Achtes Kapitel. - Kein guter Mann reitet gern durch eine Heide, wenn der Abend anbricht...

Kein guter Mann reitet gern durch eine Heide, wenn der Abend anbricht und Schneewolken am Himmel stehen. Das ist noch itzt so, wo vieles besser ist als ehedem. Denn an den Kreuzwegen stehen Pfähle mit hölzernen Armen dran, die weisen rechts und links, oft auch vorwärts und zurück; und kann man's auch nicht mehr lesen, was dran steht, man kann's doch denken. Aber in alten Zeiten da waren die Heiden anders, und zumal die in den Marken, nach der Ostsee zu und nach der Nordsee. Da konnte man meilenlang reiten und sah keinen Pfahl und keinen Menschen, und die Wege schnitten sich im Sande nicht anders, als wie die Karren gefahren und die Rosse ihre Hufen im Boden gelassen. Es suchte jeder sich seinen Weg, der ihm gefiel. Und kein Dorf und kein Haus und keine Heidewärterhütte; kein Rauch wirbelte auf, und kein Hund schlug an. Das war eine Einsamkeit, die kein Menschenherz liebt; auch hat's in den Marken wenig Einsiedler gegeben. Die, wenn sie auch die Menschen scheuen und ihre Stimme, wollten doch den Gott sprechen hören, der Himmel und Erde schuf, und seine Stimme tönt im Murmeln des Quells, der von den Steinen fällt, im Gesang der Vögel, die in den grünen Bäumen nisten, und im Rauschen der Laubwälder, was gar mächtig auf die Seele wirkt. Aber hier gab's keine Quellen und Felsen, und der Sturm, so er in meilenlangen Kieferwäldern sich wirft, das ist kein Rauschen wie Gottes Allmacht, auf dessen Fittichen, wo er zerstört, sein Segen fliegt. Das knarrt und stöhnt und ächzt und heult, als wie der ewige Jammer, der in der Natur ist und nach Erlösung seufzt und sie nicht findet. Da ist kein Wechsel in den Stimmen, es ist das ewige Einerlei, und das Herz, das warm schlägt, fröstelt und sehnt sich hinaus.

Und so einsam es ist und still, es spricht doch laut ein Geist durch diese Wälder, wo die Stämme sonder Büsche in die Höhe starren, und über diese öden Felder, wo das Heidekraut in allerhand Farben blüht. Das ist der große Klagegeist der untergegangenen alten Geschlechter und Völker, die ehedem hier gehaust, und nun sind sie nicht mehr. Die Wälder schallten wider von ihrem Hörnerklang und lustigem Jagdgetön, die Flüsse und Seen vom Gesang der Fischer und Fischerinnen, der Rauch schlängelte sich von ihren gastlichen Hütten durch die Kieferwipfel, und jeder Fremde, der an ihre Schwelle trat, war willkommen. Da floß Milch und Honig und Met, und der Kaufmann zog befreundet und sicher durch die Gauen. Die sind nicht mehr; der eherne Fuß des Deutschen trat sie nieder. Ihre Götterbilder zerschmetterte seine Axt, ihre Wohnungen verbrannte er; er machte sie zu Sklaven oder scheuchte sie in die Sümpfe. Ihre laute Stimme verhallte; sie tönt nur noch wie das nächtlich schrillende Geheul der Eule. Und ihre Augen blinzeln scheu, sie schlagen sie nicht mehr auf, und ihre Väter, die große Helden waren, haben sie vergessen. Das ist der Klagegeist, der durch diese Heiden streift und das Herz bang macht. Der Sturm ist sein Gesang. Er fragt, wo die sind, die ehedem waren. Er zählt die runden Hügel auf den Höhen, und ihrer sind so viele, und unter jedem schlafen Geschlechter.


Da zumal sind die Heiden lang und öde und unfreundlich, wo die Marken an die Lausitz stoßen. Kaum benarbt mit dürrem Heidekraut ist auf lange Strecken der unfruchtbare Boden, und die Kiefern starren traurig in die Wolken. Hierhin folgte kaum der Zorn des Sachsen dem flüchtigen Wenden. Er ließ ihn sitzen in den Sumpfwäldern der Spree und auf den Sandflächen, wo nur der Buchweizen gedeiht. Es ist ein Land für Verstoßene, und lange noch ward hier wendisch gesprochen weit und breit, und itzt sitzt ein zerstreutes, vereinzeltes Völklein dort, hangend an den alten Sitten und an der alten Sprache. Es singt selbst noch alte Lieder bei der Ernte und aus dem Leiterwagen, wenn sie mit bunten Bändern geschmückt zur Hochzeit ziehen und die Braut holen. Sie sind wieder froh worden, haben die alte Zeit vergessen.

