Vierundzwanzigstes Kapitel.

Der Edle von Haußenbleib nahm, wie die gnädige Frau sich ausdrückte, mit dem Lauenhofe „vorlieb“. Er war so gütig und griff zu, auch da, wo er seinen Gefühlen einen Zwang antun mußte. Er saß bei Tisch neben seiner Antonie, der einzige, welcher, seiner Wehmut zum Trotz, Appetit entwickelte, und bedauerte nur, daß sein gütiger und vortrefflicher Gastfreund, der Herr Pastor, nicht auch an dem freundlichen Mahle teilnehmen konnte. Die übrigen wußten wenig zu sagen und konnten noch weniger essen.
Es war ein schöner, stiller, warmer Abend; die Erde sah auf den Mond, als ob Höhenrauch und Regenwolken gänzlich unbekannte Begriffe für sie seien, und die Bewohner des Lauenhofes blickten teilweise auch zum Monde empor. Sie gingen nämlich nach dem Abendessen im Garten spazieren – es war wirklich eine wunderschöne Herbstnacht. Der Edle hatte natürlich wiederum den Arm Antoniens unter den seinigen gezogen und führte sie langsam durch die hellen Gänge, als ob er seit zwanzig Jahren jede Nacht verstohlen über die Mauer geklettert sei, um sich Ortskenntnis zu verschaffen. Er plauderte nunmehr ganz munter – er war sehr heiter – er war ausnehmend vergnügt und in der Tat ungemein unterhaltend. Selbst Hennig, welcher grollend hinter dem Alten und seiner Enkelin drein zog und Blätter und Zweige von den Büschen abriß und sie entweder grimmig in den Weg streute oder sie noch grimmiger zerkaute, mußte mit immer stärkerem Interesse ganz gegen seinen Willen aufmerken.
Da sprach der vielerfahrene, weitgewanderte Greis, mit einem Blick auf den guten, ehrlichen Mond, von der schönen Stadt Wien, und wie herrlich man dort lebe. Hohe Dinge redete er von seinem Leben dort und den noch höheren Personen, welche ihn daselbst der Ehre ihrer Bekanntschaft würdigten. Dann erzählte er von Italien, und jetzt fing der Mond an, wirklich sein ehrlich, breit Gesicht zu einem Grinsen zu verziehen. Von Venedig, Mailand, Padua, Mantua usw. schwärmte er, und seltsamerweise mit der höchsten Begeisterung von der herrlichen Stadt Verona. Der Name schien ihn jedesmal in eine mildere Ekstase zu versetzen. Von Romeo und Julia, vom Dietrich von Bern schien er wenig zu wissen; aber desto mehr wußte er von der trefflichen strategischen Lage des Ortes und über das Fort San Felice und das Kastell San Pietro zu sagen. Fast zärtlich sprach er von der dreifachen Verteidigungslinie der Stadt, von all den wunderbaren Massentürmen, Terrassen, den bastionierten Fronten, Revers- und Traversalmauern, Ausfallsrampen und dem Brückenkopfe am neuen Arsenale: es war kaum zu glauben, daß dieser Mann einst an jedem Sonnabendabend die Krodebecker Bauern für den sonntäglichen Kirchengang rasiert hatte!
Er wußte ausgezeichnet gut Bescheid in Verona, und wer ihn hörte, der mußte, wie er sich auch sträubte, endlich daran glauben, daß die Veroneser über diesen ihren zweiten Dietrich von Bern in einem fortwährenden Taumel von Entzücken und Dankbarkeit schwammen. Kein Mensch auf Erden meinte es so gut mit den Veronesern wie der Edle von Haußenbleib, und wiedermal drückte der Edle das Taschentuch auf die Augen, wenn er an die gratitudine und riconoscenza der braven Leute dachte.
