Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Hinter uns versinken die blauen Berge des deutschen Nordens; es versinkt der alte, sagenhafte Gipfel des Brockens, der bis jetzt so vertraut und doch so geheimnisvoll auf den Lauf dieser nachdenklichen Alltagsgeschichte herabsah und in jeden Traum mit seinen uralten Märchen und ewig neuen Gedichten hineinwinkte. Vor uns im Süden steigen immer andere Berge über immer andern grünen und fruchtbaren Ebenen auf: wir aber fahren dahin über den Häuptern und Wohnungen der Millionen, bis ein letzter Kranz himmelanragender, zackiger Gipfel den Horizont begrenzt. Dahinter liegt Italien, dahinter wohnt ein anderes Volk, und wir besinnen uns, daß wir von deutschen Leuten schreiben und erzählen.
Siehe dort unten unsern Weg!
Jetzt liegt er im Sonnenschein und Frieden; die Glocken der Kirchen dringen leise zu uns herauf; wenn es auf den Feldern blitzt, so ist’s das Gerät in der Hand des Ackermanns, wenn es rollt und rauscht, so ist’s die freudige Arbeit der Menschen, und wenn ein Lied klingt, so ist’s auch ein Schall der Freude.
Wie lange wird das dauern?
Noch eine kurze Zeit, und diese Friedensglocken werden Sturm rufen, und ein ander Rollen und Rauschen wird sich erheben. Dann wird es auch auf den Feldern flimmern und blitzen; aber ein ander Gerät wird in den Händen der Arbeiter sein, und eine schreckliche Arbeit wird man damit verrichten. Wie riesige Schlangen werden die Heere, schillernd und dunkel zugleich, über die Ebenen gleiten, durch Wälder, Städte und Dörfer, über Flüsse und Gebirge sich winden. Aus Schluchten und Tälern werden sie hervorbrechen und züngelnd sich suchen; und gleich riesigen Schlangen werden sie sich finden und umfassen und werden sich umwinden und erdrücken wollen. Ein Schauspiel für die Götter, wird das eine der Ungeheuer sieghaft das Haupt emporbäumen im Qualm und in den Flammen brennender Städte und Dörfer, und mit Tränen in den Augen werden die – die – Unbefangenen in der Nation sich die Hände reiben über den Sieg.
Schön! Wenn man ganz genau wüßte, daß die Olympier wirklich mit Herz und Hand an dem Kampfe um Ilion beteiligt wären, so könnte man die Sache sich schon gefallen lassen; allein es hat stets nachdenkliche Leute gegeben, die offen und rücksichtslos behaupteten: der Kampf der Mäuse und der Frösche liege den Herrschaften da oben viel mehr am Herzen als der Zorn des schnellen Achilleus und die biedere Tapferkeit Hektors, und nicht die Iliade, sondern die Batrachomyomachie sei das Lieblingsbuch derer auf den goldenen Stühlen.
Das ist freilich unter allen Umständen eine schlimme Vorstellung für die armen Sterblichen, die in allen Dingen so sehr auf die gute Meinung angewiesen sind, welche sie von sich selber und den hohen Regierenden haben. Fort damit! – Und wenn sich der Krieg vom Frieden nur durch einen etwas mehr zusammengedrängten und inhaltreichern Lärm und Tumult unterscheidet, so ist das Mehr oder Weniger in dieser Beziehung doch von einiger Bedeutung für das Wohlbehagen der Menschheit und darf nicht allzu leichtsinnig unterschätzt werden.