Durch diese Heiden führte der alte Weg ins Sachsenland und nach Böhmen. Wer ihn zog, sah sich wohl vor. Der Herbergen gab es kaum eine, auch Schlösser und Grenzburgen wenige. Die Städte liegen weit voneinander und schirmen sich zwischen Sümpfen durch hohe Mauern, Türme und Gräben. Und wenn ein einzelner Wandersmann, ein Reiter allein des Weges zog, war ihm doch die Einsamkeit fast lieber, als wenn er im Busch das Laub rascheln hörte und fern vom Waldesaum ein Schatten ihm begegnete. Er kreuzte sich und spitzte die Ohren, und mit verhaltenem Atem schritt er vorsichtig zu. Wie schauten sich die zween Wanderer, die sich begegneten, jeder den andern von fern an, ehe sie näher traten, und so sie miteinander sprachen, wogen sie die Worte ab. Und war's geschehen und sie einander vorüber, dann nahm jeder wohl noch die Hacken in die Hand. Wer war sicher, ob der andere nicht hinter ihm Kehrt machte und hinterrücks ausführte, was er Stirn gegen Stirn nicht gewagt. Und die rohen Holzkreuze hie und da am Weg, wo einer erschlagen war, und fromme Leute hatten es ihm errichtet, gaben Grundes genug zu solcher Furcht. Da bleichte wohl gar im Dickicht, ein weißes Gebein, und es waren keines Pferdes, keines Hundes und keines Wolfes Knochen. Oder sie hatten, wenn gute Leute einen Schnapphahn fingen und er gerichtet ward, an Ketten ein Glied von ihm am Baum aufgehängt. Auch Steinhaufen sah man dort. Wo ein Mann unter schlimmen Händen blutete, ist's jedes, der vorübergeht, fromme Pflicht, daß er ein Steinlein hinwirft; denn wer errichtet dem armen Wicht einen Leichenstein! So werden aus den Steinlein große Haufen, und der fromme Wandersmann betet ein Ave Maria still für die Seele und weiß doch nicht, ob es ein Feind ihm war oder ein Freund.

Ach schon zu Mittsommers Zeiten, wenn der Himmel klar ist und die Mittagssonne niederbrennt auf die Kiefern und die Heidefelder, ist die Einsamkeit dort gar schaurig. Wenn sich so kein Lüftchen regt, und die Kiefern schwitzen Harzdüfte aus, die die Sinne befangen, und die Wespen und Bienen summen um die violetten Heideblüten. Und ringsum weit kein Ton als der Specht, der gegen die Stämme hämmert, und Dein eigener Fußtritt, lieber Wandersmann, der auf den glatten Kiefernadeln glitscht, und der Sand ist so heiß, und Du kommst nicht weiter. Dann wird Dir recht bange in der märkischen Heide, und Du horchst, wenn ein Lüftchen geht und die Kieferwipfel wiegt, wenn die ausgedörrten roten Stämme knarren, und ein Eichhörnchen von Ast zu Ast raschelt. Dein Gaumen ist trocken, und Du beißest in die Spitzen der frischen Kiefernadeln, die eine betäubende Würze haben. Es ist aber keine Erquickung. Und das Wasser, wenn Dein Auge es wo sieht, bietet Dir auch keine Labung. Rot, grün und gelb schillert es aus der Tiefe entgegen, von Schilf und Binsen umkränzt, und weiße Mummeln schwimmen auf dem tückischen Wasserspiegel, und darunter singen die Frösche einen unheimlichen Gesang. Es wird da alles unheimlich, aber das süße Märlein weilt hier nicht.

Und ist's schon so im Mittsommer, wie erst im Herbst, wie im Winter, wo das sparsame Laubholz sein grün Kleid abgeworfen, und der Sturm die braunen Blätter über die Heide fegt! Der klare, frische, frostige Wintertag, das ist freilich ein Weihnachtsfest, und auch die Heiden feiern es mit. Da strecken aus der weißen Schneedecke die Kiefern ihre dunkelgrünen Arme und Häupter empor und schütteln sich in Hoheit. Aber es ist nicht immer Weihnachten im Winter. Das Himmelslicht ist mit düsteren Schneewolken gedämpft, es rieselt kalt und naß herab, es droht unheimlich, und kalte Stürme reißen durch die Wolken und peitschen sie. Dann ist's in den Heiden schauerlich, und wen der Wind treibt und der Schnee ereilet, und er hat den Weg verloren und sucht nach einem Obdach, das er nicht weiß, und die Nacht kommt über ihn, dem sei Gott barmherzig.

Solch ein Nachmittag war's, und der Abend kam heran. Da ritt ein Trupp Reisender in der Richtung von Sachsenland nach den Marken. Weiß dort kaum einer, wo die Grenze ist. Aber sie mochten schon drüber weg sein und auf brandenburgischem Boden, dahin sie gehörten. Das sah man ihnen an; aber auch die Besorgnis auf ihren Gesichtern, daß die Nacht sie überrasche, denn sie waren nicht kundig des Weges, und bald schwenkten sie links, bald rechts. Wenn man's durch die Büsche von ihren Schwertern und Sporen rasseln hörte und dann bewaffnete Männer vorbrachen, sollte man meinen, daß die Not gehabt, sich zu fürchten? Zu unsern Zeiten hätte solche Reisende keiner angefallen. Es waren vier Rosse, und einer, der offenbar ein Ritter war, mit einer geschlitzten Lederkappe und darauf ein Barett mit Federn, ritt immer voran durch die Büsche und schaute rechts und links, wo er ins Freie kam. Ein breiter, langer Degen klirrte ihm zur Linken, ein Dolch blitzte bisweilen unter dem Mantel an seiner Rechten vor, und ein Stahlhemd trug er über dem Lederwams. Seine Büffelstiefel aber waren besser wie Schienen, und seine Schenkel waren halb darin geborgen. Auch war noch einer auf seinem Roß wohl bewehrt, es war ein Diener des anderen, der hatte einen Helm auf dem Kopf und um die Brust einen Küraß, auch Schienen um die Schultern, und in der Hand trug er einen kurzen Spieß. Aber zur Linken führte er noch ein anderes Pferd, das war hoch und schwer bepackt, und Decken hingen darüber. Er mußte dafür sorgen und konnte nicht wie sein Herr überallhin Aug' und Arm haben. Endlich auf einem vierten Pferd kam in Mantel und Pelze dicht verhüllt ein Frauenzimmer; das mehrte nicht den Schutz, es wollte geschützt sein und schaute sich überall gar ängstlich um. Den Pferden sah man's an, daß sie müde waren, und alle waren überdem schwer bepackt. Kurz, es waren Reisende, denen man wohl ohne Angst begegnet, aber sie haben Angst und dazu Grundes genug, wo ihnen andere begegnen.

