Siebzehntes Kapitel. - Zwanzig Jahre und zween, nachdem dieses sich zugetragen,...

Zwanzig Jahre und zween, nachdem dieses sich zugetragen, was in den vorigen Kapiteln erzählt worden, und das war im Jahre nach unseres Heilands Geburt 1448, also im Jahre des Heils 1470, und es war Herbst, da sah man eine Schar Reiter aus den Marken gen die Grenze nach der Lausitz reiten. Es war ein stiller Zug; nicht viel waren ihrer, aber sie waren gut gewappnet und genug gegen aller Art Gesindel. Sie ritten zu keinem Turnier und keinen Hochgeziten, auch nicht zum Krieg; denn man sah nichts von bunten Rücken und Decken, keine muntern Helmbüsche wehten auf ihren Hauben, keine Banner flatterten über ihren Häupten, und keine Drommeter stießen lustig in die Hörner. Auch war es kein Jagdzug; denn sie ritten langsam, und die Rosse waren hochbepackt. Es war ein Auszug, aber der eines fürnehmen Mannes. Der ritt inmitten des Zuges, schweigsam, und er war gebeugt, und vieler Ernst und Gram lagerte in dem blassen, kranken Gesichte. Sah man's, daß ihn mehr der Kummer als die Jahre niederdrückte. Und je näher sie der Grenze kamen, um so langsamer ritt er und hielt an und schaute sich um. Die andern hielten sich ehrerbietig fern, daß sie ihn nicht störten in seinem Nachdenken.

Der fürnehme Mann war der Kurfürst Friedrich der Zweite. Der war satt des Regierens. Hatte sein lieb Gemahl verloren, und seine Söhne waren vor ihm dahingegangen, und er hatte die Kurwürde niedergelegt und das Markgraftum, beides in die Hände seines Bruders in Franken, des Burggrafen Albrecht Achilles. Nun zog er aus dem feuchten kalten Lande nach Franken, wo die Sonne wärmer scheint. Da wollte er sterben. Wer so aus einem Lande zieht, der kann wohl traurig ausschaun. Dreißig Jahre hatte er darin das Regiment gehabt, aber wenig Freude. Er hatte viel gethan und geduldet, und wo war es! Sie läuteten nicht mit den Glocken, sie streuten nicht Blumen auf die Straße, sie zogen ihm nicht weinend nach, sie standen nicht am Wege und riefen ihm schluchzend Ade zu. Die Luft war rauh und feucht. Die Krähen flatterten schreiend von den Kiefern: der Ritter hinter ihm waren wenige. Er hatte es redlich gemeint. Wer erkannte es! Sie fragten in den Dörfern: »Wer ist der alte Herr?« – »Das ist der alte Markgraf, der zieht ab.« – »Warum zieht er ab?« – »Weil's ihm hier zu kalt ist.«


Da in der Heideschenke, die heißt »der tote Mann«, stunden viele bepackte Kärrnerwagen, und die Leute waren in großer Angst und schauten nach allen Seiten aus, als sie die Ritter kommen sahen. Aber da es hieß, es ist nur der Kurfürst, ritten ihm zween entgegen und fragten, ob es auch wirklich der Kurfürst sei? Und dann trugen sie hastig ihm ihr Anliegen vor, daß sie nach Sachsen wollten, und Salzfische und Felle geladen hätten, auf Rechnung brandenburgischer und Frankfurter Herren, die nach Kottbus und Budissin gingen und weiter; aber im »hungrigen Wolf«, da lagerten etliche Adlige und lauerten auf sie. Sie, die Kärrner, wären nun ihrer nicht genug, und der Kurfürst möchte ihnen mit seinen Reitern das Geleit geben. Der Reisemarschall, das war Herr Wedigo Lüderitz, der war sehr ärgerlich darüber und meinte, das sei nicht des Kurfürsten Sache. Zudem könnten die schweren Wagen nicht so schnell fahren als sie ritten.