So fahren wir, denn noch liegt ja die Welt im Frieden, soweit ihr derselbe möglich ist, und, bei den Göttern, wie ein Garten Gottes ist das deutsche Land anzuschauen – sehr hoch von oben – aus der Vogelperspektive! So fahren wir – jetzt durch das ewige Blau, und jetzt durch das ewig wechselnde, verwehende, von neuem sich ballende, vielfarbige Gewölk. Die goldenen Tropfen sprühen um uns her, in jeglichem spiegelt sich der beneidenswerte Komfort der Unsterblichen, und nur solange wir uns also in der Höhe halten, nehmen auch wir teil an dem impertinenten Behagen jener. –
Siehe, da ist die große Wasserscheide! Hunderttausende fliegen daran vorüber und denken nicht daran. Ein Bach geht südwärts und wird das Schwarze Meer erreichen; ein Bach rauscht nach Norden, und seine kleinen Wellen werden in den mächtigen grauen Wogentanz der Nordsee gezogen werden. Es ist Verstand – ein Weltverstand in dem geschwätzigen Rauschen und Murmeln, und das beste ist doch, daß keine menschliche Macht und Willkür das lustige Element hindern wird, seinen verständigen Willen durchzusetzen.
Aber schon senken sich unsere Flüge. Schon haben wir kaum noch etwas mit dem Weltverstande zu schaffen. Jener Strich durch die Marchebene ist die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, und auf jenem Bahnzug, der soeben mit Geschnauf und Gezisch Lundenburg passiert, sitzt ein alter guter Freund von uns, der sehr edle Junker Hennig von Lauen aus Krodebeck, der nun wiederum einige Jahre älter geworden ist, einiges in diesen Jahren erlebte, den wir als einen ganz verständigen Menschen kennenlernten, von dessen Weltverstande es bis jetzt jedoch ebenfalls heißen mag:

„Aus besondrer Konsideration
Wollte man stilleschweigen davon“,


wobei das übrige im Examen des Kandidaten Hieronymus Jobs nachzulesen sein würde.
Er kam von Krodebeck und wußte im letzten Grunde durchaus nicht, weshalb er es verlassen habe. Gesund und männlich genug sah er aus; daß er klüger aussehe, konnte man gerade nicht behaupten, und was das schlimmste war, frei und leicht blickte er eben nicht in die sonnige Abendlandschaft hinein und nach den Kleinen Karpaten zu seiner Linken hinüber.
Er trug einen schwarzen Flor um den Hut – es hatte sich manches in der Heimat verändert, seit Tonie Häußler den Lauenhof verlassen mußte. Der Junker war nicht umsonst einige Jahre älter geworden; was aber auch geschehen sein mochte, nichts war aus dem gewöhnlichen Lauf der Dinge herausgefallen, und das ist unter allen Umständen wenigstens ein Trost für den wohlmeinenden und treuen Historiographen, selbst in einem Bericht wie der unsrige.
Wir wissen, daß der Junker von Lauen um die Zeit, als der Edle Dietrich Häußler von Haußenbleib auf dem Lauenhofe erschien, gleichfalls im Begriff stand, den Hof für einige Zeit zu verlassen, um in Berlin die Landwirtschaft von einem höhern, geistigern Standpunkt auffassen zu lernen. Das war ausgeführt, wie es im Familienrat beschlossen wurde; der Junker war ausgezogen gen Ahala – wie er sich jetzt auf dem Wege nach Ahaliba befand –, er war heimgekommen und mußte in der Tat sich sehr merkwürdigen und geheimnisvollen Studien hingegeben haben, denn der Lauenhof bemerkte von den Früchten derselben, weder im Guten noch im Schlimmen, das allergeringste. Fräulein Adelaide von Saint-Trouin behauptete natürlich: sie habe doch recht gehabt; der Ritter von Glaubigern zuckte kümmerlich die Achseln, und die gnädige Frau meinte:
„Er hat wenigstens einmal frische Luft geschöpft!“
Was sie sich unter dieser frischen Luft eigentlich vorstellte, das mochte sie vor allen vier Winden verantworten.
Es war kein angenehmes Leben auf dem Lauenhofe. Der Ritter und das Fräulein schrieben viele Briefe nach Wien und erhielten viele Briefe von dort; sonst aber kümmerten sie sich um nichts mehr und schlichen ohne Teilnahme umher oder saßen trübselig in ihren Stuben. „Ich würde einen Finger von meiner linken Hand darum geben, wenn ich ihnen dadurch ein neues Spielzeug verschaffen könnte!“ seufzte die gnädige Frau.