Nun waren sie aus dem Dickicht heraus, und eine weite, lange Fläche lag vor ihnen. Alles Heidekraut, auf das der Wind hier den Schnee hoch zusammengetrieben, dort hatte er den Boden kahl gefegt. Nur Kniewuchs starrte hie und da auf. Die Waldränder in der Ferne verschwanden schon im Nebel.

»Vater, hörst Du?« sprach itzt das Frauenzimmer, die an den Ritter heranritt, der still hielt. Und so belebt war ihr Blick und so ängstlich die blauen Augen. Es war ein schön jung Fräulein, als man ihr ins Gesicht schaute. Wie sie in den Pelzen verhüllt saß, hätte man's nicht gemeint. Der Vater hatte es gehört. Es heulte häßlich in der Niederung, und das Geheul kam näher, und dann hörte man wilde Sätze, und der Schnee stöberte auf und es fuhr durch die Sträucher. Ihre Rosse schlugen aus und wieherten wie aus Angst, und die Reiter konnten's nicht hindern, daß sie die Köpfe zusammensteckten. Und bald darauf sprangen ein paar schwarze Körper aus dem Busch und schossen in einem weiten Halbkreis um die Reisenden. Es waren Wölfe und ihr Geheul war schrecklich.

»Herr, sollen wir Lärm machen?« sprach der Knecht. »Das Rasseln mit Stahl vertragen die Biester nicht.« Der Ritter schüttelte den Kopf, und über den Sattelknopf etwas übergebeugt, verfolgte er mit stieren Augen das Spiel der hungrigen Tiere: »Bin ohne Sorgen, Agnes,« sprach er dann, »die thun's uns nicht – siehst Du, sie haben selber Angst.«

Und die Tiere schossen wirklich in immer weitern Kreisen um sie, als erschreckte sie das Auge des Ritters, das allen ihren Bewegungen folgte; oder war's das Blinken des Stahls und die ruhige Haltung der Reiter, die da Miene machten, als warteten sie nur auf sie. Endlich schossen sie mit widerwärtigem Geheul in die Büsche, und das verlor sich in weiter Ferne. »Die thun's uns nicht!« wiederholte der Ritter. – »Aber sie mögen wiederkehren,« sprach das Fräulein. »Laß doch den Dietrich Lärm machen.« Der Ritter schüttelte wieder den Kopf: »Die Wölfe thun's nicht. Wenn wir nur die Nacht wo unterkommen. Aber 's giebt hierum schlimmere Wölfe. Die muß man nicht locken.«

Und so ritten sie wieder eine Weil; sie sprachen nicht, aber ruhig waren sie auch nicht, denn jeder hatte die Augen allerwärts und die Ohren gespitzt.

Der Ritter, ein gut märkisch Blut, das sah ihm jeder gleich an, kam mit seiner Tochter aus Sachsen, da in der Nähe um Dresden. Er hatte eine Erbschaft gehoben, und die brachte er mit sich auf dem Packpferd und in den Säcken, so über den anderen Rossen hingen. Denn ließ sich das in jener Zeit nicht anders abthun; und wer nicht selbst kam und zugriff und mitnahm, was er greifen konnte, für den wären andere gekommen und hätten gegriffen und genommen; und fordere es dann von ihnen und verklage sie! Und er nahm, was sich packen und tragen ließ und zog seiner Heimat zu, wo er es wohl brauchen konnte. Sein Haus war leer, und er hatte eine hübsche Tochter. Darum mag man's ihm nicht verdenken, daß er auf den Weg acht hatte und auf jeden Busch, wenn auch nicht klopfte, doch Blicke schoß er drauf, ob kein Schnapphahn herauskäme? Die Wölfe kümmerten ihn wenig. Und sie hielten noch oft an, immer da, wo sie aus einem Busch heraustraten; und wo sich was zeigte, was ihnen verdächtig vorkam, da ritt entweder der Ritter selber voran oder schickte den Knecht, und erst, wenn es nichts war, setzten sie den Weg fort. Denn das Dickicht, das böse Leute bringt, kann auch gute Leute verbergen vor den bösen. So ist jedwed Ding in der Welt zu Gutem und Bösem da; es kommt nur darauf an, wie man's nutzt.

Da fragte das Fräulein: »Aber, lieber Vater, der Zarnekow ist ja den Bredows freund.« – »War's,« antwortete der Alte. »Du selber nahmst ihn eine Nacht auf, als er verfolgt ward.« – »Hm, hm! So was vergißt sich. Mein Vetter, der in Saarmund, hat ihm nachmalen manchen Streich verdorben.« – »Das war auf Geheiß des Markgrafen.« – »Jede Hand, die schlägt, thut weh.« – »Aber Du hast ihm ja ein Stück Geld geschickt und vermelden lassen, daß Du des Weges kämst.« – »Er ließ mir aber antworten, das wäre verflucht wenig für solche Erbschaft!« – »Er hätte es aber nicht genommen!« – »Da hast Du recht; er ist ein Edelmann. Aber Geleit hat er mir auch nicht geschickt, und wo ist er? Er hat viele Leute unter sich, aber nicht auf jeden seine Augen. Und ist viel Gesindel in diesen Strichen, das ihn nicht angeht und nicht auf ihn hört.« – »'S ist 'ne böse Welt. Wo kommen so viele schlechte Leute her?« sagte Agnes. »Aus den Städten, Kind. Das sind die Nester, die brüten alle Übel, Ihre schlechten Leute schicken sie 'raus, und –« brummte er – »ihre guten drinnen taugen den Teufel auch nichts.«

