Abschnitt. 2

Wo das Harzgebirge seine Vorberge gleich lustig grünen Vorwachten hinausschiebt in die norddeutsche Ebene, da spürt man’s in jedem Wasser und Wässerlein, das hervorsprudelt aus den Tannenwäldern und Buchenwäldern und dem Laufe der Täler folgt, wie eine Ahnung in jeder Welle, daß der gewaltige ewige Reigentanz dieses Elementes, das Meer, nicht allzufern und nun kein Fels und Abhang mehr zu überspringen sei, um die Heimat, den lustigen Festplatz, zu erreichen. Mit verhaltenem Jauchzen und einem allerliebsten, lachenden Leichtsinn, wie vierzehnjährige Mädchen aus der Schule, hüpfen die Bäche und kleinen Flüsse hervor: die Ilse und die Bode, die Oker und die Radau, die Selke und die Holzemme, und keine der ausgelassenen Dirnen weiß ihrer Lust genugzutun bis mitten in das flache Land. Hier beginnt dann freilich ein etwas altjüngferliches, fast matronenhaftes Schlurfen und Schleichen, bis die beiden alten Muhmen, die Weser und die Elbe, den gesamten Schwarm einfangen und ihn richtig der wackeren und munteren Großmutter, der Nordsee, abliefern, welche bei Bremerhaven und Kuxhaven ihre Türen weit genug offenhält. –
An einem dieser Wasserläufe, inmitten der letzten Hügelreihen des berühmten Gebirges, liegt das Dorf Krodebeck und dicht daneben das adlige Gut, der Lauenhof, auf welchem die Herren von Lauen sitzen und seit geraumer Zeit saßen. Die Gegend ist angenehm und ziemlich fruchtbar, die Bauern sind fett, wenn auch gerade nicht fromm; an Ackerfeldern, Wiesen und Wald ist kein Mangel, und der alte Brocken sieht sowohl den Bauern wie den Rittern ganz gemütlich über den Zaun und steht als Wetterprophet seit des Götzen Krodos Zeiten in dem größesten Ansehen. Krodo – Krodebeck, Bach des Krodo – etymologisiert ein nicht unbekannter und nicht unrühmlich bekannter antiquarischer Gelehrter der Umgegend, und wir wissen dadurch nunmehr sicher, auf welchem uralten und urheiligen germanischen Kulturboden die Männer des Ortes den Pflug zu Felde führen. Ein Bach plätschert freilich durch das Dorf und ergießt sich in das schon erwähnte Flüßchen, allein das Wässerchen heißt heute nur der „Bach“ oder vielmehr die „Beke“ an und für sich und trägt auf den ältesten Flurkarten und in dem Gedächtnis der ältesten Leute keine andere Bezeichnung.
Auch von dem Lauenhofe und den Herren von Lauen weiß der antiquarische Gelehrte einiges zu sagen; es hat sich das Geschlecht aber auch in frühern Zeiten von Goslar bis Quedlinburg der Pfaffheit und der Reichsbürgerschaft so bekannt gemacht, daß da – wie man heute in der Reichshauptstadt zu reden pflegt – alles aufhörte. Damals saß das Geschlecht jedoch weiter oben im Gebirge auf einer Burg, deren Trümmer der Liebhaber heute noch findet, wenn er vom Stubenberg bei Gernrode seinen Weg durch das wilde Hasseltal dem Hexentanzplatz zu nimmt. Leider hab ich vergessen, welcher Dynast, Bischof oder welche Stadt sich einst das Verdienst erwarb, mit dem Nest eine ganze Brut bis auf das jüngste Nestküchlein auszuräuchern; was aber dieses jüngste Nestküchlein anbetrifft, so habe ich eine dunkle Ahnung, daß es wie gewöhnlich durch einen treuen Diener gerettet wurde und sich unter den Schutz einer frommen Tante, einer Domina zu Gandersheim, flüchtete. Hier, unter der frommen Obhut und geistlichen Fürsorge wuchs der Knabe zu einem biderben Jüngling heran, sammelte später einen Haufen ihm an Flegelhaftigkeit und Frommheit nichts nachgebenden Gesindels, bemächtigte sich des Dorfes Krodebeck, richtete den Lauenhof auf, schlug sich weidlich herum mit Askaniern und Welfen, mit Stolbergern und Halberstädtischen und verschied seliglich als der Stifter einer neuen Linie, welche auch heute noch den Lauenhof festhält und wohl festhalten wird, obgleich sie auf zwei Augen und zwei Beinen steht, aber auf ganz muntern und soliden.