„Es ist nicht auszuhalten!“ rief der Junker, und er hielt es auch nicht lange aus. Eines Morgens spielte er seine letzte Karte gegen diese Öde und Langeweile aus, setzte sich zu Pferde, ritt nach Halberstadt und trat als Einjähriger Freiwilliger Kürassier in das Regiment. So brachte er ein zweites Jahr nach dem Abschied Tonie Häußlers erträglich hin; allein auch das ging vorüber, und als er dann wieder nach Hause kam, fand er daselbst das alte Leiden in derselben melancholischen Blüte und selbst seine alte brave Mutter müde, verdrießlich und verstimmt, und das war das schlimmste.
„Ach, Hennig“, sprach die Gnädige, „jetzt erst sehe ich recht ein, welchen Trost und welche Hülfe ich vordem an dem Chevalier gehabt habe. Jetzt weiß niemand mehr, warum er lebt; es ist, als habe jeder nur daran sein Vergnügen, daß er dem andern den Tag so sauer als möglich mache. Jede gute Stunde wird einem vor der Nase weggeschnappt, und allmählich kommt es doch auch mir vor, als ob in meiner Jugend alles besser gewesen sei, selbst das Wetter. In meinem ganzen Leben ist mir die Butter nicht so oft mißraten als jetzt. Mit den Leuten läßt sich auch nicht mehr wie früher verkehren; – es ist alles anders geworden, ich verstehe die Welt nicht mehr, und so kann ich dir nicht helfen, mein Junge, du wirst die Zügel jetzt selbst in die Hand nehmen müssen, und ich werde mich hinter mein Spinnrad setzen und es wie die andern machen und den lieben Gott verlästern vom Abend bis zum Morgen und umgekehrt – wie die andern.“
Vergeblich hatte Hennig versucht, der Mutter diesen Vorsatz auszureden. Sie blieb fest, und der Ritter und Leutnant Karl Eustachius von Glaubigern hatte wirklich als gewissenhafter Chronist den Beginn einer neuen Regierung in das „Geschichtsbuch“ derer von Lawen auf dem Lauenhofe einzutragen. Das geschah grade um die Zeit, als der Pastorenfranz nach abgelegtem alten Adam, ein ganz anderer Mensch und ein wohlbestallter, wirklicher Kandidat der Theologie, von Halle kam, um seinen Vater in der Führung seines Amtes zu unterstützen. Längere Zeit betrachtete der gottselige Jüngling den Jugendfreund und sprach sodann wehmütig-salbungsvoll und mit leisem Kopfschütteln:
„Hennig, auch du hast den Weg zur Gnade noch nicht gefunden!“
Darüber ließ sich nun nicht streiten, und obgleich der Junker den frommen Freund ebenfalls eine ziemliche Weile mit einem etwas eigentümlichen Seitenblick von oben bis unten maß, so mußte er doch zugestehen, daß die Gnade freilich noch nicht bei ihm eingekehrt sei.
„O Buschmann!“ seufzte Hennig fast ebenso kläglich wie der Kandidat; allein der Ton war doch ein anderer und deutete nicht darauf hin, daß der Pastorenfranz viel dazu beitragen werde, daß das, was er die Gnade nannte, sehr bald bei diesem Sünder einkehren werde. –
Der Kandidat Buschmann hatte es viel besser als der Junker von Lauen. Er war in seinem Gott vergnügt, trug das Haar à la Jésus-Christ gescheitelt, und wenn er sich je langweilte, so nannte er das Zerknirschung, gab sich eine Haltung dadurch und machte sich sogar ein Verdienst daraus. Ob er immer noch einen Teil seiner kostbaren Zeit der Lektüre des Chevalier Faublas und der Claurenschen Romane widmete, wollen wir dahingestellt sein lassen; aber ein Faktum ist, daß er mit ziemlichem Beifall vor den Bauern von Krodebeck predigte und fester denn je an eine dereinstige selige Auflösung seines Herrn Vaters die schönsten Hoffnungen knüpfte, sowohl für den Herrn Vater wie auch für sich selber. Von Antonie Häußler sprach er selten, und wenn es geschah, stets mit der größten Hochachtung; dem Ritter von Glaubigern und dem Fräulein ging er mehr denn je aus dem Wege. –
Von dem Ritter und dem gnädigen Fräulein an dieser Stelle zu reden, würde sehr unpassend sein. Wir werden mit ihnen noch einmal zusammentreffen und dann ausführlicher erfahren, wie sie in diesen Jahren lebten und dachten. Daß jene Seiten unseres Buches dann recht heiter und lichtvoll werden, können wir leider nicht verbürgen; der Trost, welchen ihre Zustände in diesen Zeiten dem Junker gewährten, war ein sehr mittelmäßiger, und ihr Leben auf dem Lauenhofe trug auch jetzt nicht dazu bei, ihrem Zögling das seinige daselbst erfreulicher zu machen.