„Ich habe sie schon dreimal mit verproviantieren helfen!“ rief der Edle in diesen süßen Erinnerungen schwelgend, und dann – dann wendete sich der Gartenpfad, und die drei Lustwandelnden richteten ihre Schritte von neuem dem alten Herrenhause zu. Dort schimmerte die Lampe durch die Glastüren und Fenster des Gartensaales, und wenn man näher herantrat, erblickte man den Ritter von Glaubigern und das Fräulein von Saint-Trouin an dem noch gedeckten Tische, die Stirnen auf die Hände gestützt, kummervoll einander gegenübersitzend; und das war gewiß kein fröhlicher Anblick. Die Frau Adelheid hatte sich längst zu ihrer Mamsell Molkemeyer begeben und saß ganz behaglich, ihr Herz ausschüttend, in der Milchkammer; aber diese beiden armen Greise saßen, trotz der Gesellschaft, die sie einander leisteten, allein – ganz allein – jedes für sich allein! Sie erschienen kümmerlicher, verlorener, antiquierter denn je, und es gab nichts Schmerzlicheres in der Welt für Antonie Häußler, als zu gleicher Zeit den Gesprächen ihres muntern, hellen Großpapas zuhören zu müssen und diese beiden guten, alten, treuen, sonderbaren Leute, deren letzter Lebenstrost sie gewesen war, im Auge zu haben.
„O und wie oft werde ich sie noch verproviantieren helfen!“ jubilierte der Edle, und in diesem Augenblicke trat die gnädige Frau, welche ihre Seele in der Milchkammer vollkommen befreit hatte, zu ihm, und der Herr von Haußenbleib fing von neuem an, seinen seligen Empfindungen über die Kasematten und bombenfesten Speicher von San Felice Worte zu geben.
Sie traten wieder in den Gartensaal und nahmen wieder Platz an der Tafel, und da der Edle nunmehr bei dem Feldzuge von achtzehnhundertneunundfünfzig angelangt war, so stieg seine Begeisterung natürlich auf den Gipfel. Das Wasser lief einem im Munde zusammen, wenn man ihn von den Delikatessen reden hörte, die er für das kaiserlich-königliche Heer in seinem wunderbaren Verona aufgehäuft hatte. O diese glückseligen Veroneser! Sie bekamen ja nach dem Frieden von Villafranca alle schönen Reste, welche das kaiserlich-königliche Heer übriggelassen hatte, und der gnädigen Frau fing wirklich an das Wasser im Munde zusammenzulaufen.
Nun zog sich der Edle bescheiden hinter seine Verdienste in doppelter Bedeutung zurück und ließ nur leise ahnen, wie sehr sein Eifer und seine Mühen Anerkennung und Würdigung gefunden hatten. Die gnädige Frau schüttelte immer verwunderungsvoller, aber auch immer billigender den Kopf, und ihre Blicke auf Antonie wurden immer teilnehmender, inniger und gerührter, als ob sie sich im geheimen sage: „Nein, was für ein Glück dieses Mädchen hat! Was für ein Glück dieser Mensch, dieser Häußler gehabt hat! Es ist ein Vergnügen, ihn von komprimiertem Gemüse sprechen zu hören, und wie man sonst von ihm denken mag, seine Zeit hat er nicht verloren. Ei, was für eine verzauberte Prinzessin haben wir in der Tonie hier auf dem Lauenhofe aufgezogen, während er in einem Jahre mehr erlebte als der Lauenhof in einem Menschenalter! Alles, was recht ist, aber das muß man dem Mann lassen, er überhebt sich nicht und weiß doch zu reden. Wer hätte gedacht, als mein Seliger ihn zur Tür hinauswarf, daß er auf solche Weise wieder hereinkommen würde? Munter! Man muß ihm wirklich mit Pläsier zuhören, und ich sehe wahrhaftig nicht ein, weshalb die Tonie immer noch mit solcher Jammermiene dasitzt! Darüber muß ich doch mit dem Herrn von Glaubigern reden.“
Die arme Antonie! Sie saß wieder zwischen dem Ritter und dem Fräulein und schien ihr Glück durchaus nicht zu begreifen. Noch wenigstens war sie nicht imstande, über das Kastell San Pietro und das Fort San Felice den Lauenhof und die guten, alten, treuen Freunde zu vergessen. Als der Edle sie endlich beim Abschiednehmen zärtlichst auf die Stirn küßte, brach sie in ein krampfhaftes Weinen aus, welches um so heftiger wurde, je mehr sie dagegen ankämpfte.
