Erstes Kapitel. - Fortsetzung

Da lachten die drei recht herzlich und sprachen noch viel über die Berliner, wie so Nachbarn von Nachbarn sprechen: war's nicht viel Gutes. Und die von Frankfurt und Bernow und Prenzlow redeten ebenso von Berlin. Denn, sagt schon der alte Grieche Herodotus, so jegliche Stadt ihren Kehricht auf ein Häuflein fegte und diese Häuflein stellte einer zusammen, und hieße er: wählet! dann wählte eine jede doch wieder ihren eigenen Kehricht.

Als es nun aber dunkler ward, und die Arbeit mußte aufhören, da machten sich die Herren nach Hause. Und wo Herr Niklas Perwenitz bei den Arbeitern vorüberging, da riefen sie ihm ein Hoch zu, und die Jungen sprangen um ihn, denn er war sehr beliebt bei allen und hatte ihnen ein Fest versprochen, wenn die Arbeit gethan wäre. In den Gassen und Häusern, was Feuerwerker sind, da arbeiteten sie noch fort, und dauerte es bis in die Nacht, daß man das Feilen der Schlosser und die Ambosse in den Schmieden hörte, und die Funken sprühten aus den Essen wie ein Feuerregen.


»Kommt alles in Euren Säckel, Ihr Herren,« sprach der Schieferdecker. »Das Arbeitsvolk ist lustig, und Ihr nur seid's nicht, mindestens nicht so, als man Herrn Nikolas Perwenitz von sonst kennt.« – »Das hat seinen Grund,« entgegnete der Perwenitz, »wie jedwed Ding auf Erden einen hat.« – »Und der steckt nicht in der Erden,« lachte Meister Bertold, »sondern wird ein achtzig bis hundert Schuh drüber 'rausragen.«

Und als sie beide, denn Meister Perbant war schon fortgegangen, an dem großen Hof vorbeigingen, wo die Schiefer- und Werkstücke hoch aufgeladen standen, sprach der Brandenburger: »So kommt alles in Deinen Säckel, Meister, und kannst, was die Berliner Jungen zerschlagen, dem Markgrafen überdem doppelt in Rechnung bringen. Wie kommt's nur, daß Du nicht lustiger bist, denn Du verdienst ein Heidengeld.« Da lächelte Meister Bertold: »Das hat seinen Grund, gleichwie jedwed Ding auf Erden einen hat.« – »Der aber ragt nicht zum Himmel 'naus,« entgegnete der Brandenburger. Der Schieferdecker sah etwas schelmisch den Ratsherrn an: »Nein, er steckt in Euren Taschen, Ihr Herren von Brandenburg. So mir der Fürst nicht zur Bedingnis gemacht, daß ich den Schiefer von Euch allein nehmen muß, und was Nägel, Anker, Spiker und Stangen sind, in Altbrandenburg muß schmieden lassen, Urkundlich. könnt ich sie billiger haben aller Orten.« – »Ei, Du Geldschneider, willst Du uns das nicht mal gönnen für unsere große Mühe.« – »Und die große Gefälligkeit,« fiel der Meister ein, »so Ihr dem Markgrafen erweist, daß Ihr die Ohren stopft, wo die Kölner und Berliner, Eure Bundesgenossen, zum Himmel schreien und um Hilfe rufen.« – »Ei, sie verdienen's nicht besser,« sprach Herr Nikolas unwillig und schaute zu Boden. »Männiglich wird bezahlt nach seinem Verdienst.« – »Und eine Hand wäscht die andere,« sagte der Schieferdecker. »Das ist schon recht. Dachte mir aber so einmal: wie wenn alle Hände frei, wären, und könnte jeder arbeiten, was er wollte, und kaufen und verkaufen, wie und wo er wollte, das müßte einen Verdienst in der Welt geben.«