»Denen wird's nun eingegeben werden,« bemerkte der Knecht, dessen Bemerkungen sonst von dem Ritter nicht viel beachtet wurden; denn es schickt sich für keinen Knecht, mitzureden, wenn die Herrschaften sprechen. Er giebt nur Antwort, so sie ihn fragen. Aber in einer Heide, und man ist verspätet, da wird es anders. Wo die Wölfe heulen und die Nacht droht, rücken die Menschen aneinander. Klingt eines Knechts Stimme, und wenn er noch so rauh spricht, süß und wohltönend.

»Das eben ist's,« sagte der Ritter, »sie schicken itzt nicht mehr 'raus ihre Schlechten, die Herren von Berlin und Köln, sie locken sie an von allen Winden. Was Arme hat und kein Brot, möchte mitstreiten.« – »Bei meinem Heiligen, es giebt auch was zu verdienen da,« sagte der Knecht. »Was sitzen in dem Berlin für reiche Herren, ich sah's ja oft, und in Köln sind sie noch reicher. Jedem Mann, der bei ihnen dient, zahlen sie, so lang als die Fehde mit dem Baltzer währt –« Der Ritter unterbrach ihn durch ein Zeichen, denn Agnes hatte schon eine Weile hingehorcht, und er hörte es auch. »'S sind doch nur die Wölfe!« – »Die gehn uns auch nicht fort, Herr. Wer uns einmal roch, der bleibt. Wenn wir nicht durchs Wasser können oder eine Herberg finden über Nacht, haben wir sie auf den Hacken.«

Das war eine trostlose Aussicht. Das Fräulein sah nach den dichten grauen Wolken, die, von Abend über die Kiefern aufziehend, neuen Schnee drohten. Der Ritter schien sich drum wenig zu kümmern. Er sprach von den Raubgesellen. »Die schlagen tot und nehmen und sind fort, man weiß nicht wohin. Die sind schlimmer als die Wölfe,« – »Sie sagen ja, unser Markgraf ist so streng gegen die Räuber,« sprach Agnes. » Unser!« sagte der Ritter und brummte in den Bart. Er dachte daran, daß es ehemals doch besser war. Aber was er dachte, sprach er nicht aus. Er dachte, daß ein Rittersmann keinen Rittersmann anfällt, außer er hab' ihm denn vorher ordentlich abgesagt. Und ob der Wanderbursch und der Krämer, der mit vollen Wagen des Weges zieht, denn itzt besser dran sei als ehedem? Der Schnapphahn, der keinem Hauptmann gehorcht und keine Ehre hat, nimmt ihm alles und schneidet ihm die Gurgel ab, daß er ihn nicht verrät. Ein guter Mann mit einem Schild, so am Wege lagerte, griff aber keinen armseligen Wanderer auf; und den Krämer, wenn er ihn nicht gar mit bloßem Geleitsgeld und einem Stück seiner Ladung davon ließ, warf er nur in sein Verließ, daß er Lösegeld zahle. »Und überdem,« dachte Herr Gottfried Bredow schließlich, »wenn er ihm nun auch eins auf den Kopf gab oder ihn binden ließ und in den Graben schmeißen, so war's doch immer eine Ehre für solchen Kerl, und er wußte, wer's gethan. Wo kräht denn heut der Hahn danach, wenn solch ein namenloser Dieb und Gurgelschneider einem armen Wicht den Schädel einschlägt! Es ist gethan und damit vorbei. Greif einer das Stäubchen, das im Winde fliegt. Ist eine heillose Zucht und Unsicherheit!«

Das dachte der Ritter. Des Fräuleins Gedanken gingen nicht so weit, aber denken mußte sie auch vielerlei, denn auf dem lieblichen Gesicht war ein recht nachdenklicher Ernst gelagert, und das war nicht die Besorgnis allein. Der Knecht dachte gar nichts, aber er sprach desto mehr, und der Ritter litt es itzt. Es schien ihm sogar lieb. Der Knecht hatte vor Jahren zum alten Berlin in Diensten gestanden, bei dem Baltzer Boytin, Und er erzählte viel von den seltsamen Dingen, die dort vorgefallen, und was der Roßkamm von je an für ein Mann gewesen, dem man's nicht angesehen, was hinter ihm stecke. Es hatte ihm keiner getraut, aber er hatte es immer so zu fädeln gewußt, bei Hohen und Niedern, daß sie nach seiner Pfeife getanzt. Viele hätten auch voraus gewußt, der wird der Stadt einmal arge Stänkerei bringen, und man hatte ihn sollen beizeiten fangen und richten. Schade nur, nämlich für die Stadt, daß sie's immer erst nachher gesagt, als es zu spät war.

