Neuntes Kapitel. - Um eine Stunde früher oder zwei, als wir die Reisenden an der Brücke ließen, ...

Um eine Stunde früher oder zwei, als wir die Reisenden an der Brücke ließen, hätte man das ehemalige Schloß, von dem der Herr von Bredow sprach, noch in der Ferne sehen können. Mindestens den einen runden Wartturm, den die Kugeln aus der Donnerbüchse des Markgrafen nur angerüttelt hatten. Noch ragte er schlank in die Lüfte, und nur sein Dach war zerschossen, und von den Zinnen und übergekragten Steinen einiges losgebrochen. Solch ein Turm ist zähe; wenn er fest und tief in der Erde wurzelt, hält er was aus; der Sturm wiegt ihn, und er schwankt, aber er bricht nicht.

Einige dreißig Jahre früher sah er freilich anders aus; da ragte er wie ein Schornstein über die Schloßdächer, die Mauern und kleinern Türmchen hinaus, und es ging bisweilen munter drin zu; aber draußen war's ein Schrecken. Wer nicht vorbei mußte, der nahm gern einen Umweg. Nun hatten Kugeln und Feuer gewirtschaftet, und was sie übergelassen, da hatte Regen und Schnee und Stürme gearbeitet, und mehr als die der Frühling. Wer weckt Gräser und Blumen, Nesseln und Nisteln. Gar lieblich anzuschauen ist's, wenn der Mai ein zerstört Gebäude mit grüner, bunter Lebenslust überhaucht. Er ist aber ein geheimer, böser Feind. Die Wurzeln treibt er in die Fugen, und das Moos und der Rasen, die so sanft die Mauern überziehen, schlürfen den Regen auf und bergen die Feuchtigkeit gegen die Sonnenstrahlen. Wurzeln und Naß bohren und bohren tiefer, und was eine schwere Eisenkugel nicht vermochte, das thut die Wurzel einer Haselstaude, sie bricht eine Felsenmauer.


Im Winterkleide sah die Ruine gar trostlos aus. Zwar hing ein Tangerbusch über dem zerstörten Thore, ein Zeichen, daß hier Einkehr war; auch eine Art Schild. Auf einem alten Brette war mit Kreide eine Figur gemalt, die einen Kärrner vorstellen sollte. Geschrieben stand's nicht drunter. Wenn's auch einer zu schreiben, es hätte doch keiner zu lesen gewußt. Und auch eine Rauchsäule wirbelte aus dem Schutte auf. Die Ruine war also bewohnt, und eine Herberge nannte sie der Bewohner. Ja, eine traurige Herberg. Wenn ein Maler aus Niederland eine Schenke konterfeien mögen, wo man nicht weiß, ob der freie Himmel besser ist oder die Einkehr, der hätte hier zeichnen sollen.

Auf einem Berge lag nicht die Burg Kikhövel; solche Schlösser hatten wir nicht in den Marken, Aber fest genug war ihre Lage doch für die Zeiten. Denn die Herren, die es gebaut, Gott weiß, wer die waren, hatten sich einen trockenen Fleck im Sumpf gesucht, etliche zehn, zwölf Fuß über dem Wasser, und das gab schon eine hübsche Höhe. Da hatten sie Mauern aufgeführt, noch ein zwölf Fuß hoch und darüber, von ungeheuren Feldsteinen, und fünf, sechs Ellen dick. In jenen Zeiten gab's noch viel solcher Steine in den Marken, als schon gesagt ist, aber tausend arme Wenden konnten sich krumm tragen und ihre Ochsen wund peitschen, daß sie die Steine, die zu der Mauer nötig waren, nur heranschleppten. Mucksen hätte keiner dürfen; und der Ritter, der's befahl, lachte wohl noch und hätte in unserer Sprache gesagt, er sei ein Wohlthäter der Umgegend, denn er verbessere den Acker. Was der Ritter sagte, das mußten sie glauben. Auch hätten die alten Herren wohl noch höher die Mauern gebaut, so schwer es hält, solche Granitblöcke hinaufzuwinden; aber die Maurer schüttelten den Kopf. Denn wie fest auch der alte Mörtel ist, die Steine sind doch rund, und wenn man in den Himmel bauen will mit runden Steinen, so drückt das zu schwer, die Unterlage weicht, und es rollt am Ende das ganze Werk zusammen. Um deshalb hatte der Zimmerer fortgesetzt, was der Maurer gelassen. Aber von dessen Werk war nichts zu sehen. Die Obermauern von Fachwerk und Mauerstein und Lehm waren verbrannt und niedergerissen. Und von den Feldsteinen fingen sie auch schon an, fortzukarren; die in der Nähe bauten, brauchten sie gut. So ging in den Marken viel verloren von dem, was im Altertum war. Die da lebten, wollten auch Häuser haben, und die Lebenden haben immer recht gegen die Toten. Es geht einmal nicht anders in der Welt. Und dann dachten sie auch: was sind denn Feldsteine? Die gehören jedermann. Die Vorväter haben sie genommen, just wie sie sie auf dem Felde fanden, und nichts daran gethan, als sie legten einen neben den andern und häuften einen über zwei andere. Und da hatten sie wieder recht, sie fortzunehmen, gleichwie als jene sie genommen. Und sie behauten sie zu Schwellen und Ecksteinen, und meißelten auch wohl Sitze daraus vor den Thüren, und die Rechtskundigen sind der Meinung, diese fleißigen Leute erst hätten an den Steinen ein Recht erworben, und wären ihre rechtmäßigen Eigentümer worden dadurch, daß sie daraus etwas geschaffen; die Ritter aber wären's nicht gewesen, die sie roh ließen, als sie von Natur waren.

