Siebentes Kapitel. - Unter den Zünften Berlins gingen vier voran. Die heißen die Viergewerke. ...

Unter den Zünften Berlins gingen vier voran. Die heißen die Viergewerke. Sie hatten die ältesten Briefe und waren die mächtigsten, und ihre Macht dauerte lange fort, und sie vertraten die anderen Innungen und die bürgerliche Gemeinheit. Das waren: die Bäcker, Schuhmacher, Fleischer und Schneider. Innungen, welche in sich wieder verschiedene Gewerke begriffen. Daß aus den Bäckern sich schon Kuchenbäcker und Zuckerbäcker entwickelt, sagen die Chroniken nicht. Die der Schuhmacher, auch wohl simpel Schuster genannt, aber in den Urkunden steht Schuhmacher, umfaßte noch die Zunft der Altflicker oder Altbüßer, und die wohlehrbare Zunft der Knochenhauer oder Fleischer den veredelten Zweig der Wurstmacher, so seitdem als Gilde erloschen ist. Müssen unsere Voreltern gern Würste gegessen haben, denn es waren nicht wenig Wurstmacher in Berlin. Die größte und bedeutendste war jedoch die der Schneider, die hießen aber Gewandschneider; und mag man's daher denen von heut auch nicht so übel deuten, wenn ihnen der Name Schneider zu kurz dünkt, und sie schreiben sich Kleidermacher. Machten aber dazumal Kleider noch nicht allemal Leute; denn hätte ich's keinem raten mögen, ein Kleid zu tragen, was ihm nicht zukam. Jeder wußte, was sich für ihn schickt, aber noch besser, was sich für die andern schickt. Und umfaßte diese Innung nicht allein die mit der Nadel und Schere umgingen, sondern auch wahrscheinlich alle die, welche die Kratzbürste führten. Und da auch die reiche und große Gilde der Händler mit Tuch, die Tuchreißer, oder die eigentlichen Gewandschneider damit inbegriffen waren, so kann man sich wohl denken, was Ansehen diese Innung hatte.

Die Versammlungen, wo das Wohl der Zunft besprochen ward, hießen die Morgensprache. Da aber in demselben oft mehr als davon, nämlich auch zum Schaden anderer gesprochen ward, und wenige ohne Heftigkeit und Tumult auseinander gingen, war das Gesetz, daß jeder Morgensprache der Ratsherr, so die Zunft vertrat, vorsitzen mußte.


Einen schweren Dienst hatte an dem Morgen Herr Zobel Garnekofer. Vergebens hatte er die feierlichste Amtsmiene angelegt, vergebens, wenn sie um ihn tobten und unwillig andrängten, fürnehme Ruhe entgegengesetzt, vergebens hatte er Einspruch gethan, daß, was hier vorgebracht werde, vor den Rat der Städte gehöre und nicht in die Morgensprache der Schlächter. Seine schwache Stimme war in dem Tumult erstickt.

Als Bartz Kuhlemey sprach, regte sich dagegen kein Laut.

»Vor den Rat gehört es, sagt der ehrenwerte Herr. Das mein ich auch. Aber wenn der Rat taub ist, wer hört für den Rat, und wenn der Rat blind ist, wer sieht für ihn? Wenn der Rat sich schlägt und bei den Ohren faßt, wer treibt ihn auseinander und schlägt ihn wieder?«

Ein Gelächter, das nach Messern und Schlachtbeilen schmeckte, schmetterte durch die Scharnen.

Der arme Herr Garnekofer war eingeschüchtert. Er vergaß die Regel der Klugen: wer sich verteidigt, der klagt sich an. Er verteidigte den Rat. Er entschuldigte den Eifer von neulich Morgen, daß die Herren von Köln und Berlin voll guten Willens wären, und wollten Gerechtsame ihrer Städte wahren, von woher auch der Angriff komme.