Der Brandenburger Herr sah ihn groß an: »I Du Sohn Deiner Mutter, da müßt' es ja heidnisch auf der Welt zugehen. Wo bliebe denn da die Gerechtigkeit!« – »Ihr meint die Gerechtigkeiten.« – »Freilich die Zünfte und Gilden, unser Stapelrecht und die Niederlage. Meister Bertold, da steht unser Roland. Ist gut, daß der von Stein ist und nicht hören kann. Du bist ja ein Allerwelts-Aufrührer. Jeder kaufen und verkaufen, was er Lust hat, und frei des Weges ziehen und auf die Märkte, wo er Lust hat! Heiliger Moritz, am Ende meinst Du die Juden auch, und die Ritterschaft, daß die Kornhandel trieben nach Hamburg, wie's vor alters war. I da müßte ja die Welt auf dem Kopfe stehen und die Städte gingen unter. Keine Gerechtigkeit mehr, Himmel und Hölle, Meister, sag' mir das nicht noch mal. Dann kämen die Pfuscher und Bönhasen auf, und will nicht glauben, daß Du einer bist.« – »Gott und seine Heiligen behüten mich,« sprach der Schieferdecker, »bin ehrlicher Meister worden, in Erfurt. Das neue Dach vom Dom kann davon sprechen. Und Pfuscher, wo mir einer in den Weg kommt, mögt's mir glauben, dem wollt' ich die Suppe gesalzen haben.« – »Ergo,« sprach der Brandenburger Ratsherr, und kniff den Meister ins Ohr, »schau nicht ins Blaue; Du könntest vom Dach fallen. Der Schieferdecker, so über den Kopf hinausdecken will, hat keinen Halt mehr. Merk' Dir's. Jeder fegt vor seiner Thür. Da geht Dein Weg und hier meiner.«

Als der Ratsherr nachdenklich den seinen ging, begegnete ihm zu Roß mit einigen Begleitern der hochehrwürdige Bischof Stephan, und er zog die Mütze, als es sich schickt, vor solchem hohen Herrn. Und der Herr Bischof hielt auch an, als er ihn sah, und winkte ihm freundlich zu sich, denn Nikolaus Perwenitz war wohl angesehen im ganzen Lande und auch am bischöflichen Hofe. Er besorgte dessen Geschäfte.

»Herr Gott, lieber Freund,« sprach der ehrwürdige Herr, »was hört man da wieder für seltsam und wunderlich Gerücht von Köln her! Man weiß zwar noch nicht, was es ist, wollt' Euch aber geraten haben, als guter Handelsmann, seid auf Eurer Hut. 'S ist nicht richtig in den Städten. Unser gnädiger Herr soll auch sehr bös schauen. Weiß Gott, wie das enden wird! Die Ritter möchten nichts als Krieg mit Pommern, und im Lande eitel Unfriede.« Nikolaus Perwenitz küßte den Saum des bischöflichen Kleides und dankte für die Warnung. »Wie's enden wird, das weiß Gott, Hochehrwürdigster! Aber das weiß ich, der Markgraf hat einen Kopf und die in den Städten haben tausend Köpfe.«

Der Bischof schüttelte seinen und ritt weiter, und Herr Perwenitz ging langsam seinem Hause zu. Aber als er in den Flur trat, da lachte er seinen alten Dienstleuten so froh entgegen, als hätte er alle Sorgen abgeschüttelt. Und so herzte und küßte er auch sein liebes Weib oben, die war wohl so alt wie er, und hatte hübsche Runzeln im Gesicht und einen Leib, so dick wie ihres Herrn. Aber er sagte ihr allerhand Süßes, als wäre sie ein jung Gemahl noch, und zischelte ihr artige Sachen ins Ohr, darüber sie lachte und ihn schalt, und dann faßte er sie um die Hüfte und am Arm, und sie mußte, wie sie sich auch sträubte, einen Ehrentanz mit ihm durch die Stube thun, derweilen das Gesinde an der Thür stand und sich den Mund hielt, daß es nicht laut lachte. Und darauf warf er sich erschöpft in den Großvaterstuhl und wischte den Schweiß von der Stirn, und sie that desgleichen.