Wie dem nun auch sei, was von gebrannten Steinen aufgeführt war, als der Thorbogen und etliche Pfeiler und der Wartturm, die standen noch immer, als wie sie nach dem Brande gestanden. Die riß keiner ab, die karrte keiner fort. War's, daß man Scheu hatte vor so kunstvollem Menschenwerk, und man wollte nicht zerstören, was keiner wieder bauen konnte so stark und schmuck; oder war's zu fest, und sie konnten die Steine vom Mörtel nicht losbrechen, ohne daß die Steine entzweigingen? Denn unsere Vorväter haben gemauert, als wir nicht mehr mauern können. Ist's als wenn Wind und Wetter dem Mörtel nichts thut.

Der Burg Stärke aber war, mehr noch als Mauern und Turm, ihre Lage. Denn ringsum war Moor und Sumpf, und der trockene Weg ging im Zickzack hindurch. Wer ihn nicht kannte, geriet übel. Und ein Fließ, das des Moores Wasser aufnahm und weiterführte, war um die Mauern geleitet. Sonst führte eine Zugbrücke hinüber, itzt war der Graben da verschüttet, und man konnte über einen Damm ans Thor. Und doch schaute es noch immer finster aus und drohend. War's keine Festung mehr, so konnte es ein gut Raubnest sein. Die abgestorbenen Bäumchen, die auf der Mauer nisteten, schüttelten sich im Winde, als wollten sie den Wanderer zurückscheuchen, und der Schnee lag traurig auf den Mauern und auf den paar verbrannten Sparren, die noch auf den Dächern hielten, bis Sturm und Regen sie hinunterwerfe. Die Menschen hatten's bequemer, das Holz aus dem Wald holen als mit der Axt auf die bröcklige Mauer steigen. Sah's aber mehr wie ein großes Nest der Krähen als der Menschen aus; denn die saßen schwarz auf den Sparren und Balken und wo eine Spitze vorragte, als hätten sie die Ritter abgelöst, und schauten auf Beute aus.