»Wer's glaubt!« schrie die Menge, und eine kräftige Stimme: »Wir lassen uns nicht mehr auseinanderhetzen wie Hunde und Hähne.«

»Im Trüben ist gut fischen, und wenn's stürmt, sieht man nicht die Netze,« sprach Hans Kuhlemey. »Die Nacht ist niemands Freund, aber der Diebe doch; sie finden, was sie suchen. Und wenn die Kleinen sich die Köpfe zerschlagen, haben die Gewaltigen das Aufheben. So die Frösche Krieg führen, ist den Störchen eine gute Mahlzeit geschafft. Wir wollen uns aber nicht mehr die Köpfe zerbrechen, wir mögen nicht Krieg führen, um was uns nicht schiert, und Mahlzeit schaffen für andere; wir wollen selbst essen.«

Herr Garnekofer lachte, oder zwang sich zu lachen: »So Ihr selbst essen wollt alle Ochsen, so Ihr schlachtet, wird's Euch der Rat nicht wehren; wünschen nur, daß es Euch bekommt.«

»Mit nichten!« rief jetzt ein sehr alter Mann, der schweigend bis da gesessen, auf seinen Haselstock gestützt, und indem er sich erhob, funkelten seine erloschenen Augen, der Zorn belebte die toten Züge und das Zittern der Glieder verschwand, je weiter er sprach. »Mit nichten, Ihr Meister! Kunden und Werkleute sollen nicht eins sein, sondern zwei, als wie die Hände nicht wirken um der Hände willen, sondern um den ganzen Leib. So jedwed Glied nur dächte und wirkte für sich, wo bliebe dann der Leib, dessen Haupt der Kopf ist, und ist nur gesund, wenn jedes Glied das Seine thut dafür. Und so jede Innung nur schaffte und arbeitete für ihre Meister und Gesellen, was würde aus den andern, was aus der Stadt, zu der wir geschworen sind und eingeboren, und sie schützt uns, wie eine Mutter ihre Kinder! So die Gewandschneider nur weben ließen und ausschnitten und zuschnitten und näheten für sich, gingen die andern noch in Bärenpelzen und Büffelhäuten wie vordem, ehe die Städte aufkamen. Und so wir nur zurichteten das gute Fleisch für uns allein, müßten die andern Krähen essen und das Vieh, das auf dem Wege verreckt, und wes Hand es anrührt, der ist unehrlich! Gleich als wie wir Knochenhauer geschworen sind, zu Rat und Gemeinheit, daß wir nur gesundes Vieh in die Scharnen bringen und aushängen, daran sich niemand entsetze und Ärger nehme, also ist ein jeder auch, der in einer Stadt Rede und Recht hat, Freiheit und Frieden, gehalten und geschworen, daß er zum gemeinsamen Besten sehe, und nicht auf seines allein, und seiner Gesellen und Sippschaft. Denn darum sind die Städte da, daß wir stättig sein sollen im Ehrenhaften und Guten, und zusammenhalten einer mit dem andern, und alle mit einem. Und uns nicht kehren und wenden, wie das Volk, was vor uns im Lande war, die darum Wenden hießen, daß sie sich wendeten und wandelten wie der Wind ging, und nirgend stättig waren. Darum gründeten unsere Vorväter die Städte in ihrem Lande, daß stättig würde Sitte und Ordnung, und schrieben es nieder und das hieß Statuten, und weil unsere Vorväter Sachsen waren oder Sassen, nannten sie's Satzungen.«

Ein Murmeln des Beifalls ging durch die Versammlung.

»Und die Statuten und Satzungen haben sie gemacht, daß wir dran halten sollten,« fuhr der Redner fort. »Denn so wir nicht dran hielten, wären's keine Satzungen. Und die alten Fürsten hielten daran, darum hießen sie Fürsten von Anhalt, und schenkten uns neue; sie stifteten Zünfte, machten Innungen mit den Gewerken und schenkten ihnen Briefe, darin geschrieben stand, was jeder für Recht hatte, und hingen an langen Schnüren große Siegel darunter von Wachs. Und als darauf die schlimmen Zeiten kamen, unter den Bayern und dann den Böhmen, und Brand und Unglück über das Land: die Briefe sind nicht verbrannt und die Siegel nicht geschmolzen. Nein, die Städte hielten zusammen und wahrten, was Ihres war, derweil es draußen bunt und kraus herging, und die Fürsten und Herren aus Bayerland und Böheim freuten sich des, und nannten uns ihre lieben Städte, und bestätigten alles und schenkten uns noch mehr.«

Ungemeiner Jubel tauchte bei so freudigen Erinnerungen auf. Herr Garnekofer wollte zwar einlenken und bemerken, daß diese Statuten noch in Kraft seien, und darum kein Grund zur Unzufriedenheit; aber er ward von allen Seiten überschrieen.