»Aber Väterchen,« sprach sie, »mußt doch auch bedenken, daß wir nicht mehr jung sind.« – »Hm! hm!« murmelte er. »Und was die Leute von uns denken. Haben keine Kinder –« »Eben um deswillen. So ein kleines Volk uns um die Beine spielte, meinethalben, da wollten wir ernst aussehen und ein ehrbar Gesicht machen. Aber – nun sind wir unter uns, Cordula – gieb mir die Hand. – Und wo steht's geschrieben, daß ein alter Mann nicht soll jung bleiben? Umgekehrt. König David tanzte und Salomo auch –« »Sie meinen nur –« »Was denn? Daß wir ausschauen sollen wie der Roland, oder heulen wie die Klageweiber! Warum denn, Cordula? Die Klageweiber werden bezahlt. Wer giebt uns dafür etwas? Mit wem gehst Du lieber durch die Heide? Mit einem, der die Augen verdreht und grimmig ernsthaft ausschaut, oder wer Dir lustige Lieder singt? Wer nicht lustig ist, freilich, der verlästert die Frohen, aber glaub's mir, 's ist nur der Neid.« – »Sie sagen doch, in der schweren Zeit –« »Soll man auf das Schwere nicht Blei laden, daß es noch schwerer wird. Man soll froh sein. Sieh 'mal, Cordula, der Menschen sind vielerlei. Zuerst die Heiligen. Gott sei mit ihnen und schenke ihnen Glorie in seiner Herrlichkeit, denn sie verdienen's um uns. Wir sind keine Heiligen, das weißt Du und ich. Gott weiß am besten, warum er uns nicht zu Heiligen gemacht hat. Dann sind schlechte Menschen. Du bist nicht schlecht, und ich bin's auch nicht. Wollen dem lieben Herrgott danken, daß es so ist. Aber drittens, dazwischen, da sind Menschen, nicht Heilige und nicht Bösewichter; ebenso wie wir sind. Weiß der liebe Gott recht gut, warum er die gemacht hat. Damit seine Welt nicht so erschrecklich ernst aussehen soll. Denn wenn er nur Heilige sähe und Böse, ach lieber Gott, seine eigene Schöpfung gefiel ihm kaum. Sagt sein Sohn, unser Heiland, nicht, wir sollen sein wie die Kinder? Und was thun die Kinder? Sie freuen sich und singen und spielen. Nun Cordula, was sollen wir nicht spielen und singen? – Wenn der mit der Sense kommt, der alt und jung mäht auf einen Strich, und uns auch, meinst Du nicht, Cordula, daß der liebe Gott in sein Himmelreich lieber frohe Menschen nimmt, als traurige? Darum, bis da, laß uns sein wie die Kinder, jubeln und springen, und nun gieb mir 'nen Kuß, Alte, und dann schenk mir 'nen Trunk aus dem Vollen, denn ich bin durstig.«

Und Herr Niklas erhielt beides, und darauf deckten sie den runden Eichentisch mit den kunstvoll gerundeten vier Beinen und schoben ihn vor des Herrn Stuhl, und Frau Cordula steckte ihm das weiße Handtuch in die Busenkrause und schob und rückte alles zurecht, daß der liebe gute Herr es recht bequem habe. Auch ein Fußschemelchen schob sie ihm unter den Fuß und polsterte ihm die Rücklehne, daß er aufrecht am Tisch sitzen und sich doch anlehnen konnte. Und wie geschickt die Gläser und Kannen, die Schüsseln und Teller und Krüge aufgestellt wurden, nicht eins neben dem andern, sondern es waren Untergestelle da, daß eins das andere überragte, wie unser Herrgott nicht alle Dinge gleich gemacht hat, sondern steht eins über dem andern. Also auch auf der Tafel des ehrenwerten Niklas Perwenitz. Und wer auch keinen Hunger gehabt, der hätte es doch mit Lust angesehen und Hunger bekommen; und als nun der erste Gang aufgetragen stand, und die Schüsseln rauchten, eine so, die andere so, da lief doch einem jeden das Wasser im Mund zusammen. Aber wie schmackhaft und würzig auch die Schüsseln sein mochten, würziger duftete und lieblicher anzuschauen war das Gesicht des Herrn Perwenitz, wie das Auge zuvor die Herrlichkeit überflog, ehe die Hände und Lippen sie berührten. Und alle, die es sahen, freuten sich, das Gesinde wie seine Ehefrau. Und wie er nun die Hände faltete zum Gebet, da falteten sie alle mit ihm und sprachen es ihm nach; er sprach laut und sie leise. Und als er nun kostete, hier und dort, und zufrieden war, da waren sie auch zufrieden, und alles wachte auf seine Blicke und hastete ihm zu bringen, was er wünschen konnte, er hatte es noch nicht ausgesprochen.