»Nun, lieber Gott,« meinte der Kärrner, »dann kann der gnädige Herr auch wohl etwas langsamer reiten, bis wir über die, verdammte Grenze sind.« – »Wer lauert auf Euch?« sprach der Kurfürst. »Euer Gnaden, das ist der Busso Voß und noch etliche Herren.« Da senkte der Wedigo die Augen, und einige von den Herren auch, der Kurfürst aber schaute ernst vor sich, und dann rief er: » Naturam expellas furca, tamen usque recurret!«

Einer wollte dazwischen reden und meinen, der Kärrner könnte sich irren. Der Kurfürst winkte ihm zu schweigen. »Ich kenne Euch alle. Wär' ich nicht bei Euch und die Ehre forderte es, Ihr lagertet auch lieber mit dem Busso, als Ihr mit mir zöget.«

Der Wedigo Lüderitz hielt die Hand an die Brust und wollte sprechen: »Herr, ich –«

»Du wie die andern,« unterbrach ihn der Herr. »Du bist itzt gebessert, ich will's Dir glauben, und meinst es gut. Aber Eure Natur ist wider Euch. Wie der Jagdhund, wenn der Herr ihn nicht ruft, in den Wald läuft, so müßt Ihr an die Straße. Dieser Busso, heiliger Gott, mit grauem Haar, über die Sechzig, und brauchte es doch wahrhaftig nicht. – Still! Ich weiß alles, wie er zu Dir stand, Wedigo, mich hat er nie getäuscht. Aber er war ein Mann von Witz und guten Kräften. Durch Ehren, durch meine Nähe glaubte ich ihn besser zu edler Zucht zu bringen und Einsicht, als durch Haft und Gerichte. Doch es verschlägt nichts. Die alte Roheit bricht heraus, sobald der Herr den Rücken kehrt. Nun, noch zehn Schritte, und Ihr seid mich los.«

»O, gnädigster Herr, es trauern viele um Euren Entschluß.«

»Ich glaub's ihnen. Denn mein Bruder Albrecht kommt nach mir. Ich hatte nur eiserne Zähne, mein Bruder Albrecht ist von Eisen, Nerv und Glieder. Er wird Euch anders fassen –« für sich murmelte er: »und wird's doch nicht zwingen.«

Und der Herr winkte den Kärrnern Gewährung, und es klang recht schmerzlich, ob sein Gesicht doch lächelte, als er sprach: »So thue ich doch einen guten Dienst, da ich aus dem Lande ziehe, und einer oder zweie danken es mir.«

Nachmalen, da wo die Burg Kikhövel stand, sahen sie vor sich zwei runde übergroße Hügel. »Das sind wohl Hünengräber,« sprach der Fürst. »Ich meine es nicht« sagte der eine, »sie sind zu klein.« – »Auch steht auf dem einen ein morsch Holzkreuz,« sagte Wedigo. »Auf dem andern ist's nur eingefallen. Also muß es wohl gute Christen bedeuten.«

Während sie noch darüber sprachen, sprengten munter über die Heide etliche Ritter. Ein älterer, in stattlichem Schmucke, voran, und nun fünf bis sieben, die waren jünger, hinter ihm. Das Gefolge blickte sich anfangs besorgt an und drängten sich um ihren Herrn und faßten an ihre Degengriffe. Aber der Kurfürst, der aufmerksam hingeschaut, sagte: »Ich sollte den Mann kennen« und itzt rief einer von Seinen: »Die sind aus Hennikendorf. Es ist der Ritter vom Hahn und seine Buben.«

Da heiterte sich des Kurfürsten Gesicht auf, und als die Ritter herangekommen und der Vater mit seinen Söhnen dem gnädigen Herrn ihre Ehrfurcht bezeugt als gute Vasallen, schaute er sie so freudig an, wie als wären sie seine eigenen Söhne, und ließ sie sich alle bei Namen nennen. Und dem ältesten, der war schon einundzwanzig Jahr und sein Pate, schüttelte er die Hand und sprach: er solle so wacker werden als sein Vater, und so gut als seine Mutter. »Daß Ihr, Henning, der Vater seid, braucht Ihr nicht zu sagen, aber der Mutter sind die Buben auch aus dem Aug' geschnitten. Das ist eine brave Frau, die Elsbeth. Aus gutem Blut.« Und er dankte dem Ritter, daß er doch an ihn gedacht und ihm das Geleit geben wolle. »Herr Gott« rief Henning, »wenn ich's vergessen wollte, gnädigster Herr, was Ihr an mir gethan!«

Darauf sprachen sie viel, und der Kurfürst erinnerte sich gern, was Dienste ihm der Ritter geleistet in den Pommerkriegen, bei Prenzlow und Uckermünde, wo die Kugel, die der Augustiner richtete, durch des Kurfürsten Zelt flog, und von dem Luftdruck ward er krank, und seine Krankheit nahm da ihren Anfang. Und auch bei Stettin, wo der Henning in der Nacht voran war, als die Brandenburger die Stadt überrumpeln wollten. Aber die Bürger waren wach, sie mußten abziehen, und der Albert Winde kam mit genauer Not zu ihnen über die Mauer, aber er brachte nur sich und nicht die Stadt. »Es wäre wohl glückt,« sprach der Ritter, der, ob er nun auch ein halb Jahrhundert auf den Schultern trug, doch recht munter und frisch dreinschaute, »so Euer Gnaden anders mit Berlin und Köln dazumal wären umgesprungen. Allein die Stettiner Bürger dachten –«