Da schritt ein kleiner Mann, in einem Schafpelz, und solche Mütze hatte er auch auf dem Kopfe, um die Stunde nach dem Thor zu, wo die Hellung nachläßt und der Abend einbricht im Winter. Auf dem Rücken trug er eine Last Holz und in der Hand ein Beil. Und plötzlich hoben die Krähen einen häßlichen Gesang an. Er richtete sich auf und schaute nach den Tieren zuerst und dann um sich. Die Krähen schrieen nur immer lauter und flatterten um den Turm, daß einem andern wäre bange worden. Er aber schaute gen Abend, und da er die dichten Wolken über die Kiefern aufsteigen sah, grinste sein klein häßlich Gesicht, und er schüttelte den Kopf. Alsdann hastelte er ins Thor und in den Hof. Da sah es nun noch wüster aus als draußen, ob doch jeder auf den ersten Blick erkennen mochte, daß das Nest bewohnt war. Denn Haufen Unrates und Mist lagen neben den Schutthaufen, und Hunde und Schweine liefen um, Katzen auch. Die Schweine kehrten sich nicht um den Mann; aber die Hunde klafften ihn freudig an und wollten ihm gar auf die Schulter springen. Er stieß sie aber mit einem Fluch zurück. Und wo noch der Hauptstock vom alten Schlosse stand, und es mochte wohl der Rittersaal gewesen sein, da mußte ein Stall itzt sein, denn es blökte und wieherte draus, und die Jauche lief aus den Mauern und wieder über die Schwellen dahin zurück, wo manch junges Fräulein und manch junger Ritter auf den Dielen mochte zierlich getanzt haben. Es hat alles seine Zeit. Aber im Winkel, da an Turm und Mauer, vielleicht ehedem der Stall – war itzt die Wohnung, mit Reisig und Schilf schlecht gedeckt, der Schnee aber deckte wärmer, denn er lag schuhhoch draus, und doch schmolz er vom Rauch, der lustig an der Hinterwand draus vorwirbelte. Der Wirt, denn das war er, lugte durch das Fensterloch, und dann, seine Holzlast mit Gepolter abwerfend, rief er hinein: »Jire, die müssen fort!« Das rief er wendisch, und sein Weib antwortete ihm auch so, dann aber erklärte sie's auf Plattdeutsch den Leuten, die in der Stube waren, wenn man den Ort so nennen mochte. Denn sah's noch immer mit dem schrägen Dache, aus dem das Stroh vorsteckte und durch das die Nässe träufelte, mehr wie ein Viehstall aus, denn wie eine Stube. Ein Schwein war auch drinnen: das wühlte im Boden und schnüffelte umher, und bald rannte es die nackten Kinder fast um, bald mußte es die Mutter mit dem Kochlöffel fortjagen. Das Beste war noch der große niedrige Herd am Ende des wüsten Raumes, wo ein mächtiges Feuer in den Rauchfang prasselte und viele Schinken und Würste räucherten. Aber der Rauch kam ebenso oft zurück, als er hinaufstieg, und dann wär's nicht zum Aushalten gewesen, wenn die Leute damals schon gehustet hätten.

Zwei Fremde waren drinnen, augenscheinlich Krämer, die saßen auf ihren Säcken und löffelten einen heißen Brei aus einer Schüssel, die auf einem Fasse stand. Und denen galt der Ruf des Wirtes, den ihnen die Frau auslegte! und sie waren sehr verwundert, daß sie fort sollten, da sie doch hierbleiben wollten über Nacht und ihre Tiere müde waren. »Wir wollen ausschlafen und dann fort,« sagte der eine. »Dürft nicht,« entgegnete sie, »müßt gleich fort.« – »Sankt Christoph!« rief der Krämer, »Du wendisch Weib, haben wir Dir darum die bunten Bänder geschenkt und die Schleifen? Ist bei dem Volke doch keine Dankbarkeit.« Das Weib, das nur wenig Deutsch sprach, verstand sie doch und sah sie mit einem bedeutungsvollen Blicke an: »Darum ja, fort müßt Ihr.« Und sie hielt ihnen die Bänder hin, recht traurig, als es schien, daß sie die wieder fortgeben sollte. »Dreck in die Bänder!« rief der Krämer. »Warum müssen wir fort?« – »Die Krähen schreien,« sagte das, Weib. »Schwere Not, was thun die Krähen uns?« – »Viel Schnee giebt's; viel, viel.« – »Heidenweib! Ins Schneegestöber uns 'rausjagen!« – »Warum denn?« rief der andere.

Sie schüttelte den Kopf und schaute seltsam drein. Da schlug ihr Mann die Thür auf, und zu ihrer Verwunderung sahen die Krämer ihn schon dastehen mit ihren Pferden, und er hatte sie gesattelt. »Fix, fort müßt Ihr! Mein Bub soll Euch Weg zeigen.« – »Hund von 'nem Wenden, wir bezahlen Dir's Nachtlager.« Der Wende grinste, schüttelte den Kopf und kreuzte sich. »Müßt fort, liebe Herren. Schneit zu sehr. Schnee treibt alles Wild aus dem Wald. Kommt alles her; will sich wärmen. Frißt Eures auf – dabei blickte er auf ihre Kisten und Säcke – fort, fort, Euch zulieb.«