Von dem Lauenhof aus plagten die Ritter das Land bei weitem weniger als von der Lauenburg. Dagegen erzeugten sie mehr Korn, auch Obst aller Arten und vorzüglich viele Kirschen, die heutzutage in guten Jahren gern von Berliner Händlern auf den Bäumen gekauft werden. Sie brauten und brauen ein nicht zu verachtendes Bier, und ihre Viehzucht erhielt sich stets auf der Höhe der Zeit. Ihre Kinderzucht war weniger zu loben, denn das Geschlecht lernte erst gegen den Anfang des achtzehnten Jahrhunderts das Lesen und Schreiben; allein jeweilig fand sich ein biederer Junker, der gern und aufmerksam zuhorchte, wenn berufene Leute, Kleriker oder Laien, die Rede auf ästhetische oder wissenschaftliche Dinge brachten. Glaubwürdige Zeugen dafür könnten wir vorführen, wenn es uns gestattet wäre, diesen oder jenen Stein auf den Gräbern der Mönche zu Walkenried, Michaelstein, Schlanstedt und so weiter umzuwenden und die ehrwürdigen Schatten der gelehrten geistlichen Herren heraufzubeschwören.
Sie saßen gern nieder an dem Herd der Lauen, die Mönche, die fahrenden Schüler, und manch einer der letzteren, welchen der harte Winter auf den Lauenhof trieb, blieb auch den lustigen Sommer über drauf hängen, zog mit auf die Falken- und Schweinsjagd und setzte, falls sich Dinte, Pergament und späterhin Papier fand, zum Dank für gut Futter und Losament die Familienchronik fort.
Welcher Art aber diese Aufzeichnungen waren, das will ich zum Lobe des guten Geschlechtes kurz, jedoch nicht unvergnüglich mit einer Probe belegen.
„Anno domini 1578 war Hilmar Juncker zu Krodbke und auf dem Lawenhofe, mit dem hat sich ein Sonderliches zugetragen und hat es eine merkwürdige Ehr und weitruchbar Gloriam auf ihme gebracht. Das lief folgendermaßen: Als in bemeldtem Jahr Herr Friedrich des Namens der Viert von Liegnitz mit Dem von Schweinichen zu Herzogen Julium kamen, daselbsten einen Zehrpfennig zu holen, hat sich die Fama, daß die beiden Herrn im Land seyen, gar balde verbreitert, und ist ein mächtig Aufsehen auf jeglichem festen Haus geworden; sintemalen es kein Kleines war, wann der Herr von Schweinichen mit seinem Liegnitzer Herzogen in ein Thor einritt. Und ist ein Kehlenräuspern und Greifen nach denen Gurgeln gewesen, und wurde manch gut Rößlein aus dem Stalle gezogen zum Ritte nach Wolfenbüttel für des hochlöblichen Kreises Ritterehre und Ruhm.