Nachdem Hennig von Lauen die Zügel der Regierung ergriffen hatte, tat er ein ganzes Jahr lang sein möglichstes, um seinen Pflichten gerecht zu werden. Er säete und erntete, er trieb Handel mit allerlei Vieh und Früchten des Bodens; er ritt auf den Feldern umher und ließ sich doch in guten Augenblicken mit einigem Behagen von seiner Mutter darum loben. Wenn er gewußt hätte, was ihm eigentlich fehle, so würde er eine benachbarte hübsche und gutmütige Amtmannstochter geheiratet haben und schon jetzt so glücklich als möglich geworden sein. Er wußte es aber noch nicht, und so mußte denn das, was alle verständigen Leute der Umgegend späterhin wirklich sein Glück nannten, noch eine Weile anstehen.
Er hielt sich für entsetzlich dumm, was er nicht war, welche bescheidene Ansicht sogar von einem ganz offenen Kopf und gesunden Blick Zeugnis ablegte. Daß er sich für unmenschlich verlassen und elend versimpelt hielt, können wir eher gelten lassen; allein daß er bei verschiedenen Gelegenheiten sogar den Kandidaten Buschmann um sein Streben, Wissen und seinen freien Blick in die Welt beneidete, war wiederum im höchsten Grade übertrieben und mußte im Grunde niemandem lächerlicher erscheinen als dem Pastorenfranz selbst.
Jetzt erst traten die Folgen seiner ersten Erziehung recht zutage. Wenn auch der Meister Amos Comenius längst tot und begraben war und nicht wiederauferstehen konnte, so erwachten seltsamerweise die alten Wunder, welche die Enkelin Jehans von Brienne, Fräulein Adelaide Klotilde Paula von Saint-Trouin, Tyrus, Byzanz und Malta vordem in seine junge Seele gepflanzt hatte, zu erneutem Leben, wenn auch unter veränderten Formen und Farben. Er fing wieder an, Gesichte zu sehen, wie man sie nur in den Jahren sieht, in welchen noch alle Fibern der Phantasie der leisesten Berührung schwingend und klingend antworten, wo schon hinter dem nächsten Hügel, der die Aussicht versperrt, entweder das Paradies oder die Hölle liegt, wo kein Ton und Lichtstrahl uns trifft, kein Wolkenschatten auf uns fällt, ohne daß in Herz und Gehirn ein Heer von unbändigen Gedanken und närrischen Vorstellungen sich in den Sattel schwingt, sich in den Steigbügeln emporrichtet, und die geflügelten Rosse, allesamt mit einem Male die Schwingen entfaltend, mit Brausen zur Verwunderung und zum Ärger aller bereits verständig gewordenen Leute sich in die Lüfte erheben. Es ist immer sehr bedenklich, wenn dieser abnorme Zustand im Verlaufe eines Menschenlebens zum zweitenmal eintritt, und die Verständigen haben wohl recht, sich darüber zu entsetzen, denn wie jeder Rückfall zeugt er von einer bedauerlichen Schwäche der Konstitution nach einer bestimmten Richtung hin. Ein dritter Anfall pflegt gewöhnlich unheilbar zu sein und den Patienten für alle Zeiten entweder dem Gesichtskreis oder doch jeglicher Berücksichtigung in allen soliden Fragen und Verwicklungen der vernünftigen Leute zu entheben.