Vor allem war Frau Cordula die Zufriedenste, daß ihr Herr zufrieden war. Denn in der Küche sollte es eine Frau mit ihr aufnehmen! Aber sie war nicht stolz und eigensinnig, wie wohl Frauen sind, was die Küche anlangt, die da meinen, wie sie's gelernt von ihren Müttern, und die wieder von ihren Müttern, so sei's richtig und nicht anders, und müsse immer so bleiben; und sprechen allerlei Erbauliches, so der Mann die Nas in die Küche steckt und sagt, was er meint. Lieber Gott, er hat doch auch eine Zunge und mehr gekostet als die Frau. Nein, Frau Cordula nahm gute Lehre an und horchte gern, was ihr Herr ihr sagte, und war gar nicht bös, wenn Niklas Perwenitz selbst in die Küche ging und die Schürze vornahm und ihr zeigte, wie er's gesehen hatte von den fränkischen Köchen an des Markgrafen Tafel. Ja, als ein verständig Weib hatte sie manches Mal Herrn Ulrich Czeuschel, den Küchenmeister des Kurfürsten, heimlich um ein Rezept gebeten, wo sie wußte, daß es ihrem Herrn geschmeckt, und hatte ihm das Gericht bereitet und trug's auf den Tisch, er wußte nicht, woher es kam. Soll man mir itzt solch ein Weib zeigen, wo es lebt.

Und erkannte Herr Niklas auch wohl ihren Wert, und lebten beide so einträchtig und glücklich, als wo Eheleute an der Havel und Spree. Aber mit ihm am Abendtisch saß sie doch nicht: sie wartete ihm lieber auf, und war's mehr ihre Freude, daß es ihm schmeckte, als daß sie's selbst kostete, was sie zugekocht. War's ein so herzig gutes Weib als eine gute Köchin. Und keiner verdiente solch ein Weib mehr als Herr Perwenitz, denn ihn essen zu sehen war ein Vergnügen. Er hastete nicht die Gottesgabe herunter als ein Gierhals, nein, er nahm sich Zeit und liebäugelte zuvor mit jedem Bissen, und so oft er ein Kibitzei aufdrückte, – und alle Welt weiß, daß es nirgend bessere giebt als in Brandenburg – sprach er von Natur und Gott und Vaterland, daß, wer's hörte, viel lernen konnte. Und die Rebhühner und Waldschnepfen, wie geschickt zerlegte er sie mit der Hand und dem Messer. Und sehen hätte man sollen, wie er einen Oderkrebs aufzehrte, und blieb nichts übrig als die Schale, und kam keiner ihm gleich, so an Schnelligkeit als an Reinlichkeit. Bei Hofe, wenn er dort aß an den Landtagen, bewunderten ihn auch alle, und die gnädige Kurfürstin ließ ihm einmal eine ganze Schüssel Krebse vorsetzen, und er war schneller damit fertig, als die anderen mit ihren Tellern. Und keiner hatte es so manierlich gemacht.

Nun, daß er auch zu trinken verstand, wer hätte das bezweifelt an einem deutschen Manne. Aber er goß nicht die Gottesgabe über die Lippen, wie so mancher Ritter, der's nicht anders thut, als wie man Wasser über ein brennendes Haus gießt. Er schmeckte, was er trank, auch wenn er die Augen zu hatte. Und in seinem Keller da lagerten Schätze, wie nur in Bremen im Ratskeller. Darum nannte man ihn den feinsten Mann in den Marken. Aber kein Kelchglas leerte er, auch wenn er allein war, denn er trank es einem zu; und wenn keiner da war zum Anstoßen, so stieß er das Glas an die Flasche und wußte allezeit hübsche Trinksprüche.