„Es ist die übermäßige Freude“, meinte der Edle, „und es wird das beste sein, ich überlasse sie jetzt der treuen Teilnahme derer, welche ihr bereits soviel des Guten erwiesen. Obgleich Tausende auf die wenigen Jahre, die mir noch vom Leben übrigbleiben, Anspruch haben, werde ich doch gern einige Tage in der alten Heimat verweilen, um dem Kinde Zeit zu geben, sich zu beruhigen und sich in sein neues Leben zu finden. Ach, meine Herrschaften, mit schwerem Herzen und schwankendem Fuße betrat ich diesen Boden, aber dankerfüllt und leichten Gemütes scheide ich und wünsche sämtlichen hochverehrten Anwesenden eine angenehme Nachtruhe. Ach, was mich selbst betrifft, so werde ich trefflich nach einem so segensreichen Tage schlafen. Gnädige Frau – gnädiges Fräulein – meine Herren, ich hab die Ehr!“
Er hatte die Ehre, sich zu empfehlen, d. h. er ging für heute; daß er jedoch morgen wiederkommen werde, unterlag keinem Zweifel. Er ging, nachdem er den schönen Überrock, welchen ihm am Nachmittag sein Diener nachgetragen hatte, angezogen hatte. Die gnädige Frau begleitete ihn bis auf die Treppe der Haustür, und hier küßte er ihr die Hand und jagte ihr dadurch einen solchen Schrecken ein, daß sie fast das Licht fallen ließ. Die Begleitung eines Knechtes und einer Laterne lehnte er dankbar ab, da es ihm Vergnügen mache, seinen Weg durch Krodebeck einmal wieder allein zu finden.
„Hm“, sprach er, als er in der Dorfgasse stand, „wer hielte mich jetzt nicht für einen Narren?“ Gleich darauf lächelte er und berührte den Nasenzipfel mit dem Stockknopf: „Nun, solange ich selbst mich nicht dafür ansehe, wollen wir diese Frage beiseite lassen. Ach, welch eine angenehme Nacht! Also dies ist Krodebeck, und das war die Tochter der Marie? Ah, wandeln und genießen wir alle Eindrücke, wie sie sich darbieten! O Heimat, Heimat, weshalb darf ich dich nicht auch verproviantieren? Chè diavolo, nur dadurch könnte ich alle meine Verpflichtungen gegen dich abtragen, und wer trüge nicht gern alte Schulden ab, wenn es auf solche Art geschehen könnte?!“
Unendlich wohlwollend sah er sich um; aber er pfiff leider auf eine sonderliche Weise dazu, und dann ging er langsam weiter, immerfort nach rechts und links ausschauend und mit heimwehtrunkener Seele die lange entbehrten Düfte von Krodebeck einschlürfend.
„Noch geradeso wie vor dreißig Jahren!“ murmelte er. „Und dort ist der Krug, und man scheint sich, wie vor dreißig Jahren, drin zu prügeln. Evviva, welch eine herrliche, stärkende, göttliche Luft! Wirklich, man prügelt sich dort. Und wenn ich daran denke, daß auch ich – – – ach, lassen wir uns von dem weichen Herzen nicht allzusehr entmannen, lauschen wir lieber in genügender Entfernung und mit heiterer Erinnerung schönerer Tage, warum man sich eben im Kruge prügelt und wer sich prügelt.“
Er trat ein wenig näher, und in demselben Moment quoll der kämpfende Haufe aus der Tür der Schenke hervor, und ein arg zerzauster Mensch flog unter einem Sturm von Fußtritten und Faustschlägen ihm vor die Füße, rappelte sich so eilig als möglich auf und schoß ächzend, fluchend und schimpfend in die Nacht hinein, gerad als der Mond hinter dem Horizonte versank.