Und ist der Ruf auch auf den Lawenhof gekommen zum Juncker Hilmar, und nach dreyen verdrießlichen Tagen voll Kopfreibens und unnöthlichen Bedenklichkeiten hat auch er gesattelt zum großen Turney und ist mit denen anderen Herren und seinem Knecht Zwiebrecht Affen gen Mitternacht gezogen zu des Herzogen Julii Hoflager. Nun haben Fürstliche Gnaden wohl zu solchem Zusammenfluß ein wenig scheel gesehen, denn Sie waren ein gar genauer Herr und den Conviviis und Poculationes wenig ergeben, und mit der Ritterschaft hatte es auch sonsten einen Haken, von wegen der verpfändeten Schlösser aus der Erbschaft des Herzogen Erich, so Sie einlösten, und welche die Juncker nicht in Güte räumen wollten. Haben aber doch Schanden halber ein gut Auge zum bösen Spiel und Dem von Schweinichen und der Liegnitzer Liebden sammt der Ritterschaft des niedersächsischen Kreises machen müssen. So ist das Saufen angegangen auf dem Schlosse in dem Saale, so man den burgundischen nennt, und hat zum guten Anfang gewähret drey Tage und drey Nächte in Einem fort. Am vierten und fünften Tag hat man den guten Rausch verschlafen, und am sechsten Tag hat man unter Fürstlicher Gnaden Fürtritt des Ortes Merkwürdigkeiten visitiret, und ist allda des Herrn von Lawn Ehr mit Gottes gnädiger Zulassung auf dem Tisch gehoben. Nämlich nachdem dem Liegnitzer und Dem von Schweinichen Pulver und Geschütz, Bley und Kostbarkeiten aller Art gezeiget worden sind, hat ihnen Herr Julius den Mund zum Beschluß am wässerigsten machen wollen; da sie doch ja nur auf einer Bettelfahrt da waren. Hat man ihnen nämlich im Provianthaus die große gerauchte Bratwurst, so ein viertel Meyl Weges lang gewesen ist, gezeiget! Sind dem Schweinichen freylich die Augen übergegangen, und der Herzog Julius hat sich des baß ergötzet; aber nicht lange; denn auf die Frag, wie viel Zeit ein Mann zu thun hätt mit dem Wunderstück, ist mein Juncker Hilmar von Lawen vorgetreten und hat gesprochen, mit Gott’s gnädigem Beystand verhoff er’s fertig zu bringen in vieren Tägen; allein es müsse der Trunck nicht darzu fehlen.
Da hat man laut aufgeschrien vor Wunder, und Jeder hat seine Meinung gehabt und der Herzog Julius die seinige, nämlich er hätt seine Wurst nicht gern an die Probe gesetzet. Allein wiederumb der Schanden halber, und weilen die Ritterschaft mit Heimtücke zugestachelt hat, mußte er den Liebling dranrücken, und am sechsten Tag der Festlichkeit ist dem Juncker von Lawen der Zipfel in den Mund gegeben und haben die Anderen im Kreise das Bacchanalium mit großer Lust aufgenommen. Ist nun freylich des Herzogen Gesicht um so länger geworden, je kürzer die Wurst wurd; aber die Juncker haben mit heimlicher böser Lust dem zugesehen und den Herrn von Lawen mit gutem Trost und Zuspruch ermuntert.
Es war die Wurst um eine Säule gelegt, und vier Tage lang hat sich der Herr Hilmar um gemeldte Säule fort und fort herumgefressen, und am dritten Tag schon ist ein Eilbot an den ehrbaren Rath zu Braunschweig um einen Schilderer abgesendet, daß er den Juncker mit dem letzten Zipfel der Wurst zum ewigen Gedächtnuß abconterfeie. Am vierten Tag mußte der Herzog richtig mit saurer Miene alle Drommeter und Heerpauker dem Herrn Hilmar zu Ehren posaunen und pauken lassen, und die Ritterschaft hat den Juncker mit Triumph auf den Schultern in sein Quartier getragen und ihn auf das Stroh gelegt zum Verdauen. Der Liegnitzer und Der von Schweinichen sind am folgenden Tage abgezogen, nachdem sie den Wirt kahl genug gemacht; allein Der von Lawen lag acht Tage und grunzte im Schlaf, und sein Knecht Zwiebrecht Affen pflegte ihn lieblich. Der Liegnitzer und Der von Schweinichen ritten zu Herzogen Heinz von Dannenberg auf das nämbliche Spiel, aber mein gnädiger Juncker Hilmar kam auf einem bekränzten Leiterwagen mit Geschnarrch und im tiefsten Schlaf auf dem Lawenhofe an, und hätt der getreue Knecht Zwiebrecht der Frauen nicht verzählet, was der Gestrenge ausgeführet und zu ewigem Ruhm des Hauses Lawen ausgefressen, mein gestrenger Juncker selber hätt wenig darvon sagen können.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Schuedderump