Frau Cordula, der ward heute das erste Glas zugetrunken, und auch das zweite und ein drittes noch. Das erste auf ihre Treue und das zweite auf ihre Holdseligkeit, denn die, sagte er, als sie verschämt die Augen niederschlug, sehe ein guter Mann auch durch die Runzeln. Das dritte aber, daß sie ihm bleibe bis an sein seliges Ende, was sie ihm gewesen, seit er mit ihr in die Kirche zog. Da hielt sie sich die Schürze vor die Augen und wischte sie; aber das wollte Herr Niklas nicht leiden, sondern sie mußte zu ihm kommen, und er gab ihr einen herzhaften Kuß, und sie mußte nun auch vom süßen Wein nippen und sich zu ihm setzen. Und nun ging es erst los das Gesundheit trinken. Da ließ er die Stadt leben, Alt- und Neu-Brandenburg, die Herren vom Rate und den Bürgermeister und seine lieben Verwandten, den gnädigen Bischof, Herrn Stephan, und den Markgrafen, der ihm so gnädig sei, wobei er sich etwas erhob, und ward nun recht lustig und guter Dinge, und Flaschen und Glas klirrten, und sah überall Gutes und Frohes; nur das Gesicht seiner Ehefrau schaute nicht so aus.

»Was ist's nun wieder, Cordula? Verdienen's die braven Leute nicht, daß man ein gutes Glas Wein für sie trinkt?« – »Ach gewiß, Niklas, und noch mehr! Aber mir kam's nur so in den Sinn, was viele unserer Mitmenschen und gute Christen leiden und weinen, derweil wir so lustig sind.« – »Hast recht. Dies Glas auf alle, die leiden und weinen! – Stoß an!« – »Schon recht, Niklas, aber da kommt ja kein Tropfen auf einen.« – »Ei Cordelchen, mein Keller ist voll. Du bist ein gutes Herz und holst frischen Vorrat. Soll schon ein Tröpflein auf jeden kommen.« – »Und doch ist mir's, als sei es unrecht von uns. Denn so Du auch noch so viel trinkst auf die Armut, die Armen haben doch nichts davon.« – »Da hast Du wieder recht. Aber weißt Du was? –« er zog sie vertraulich zu sich. »Die Linke soll zwar nicht wissen, was die Rechte thut, aber Mann und Frau sind ja eins. Ist Deine Rechte nicht meine Rechte? Die Lieferung zum neuen Schloß in Köln bringt uns was Tüchtiges in unsere Kasten, und wenn das Jahr um ist, und ich abschließe, dann setz' ich das Doppelte aus für die Armen, und, Cordula, das wird nicht wenig sein. Und Du sollst meine Almosenierin werden.« –

Da war auch der Ratsherr still und füllte zween Gläser mit seinem Rheinwein, davon eine Flasche zum Nachimbiß im Korbe stand, und hielt das eine seinem Weibe hin, das andere nahm er und sprach ernst: »Auf die im Elend sind!« Die Gläser klangen hell, was beide freute, und auch Frau Cordula trank ihres bis auf den Grund aus. »Daß es ihnen wohl gehe!«

»Niklas, kann's einem denn im Elend wohl gehen? Ach Gott, da draußen! Denk ich doch jedesmal an die armen Menschen, wenn sie unsere Thore schließen, wo werden die die Nacht ihr Haupt hinlegen, die nicht mehr reinkamen? Die Wölfe und die Bären, die Diebe und Räuber, ach Gott, ach Gott! 's sind doch gräßliche Geschichten, so uns die Marktleute erzählen.«

»Lieb Weib, Brandenburg ist eine schöne und feste Stadt und Gott sei Dank, daß wir drin warm sitzen. Aber 's hat in der Welt noch viele Städte außer Brandenburg, und außer unserer Mark noch viele Länder, und viele Leute sitzen drin warm, und über alle diese Städte und Länder ist der liebe Gott und seine Heiligen.«