»Da waren große Herren in der Stadt und stolze Bürgerssöhne, die machten ein sauer Gesicht, wo er nur kam, und drehten ihm den Rücken. Aber, das war seine Pfiffigkeit, er verstand's, sie wieder umzukehren, und ehe sie sichs versahen, saß er ihnen am Ohr, und da flüsterte er ihnen, bis sie gefangen waren wie der Vogel, dem der Finkler pfeift. Nachmalen konnte gar nichts geschehen, wo er nicht dahinter steckte, und so hat er's dahingebracht, bis er Bürgermeister ward. Und hätt's ihm keiner früher angesehen, ein so gemeiner Mann war er.« – Und endlich jagten sie ihn zum Thor 'naus,« warf der Ritter hin. »Ist drum nicht schlimmer dran, gnädiger Herr! Könnt's mir glauben. Er hält drüben im Barnim Hof, als wär' er ein Freiherr oder gar noch mehr. Hatte, als er in der Stadt war und sein Geschäft gut ging, auf die höchst ein Dutzend Knechte, und nun fragt einmal nach, wie viele hinter ihm reiten, und wie viele er liegen hat in den Ritterhöfen, auch in mancher kleinen Stadt. Da reitet er ein und aus, als wär' er ihr Burggraf, und die Bürger sollten sich unterstehen, ihm das Thor zu schließen, als die Berliner gethan dem Markgrafen! Nein, wo er Nachtquartier hält, da kommen sie vom Magistrat zu ihm und fragen ihn, was ihm fehlt und was er wünschen möchte. Es fehlte nur, daß die Bürgermeister ihm die Stiefel ausziehen. Und Rosse, als er noch Roßkamm war, wenn's hoch kam, hatte er fünfzig im Stall; das muß ich ja wissen. Itzo kommen die Roßkämme aus Mecklenburg und Holstein zu ihm, und er kauft ihnen stiegenweis ab. Er versteht es, was gut ist. Solche große Fehde bringt was ein. Die Leute sagen, der Markgraf steckt dahinter. Hinter dem Baltzer hat aber allezeit was gesteckt, und keiner riet, was. Und wenn man seine Kisten ansah und Taschen, glaubte man, er werde nicht das Wochenlohn aufbringen, und kam der Zahltag, da lag's auf dem Brett, glänzend neu, wie's aus der Münze kam.«

Der Ritter antwortete nichts, er mochte sich aber manches denken. »Ja, ja,« fuhr der Knecht fort, »die ihm zulaufen, die Leute haben schon recht. Er zahlt ebenso gut als die Berliner, und wer weiß, ob nicht noch besser. Dazumal, als sie ihn austrieben, und er mit knapper Not über die Mauer kam, Herr Du mein Gott, das Gesicht seh' ich noch, wie er die Faust ihnen drohte und grinste. Sein Maul, das ging von einem Ohr zum andern, und mit den Zähnen war's, als wollt' er sie alle auffressen: »Ihr sollt mir's bezahlen,« knirschte er, »auf Heller und Pfennig.« Er hat sie auch schon gut bezahlen lassen; aufgefangen hat er ihnen und niedergebrannt, daß sie auf Kindeskind davon erzählen werden. Und noch hat ihn keiner erwischt. Im Barnim drüben ist er als ein Herr. Die von Bernow und Straußberg, die wohl zu den Berlinern hielten, wagen's nicht, er fackelt ihnen ums Gesicht.« – »Solch ein Roßkamm!« brummte der Ritter. »Was aus einem Menschen werden kann, das sag' ich ja auch,« fuhr der Knecht fort. »'S ist keinem an der Wiege gesungen. Sie hatten's von manchem dort in Berlin vorausgesagt, daß was Großes aus ihm werden würde; ja ins Elend gingen viele, aber kamen nicht wieder. Da war ein Raschmachergesell, der hieß Henning Mollner. Mit seinem kleinen Finger konnte er eine Elle zerbrechen, und überall war er oben hinaus, und schreien konnte er, und war auch ein schmucker Bursch, dem's nicht an Anhang fehlte, und reich dazu; und die Weibsen schauten ihm nach. Da glaubte doch jeder, der wollte hoch hinaus, dem war's gegeben. Ja, ins Elend ist er gangen, nachdem er das Spandower Thor mit dem Hammer aufschlug und den Markgrafen einließ, und weiß bis heut kein Kind, was aus ihm worden ist. Er fing's nicht recht an, das ist's eben. Wer's recht anfängt, dem gelingt's, und daher gelang's dem Baltzer, dem sonst keiner grün ist. Aber nun fragen sie sich: wenn's dem so gelang, warum mir nicht, wenn ich auch so anfange. 'S ist nur, daß man nicht weiß, wie man's anfangen muß.«

