Vierte Fortsetzung

Die zweite Periode des Rückzuges fängt bei Krasnoe an und geht bis zur Beresina, ein Raum von ungefähr 26 Meilen. Es schienen im Anfange dieser Periode etwas günstigere Verhältnisse für die französische Armee eintreten zu wollen, denn einmal erwartete sie jenseits des Dnieper die Vereinigung mit dem Victor'schen, Dombrowski'schen und dem Reste des Oudinot'schen Corps, die zusammen über 30.000 Mann stark waren, und eine sehr zahlreiche Artillerie mit sich führten, zweitens war die Verfolgung durch das Gefecht am 6. mit dem Ney'schen Corps etwas verzögert und demgemäß weniger heftig geworden, drittens kam die Armee jetzt in ihre Magazinlinie hinein und in ein Land, das sie wie sich verbündet betrachten konnte, und viertens war das Wetter etwas milder geworden; doch alle diese Vorteile sanken vor dem Umstande zusammen, dass die Armee des Generals Tschitschagow über Minsk vordrang, um an der Beresina die französische Armee in Empfang zu nehmen, und dass der Graf Wittgenstein mit seinem, durch den General Steinheil verstärkten Corps ebenfalls von Tschasnik herannahte, um sich mit der Moldau-Armee in Verbindung zu setzen; durch die Bewegung dieser Armeen kamen die Franzosen in große Gefahr, und zum mindesten stand ihnen eine Wiederholung des Tages von Krasnoe bevor, Napoleon begriff vollkommen das Missliche seiner Lage, und eilte in Geschwindmärschen der Beresina zu. Als er durch Orscha kam, hatten sich die Deputierten vom Mohilew'schen Gouvernement eingefunden, um die Befehle des Kaisers zu vernehmen. Der Kaiser, sonst für Aufmerksamkeit dieser Art sehr empfänglich, schickte sie auf der Stelle fort, ohne sie gesehen zu haben, denn er wusste wohl, dass man dergleichen Leuten stets imponieren müsse, und dass ein so äußerst bescheidener Aufzug, wie der seine diesmal war, keine rechte Wirkung machen würde; auch hatte er wohl seine besonderen Gründe, warum er seine Armee nicht gerne zur Schau gab, die freilich durch den heftigen Flankenmarsch gegen Petersburg ein wenig von ihrer Haltung verloren hatte und, der Kälte wegen, zum Teil sehr phantastisch in Priester-Gewänden und Frauenröcken gekleidet war.

Sobald Napoleon die oben genannten Verstärkungstruppen an sich gezogen hatte, sandte er das Oudinot'sche Corps gegen Borisow, welche Stadt der General Tschitschagow besetzt hatte, und warf das Victor'sche Corps rechts dem Generale Wittgenstein entgegen; unter dem Schutz dieser Detachements erreichte er mit der übrigen Armee am 13. die Beresina, schlug 15 Werst oberhalb Borisow, bei Sembin, eine Brücke, und passierte sie ohne Zeit zu verlieren. Dieser Übergang über die Beresina wird wegen seiner Schrecknisse lange in dem Gedächtnisse der Soldaten leben; zwei Tage dauerte der Übergang; gleich von Anfang drängten sich die Truppen in Unordnung hinüber, denn mit Ordnung geschah schon längst nichts mehr bei der französischen Armee, und schon damals fanden Viele im Wasser ihr Grab; doch als die russischen Heere unaufhaltsam vordrangen, und der auf allen Punkten geworfene Feind in wilder Flucht der Brücke zustürzte, da erreichte Verwirrung und Schrecken bald den Gipfel. Artillerie, Bagage und Kavallerie und Infanterie, Alles wollte zuerst hinüber, der Stärkere warf den Schwächeren, der seine Flucht aufhielt, ins Wasser, oder schlug ihn zu Boden, gleichviel ob Offizier oder nicht, viele Hunderte wurden von den Kanonen gerädert, Viele suchten den kurzen Raum zu durchschwimmen und erstarrten, Viele versuchten über die hin und her befindliche Eisdecke zu gehen und versanken, überall Geschrei nach Hülfe und nirgends Rettung; als endlich die russischen Batterien die Brücke und beide Ufer zu beschießen anfingen, hatte der Übergang ein Ende; eine ganze Division von 7500 Mann vom Victor'schen Corps nebst 5 Generalen hatte sich früher schon mit Kapitulation ergeben, an der Brücke selbst streckten mehrere Tausende das Gewehr, andere Tausende waren ertrunken oder zwischen den Eisschollen in der Gebärde des Schmerzes oder der Verzweiflung erstarrt, eben so viel erschlagen und eine Menge Kanonen und Bagage blieben verlassen auf dem linken Ufer zurück; dies war das Ende der zweiten Periode, die Resultate derselben waren über 20.000 Gefangene, gegen 200 Kanonen und eine unermessliche Beute.


Die näheren militärischen Details der Gefechte an der Beresina sind, in kurzer Übersicht, folgende: Die Avantgarde der Moldau-Armee hatte den Brückenkopf bei Borisow, der von 5.000 Polen unter General Dombrowski besetzt war, mit Sturm genommen, die Besatzung teils getötet, teils gesprengt und marschierte auf der Straße nach Bobr, hier stieß sie auf das Oudinot'sche Corps, welches im Anmarsch war, um bei Borisow überzugehen, die russische Avantgarde ward nach Borisow zurückgeworfen, man hatte indess noch Zeit, die Brücke zu verbrennen, so dass nur einige Marketender- und Bagagewagen dem Feinde in dem, auf dem linken Ufer der Beresina gelegenen Teile der Stadt in die Hände fielen. Die Franzosen schlugen nun, 15 Werst oberhalb Borisow, zwei Brücken, über welche Oudinot sogleich ging, das dort zur Beobachtung aufgestellte russische Detachement verdrängte, links gegen Borisow am Ufer hinab marschierte und zwischen Borisow und, dem Übergangspunkte sich zur Deckung der rückwärts defilierenden französischen Armee in den dichten, mit Morästen durchschnittenen Wäldern aufstellte. Oudinot ward den andern Tag vom General Tschitschagow angegriffen, man schlug sich den ganzen Tag in den Wäldern herum, ohne dass des Terrains wegen etwas dabei herausgekommen wäre. Das 29. Bulletin spricht zwar von großen Siegen an der Berezina und erzählt mit Wohlgefallen von Quarre-Durchbrechung und genommenen Kanonen; das sind alles nur Gebilde der blühenden Imagination französischer Bulletins, denn dichte Wälder sind glänzenden Kavallerie-Angriffen in der Regel nicht sehr günstig, und eben so war die Wirksamkeit der Artillerie nur äußerst beschränkt, es konnte von nichts andern: als Tirailleur-Gefechten die Rede sein. Das Victor'sche Corps war unterdessen vom Graf Wittgenstein angegriffen worden, man manövrierte und zwar der Marschall Victor mit so vielem Glück, dass die ganze Division Partonneaux von 7.500 Mann, die von Borisow gegen den Übergangsort marschierte, gefangen ward. Das Bulletin erzählt, dass die Division sich im Dunkeln verirrt und, um sich in der kalten Nacht zu wärmen, den russischen Wachtfeuern genähert habe, bei welcher Gelegenheit sie gefangen worden sei. Die Geschichte mit dem Wärmen und Gefangenwerden kann Wohl einem Reisenden als Abenteuer zustoßen, aber für eine ganze Division gehört jedoch ein besonders starker Glaube dazu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Rückzug der Franzosen aus Russland.