»In allen großen Dingen,« fuhr der Redner fort, »so es Fehden gab oder unsere Väter festsetzten, was vordem noch nicht gesetzt war, und es sollte geschrieben werden ins Stadtbuch, daß es gälte für Kind und Kindeskind, da hat der Rat nicht gehandelt ohne die Gemeinheit der Bürgerschaft. Item so es galt, neuen Schoß ausschreiben, wurden wir zugezogen und gefragt; was jeden angeht und wo jeder geben muß, da redete jeder mit.«

»Da redete jeder mit!« riefen fünfzig Stimmen auf einmal.

»Wo nicht Schick dazu war, noch Zeit, alle zu h?ren, rief der Rat die weisen Leute und die braven und die reichen zusammen, das hieß der große Rat, darin die vier Gewerke und die Sechzehn Männer saßen und sprachen, als Verordnete der Gemeinheit. Da ward gesprochen und beraten, von Wohl und Weh der Stadt, und das war recht.«

Der Redner war im besten Zuge, die Geschichte der Stadt und ihrer Verfassung vorzutragen. Aber die geheimen Lenker mochten finden, daß das Bild vom verlorenen Paradies schon reizend genug für sie sei, welche es verloren; noch weiter fortgesetzt, könnte es an Glanz einbüßen. Also auf Bartz Kuhlemeys Wink sprang einer auf die Bank; der war nicht so beleibt als die andern, doch um ein gut Teil sah er wilder aus.

»Das war recht und was ist jetzt recht?« schrie er. »Daß sie Rechte haben und wir keine! Daß wir unsere Knochen zu Markt tragen, und sie das Fleisch essen! Das sie Gesetze machen für uns und selbst leben, als ihnen gefällt. Summa: daß wir Ochsen sind und sie gestrenge Herren. Wollt Ihr Ochsen bleiben, die sie zu Markte treiben, ihnen einen Lappen über die Stirn werfen und drauf losschlagen, oder wollt Ihr auch Herren werden? Das ist die Frage. Wollt Ihr in alle Zukunft die Mützen ziehen und sprechen: wie's Ihro Gestrengen gefällt; oder wollt Ihr ihnen zeigen, wer Ihr seid, und ihnen sagen, was Euch gefällt?«

»Wollen ihnen zeigen, was uns gefällt!« rief es, ein Ton durch die Hallen. Aber dieser eine Ton zersplitterte sogleich in viele; jeder fühlte nun Mut, jeder wollte vollbringen, was ihm besonders gefiel.

Diesen Augenblick griff Herr Garnekofer auf, mit mehr Gewandtheit, als man's ihm zugetraut hätte. Er wies nicht die Ungestümen zurück, nein, jetzt forderte er namens des hohen Rates, daß ein jeder seine Meinung, Wünsche und Forderungen klar und unverhohlen ausspreche, damit sie niedergeschrieben würden, und der Rat sollte von allem Kenntnis erhalten, durch ihn, Herrn Garnekofer.

Aber der Gildeschreiber hätte zehn Ohren haben müssen, um zu hören, und zehn Hände dazu, um zu schreiben, so bunt und kraus klang es. Der wollte die Juden und ihre Kleinscharnen aus Stadt und Weichbild vertreiben; jener die Dörfer zwingen, daß sie ihr bestes Vieh zur Schau und Vorkauf dem Gewerke stellten; ein dritter gar eine neue Fleischordnung, und Patrizier und Bürger sollten gezwungen sein, jedweder in seinem Viertel, von seinem Meister zu nehmen, was er bedurfte. Das forderten freilich nicht die Stimmführer. Ihre Forderungen zielten weiter hinaus. Aber der große Strom des Unwillens, der sie treiben sollte, war in kleine Bäche zersplittert. Die mächtige Zunft, die uralte Rechte zurückforderte, und Wahlrecht, Sitz und Stimme im Rat und Ansprüche auf die höchsten Ämter der Stadt ertrotzen wollte, deren begehrten jetzt die mehrsten ihrer Meister Dinge, die entweder nimmer gewährt werden konnten, oder sie mußten den Neid der anderen aufregen. Waren die Schleusen aufgethan, und es brach mit der Flut aller Unrat aus, der sich gesetzt. Wie sollte da der Strom klar sein; und wo den Schreiern die Stimme gelassen ist, müssen die Redner verstummen.