So sie's auch nur halb verstanden, halfen sie ihm doch hastig, ihre Sachen auf die Pferde laden und befestigen. Sie mußten vor einer Gefahr fliehen, das sahen sie ein. Nur gedachte der eine, daß in der Nacht und im Walde auch Gefahr sei und die Wölfe heulten. Der Wende gab seinem Buben Anweisung, wie er sie aufs kürzeste auf den Weg nach dem nächsten Orte führe; das Weib flüsterte dem einen einen Spruch zu, mit dem er sich die Wölfe vom Leibe abhalte. So mußten die armen Krämer fluchend von der Stätte abziehen, wo sie kaum ein warm Nachtlager gefunden. »Arm Volk!« sprach das Weib, ihnen nachschauend. Der Wende pfiff zwischen den Zähnen und rieb sich die Hände. Er hieß sie dann die Bierfässer aus dem Keller rollen und die Metkrüge vorholen. Denn es werde nicht lange dauern, so würde es aus den Wäldern brechen: »Bei dem Schnee bleibt keiner drinnen.«

Zwei oder drei Stunden drauf sah es in der Stube oder Küche ganz anders aus. Da prasselte auf dem Herde ein ungeheures Feuer, und Kessel hingen darüber, und Töpfe standen dran und die Frau fuhr mit dem Löffel aus dem einen in den andern. Und ihre Kinder, die kaum aufgewachsen, mußten ihr zur Hand, die Gäste zu bedienen; so viel waren ihrer eingekehrt. Da hätte auch das Schwein nicht mehr Platz gehabt. Aber sie hatten es geschlachtet, und nun drehte es sich an einem Spieß über dem Feuer. Jeder hatte sonst Platz gefunden, wo er ihn fand, auf Fässern, Bündeln, Steinen, und es hätte mögen recht warm sein, und wie man's im Winter nur wünschen kann, wenn nicht der Schnee auf dem Dache von dem Feuer nun noch mehr geschmolzen wäre, und er tröpfelte wie ein Regen durch die Decke auf die Köpfe und in die hölzernen Becher, aus denen sie Bier tranken. Aber was schiert das solche Leute! Im Wald regnet's noch stärker, und denen sah man's an, daß der Wald ihr Quartier war.

Wer mag die Gesichter konterfeien! Es hat dazumalen in der Mark keine Maler gegeben, also wie sollen wir's thun! Wandte man das Gesicht entsetzt von dem einen ab zum andern, so kehrte man doch wieder zum ersten zurück; denn der zweite sah noch schrecklicher aus. Und wenn man ein Grauen fühlte vor den wilden Gesichtern der Männer, mit ihren Bärten und Schmarren, und nach den Weibern sich umsah, Du lieber Gott, da meinte man wieder, die Männer wären noch gut und freundlich. Das waren Wämser und Pelze, das Rauhe nach außen gekehrt, und daran starrte der Kot, darin sie gelegen, und ihre Haare vom Blute zusammenklebend, es war kein Kamm daran gekommen, als wie an die Haut kein Wasser. Breite, lange Messer steckten an ihrer Seite, und der eine hatte einen Küraß, der andere einen Helm auf, und an den Seiten lehnten Spieße, lange und kurze, und in die Sparren hatten sie ihre Äxte gesteckt, und Morgensterne, daran auch noch das Blut rostete.

Wie sie das halb rohe Fleisch mit den Fäusten rissen, und sich einander darum rissen, da wäre einem feinen Manne, als dem Herrn Perwenitz, die Eßlust ganz vergangen. Und ein Gelächter war es, davon die Hunde draußen erschraken, so herzbrechend klang es, und ein Lärm, daß man meinte, die Decke müsse einbrechen. Jeder konnte da zuhören, was sie sich vertrauten. Und wovor uns die Haut schaudert, das weckte Gelächter. Und alle Augenblicke gab es Streit und wiesen sich die Fäuste, wo sie nicht gar die Messer zogen. Wer Wirt hatte nicht drein zu reden; er mußte sich krümmen und winden zwischen ihnen und bekam doch noch Stöße mit dem Ellenbogen. Da lag einer auf der Erde, wahrhaftig, man sah ihm kaum den Menschen an, der hielt ihm das Bein hin, daß er ihm die Stiefel auszöge, und als er's that, fuhr er rücklings an die andern. Die stießen ihn zurück wieder auf andere, und es gab eine Lust, wie sie den Wenden prellten, und er mußte für alles danken.