„Na, so gfallt’s mir, dös muß i sagn!“ erklang eine Stimme aus der Mitte des siegjauchzenden Haufens, und der Edle von Haußenbleib trat noch einen Schritt näher, hielt die Hand hinter das Ohr und murmelte:
„Eh, eh, mein Joseph? Piano! Das gfallt mir auch! – Holla, heda, Joseph!“ rief er, und sogleich stand der Gerufene neben ihm und rief atemlos:
„Euer Gnadn, i hab mi neutral verhalten, ganz neutral; aber a kreuzbrav Volk ist’s hier, Euer Gnadn. Da habn sie den Mensch, weil er auf Euer Gnadn, mit Permiß zu sagn, großartig geschimpft hat, blitzblau schlagn.“
„O, wie leid tut mir das“, seufzte der Edle. „Und wen haben sie dergestalt gemißhandelt?“
„Den Peter Quickbrey aus dem Siechenhause!“ erklang es aus dem Kreise der jungen Bauern, welche sich jetzt dumm verschämt herangezogen hatten. „Der Herr ist eine Ehre für Krodebeck, und von solchem Kerl und Zuchthäusler lassen wir Sie nicht verschimpfieren, Herr Häußler, und deshalb haben wir ihn traktiert, wie sich’s schickte, und ihm das Maul gestopft.“
„Hm, hm, der Peter Quickbrey!“ murmelte der Edle unendlich elegisch. „Also der lebt noch? O meine Herren, den hab ich freilich in meiner frühesten Jugend gekannt, allein er war schon damals keine Ehre für das Dorf, und kein anständiger Mann duldete ihn in seiner Gesellschaft. Also der arme Teufel lebt noch, und zwar im Siechenhause; – Joseph, erinnere mich doch morgen, daß ich ihm eine kleine Unterstützung in das Siechenhaus schicke. Meine Herren, ich danke herzlich für Ihre freundliche Intervention; sollte einmal jemand von Ihnen bei Seiner Kaiserlich-Königlich-Apostolischen Majestät – doch das hält uns zu lange auf – meine Herren, ich danke nochmals und wünsche Ihnen, recht wohl zu ruhen.“
Ein dumpfes, furchtsames, achtungsvolles Gemurmel der Bauern begleitete ihn auf seinem Rückzuge. Schnelleren Schrittes eilte er dem Pfarrhause zu, wo die ganze Familie ihn mit Herzklopfen erwartete und wo er noch einmal in vollster, heiterster Liebenswürdigkeit zu strahlen begann, ehe er sich zur Ruhe begab.
In dieser Nacht gab es in Krodebeck vom Siechenhause bis zum Lauenhofe kein Dach, unter welchem man nicht vom Edlen Dietrich Häußler von Haußenbleib träumte.
Im Siechenhause rieb sich der Emeritus auf seinem Strohsacke wütend Schultern und Rücken, und im Herrenhause hatte der Junker Hennig von Lauen eine Gespenstererscheinung.
Es erschien nämlich dem Junker um Mitternacht oder doch nicht lange nach Mitternacht der Chevalier Karl Eustachius von Glaubigern in dem genügend beschriebenen Callot-Hoffmannschen Nachtkostüme mit dem Nachtlicht in der Hand, winkte ihm, ruhig liegenzubleiben, setzte die Lampe auf den Tisch und sich neben das Bett des jungen Mannes, schlug die Hände zusammen und stöhnte:
„Oh, Hennig, was fangen wir an? Er würde sie uns verkaufen, wenn wir ihm genug dafür bieten könnten; er wird sie in Wien verkaufen; es ist mir alles, alles klar, und es gibt kein Mittel, ihn in seinem Willen zu hindern als das Geld, das Geld – das Geld! Fräulein Adelaide sitzt auch noch wach auf dem Bette – ich sah ihr Licht unter der Tür durchschimmern – wer kann in dieser Nacht auf dem Lauenhofe schlafen?“
Nun hatte der Ritter den Junker freilich aus einem ganz gesunden Schlummer erweckt, aber das war einerlei; der ruhelose Kummer achtet in solchen Stunden nicht allzu genau auf die Gemütsverfassung der Umgebung; er überträgt sein Gefühl womöglich auf das Universum und schwatzt deshalb so häufig in den Tag oder die Nacht hinein.