Zwar kam's zu einer neuen Wendung, als jetzt abgeordnete Meister der Gewandschneider eintraten und thaten Meldung von dem, was in ihrer Gilde durchgegangen. Konnt' es lockend klingen, daß Rat, Kurfürst, endlich Kaiser und Reich solle angegangen werden, beizustehen der bedrängten Gemeinheit, daß sie die Rechte der Zünfte von Berlin und Köln wieder herstellen sollten, daß fortan, wie vor alters, jeder freie Bürger recht habe, ein Ratmann zu werden und beim Regiment mitzusprechen. Ist allerwegen die Aufzählung erduldeter Unbill ein berauschender Feuertrank für die Unterdrückten, und fehlte es hier gewiß nicht an schreienden Thatsachen. Aber Kaiser und Reich sind fern, und um den Kurfürsten war man gewohnt, sehr wenig in Berlin sich zu kümmern; aber ob der Hauptochsenmarkt in Köln bei Sankt Peter, oder in Berlin bei Sankt Marien abzuhalten wäre, das klang dringender. Darum erhitzte man sich, darum feurige Augen, drohende Gebärden. Klaus Martinecke, der Schreier von vorhin, hatte den dicken Altmeister Peter Hildebrand an der Schulter gefaßt und schrie ihm ins Gesicht: »Da wäre keine Gerechtigkeit, wenn Ihr um Sankt Marien auch das noch schlucken wollt.« Da schrie es wieder von »Kölnischer Hund!« und »Wollen die Bullenbeißer auch das noch schnappen!«

»Friede! Ruhe! Eintracht unter Gesellen!« Es war umsonst. Hände und Kragen waren schon aneinander. Herr Garnekofer atmete stolzer in seinem Lehnstuhl. Die alte Zwietracht zwischen den Städten loderte aufs neue in derselben Versammlung, die gehalten wurde, sie von Grund aus zu heilen.

Da brachte ein einziges Wort alles auseinander. Freilich mit einer Stimme gesprochen, die als wie ein Kanonenschlag durch Gewehrfeuer dröhnte. »Ein Ochs! – Der große Ochs ist los!« Das war ein Augenblick, und im nächsten waren die aneinander waren, auseinander, rechts, links, vorwärts, rückwärts gesprungen. Ein toller Ochs könnte noch vierhundert Jahre später, als diese Geschichte sich ereignet, in derselben Stadt Versammlungen sprengen, die nichts mit dem Gemeinwohl zu thun haben. Ein geschlagener Ochs, der seinem Schlächter entspringt, war aber in einer Stadt mit engen Gassen, wo, wer auch von den Hörnern getroffen wurde, immer ein Bekannter war, denn jeder kannte den andern, ein Ereignis, was jeden nahe und zunächst anging. Und wo jeder retten und helfen mußte, war's nicht zu verwundern, wenn die Schlächter zuerst zur Hand sein wollten. Der Zorn, heißt's, macht blind; und dem muß man's wohl beimessen, wenn einige das Tier in der Gasse rechts, andere links rennen gesehen, und alle ihm nachstürzten, aber einer dahin und der andere dorthin.

Als Bartz Kuhlemey atemlos auf den Platz zurückkehrte, den der Ochs geräumt, ohne daß nur einer des Tieres ansichtig worden, fand er von der Versammlung nichts mehr, als die Bänke. Auch Herr Garnekofer und sein Schreiber waren abgezogen. Dagegen saß auf einem Prellstein an der Ecke ruhig Henning Mollner, den Kopf in der Hand gestützt, und der Ellenbogen ruhte auf dem Knie.

Der Meister stutzte, und es fuhr etwas, das wie ein Blitz aussah und ein Gedanke sein konnte, durch sein hochrotes Gesicht.

»Henning, das war Deine Stimme, oder ich will nicht Bartz Kuhlemey heißen.«

»Freilich, Ohm,« war die Antwort.