»Du!« schrie der Rotbart am Boden, »wenn wir so mit den Berliner Dickbäuchen wirtschaften werden!« – »Glaubt's nit!« sagte der Angeredete, ein blasses Gesicht, und das schwarze struppige Haar fiel ihm auf die magern Backen; aber seine dunklen Augen rollten so wild als der andern ihre, und wenn Du ihm allein im Walde begegnet, Dich hätte mehr gegraut, als vor dem feisten Rotbart, der auf der Erde lag. – »Schneiderseele! 's ist wahr,« schrie der. »Sie haben geschrieben an den Köpkin. Donnerwetter, wir in Berlin!« – »Krause, 's ist nicht wahr,« rief der ehemalige Schneider. »Die stolzen Herren kenn' ich. Daß sie der Teufel alle hole! Mir brennt noch ihr Eisen um die Ohren, und will's ihnen gedenken. Aber den Köpkin rufen sie nicht. Lieber den Gottseibeiuns!« – »Schneiderbock! sie rufen ihn, sag' ich Dir. 'S ist aus mit ihrem Stolz, Juchhei!« – »Es wäre gut,« rief ein dritter. »Giebt so hier nicht mehr viel Verdienst.« – »Alle Heiligen, wir wollen ihnen beistehen!« schrie ein vierter. »So ein vier, fünf in jedes Haus gelegt, da sollen ihre Keller herhalten, ihre Truhen und ihre Weibsen. Sollen an Köpkin Zarnekow denken und seine Gesellen, bis sie in die Hölle fahren. Solchen Kölner Dickwanst kitzeln, bis er alles Geld spuckt, Schneiderbock, fährt's Dir nicht in die Gedärme vor Grimm?«

Auf fuhr der Schneider allerdings. Er warf den Becher weg und sein Auge blitzte: »Ich sag' Euch, ich kenne die von Berlin und Köln. Die Pestilenz über sie! Da ist kein Galgen zu hoch, ich gönn's ihnen. Meinen Spieß, ich möcht' ihn den Dickwänsten einen um den andern durch den Bauch rennen, und wollte mich borstig lachen, wenn sie sich krümmen. Haben auch gelacht, als mich der Büttel kneipte. Aber pfiffig sind sie und haben gute Witterung. Werden sich hüten und den Wolf in den Schafstall lassen.« – »Da müßt' es ihnen schlimmer gehn,« fiel ein anderer ein, dem man's wohl ansehen konnte, daß er vordem die Ehre gehabt, ein Bürger zu sein in den Städten, und sie hatten ihn hinausgewiesen. Aber er war älter und stumpfer als der Schneider. »Es geht ihnen schlimm genug,« riefen mehrere Stimmen, und eine Weiberstimme aus dem äußersten Winkel krächzte: »Wird ihnen noch schlimmer gehn.« Einen Augenblick blieb alles still und sahen ängstlich nach dem Winkel, wo das Weib kauerte, die sie wohl hier nicht vermutet. Und konnte sie auch eigentlich keiner sehen, denn sie lag im Dunkeln, und ihr Kopf war umschlungen mit Tüchern. Aber alle wußten, wer sie war, und sie flüsterten leise. »Was, ist sie nicht bei ihm?« – »Pst!« flüsterte ein anderer. »Er hat sie neulich auspeitschen lassen.« – »Die rote Hanne?« fragten zwei oder drei mit scheuen Blicken, und ein paar schlugen ein Kreuz vor Schreck und Verwunderung. »Der Köpkin die Hanne!« – »Vorige Woche, als ihm bei Baruth der Bolzen den Arm aufstreifte. Er schrie wie ein Bulle. Nachmalen ließ er sie kneipen und streichen, darum, daß die Salbe nicht hielt. Nun muß sie neue kochen. Darum ist sie zu uns in die Wälder geschickt.« – »Nix da,« sagte ein anderer. »Weiß es besser. Sie muß ihm gehorchen, die Hex', er hat sie untergekriegt und ist ihr Herr. Aber so er sie nicht alle drei Jahre peitschen läßt, daß Blut fließt, ist der Kontrakt um, und sie fliegt fort.«