»Also im Barnim ist der Roßkamm Herr?« – »Und im Lebusischen auch. Den reichen Schumms und den Wyns hat er neulich fünf Oderkähne genommen. Gott weiß, wie er riecht, wenn etwas ankommt. Nur im Teltow will's nicht gehen, weil hier der Köpkin Zarnekow zu viel Anhang hat. Die beiden sind sich feind und können sich nicht aussöhnen, denn der Köpkin fing dem Baltzer vor Jahren einen Zug Pferde auf. Ist's aber nicht lustig, Herr, die beiden sind spinnefeind aufeinander und sind doch beide ebenso feind den Berlinern. Ja, sitzen die von den Städten itzt so recht mitten drinnen, das zwickt sie links und zwackt sie rechts. Sie schreien und lamentieren, aber laß sie, sie sind reich genug.« – »Gönn's ihnen auch,« brummte der Ritter. »Und ist doch eine Schand', daß so was nicht bessern Leuten zu gut kommt.« – »Verdienst, Herr, ist allerwegen gut,« fuhr der itzt dreister gewordene Knecht fort. »Es fällt einem jeden auf die eine Art etwas davon ab oder auf die andere. Und der beste Verdienst bleibt doch allzeit der Krieg. Da geht's rasch aus Hand in Hand. Mein Herr, der Baltzer, nämlich damals, sprach zwar oft von, was sie Segnungen des Friedens nennen. Aber das ist doch nur für die Städte. Und nun spricht er anders. Er wird ein reicher Mann. Und glaubt mir's, die Edelleute im Barnim drüben verdienen auch dabei. Sie sind ganz zufrieden. Wie mancher Ochs, den er den Städten nahm, ackert jetzt auf ihren Feldern, und wie manches Schwein hängt in ihren Rauchfängen. Und sie haben's nicht teuer bezahlt. Wo ein guter Fang ist, ist auch ein guter Handel, denn wer kann im Krieg alles mitschleppen, was er fängt. Drum ist der Baltzer auf allen Höfen und Schlössern gern gesehen. Den Rittern bezahlt er, was er verzehrt, und mancher von ihnen schickt seine Leute mit, wenn's in die berlinischen Dörfer geht, ja, er reitet wohl selber auch, eine Sturmhaube über dem Kopf und sein schlechtestes Büffelwams über dem Harnisch. Da wird denn rumort und gelacht und gezecht, wenn ein Streich gelang. Und im Grunde genommen, wer hat davon Schaden? – Wenn sie dem Bauer das Stroh überm Kopf anstecken, so kann er sich mal wärmen, und wenn sie ihn aus dem Bett jagen in die Felder, was ist's mehr! Weiß manchen, der dabei noch gewann. Er nahm auch 'nen Spieß und vergalt's anderen dreimal, was ihm einmal geschehen. In den Städten allein, da schwatzen sie von Frieden und halten ihn doch selber nicht. Da will immer einer kopfüber über den andern. Die Zünfte untereinander und die Geschlechter auch und beide zwischen sich. Der Friede macht sie reich und das Land arm. Der Krieg macht die Städte arm und das Land reich; darum mein' ich, ist Krieg besser als Frieden, und die Städte haben noch Speck genug, daß man's ihnen ausschneidet.«

Der Ritter Gottfried mochte wohl dasselbe denken, was der Knecht Dietrich sprach: aber man soll nicht vom Wolf sprechen, denn alsdann ist er nicht weit. Daran erinnerte ihn das Fräulein. Aber wovon das Herz voll ist, auch wenn man den Mund verschließen will, es läuft doch über die Zunge.

Die Reisenden gedachten der Kriegsgesellen, die sie in der Herberg zu Luckau getroffen; die wollten auch gen Berlin. »Sie wußten noch nicht, ob sie zum Baltzer gehen sollten oder zu den gestrengen Herren,« sagte der Knecht. »Aber ich wette, unterwegs bedienen sie jeden Herrn, den sie treffen, als gut sie können. Sie schielten gar absonderlich auf unser Packpferd. Der eine wollte mir helfen: ich gab ihm aber eins mit dem Ellenbogen und sagte ihm, jeder ist sich selbst der Nächste. Ein Glück, daß die Kerle zu Fuß sind; sie hätten sonst nicht von der Spur gelassen.« Die Erinnerung machte alle gar nachdenklich. Der Vater meinte, er hätte das Anerbieten des Ritters in Dobrilugk nicht ausschlagen sollen, der auch desselben Weges zog, aber er mußte sein Pferd erst kurieren lassen. Das Fräulein schlug die Augen ängstlich auf und sprach fast bewegt: »Vater, wenn der ihnen nun in die Hände fällt. Wir hätten ihn nicht sollen allein lassen.« Herr Gottfried lächelte fast auf: »Närrchen! Der sah mir auch danach aus.« – »Was Goldes und Silber hat er bei sich! Und Teppiche und Decken! Das reizt ja schlechte Leute.« – »Mag sein, auch gute,« brummte der Vater. »Aber er hat vier Knechte bei sich, und Gliedmaßen dazu, um es allein mit fünfen aufzunehmen. Ja, das wäre ein guter Reisekumpan.« – »Wir hätten warten sollen,« fiel Agnes ein. »Kann sein, kann sein auch nicht.« Es folgte eine kurze Unterhaltung über den fremden Ritter. Schien's, als wenn beide an ihm lebhaften Anteil nähmen. Ein Ritter, des Rüstung von Silber starrte und seine Taschen voll Gold, und seine Rosse waren von der schönsten arabischen Zucht, der war in der Mark nichts, was der Alltag bringt. Aber er kam auch aus dem Türkenkrieg und hatte manche Narbe an seiner Stirn, dafür aber auch Roßschweife und Halbmonde und güldene Ketten, und eine Pantherhaut hing um seinen Harnisch. Und sein von der morgenländischen Sonne gebräunt Gesicht schaute so drein, daß man ihm glauben mochte, was jeweilen er und noch mehr seine Leute von seinen Thaten gesprochen hatten gegen die Türkenhunde, die Gott verdamme. Und ein schön blau Aug' glänzte aus seinem braunen Gesicht, darin stimmten beide, und ihn sprechen hören, war desgleichen eine Lust gewesen; denn so ernst er vor sich hinschaute, blitzte es und sprudelte doch bisweilen gar lustig auf, und er wußte gar herrliche Schwänke. Kurz, wie es kein Mann gewesen, dem man alltag begegnet auf dem Wege von Dresden nach Nauen, so hätten auch beide sich sein nicht grad erinnert auf einem Ritt durch die Heide voller Fährlichkeiten, wenn ihr Kopf nicht von ihm voll steckte. Der Herr Bredow hätte es auch wohl abgewartet, bis sein Pferd gesundet. Aber er that's nicht darum, weil der Ritter beim Gespräch hinterm Berge hielt, wenn er ihn fragte, was er in der Mark wolle? Und er hatte ein gar schlau Gesicht dazu gemacht. Agnes, die verteidigte das. Aber da der fremde Ritter beim Burggrafen Albrecht, dem Achilles in Franken am Hof gewesen, von dem er viel sprach und Rühmens machte, so schloß Herr Gottfried, daß er von ihm abgesandt sei an den Kurfürsten, wie es denn an fränkischen Herren an dessen Hof nicht fehlte. Und er hielt sie sehr vom Übel. Mochte auch den Kurfürsten, Herrn Friedrich selber, nicht über die Maßen lieben. Denn vordem, daß sein Vater Friedrich der Erste ins Land kam, waren die Bredows reich, und wie's nun in ihren Schlössern aussah, das wußte jeder. Jetzt aber hätte er's wohl gern gesehen, wenn der stattliche Ritter neben ihm geritten wäre.