Eine prickelnde Unruhe und Ungeduld bemächtigte sich des Junkers von Lauen immer mehr, und diejenigen seiner Bekannten, die ihn wegen der Behaglichkeit seiner Existenz beneideten, wußten nicht, was sie taten; denn er selber glaubte nur deshalb in Krodebeck zu leben, um das Leben zu versäumen, und da er jetzt alt und selbständig genug war, um seinen Willen gegen einen andern, selbst gegen den seiner Mutter durchsetzen zu können, so tat er das oder verkündete wenigstens, daß er’s tun werde; allein grade zu unrechter Zeit und Stunde.
Die alte Frau erschrak heftig und erzürnte sich sehr an dem Abend, an welchem der Sohn ihr erklärte, daß er sein Regiment von neuem in ihre Hände und die des Herrn Fröschler, des jetzigen Oberverwalters und Majordomus des Lauenhofes, niederlegen werde, um den Hof noch einmal und wiederum auf längere Zeit zu verlassen. Es entstand eine betrübliche Szene und ein ärgerliches Hinundhergerede; aber Hennig blieb fest. Er erklärte, er komme um, wenn man ihm nicht seinen Willen lasse; er müsse reisen, er müsse die Welt sehen, ehe er es daheim aushalten könne. Jedermann sei in Paris und Italien gewesen, nur er nicht, und doch habe niemand nördlich vom Brocken jemals eine solche Sehnsucht, in den Vesuv zu gucken, gehabt als wie er, und man möge um Gottes willen Vernunft annehmen und ihn nur noch ein einziges Mal von der Kette loslassen, er wolle wie der gute Ritter Götz von Berlichingen sein Ehrenwort geben, daß er nachher nie wieder die Feldmark von Krodebeck überschreiten werde.
Die Mutter führte die triftigsten Gründe dagegen an. Sie wurde sogar ziemlich grob, indem sie behauptete: noch nie sei ein Herr von Lauen in die Welt ausgezogen, der nicht heimgekehrt sei wie der Peter aus der Fremde. Von dem Land Italien hatte sie überhaupt noch nie etwas Gutes vernommen, und jener Lauen, der mit dem Kaiser Lothar von Süpplingenburg drunten war, der mochte allein als abschreckend Exemplum für seine sämtlichen Nachkommen bis in die späteste Zukunft dienen, und der Herr Ritter von Glaubigern mochte noch heute zu jeder beliebigen Stunde in der Chronik mit dem Finger auf den unglückseligen Tropf deuten.
„Hm!“ hatte aber der Herr Ritter von Glaubigern gebrummt und weiter nichts hinzugefügt; das Fräulein von Saint-Trouin aber hatte sogar nicht undeutlich zu verstehen gegeben: was das schöne Frankreich anbetreffe, so sei sie allen Orleanisten, Republikanern und Bonapartisten zum Trotz gar nicht abgeneigt, die Gefahren und Unbequemlichkeiten der Reise zu teilen, und daß ein junger Mensch sich von chevalereskem Abenteurergeist beseelt zeige, finde sie gar so übel nicht, Kartoffelspiritus könne er in reiferen Jahren doch noch genug brennen.
„Es ist dummes Zeug, und es bleibt dummes Zeug, und ich gebe meine Einwilligung nicht. Übrigens magst du tun und lassen, was du willst, Hennig!“ hatte die Frau Adelheid von Lauen gerufen und sehr aufgeregt den Familientisch verlassen.
Es war ein stürmischer Februarabend, an welchem diese Verhandlung stattfand. Barhäuptig und im hohen Grade erhitzt schritt die Gnädige über den Hof, um nach ihrer Gewohnheit den letzten Trost am treuen Busen ihrer Mamsell Molkemeyer zu suchen, und zum ersten Male in ihrem Leben erkältete sie sich und wurde sehr krank.