»Junge, wo ist er?«

»Wenn Ihr ihn nicht saht, ich sah ihn auch nicht.«

»Und Du schriest?«

»Was ich konnte, Ohm.«

»Der Ochs ist nicht fortgelaufen, Henning?«

Henning blickte ruhig auf und sah sich um: »Sind sie nun alle fort?«

Der Meister wischte den Schweiß von der Stirn und setzte die Mütze zurecht: »Junge, was soll aus Dir werden?«

»Darüber sann ich eben nach, Ohm.«

»Wenn sie erfahren, daß Du es warst! Sie vergeben Dir den Schabernack nimmer. Willst nicht gescheit werden?«

»Ich meine, es war das Gescheiteste, was ich thun konnte.«

»Steh auf, Junge, ich will Dir 'nen Kuß geben,« sprach sein Verwandter, indem er ihn aufhob. »Bist Deiner Mutter, meiner lieben seligen Schwester wie aus dem Aug geschnitten, und stattlich wie Dein Vater, und keck wie Dein Großvater. Und von Blut steckt was in Dir, das wie ein Mühlrad geht. Auch pfiffig bist Du. Aber wo soll's hinaus?«

»Zum Thor!« – rief Henning, auf der flachen Hand blasend, wie zum Reiterliede.

»Ein Thor bist Du,« fiel der Ohm ein. »In der Stadt ist Dein Acker, bist ein Stadtkind. Hier hast Vater- und Mutterfreunde, hier Deinen Anhang, hier mußt Du schaffen.«

»Mit der Kratzbürst, mit der Elle oder mit der Schere?« fragte spöttisch der Junge.

Es zuckte etwas in des Meisters Gliedern, wie wenn er ein Schlachtmesser ergreifen, oder in einer Rüstung die gepreßten Glieder schütteln wollte: »Daß Dich, Henning! Jammer und Schande! Wenn Du anders wärst, aus Dir würde was. Aber das macht Deine Erziehung; daß Du sitzen mußtest auf der Schulbank bei den grauen Brüdern, und das A-B-C schwitzen. Oder nein, das Mönchische hast Du wieder ausgeschwitzt. Ein frischer Bub, hast rein abgespült das Lampenöl der Glatzen. Aber bei den Weibern – beim Ratsherrn – im Hause da, die vornehmen Gebärden und Redensarten, – was weiß ich's, das hat Dich aus der Art schlagen lassen.«

Wir können mit Tinte und Feder die Miene nicht wiedergeben, welche der junge Henning hierzu machte. Aber sie mußte so ausdrucksvoll und drollig sein, und zugleich an irgend einen bestimmten Vorfall erinnern, der die Rüge Hans Kuhlemeys von selbst niederschlug. Der Meister war geschlagen, und ließ es sich gern gefallen. Er lachte herzlich und legte seine breite Hand mit einem derben Schlage auf die Schultern des Jungen:

»Nein, aus der Art bist nicht geschlagen. Bist auch nicht vornehm worden und verdorben, bist ein tüchtiger, toller, durchtriebner Taugenichts. Werden von Deinen Streichen noch nach fünfzig Jahren sprechen in Berlin und Köln.«

Mit einer ehrbaren Miene zog Henning die Mütze und wollte dem Ohm Valet sagen.

»Noch nicht, Bursch. Du schlugst doch aus der Art. Wo es sitzt, das weiß ich nicht, aber wo's nicht sitzen soll, das weiß ich. Halt, halt! Ich rede nicht für Dich und mich. Für uns alle rede ich, für die Stadt, fürs Gemeinwohl. Junge, wem's so gegeben ward wie Dir; wer so schreien kann und anbinden, so mit den Augen blitzen, so sie aneinanderhetzen, die Leute, und so sie auseinander bringen; wem sie nachlaufen wie Dir, die Thunichtsgute, und die Mädel an den Fenstern nachblicken, und die ehrbaren Väter doch dazu nicken und meinen, das wäre schon einer: Junge, es haben schlechtere Leute als Du größere Städte als unsere auf den Kopf gestellt.«

»Gott bewahre uns vor Türken, Pestilenz, Hader und Unordnung!« sprach Henning mit einem frommen Gesicht.