»Der versteht's,« sagten mehrere. »Die Hölle muß man mit Krallen festhalten, nicht mit Streicheln.« – »Das ist als bei uns; wer in drei Jahren die Hand nicht in Blut färbt, dem verkrümmt sie. Ist aus mit seiner Kraft.« – »Ja, wenn ihm die Hexe mal davonflöge, wär's mit ihm auch aus,« flüsterte der Schneider. »Das ist dumm Zeug,« fiel der vorige ein. »Ihm kann sie nicht mehr ausreißen. Als sie ihren Bund schlossen, schlachtete sie ein neugeboren Kind von einer Jungfer, und aus dem Herzen kochte sie das Blut und trank's; er aber behielt den Daumen von der rechten Hand. Den trägt er auf der bloßen Brust an einer Schnur von Judengedärmen, und als lang er den trägt, kann sie nicht von ihm. Sie mag's anstellen wie sie will. Und wenn sie nicht die Salome ankriegt, daß die ihm die Schnur im Schlafe abschneidet, so bleibt sie allezeit bei ihm. Die Salome aber wird sich hüten. Denn als sie, zwei Jahre sind's her, Miene machte, dort bei Dahme war's, ließ er sie mit beiden Händen an einen Ast binden und peitschen, bis das helle Blut auf den Sand tropfte.«

Das wollten andere nicht zugeben. Die Salome sei mehr als man denke. Die sei eine Fey aus dem Mohrenland und könne sich wandeln, in was sie Lust hat. Sie sei auch nicht, als es scheine, der Hanne unterthänig, sondern die Hanne sei's ihr, wofür sie vielerlei Beweis anführten, was nicht alles wiedererzählt werden kann, denn sie flüsterten's sehr leis. Dahingegen stritten die andern laut fort darüber, daß die von Berlin und Köln an den Zarnekow geschrieben. Und einer sagte: »Gelesen hab ich's nit. Ich kann nit lesen. Aber 's hat der schiele Wenzel angehört mit seinen eigenen Ohren, wie der Pleban dort, wie heißt das Nest, dem Köpkin den Brief hat vorlesen müssen. Dem Glatzkopf fuhr der Angstschweiß über die Stirn, und der Zarnekow saß auf einem Baumstumpf und brüllte ordentlich vor Lachen. Und in Mittenwalde weiß es jedes Kind. Warum liegt der Köplin itzt in Mittenwalde und hält Freundschaft mit dem Magistrat, und sie geben ihm Gelage, und er kommt in den Rat, und wir dürfen kein Huhn stehlen aus dem Weichbild? Die von Mittenwalde sind die besten Freunde denen von Berlin und schreiben ihnen und schicken ihnen Hilfe gegen den Roßkamm. Aber der Baltzer wird ihnen zu mächtig. Sie wissen's itzt alle, 's ist nicht der Roßkamm, sondern der Markgraf. Der giebt ihm Geld und Waffen und schickt ihm seine Leute. Und darum schaun sich die Berliner nach anderer Hilfe um. Denn die andern Städte vom Bunde, sie möchten gern, aber sie dürfen nicht. Der Herr drückt ihnen seinen Daumen auf. Und die beiden Städte schreien sich heiser um Helfer. An die Fürsten auch haben sie geschrieben und schwer Geld geboten, aber es kommt keiner. Und der Zarnekow wird auch nicht um nichts kommen. In Mittenwalde wird nun verhandelt, was sie ihm geben sollen. Das ist so wahr als das heilige Blut von Wilsnack.«

Es flog etwas von Fieberglut über das blasse Gesicht des Schneiders; der andere, der auch ein Bürger von Köln gewesen, zückte sein Messer und stieß es wieder in die Scheide. Aber derweil die Mehrzahl jauchzte in Gurgeltönen, die besser zu einer Herde Bestien paßten als zu Menschen, denen Gott Stimmen gab und Sprache, daß sie ihre Gefühle an den Tag gäben als vernünftige Geschöpfe, da schüttelten doch einige den Kopf. Es tauge nichts, sich in großer Herren Streitigkeiten einlassen.