»Du magst recht haben« unterbrach ihn der Kurfürst, der daran nicht erinnert sein wollte. »Aber Du entsinnst Dich doch auch, als Du Bürgermeister warst, was Ärger Du hattest. Wer kann's den Berlinern recht machen!«

Da waren sie an die Grabeshügel gekommen, und der Kurfürst fragte: »Wes sind die? Ob ein alter Mann in der Gegend Kunde hat, wer darunter schläft?« – »Es entsinnen sich's viele noch,« antwortete der Ritter, des Gesicht dabei sehr ernst wurde. »So sind sie nicht aus alter Zeit?« – »Die Zeit war einmal jung, itzt ist sie aber grad zweiundzwanzig Jahre alt. Hier bluteten zwei wackere Männer.«

Da schwieg der Kurfürst, denn er sah, was in dem Ritter vorging, und ihm ahnte, was die Hügel bedeuteten. Einer aus dem Gefolge aber, der mit dem Hirten gesprochen, ritt an ihn heran und sagte leis: »Gnädiger Herr! Die Hügel bedeuten die Stelle, wo der ehemalige Rittermann von Berlin, Johannes Rathenow, und der Ratmann Konrad Ryke von Räubern angefallen wurden, als sie vor der Herrschaft nach Sachsen fliehen wollten. Hier sind sie erschlagen, aber nicht begraben; denn ihre Gebeine wurden nachmalen nach Berlin gebracht und sind in der Gruft zu Sankt Nikolai beigesetzt.«

Der Kurfürst stieg ab und trat an die Hügel, und das eine Kreuz faßte er an, als wolle er sich daran lehnen, und senkte den Kopf. Na dachte er wohl Schwerem nach, und alsdann fragte er mit dumpfer Stimme den Henning: »Meinst Du, daß Deiner Elsbeth Vater gerächt ist?«

»Gnädiger Herr, gewiß,« antwortete der. »Denn es vergingen nicht sechs Wochen nach dem Überfall, und der Köpkin Zarnekow ward von den Kottbusern gefangen. Er endete dann auf dem Rade mit fünf seiner Spießgesellen. Ihre Schädel hängen noch an Ketten überm Thor von Kottbus.«

Wehmütig schüttelte der Herr den Kopf: »So er niederschaute aus jener Welt auf diese Stelle, mein lieber Henning, und grad itzt niederschaute, ich meine, das wäre ihm mehr Rache.« Henning verstand es und senkte den Blick. »Er war ein wackerer Mann,« sagte der alte Kurfürst, »ein Mann, wie ich keinen zweiten in den Marken fand. Wären sie alle gewesen wie er, so biederstarr –«

»Dann wäre es schwer zu regieren,« fiel Henning ein.

»Nein, Lieber, wenn alle bieder wären, dann wäre es nicht schwer. Wenn alle das Rechte aufrichtig wollten, dann würde das Recht auch gefunden. Wenn ein Fürst mit lauter Geraden zu thun hätte, dann – könnte er selbst mit ihnen gerad gehen; sie fänden mitsammen das Ziel. Grad wie diese beiden, die hier nebeneinander bluteten. Sie waren sich im Leben sein, aber beide rechtlich, trafen sich beide auf dem letzten Pfade, und beide fanden zusammen das Ziel. Das Ziel,« setzte er leis hinzu, »das keiner, verfehlt.«

Und als sähe er den eigenen Hügel vor sich, der seine müden Glieder decken sollte, blickte er vor sich, und so ritten sie weiter. An der Grenze wandte er sich noch einmal um, breitete wie unwillkürlich die Arme nach dem Lande, das er auf immer verließ, und seine Lippen bewegten sich wie zum Segen. Die Worte hörte man nicht. Dann drückte er stumm dem Ritter die Hand, winkte den Söhnen, und nun war er auf fremdem Land. Er wandte sich nicht mehr um.

Henning hielt mit seinen Söhnen, bis die Ritter im Walde verschwunden waren. Dann ritt er langsam heim. Ihm war nie so weh ums Herz gewesen, und war doch ein glücklicher Mann.

Ende.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Roland von Berlin – Dritter Band