Als man sie dann einige Tage später mit Mühe und Not fest in ihr Bett gebracht hatte, zog sie trotz dem Fieber und Schmerz einer Unterleibsentzündung den Kopf des Sohnes am Ohrläppchen zu sich nieder und flüsterte:
„Munter, alter Kerl! Wenn ich etwas in der Welt nicht leiden mag, so ist es solch ein Gesicht, und – du bist doch ein guter Junge, Hennig, und recht hast du auch darin, daß du deine jungen Tage gebrauchen willst, solange es noch Zeit ist. Ich hab’s ebenso gemacht, wie ich es verstand, und habe mich wenig um die sauern Mienen rundum gekümmert. Und, lieber Junge, auf schmucke, weiße Strümpfe hab ich von je viel gehalten, also sollt es sich so machen, wie ich fast vermeine, so guck einmal nach, oben in dem linken Eckzimmer nach dem Garten zu, in der Kommode rechter Hand, die unterste Schublade ganz unten. Da wirst du zwei Paare finden, mit Hanfgarn zugebunden, und sie mögen dir bekommen – das ist mein eigener Verdienst seit sechsunddreißig Jahren, und meine Patenpfennige stecken auch dabei, und du magst sie endlich wieder mal unter die Leute bringen, denn es wird doch Zeit dazu. Und Hennig, das sage ich dir, der Lauenhof gehört dir von Rechts wegen; aber den Ritter und das Frölen, die vermach ich dir, und ich weiß, du wirst die armen guten Kreaturen stets obenan zu Tisch sitzen lassen. Es gehört sich auch so, wenn es auch kurios genug ist, daß sie bleiben und ich gehe; denn wer hat stets und je auf das Leben geschimpft und gewinselt darüber, ich oder sie? Ich gewiß nicht! Ich habe an jedem neuen Morgen meine neue Lust gefunden, so schwer’s mir auch oft geworden ist. Es mag sein, daß ich nicht einen solchen tiefen Verstand davon gehabt habe wie die andern, aber kurios ist es, sehr kurios, und ich hätte nimmer gedacht, daß die beiden mir noch die Hände und Füße zurechtrücken würden! Nun ja, es ist einerlei; wer das Gute genossen hat, muß auch das andere mit in den Kauf nehmen, und solches wird dir ebenfalls nicht erspart bleiben, Kind. Jetzt geh und schick mir den Ritter, das kann gar kein Mensch aussagen, was für eine Gabe der Mann hat, einem über jede böse Stunde wegzuhelfen. O Hennig, Hennig, halte mir den Ritter in Ehren und setze ihn obenan und frage ihn stets um seine Meinung, auch wenn du es besser weißt und seinem Rate nicht folgen willst! Ich habe es stets so gemacht und bin stets gut dabei gefahren...“ –
Sollen wir davon erzählen, wie die vier schwarz behängten Rappen auf dem Lauenhofe scharrten und stampften, wie die Glocke der Dorfkirche von Krodebeck verkündete, daß eine wackere, gute Frau gestorben sei? Sollen wir davon reden, wie in der Kirche die Steinplatte von der Gruft der Lauen aufgehoben und der Sarg in das Gewölbe hinabgetragen wurde? Sollen wir von der Rede des Pastor Buschmann sprechen, von dem, was die Leute sagten, und von dem, was der Ritter von Glaubigern und das alte, alte Fräulein von Saint-Trouin nicht sagten? Wir fahren und haben keine Zeit dazu! Wochenlang war der Junker Hennig von Lauen außer sich, aber er hatte den ganzen Frühling vor sich, um sich zu beruhigen. Nachher überließ er doch dem Chevalier, dem Frölen und dem Administrator Fröschler den Lauenhof und ging wirklich auf einiges Zureden hin abermals auf Reisen. –
„Wenn du durch Wien kommen solltest, so bringe dem Kinde einen Gruß von mir; ich habe es sehr lieb gehabt. Sag ihr das, mein Sohn; aber – halt – dich nicht zu lange dabei auf!“ hatte die gnädige Frau am Tage vor ihrem Tode gesagt.
„Wagram! Station Wagram!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Schuedderump