»Er wird's bereuen, der Köpkin,« flüsterte einer. »In der Heide ist sein Feld, nicht in großen Stadtmauern.« – »Der Teufel läßt nicht mit sich spaßen,« sagte ein zweiter. »In Nacht und Nebel ist Verdienst; bei hellem Tage giebt's Beulen.« – »Darum sollen wir auch,« fuhr jener fort, »uns still halten. Neulich den schönen Wagenzug, er war uns ordentlich in die Hand gegeben, wir mußten ihn ziehen lassen. Das taugt nimmermehr.« – »Wer den kleinen Finger giebt, muß auch bald die Hand geben.« – Da fuhr plötzlich ein wilder Kerl herein. Mit einem fürchterlichen Fluche faßte er den Wirt bei der Kehle und stieß ihn, daß er auf die Knie sank: »Schurke! Gesellen! wißt Ihr, der Hund, das wendische Vieh, will uns bestehlen. Wart, ich will Dir die Gurgel zuschnüren,« – Die Mordgesellen fuhren auf und zückten ihre Messer. »Was ist's?« – »Was ist's?« fuhr der Kerl fort. »Sprich, Hund, Heide! Die Zunge schneid ich Dir aus, wenn Du ein unwahr Wort sprichst.« – »Maria! Joseph! All Ihr heiligen Fürbitter! Alles will ich sagen,« stammelte der Wende. Sein Weib wurde blaß.

»Ich stöberte im Stalle umher,« fuhr jener fort, »stehen da vier schmucke Rosse, die ich nicht kenne; ich schleiche die Treppe hinauf, da ist's verriegelt und schnarcht. Ich krieg seinen Buben und kneif ihn hinter den Ohren, da kommt die Bescherung 'raus. Schätze hat der Hund versteckt, will uns betrügen.« – »Will alles sagen,« stammelte der Wende. Und er beichtete, was er wußte, daß er einen Ritter mit seinem Fräulein und Knechte aufgenommen. »Hussa, das sind die!« riefen ein, vier Stimmen; die hatten mit gierigen Blicken den Bericht verschlungen. »Der Götze Bredow und seine Erbschaft! Haben wir doch Deine Spur!« – »Hussa, briuscha!« Das schnalzte und jauchzte in allen Tönen, so die plattdeutsche, die wendische und die polnische Sprache hat. »Maria, Joseph, Sankt Christoph und Sankt Lorenz!« schrie der Wende auf dem Boden. »Ist ein Ritter, und seine Gesellen in Eisen und Stahl. Hat Morgenstern und Spieße, 's giebt blutige Köpfe.« – »Deinen vorerst, Lügenhund.« – »Dreht ihm's Genick um!« – »Heiliger Vater, Sohn und Geist! Heilige drei Könige und alle heilige Nothelfer! Thut's nicht! Bringt nit Blut über mein Haus.« – »Thut's nicht!« rief eine Stimme aus dem Winkel. »Thut's draußen im Wald, auf der Heide! Der Regen wäscht's Blut weg, der Wind bleicht die Knochen, die Vögel schleppen sie weg. Blut im Haus treibt den Herrn 'raus. Laßt mir meine ehrliche Nahrung.«

Ein Höllengelächter antwortete ihm, und zehn Messer fuhren aus dem Leder. Sie rissen ihre Äxte von den Sparren herunter und einer stieß die Thür auf; aber sie flog wieder zu, und der Sturm trieb eine Wolke Schnee herein, und die Flocken waren bis auf den Herd gespritzt. »Erbarmen!« schrie der Wende. »Ist der Ritter ein Freund des Köpkin – hat sein Geleit. Ihr schlagt gegen die Hand, die Euch schlägt.«

Da stutzten wohl einige; aber der rote, widerwärtige Gesell, der's mit dem Schneider anhub, war auch aufgestanden. Er schnallte sein Wams zu und schürzte den Ärmel auf. Der sprach: »Glaubt dem Halunken nit. Ist eitel Lüg' all sein Reden. Hat nur einen Knecht bei sich, seine Haut ist just als anderer. Wer dem Köpkin Freund ist, das wissen wir, aber nicht er. Der Wendenhund will's für sich haben. Soll ihm aber nit sein. Ist ein guter Fang, sag' ich Euch, den uns der Gottseibeiuns schickt, ein so guter Fang, als Ihr lang warten könnt auf 'nen zweiten.«

»Weiß einen bessern,« hub die Stimme des Weibes an, und die rote Hanne stand vor ihnen. Sie lehnte sich halb an den Feuerherd, halb saß sie drauf. In ihrer Hand hielt sie den Besen, als stützte sie sich damit, und die Flammen glühten durch das rote Tuch um ihren Kopf. Sah sie schreckhaft aus.

