortschaften nur eine Bevölkerung von tausend Personen zählte, so haben die Araber nur zwei Prozent zu Gefangenen gemacht, und rechnen wir ferner ab, was auf dem Marsche zum Sklavenmarkte von diesen noch erliegt, so kann man annehmen, dass diese blutigen Raubzüge ihren traurigen Helden nicht mehr als ein Prozent der vernichteten Bevölkerung einbringen.

Die Elenden versicherten mir, dass mehrere Sklaventransporte, ebenso zahlreich, wie der gegenwärtige, bereits in Nyangue angekommen seien. Diese fünf Expeditionen haben das weite Gebiet, in dem wir reisen, verödet und entvölkert. Mindestens 10.000 Sklaven wurden weggeschleppt. Und da die Hälfte davon unterwegs stirbt, so sind in Nyangue, Kirundu und Bibondo nur etwa 5.000 angekommen, ein halbes Prozent der Bevölkerung. Und wie viel Blut wurde vergossen, wie viele Existenzen sind vernichtet, um ein solches Resultat zu erhalten!

Ziehen wir die schreckliche Bilanz. In den erwähnten 118 Dörfern haben die Araber 3.600 Sklaven gemacht. Sie mussten deshalb zum Mindesten 2.500 wehrfähige Männer umbringen, ferner sind 1.300 ihrer Gefangenen vor Verzweiflung, Hunger und Krankheit zu Grunde gegangen. Darnach hat der Fang von 10.000 Sklaven durch die fünf Expeditionen nicht weniger als 33.000 Menschen das Leben gekostet! Und was sind das für Sklaven, die ich vor mir sehe, und für welche Väter, Gatten und Brüder ihr Blut vergossen? Schwache Frauen, ganz kleine Kinder! . . . Um einen vierjährigen Knaben in Ketten zu legen, hat man ganze Familien von sechs Personen umgebracht! . . .

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Sklavenhandel in Afrika und seine Gräuel