»Und mache die Pfaffen keusch und tapfer und junge Bursche mit Auerochsenknochen zu frommen Lämmern,« fiel Bartz Kuhlemey ein. »Willst ein Mönch werden? Willst beten: Vergieb uns unsere Schuld, als auch wir vergeben unsern Schuldigern? Willst ihnen die siebenundvierzig Schock Groschen schenken? Henning, sieh mal, wenn Du das thust, bist meiner Schwester Kind, aber Dein Vater war meiner Schwester Mann, ein Mann Junge, wie's nicht viele gab in der Mark. Der drehte sich im Sarge um, und kletterte, daß mir Gott verzeih und alle seine Heiligen, als nacktes Gerippe auf Sankt Mariens Turm, und schrie Zeter und Wehe über die ganze Stadt, und einen Fluch auf Dich, daß Dich kein rechtschaffener Mann mehr ansähe. Henning, willst ihnen im Rachen lassen, was Dir gehört?«

»Nein, Ohm.«

»Blutgeld ist es. Deines Vaters Blut klebt dran. Deine Ehr' und guter Name. Wo Du anklopfst, 's ist keine Hausthür in Köln und Berlin, wo Dir nicht einer beistände. Und warum klopfest Du nicht?«

»Bekomm ich doch den Stock mit dem Zins, wenn ich warte.«

Sein Verwandter war auf diese Antwort nicht gefaßt. Er schüttelte ihn vor Freude; aber mußte doch was ihn stören, ihm durch den Sinn fahren: »Zinsen willst Du? Die sind ja verboten zu fordern. Schelten kann man einen, der nicht zahlt, von Gott und Rechts wegen, und den Schmähbrief anschlagen an den Kaak. Ein guter Mann kann einen schlechten Schuldner niederwerfen. Es hat schon mancher ehrliche Kerl einem Hundsfott das Haus gestürmt, und den roten Hahn ihm aufs Dach gesetzt – aber Wucher! – Was lachst Du? Was für Zinsen forderst Du? – Höre mal, Junge, ich will nicht glauben, was sie munkeln. Der Meister Ferbitz soll's gesagt haben.«

»Was hat Meister Hans gesagt?«

»Daß Dir der Hochmut in der Schuhsohle sitzt, und wie eine Blase Luft im Wasser zum Oberstübchen hinaus will. Ich war von Anfang an dagegen, als Dich die Rathenows ins Haus nahmen. Aber Deine Mutter selig mit ihren Witwenthränen, wer ist immer stark gegen Weibergeplärr! Eitelkeit und Hochmut ist in ihnen allen. Dachte wunders was! Ja, was soll denn aus einem Jungen werden, der ein ehrlich Bürgerkind ist, als wieder ein Bürger? Und wenn der Kaiser einen in den Windeln ins Haus nimmt, kann er ihn zum Kaiser machen? – Nun haben wir die Bescherung. Gestreichelt haben sie Dich, und dann hinausgestoßen. Beschwatzt haben sie Dich, und Du hast gewartet und gewartet, und Dein schönes Recht ward schimmlicht und stockig. Junge, gleich und gleich, das schickt sich, sonst nichts. Wer in der Zunft ist, der halte zu den Zünften, das macht ihn stark und sie stark. Nicht drunter weg gesehen, aber auch nicht drüber. Verstehst Du? – Wenn Du Dein Auge würfest auf eine unzünftige Dirne, und wolltest sie an den Altar führen, Deine Zunftgenossen würden auf Dich spucken.«

»Ohm! Ohm!« sprach Henning, »was denkst Du! Ich und ein Bettelweib! Pfui!«

»Das denk ich nicht, Henning, aber ich denke etwas. Junge, ich sage Dir, ein Fräulein bleibt ein Fräulein, und ein Stolzer bleibt ein Stolzer. Henning, Du thust's Deinen Verwandten nicht an; Dein Name ist ein ehrlicher guter Name, und Du lassest keinen drüber lachen. – Wo stierst Du hin?«

»Da, da, Ohm, seht Ihr?«

»Der Ochs?«

»Nein, der Bürgermeister.«

Als Meister Bartz um die Ecke der breiten Straße sich dahin umschaute, wohin der junge Henning den Hals gereckt, war der plötzlich fortgelaufen; er wußte nicht, ob nach dem Auflauf, der auf dem Platze stattfand, oder um die Ecke sonst wohin.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Roland von Berlin – Erster Band