»Wenn der Falk die Schmerle sieht und die jungen Karpfen und Hechte im Teich, sie spielen im Sonnenschein, schießt er dann nieder auf den Frosch? Ei, der Frosch quakt, und der Falk schlägt mit den Flügeln, und die Fische erschrecken drob und tauchen unter. Ich weiß einen Teich und drauf scheint die Sonne, und tausend Goldfischlein spielen drauf, schaun Euch ruhig entgegen, und Ihr habt sie. Das sind die Städte, die rufen Euch. Soll der Frosch quaken, und in allen Sümpfen hallt es wider, und sie erschrecken davor und tauchen unter, und schlagen die Thore Euch vor der Nase zu. Habt Ihr keine Lust, Eure großen Hände in die Truhen und Läden zu stecken der reichen Bürger? Hört, die Hanne sagt Euch, die Säcke des Junkers da sind eines Bettelmanns Abendbrot. Dort an der Spree werdet Ihr nicht wissen, wonach Ihr zuerst greifen sollt, und was Ihr forttragt, schmeißt Ihr wieder auf die Gasse, denn drüben aus dem Hause tragen sie Gold und Silber in Säcken. He, roter Krause, Du gehler Oldenhans, Du tauber Hyndemit, juckt's Euch nicht, den Berlinern es wiederzugeben, was sie Euch gaben? den Stock mit den Zinsen. Habt vergessen, wie die Zange thut und das Glüheisen? Habt nit Lust, sie wieder zu streichen, kneifen, prickeln, brennen, die Dickbäuche? Wißt nit, wie schmucke Jungfern 's hat in den reichen Häusern? Die rufen Euch, Ihr Satansrachen. Wollt Euch an Leder und Trockenbrot die Zähne stumpfbeißen. – Oder meint Ihr, das ist die Taube auf dem Dache und wollt den Sperling in der Hand nit fahren lassen? Die rote Hanne sagt Euch was, hört sie an. So wahr dieser Arm dürr ist und die Finger gekrümmt, die Taube ist Euer. Sie flattert schon am Fädchen, und der Faden ist in Eures Hauptmanns Hand. Schärft Eure Messer, Ihr Jungen, wetzt Eure Zähne und schließt Euren Mund! Ihr sollt jauchzen, ehe es Neumond ist. Jubilieren sollt Ihr, saufen und raufen, reißen und schmeißen. Hallo, des Zarnekows Bande wird wirtschaften an Sankt Petrus und Sankt Nikolas, daß Kind und Kindeskind an der Spree die Haare zu Berge stehn, wenn's die Väter erzählen. – Drum seid ruhig hier, ruhig wie der Maulwurf, der gräbt; nur die stille Nacht verrät ihn. Still wie die Schlange, die sich tot stellt; dann trägt sie der Bauer in sein Haus. Still haltet Euch, wie's der Zarnekow geboten hat, er ist Euer Meister und Herr. Er weiß alles, und wehe dem, der thut, was gegen sein Gebot ist.«

Es war still geworden, alle senkten die Blicke, und keiner regte sich. Den Eindruck ihrer Rede zu vermehren, schwieg auch der Sturm. Die Alte war, als sie itzt wieder die Augen aufschlugen, verschwunden. Draußen im Thorweg der Burg stand sie und schürzte ihre Röcke und hüllte ihre Kappe um den Kopf und schaute über den Schnee, den das bißchen Mondenlicht beleuchtete, das aus den zerrissenen Wolken vorkam. »Wohin, rote Hanne?« fragte der Wende, der ihr nachgeschlichen. »Zum Köpkin.« – »Sie thun's nit,« sagte er. »Sie thun's doch,« antwortete das Weib. »Mütterlein sah nicht, wie sie zitterten, als Mütterlein sprach.« – »Der Hund tanzt, wenn sein Herr mit dem Stock vor ihm steht, wenn sein Herr fortsieht, läuft er nach dem Knochen. Sind wilde Tiere. Ist der Leitwolf fort, schleicht und heult jeder für sich.« – »Ist schlimm Volk,« sagte er. »Der rote Krause ruht nit, wo er was blitzen sieht.« – »Der gehle Oldenhans ist noch schlimmer. Der Schneider luchst dem Hauptmann auf den Dienst. Möchte gern selber Hauptmann sein. Hörst Du die Krähen, es giebt hier was! Fix fort. Daß er's weiß.« Und ehe er sich's versah, war sie über den Graben. Sie lief barfuß so schnell über den Schnee, daß er glauben möge, sie reite auf dem Besen, den sie in der Hand schwang. Der Wende kreuzte sich und sprach ein Ave Maria!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Roland von Berlin – Dritter Band