Der Schoßhund als Modeartikel

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 6. 1893
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Hunde, Schoßhunde, Modeartikel, Hundetragen, Mode, Mittelalter
Zu den auffälligsten Modetorheiten des Mittelalters und der Neuzeit gehört die übertriebene Vorliebe für Schoßhündchen, die vom Anfang des 12. bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Europa herrschte. Abgesehen von dem teils ekelhaften, teils lächerlichen Kultus, der mit den lieben Kötern getrieben wurde, und von dessen Ausschreitungen noch heute (nicht gerade zur Ehre des gesunden Menschenverstandes) die Einrichtungen des Hundepalais im Homepark zu Windsor Zeugnis; geben, ist diese Mode gerade deshalb umso auffälliger, weil bekanntlich bis ins 12. Jahrhundert hinein die schmählichste Strafe, die einem Edelgeborenen aufgelegt werden konnte, eben im Hundetragen bestand.

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Nach der polnischen Chronik des Martinus Gallus bot aber gerade diese Strafart den unmittelbaren Anlass zum Aufkommen jener sonderbaren Mode. Im Frühjahr 1073 trat nämlich (wie der Chronist berichtet) der rastlose Herzog Boleslaw II. von Posen (1058 bis 1080) einen Kriegszug gegen Russland an, ohne im Herbste mit dem Heere wieder heimzukehren, wie es damals Sitte war. Er nahm vielmehr im feindlichen Lande Winterquartiere, setzte dann im folgenden Frühjahre seine Eroberungen fort und drang auf diese Weise im vierten Jahre bis vor Kiew, das belagert wurde. Während dieser Belagerung aber (im Sommer 1077) trafen allerlei düstere Gerüchte beim polnischen Heere ein, als hätten die daheim gelassenen Frauen, des Wartens überdrüssig und an der Rückkehr der Gatten verzweifelnd, sich zur Wahl neuer Ehemänner aus der Zahl ihrer Diener und Leibeigenen entschlossen. Diese Kunde rief eine Empörung im Lager hervor. Die braven Polen, denen an ihren Weibern mehr als an Kiew und dem ganzen Russland gelegen war, kündigten dem Herzog den Gehorsam und eilten in Gewaltmärschen nach Hause, um ihre Gattenrechte zu behaupten. Die Pseudo-Ehen wurden auch schnell gelöst, und die Heimgekehrten verziehen ihren Frauen. — Nicht so aber Boleslaw, den dieser Zwischenfall um alle Früchte eines vierjährigen Kampfes betrogen hatte. Er verordnete vielmehr, dass die strafbaren Edelfrauen sich fortan immer nur mit einem jungen Hunde auf dem Arm öffentlich zeigen sollten, und hielt mit blutiger Strenge auf die Befolgung dieses Befehls. Da nun aber im ganzen damaligen Herzogtum Posen nur drei Damen nicht von jener Verordnung berührt wurden, so war das Hundetragen ein allgemeines und erschien deshalb bald genug nicht mehr als eine Schmach, sondern als eine Auszeichnung, die den adeligen Stand der Trägerinnen bekundete. Auf diese Weise das Hundetragen zunächst in Polen ein Attribut des Adels und verbreitete sich dann als Modesache von Osten nach Westen durch ganz Europa, wo diese Narrheit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich ihren Höhepunkt, mit dem Ausbruche der Revolution aber auch ihr Ende erreichte. Habs-Randau