Das neue Jahr

Ja, es ist wahr: das Jahr ist neu; so neu, dass es eigentlich doch nicht wahr ist. Denn es ist ja noch gar kein Jahr, muss sich erst dazu ausbilden, während alles Übrige bereits geworden ist, was da neu gescholten wird.

Zum neuen Jahre kauft und verschenkt man exempli gratia alte Almanache, vom „neuen Jahre“ zwar, aber man hat sie schon im vorigen August und September gelesen, kritisiert, und vielleicht auch — vergessen! Wir Menschen aber? Ach, wir werden zum neuen Jahre nur noch älter; das Kindlein höchstens, das eben geboren wurde, könnte von Neuheit reden, wenn es nämlich reden könnte. Die Glückwünsche zum „neuen Jahre“ sind auch nichts Neues, so wenig als dass die Wünsche immer aufrichtig sind oder gar das angewünschte Glück sich einstellt. Die uneigennützigen Wünsche für den Gratulanten selbst, nämlich:


„Fortdauer Ihrer Huld,“

„Zugeständnis Ihrer Freundschaft,“

„Gewährung Ihrer Gnade“


— ins Neujährliche übersetzt: Nutzen, Nutzen und Nutzen — sind ebenfalls nichts Neues, sondern noch älter als das Geld, nämlich so alt als die Welt, von der man nicht begreifen kann, wie sie jemals ohne Geld habe bestehen können, deren Erschaffung nur ein Wort gekostet hat, was, nach heutiger Meinung, aber heutzutage wohl nur durch Aktienvereine bewerkstelligt werden könnte! — Ja, nicht einmal der sogenannte „Heurige“ (neuer Wein) ist neu, denn er stammt vom alten Jahre, das auch niemals neu war, und kein Sprichwort enthält mehr Wahrheit als das:

„Nichts Neues unter der Sonne!“

Gar wenig also ist wirklich neu, und Neues, Neuerungen, Neuigkeiten lautet doch die Losung fast aller Sterblichen! — Gebe der Genus des Humors, dass die Journal-Artikel, welche zum gegenwärtigen neuen Jahre dem neugierigen Lesepublikum sich darbieten werden, immer die neueste Neugierde befriedigen möchten!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Sammler - Band 17