»Magst wohl recht haben; aber draußen bleibt doch immer draußen. Und so ein Heiliger in der Fremde, wer weiß, ob der unsereins versteht. Sie sprechen ja nicht einmal überall Deutsch. Und denk Dir nun, so, wenn wir einen Jungen hätten, und der hätte wandern müssen ins Elend, keine Mutter, kein Vater bei ihm, dem er's klagt, wenn ihm hungert. Wer wäscht ihm denn sein Hemd und flickt ihm, was ihm zerreißt? Ach Du heilige Jungfrau, wenn ich noch denke damals, als der Henning Wollner bei uns ansprach. Dein lieber Pate – ach Gott, wie sah er erhitzt aus und doch bleich und wild, und wollte nicht bleiben, wie Du ihn auch batest. Der ist ins Elend gangen, hörten nichts von ihm –« »Der arme Henning!« seufzte der Ratsherr. – »Über die von Berlin! Den besten Jungen aus der Stadt mußten sie ins Elend schicken,« jammerte das Weib. – »Riefen ihn wohl itzt gern zurück.« – »Nun ist's zu spät, Mann. Den hat ein Wolf gefressen, und liegen seine Gebeine im Walde, niemand weiß wo. Christus, ohne Beichte und Absolution! Es war ein herziger, herrlicher Junge –« »Der sich auch nicht wird haben fressen lassen vom ersten besten Wolf. Sah mir mehr danach aus, daß er erst ein halb Dutzend totschlug« – »Oder eine böse Seuche hat ihn gefaßt; starb in einem Spital, wo sie ihn um Gottes willen aufnahmen. Da liegt er nun auf dem Elendenkirchhof eingescharrt, kein Kreuz, kein Stein auf seinem Grab. O über die von Berlin, sag' ich es doch –« »Haben auch gebüßt, Cordula; oder möchtest mit ihnen tauschen? Sind die nicht im Elende?« – »Man möchte blutige Thränen weinen, Niklas, ist doch viel Jammer auf Erden.« – »Und soll drum Gott danken und froh sein, wer warm sitzt, wie wir in der guten Stadt Brandenburg.« – »Amen! Amen!« – »Nun, Cordula, noch ein Glas zum guten Ende, für alle unsere Freunde, so im Elend sind!«

Als sie anstießen, schellte es leise an der Hausglocke. Die Bürgerglocke hatte schon geschlagen, und ein Pochen und ein Klingelzug am späten Abend hatte in einer ordnungsliebenden Stadt stets etwas Unheimliches. Die Hiobspost kommt in der Nacht, die gute Botschaft wählt den Tag. Die gute stürmt an der Glocke, die schlimme zieht leise am Draht.

»Laß nicht öffnen!« sprach Cordula. – »Ei, lieb Weib, wir trinken auf die Elenden; und so nun einer auf unserer Schwelle liegt, sollen wir ihn liegen lassen und verschmachten? Was sagtest Du, so Du morgen die Thür aufschlössest, und da wäre es zu spät, ihm beizuspringen!«

Auf des Herrn Wink eilte die Magd hinunter und kam bald wieder zurück. Sie sollten keine Furcht haben, sprach sie, wäre es nur ein alter, armer Mann, gebrechlich sähe er aus und hätte weißes Haar. Und er bäte sehr, auf ein Wort den Ratsherrn zu sprechen. Zu besorgen sei nichts von ihm, denn er sei sehr matt, wie von einem langen Weg. Möge er wohl bessere Zeiten gesehen haben, so scheine es. »Man weiß doch nicht,« sprach Frau Cordula, ängstlich auf das Gesicht ihres Herrn blickend. – »Ich aber weiß, was einem Ratsherrn obliegt, bei dem ein Armer anpocht,« sagte Herr Niklas, und schob den Tisch zurück und erhob sich, und winkte der Magd, daß sie den fremden Mann heraufführe. »Du hast schon recht, Niklas,« sprach Frau Cordula etwas beschämt. »Ich meinte nur, die Thore sind doch längst geschlossen, und wie kommt er erst itzt zu uns, da er schon hätte kommen mögen, ehe die Bürgerglocke schlug, und da man ihm hätte ins Gesicht gesehen, wer er ist.« – »Und ich meine, Cordula, daß er eben darum kommt, daß ihm nicht jeder ins Gesicht schauen soll, wer er ist. Aber dem Ratmann Niklas Perwenitz will er sich zeigen und keinem andern, und darum laß ich ihn zu mir. Aber Du magst bleiben, denn Du bist mein treues Weib.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Roland von Berlin – Dritter Band