»Bei alledem, gestrenger Herr,« hub der redselige Knecht wieder an, »das hatte keine Richtigkeit mit dem Ritter.« – »Was?« rief der Herr, und Agnes riß die Augen groß auf. »Das ist recht gut, wer weiß wozu, daß wir mit dem nicht eines Weges reiten,« – »Kann sein, kann nicht sein, Dietrich; aber warum denn nicht?« – »Es hinkt, Herr, und wo es hinkt, da stinkt's auch.« – »Sein Roß hinkte.« – »Nein, er hinkte auch. Laß mir's nicht nehmen.« – »Herr Gott, Dietrich, was red'st Du!« fuhr das Fräulein dazwischen. »Er schritt so aufrecht wie ein Herzog.« – »Schon gut, Fräulein. Es stinkt und hinkt aber doch, ich kenne meine Leute.« – »Esel!« fuhr's dem Bredow über die Lippen. »Solchen Silberharnisch haben die Grafen von Ruppin nicht in ihrer Rüstkammer. Alle Itzenplitze und die Wedels drüben treiben in ihren Ställen nicht zwei Rosse auf, so wie seine alle.« – »Schon gut, Herr. Gegen den Harnisch sag' ich auch nichts, und gegen die Rosse auch nicht. Aber wo hat er sie her? Die können ehegestern noch einem guten Mann gehört haben. Wer weiß, wo dem seine Knochen liegen! Alte Weiber legen hinter der Hecke ihre Kleider ab, ein Schnapphahn zieht sich neue an. Und das ist richtig, sie stehen ihm ganz gut. Ich kenne aber meine Leute.«

Vater und Tochter sahen ihn gewaltig erstaunt an. »Blitz Clement, Dieter, das ist nicht wahr. Wenn das kein Ritter war –« »Das ist ein schlechter Knecht, der das sagt,« fuhr das Fräulein auf, und fast forderte ihr erzürnter Blick den Vater auf, daß er den Knecht dafür strafe. »Nu nu, Frölen, es kann ja schon ein Ritter sein. Aber was für einer!« – »Ein Mühlrad hatte er im Schilde und darüber einen Hahn,« sagte der Ritter. »Kenn's nicht, aber 's ist gut.« – »Gut immerhin, aber von seinen Knechten die drei mit den geschlitzten Augen, was waren das für Kerle! Deutsch sprechen sie nicht, polnisch auch nicht, und Kassuben waren es auch nicht. Rechte Schlagetots. Und was gilt's, die Gesellen in Luckau, die gehörten auch zu seiner Bande.« – »Bande!« riefen Vater und Tochter. »Höre 'mal, Dietrich,« hub der alte Bredow an. »Das nimm Dir nicht an, daß Du über gute Leute schlecht redest.« – »Nu, mag's sein, Herr, daß es ein guter Mann war. Aber meine Seel' drauf, er hat's nicht von sich, was er hat. War's ein Edelmann, so hat er's einem andern an der Straße abgenommen.« – »Nu, siehst Du, das ist doch gleich was anders. Nimm Dein Maul zusammen, wenn Du sprichst. So ein Edelmann Knechte hat, die er an der Landstraße liegen läßt, so heißt man das nit Bande. Verstehst Du? Der Zarnekow, ich will nicht alles loben, was er thut, aber er ist ein Ritter, also hat's Art, was er thut. Und ein Ritter greift keinen Ritter an, außer er hat's ihm geschrieben.«

Wer drängt Gedanken zurück, wenn sie einmal kommen. Und wer, wenn er Lust hat am Sprechen und einmal angefangen, hört gern auf, wenn ihm der Gedanke durch den Kopf schießt. Also hub der Knecht wieder an nach einer Weile, ob er doch wußte, daß es seiner Herrschaft nicht recht war. »Und meinen kleinen Finger drum, es war doch nicht richtig. Er war kein Ritter.« – »Dieter, Du verdientest, daß er Dir seine goldnen Sporen in die Weichen setzte.« – »Schon gut, gestrenger Herr, das kann auch ein anderer. Aber ich müßte mich sehr irren oder ich habe schon das Gesicht gesehen.« – »Wo?« – »Im alten Berlin war er schon. Das hörte man ja, er wußte aus und ein und lachte ganz absonderlich, wenn die Rede kam auf den und jenen. Und was that er für Fragen!«

Vater und Tochter horchten schweigend. Was der Knecht sagte, hatte Grund. »Nun, lieber Gott, 's war mancher gute Ritter in Berlin!« seufzte Herr Gottfried. Er hatte selber den silbernen Brautschmuck seiner Mutter dort vor Jahren an den Mann gebracht. »Weiß der Himmel, Gestrenger, kann nicht darauf kommen, wo und wie; aber gesehen hab' ich ihn! Die Ritter, die dahin kamen, kenn' ich alle, denn da war auch nicht einer, mit dem nicht mein Herr, der Roßkamm, verkehrte. Auch von den Stellmeisern, von den heimlichen, die sich noch 'rumtreiben, kam mancher zu ihm und besah sich ein Pferd. Und – ja, so ist's – beim Baltzer sah ich ihn. Der ist nicht weit her. Könnt's mir glauben.«