„Seit ihr an jenem unglücklichen Abend von eurer Ernte heimkamet, Hennig, ist mir keine ruhige Stunde mehr zuteil geworden. Die Seele hab ich mir zermartert um die Frage, was diesen Mann zu diesem, auf den ersten Blick so törichten Vorgehen gebracht haben könne. Jetzt weiß ich es! Er hat erfahren, wie schön und gut das Kind geworden ist, und er kann es nun gebrauchen, und jetzt nimmt er es mir – mir, welchem es ganz und gar allein zu eigen gehört! Er nimmt es mir, und ich bin ein armer Mann, der auch nur von den Almosen anderer gelebt hat: ich habe kein Geld, mein Eigentum dem elenden, erbärmlichen Gesellen abzukaufen. Er nimmt es mir, der es mit seinem Herzblut nährte, in dessen Gedanken es seine ganze Heimat hat und der allein weiß, was es in diesem armen Leben wert ist!“
„Nun ja, ich weiß doch auch, was ich weiß!“ murmelte Hennig unter seiner Decke hervor, aber der Chevalier schüttelte betrübt den Kopf:
„Das könnte Fräulein Adelaide auch sagen; aber es ist gleichgültig; wir vermögen alle nichts gegen die Macht, welche uns in der Höhe und in der Tiefe entgegensteht. Knabe, es ist das ganze Schrecknis der Welt, das mir mit einem Male klargeworden ist, und – es ist auch gleichgültig, zu wem ich davon rede. Das ist das Schrecknis in der Welt, schlimmer als der Tod, daß die Canaille Herr ist und Herr bleibt. Ach, schlafe nur, mein Sohn; ich will nun auch zu Bett gehen, mich friert entsetzlich.“
Während auf dem Lauenhofe der Ritter von Glaubigern so das Elend der Erde fühlte und jetzt gespenstisch die Wände entlang sich zu seinem Gemache zurücktastete, stützte sich in dem friedlichen Pfarrhause, in der ehelichen Kammer, die Frau Pastorin im Bette auf den Ellbogen und sprach:
„Da hast du nun, was du gewollt, und wie du’s gewollt hast, Buschmann! Droben liegt er in meinem Visitenbett, und wie ich ihn jetzt kennengelernt habe, liegt er im sanftesten Schlummer, und wir sitzen hier wach in Angst und ?rger. Buschmann, Buschmann, so hast du es gewollt! Das war ein Heimlichtun mit seinem Briefe und deiner Antwort darauf; selbst der arme Franz durfte nicht das geringste davon erfahren, und hätte ich nicht von meinem Rechte Gebrauch gemacht, so würde ich auch nichts erfahren haben. Was mischtest du dich in Sachen, welche dich nichts angingen? Aber so bist du, Buschmann; sein großmäuliger Brief verdrehte dir auf der Stelle den Kopf. Da mußte auf der Stelle geantwortet und haarklein Bericht über das alberne Mädchen und alles, was damit zusammenhing und -hängt, gegeben werden, und Quartier wurde angeboten, und dann ging die Komödie mit den Leuten vom Lauenhofe an, und wir wußten von nichts, als die Warwölfin kam, und dann wurde das arme Kind, der Franz, ins Blaue geschickt. Da mußte er unbedingt als reuiger Millionär seinen Wohnsitz in Krodebeck nehmen, und man konnte nicht wissen – und man mußte die Augen offen behalten – und es war unsere christliche Pflicht und Schuldigkeit, und wie die schönen Redensarten sonst noch heißen: aus der Haut möcht ich jetzt über die Dummheit fahren! Mein Visitenbett und die Bewirtung läßt er sich freilich gefallen, aber weiter haben wir nichts davon, als daß wir uns mit den Leuten auf dem Hofe tödlich verfeindet haben. O Buschmann, Buschmann, wenn der Mensch in diesem Augenblicke von etwas träumt, so träumt er von deiner Stupidität, und er hat recht, ich tät’s selber an seiner Stelle. So rede doch! Mit einem solchen Schafsgesicht besserst du nichts!“
Der Herr Pastor stöhnte schwer, allein er antwortete nicht; denn was er auf diese schöne Rede erwidern konnte, durfte er nicht äußern. Ach, er war nicht der Mann gewesen, so feine diplomatische Fäden allein zum Gewebe zu schlingen; er hatte in dieser Angelegenheit nichts ohne das Wissen und den Willen der Gattin getan: wahrlich, er mochte mit Fug und Recht ächzend an seinen Busen schlagen! Was den Edlen Häußler von Haußenbleib anbetraf, so lächelte der wirklich im Schlaf, und gleichfalls mit Fug und Recht; aber am andern Morgen erwachte er doch auch ziemlich früh und – überlegte. Daß er der Überlegung rasch die Ausführung folgen lassen würde, konnte man von ihm erwarten, und so geschah’s, zumal da schon beim Kaffee ein Eilbote von der nächsten Telegraphenstation mit einer Depesche anlangte, welche die Anwesenheit des großen Mannes in Frankfurt am Main dringend wünschte und die er mit bescheidenem Selbstgefühl sowohl seinen Gastfreunden im Pfarrhause wie auch den Herrschaften auf dem Lauenhofe zur Einsicht vorlegte.
„Ich – wir sind den Frankfurtern manche Verbindlichkeiten schuldig“, sagte er; „Tonerl, ich muß am Nachmittag reisen, so sehr es mich schmerzt, die teure Heimat sozusagen nur im Fluge zu streifen, um dich, meinen höchsten Schatz, mit mir draus fortzutragen. Nur das tröstet mich und wird auch die Freunde im Kreise trösten, daß ich dich in ein schönes, glänzendes Leben hineinführe und alte Schulden mit Zins und Zinseszins ausgleichen kann. Ich habe auch stets gefunden, daß ein kurzer Abschied einem langen bei weitem vorzuziehen sei; das übervolle Herz schöpft man bei solcher Gelegenheit ja doch niemals leer.“
Bei den letzten Worten zog er die Uhr hervor und sagte:
„Wir haben also noch drei Stunden zur Verfügung; o Tonerl, brich mir nicht das Herz durch diesen Blick!“
Drei Stunden! Er sprach diese beiden Worte langsam aus und sah dabei jedermann der Reihe nach fest und freundlich an; er hatte sein wahres Vergnügen an der Bestürzung, welche sich auf jedem Gesichte malte.
Wer könnte nun schildern, wie sie auf dem Lauenhofe diese drei Stunden ausfüllten, wie sie Abschied nahmen und dem Wagen nachblickten, der das Pflegekind von dannen trug?! Weder der Ritter von Glaubigern noch das Fräulein von St-Trouin haben etwas Neues oder Geistreiches dabei bemerken können. Die anderen gleichfalls nicht. Aber die Berge, Hügel und Wälder, die Wohnungen der Lebenden und die Gräber der Toten, die Wände der gelben Stube und der chinesische Pavillon auf der Gartenterrasse redeten wie mit Menschenzungen.
Die gnädige Frau meinte zwar auch, es sei gut, daß der Herzquälerei so schnell ein Ende gemacht worden; aber sie wandte sich doch mit Tränen in den Augen ab; – Hennig sagte nichts als:
„Lebe wohl, Antonie!“
Als der offene Wagen gegen vier Uhr nachmittags durch den sonnedurchleuchteten Tannenwald rollte und der behagliche alte Herr neben der jungen bleichen Dame eben die erste Zigarre anzündete, erhob sich Jane Warwolf vom Rande des Straßengrabens, streckte die Hand gegen die Reisenden aus und schrie heiser und zornig:
„Du bist doch ein Narr, Dietrich Häußler!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Schuedderump