Ein »Donnerwetter« mit noch einem kräftigen Fluche drangehängt, rollte über des Ritters Lippen, als itzt etwas ganz anderes ihre Sorge in Anspruch nahm. Noch war der Abend nicht so vorgerückt, um die Dunkelheit zu rechtfertigen, die sie umgab. Sie ritten eben wieder aus dem Dickicht, und es ward so finster über ihnen, als es im Walde gewesen, wo sie die Wolken nicht gesehen, die sich über den Horizont dicht geschichtet. Der Wind, der vorhin ihr Gespräch nicht gar anmutig begleitet, hörte auf; dafür hörte man aber das andere häßliche Heulen der Bestien, die, als der Knecht richtig gesagt, nicht von der Spur ließen und den Reisenden wieder näher waren.

»Ach, wie es schneit!« rief Agnes, »Mord Element, Dieter, mit Deinem Geschwätz! Hast uns irrgeführt.« Der Knecht gaffte mit offenem Maul den Schnee an, der in dichten Flocken aus den Wolken niederwirbelte. Es war mit seinem Rat und seinen Gedanken aus. »Hund! Wo ist der Weg?« Sie suchten. Vergebens. Alle Spur war fort; alles eine dichte weiße Decke, die jeden Augenblick höher wurde. Sie selber, die Reiter und ihre Pferde, sahen bald wie ungeschlachte große Steinbilder aus. »Itzt kann Er's Maul halten. Nun rede, Kerl. Was meinst Du?« – »Ich meine nichts.« – »Du sollst was meinen.« – »Nun, ich meine, Gestrenger, wenn uns itzt Schnapphähne auf der Spur sind, die werden sie verlieren.« – »Kreuzlahm schlag' ich Dich, wenn Du noch ein Wort muckst!« sagte nun der Ritter. Und da mußte der Knecht wohl schweigen. Herr Bredow pustete vor sich und riß die Augen auf, aber er konnte nichts entdecken, was ihm den Weg zeigte.

»Heilige Jungfrau, sie kommen immer näher!« flüsterte Agnes, die ihrem Vater zur Seite blieb. Er brauchte nicht zu fragen: wer? Sie alle hörten's nur zu deutlich, und die Rosse schwitzten und wieherten vor Angst. Nicht ein Paar war es mehr, ein ganzes Rudel stürzte hinter ihnen. Man hörte sie in den Schnee plumpen und wieder heraussetzen. Ihr Geheul war gräßlich. »Die sind hungrig,« brummte der Knecht. »Was denkst Du, Dieter?« fragte der Ritter. »Ich denke nichts, Gestrenger.« – »Du sollst aber. Wozu füttere ich Dich und zahl' Dir alle Woche den Lohn, Hund von 'nem Knechte.« – »Dann dachte ich so, Gestrenger: wär' nur das Fräulein nicht, und wir fänden vor Nacht kein Dach, da könnten wir schon ein Feuer anschüren und mit den Tieren unter 'nem Baum –«

»Gnädiger Gott!« rief es. – »Sankt Christoph!« schrie der Ritter, und der Knecht gab seitwärts seinem Pferde die Sporen. Das Tier des Fräuleins war unfern von dem des Ritters eingesunken, und man hörte eine Eisdecke krachen. Der Ritter konnte nicht zu Hilfe, denn sein Pferd, nicht zwei Schritte davon, wollte sich nicht um einen halben umbiegen; es dröhnte hohl unter seinen Hufen, wie als wäre er auf einer Brücke. Da rief er plötzlich zum großen Erstaunen des Fräuleins: »Gott sei gelobt!« Und der Knecht wunderte sich schier noch mehr. Nun war der Herr, der über uns allen ist, auch wohl hier wie überall zu loben und zu preisen, denn das kluge Tier, worauf das Fräulein ritt, war augenblicks still gestanden, als es den unsichern Boden merkte, und nun, wie es auch zitterte vor Frost und dem Geheul hinten, es schritt langsam zurück. Da faßte es der Knecht beim Zügel und riß es ganz zurück. Es war ein tiefer Graben, als man nun erkannte, ganz überschneit. Und die Brücke, auf die Herr Gottfried zugeraten, führte hinüber. Er aber rief »Gelobt sei Gott!« nicht darum, daß seine Tochter gerettet war, wie ihn das auch freute, sondern um deshalb, weil er nun die Gegend kannte, gerade an der Brücke und dem Graben, in dem das Fräulein beinahe verunglückt war.

»Nun pfeif' und rassele, was Du kannst,« sprach er zum Knechte, »daß wir die Bestien abhalten. Eine Viertelstunde von hier liegt Kikhövel.«

Eigentlich hätte er sagen sollen: es hat da gelegen. Denn es war eine Burg, so einem Lehnsmann der Quitzows zugehört, und war sie im Kriege vor dreißig Jahren zerstört, und die Hütten umher verbrannt, und das Feld war wüst geblieben. Und keiner hatte sie wieder aufgebaut; aber er hoffte doch da in den Trümmern ein Unterkommen zu finden vorm Ärgsten und eine Decke vor dem Schnee und den Stürmen der Nacht. Und darin hatte er sich nicht getäuscht; und es gab ihnen allen Mut, wie erfroren sie auch waren, und hungrig und in Angst und Sorge.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Roland von Berlin – Dritter Band