Der Roland von Berlin – Dritter Band

Autor: Alexis, Willibald (1798-1871), Erscheinungsjahr: 1840
Themenbereiche
Inhaltsverzeichnis
  1. Erstes Kapitel. - Fortsetzung
  2. Zweites Kapitel. - Und so war es. Denn der alte Mann, der eintrat, wie auch sein Gewand ...
  3. Drittes Kapitel. - In der Nacht, welche auf den Tag folgte, war es in Alt-Brandenburg nicht so still, ...
  4. Viertes Kapitel. - Zu Spandow in dem markgräflichen Hause standen etliche Herren ...
  5. Fünftes Kapitel. - Das war wohl eine Lust zu sehen, ebendesgleichen die gedeckten Tafeln, ...
  6. Sechstes Kapitel. - Ja, wer hätte Berlin an dem Tage wiedererkannt. Es war ein heller Frühjahrstag ...
  7. Siebentes Kapitel. - Da fragte niemand danach, wer hat ihn zurückgerufen?
  8. Achtes Kapitel. - Kein guter Mann reitet gern durch eine Heide, wenn der Abend anbricht...
  9. Neuntes Kapitel. - Um eine Stunde früher oder zwei, als wir die Reisenden an der Brücke ließen, ...
  10. Zehntes Kapitel. - Träume sind Schäume, sagte die Muhme. ...
  11. Elftes Kapitel. - Es ist schlimm und noch einmal schlimm. So sprach Herr Johannes Rathenow,...
  12. Zwölftes Kapitel. - Wenn der Feind vorm Thor steht, läuten sie itzt nicht mehr mit den Glocken;...
  13. Dreizehntes Kapitel. - Am Abende des Tages redete man wenig zu Berlin, und zu Köln ...
  14. Vierzehntes Kapitel. - Freilich ist keine Zeit zu eitlem Gepränge und Banketten, sprach der Vater,...
  15. Fünfzehntes Kapitel. - Das waren graue Tage, die nun kamen. Ein recht herzhaftes Unglück, ...
  16. Sechzehntes Kapitel. - Da kamen nun traurige Tage für die stolzen Herren von Berlin und Köln....
  17. Siebzehntes Kapitel. - Zwanzig Jahre und zween, nachdem dieses sich zugetragen,...
Auszug aus dem Ersten Kapitel

In der Altstadt Brandenburg war ein gar munterer Verkehr. Zumal am Strande, denn die Havel lag voll großer Kähne, die wurden ausgeladen und wieder vollgeladen, und die Träger und Schiffsknechte sungen, weil sie auf den Köpfen die schweren Lasten trugen; oder sie zogen, mit Seilen um die Brust, die zweirädrigen Karren, daß ihnen der Schweiß dick von der Stirn rann; aber sie sungen doch, und sckwenkten die Mützen in die Luft, wann ein Kaufherr kam, in dessen Diensten sie arbeiteten. Die Herren mußten gut bezahlen. Wo es Frondienst ist, lassen die Leute nicht ihre Herren leben; sie arbeiten nur als das Lastvieh, das zieht auch und keucht, aber wenn es nicht den Stachel fühlt und die Peitsche, bleibt es stehen.

Die Sonne ging schon zur Rüste, und die Türme und Dächer der Dominsel glänzten im schönen roten Hauche, die hohen Fenster aber funkelten wie eitel Gold und Edelsteine, und sah's von fern aus als ein Zauberschloß. Und der rote Schein goß auch sein Licht über den breiten Wasserspiegel der Havel, die ein gar schöner Fluß ist, See an See, und reich an herrlichen Fischen. Und die Wimpel der Kähne färbte das Abendrot desgleichen und die Köpfe der rührigen Schiffer und Arbeiter. Das schien doch, als wollten die gar keinen Feierabend machen. Aber als itzt das Abendglöcklein vom Dome schallte, da verstummten die Lieder, das Ha-Ho der Seilzieher, die Räder hörten auf zu schwirren, die Lasten blieben liegen, wo sie waren, die Hüte und Mützen fuhren von den Köpfen, und die Hunderte Geschäftiger waren mutlos still. Sie falteten die Hände und knieten nieder, und beteten ihr Ave Maria.

Darnachmalen aber, als die Glocke wieder verstummt war, und die letzten Töne in der stillen Abendluft verschwirrten, rührten sich wieder die Arme als wie zuvor, die Räder und Winden schwirrten, die Karren knarrten, und die lustigen Lieder und das Ho! Ha! He! wollten nicht endigen.

Da sprach ein Bürger und Krämer zu einem andern, der dastand und zuschaute und die Hände eben vom Gebet losmachte: "Einen schönen guten Abend, Herr Niklas!" – "Wohl ist's ein schöner Abend, Meister Perbant," antwortete der. "Hat das Sprichwort doch recht, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Und desgleichen umgekehrt, man soll am Tage nicht verzagen, wenn er auch noch so grau ist, sintemalen der Abend schön werden kann." – "Nur, lieber Meister, ist das nicht zu vergessen, daß auf den Abend noch die Nacht folget."

"Herr Nikolaus Perwenitz," entgegnete jener, "das schiert mich nicht. Denn ich bin des Dafürhaltens, daß der Abend darum doch schön bleibt, wenn auch die Nacht stürmisch wird. Und bin ich am Abend lustwandeln gangen, so hab' ich es weg, wenn's auch drauf in der Nacht regnet. Und was ich am Abend in die Speicher und Scheuern eingebracht habe, das soll mir das Wetter, das drauf kommt, nicht wieder nehmen. – Und wahrhaftig, Herr Niklas," fuhr er ernster fort, "es that uns Brandenburgern solcher Abend not. Die von Berlin und Köln schnappten uns ja vorm Maule weg die Nahrung. Handel und Wandel, was waren sie diese dreißig, vierzig Jahre über! Alles 'rübergezogen an die Spree. Nach Hamburg, nach Stettin; allen großen Handel rissen die Berliner an sich. Was blieb uns, wenn wir nicht die Wollenweber und Tuchscherer hätten! Die Herren in der Brüderstraße drüben und in der Stralower Gasse schwellten ja auf, daß sie nicht zur Thür 'nein konnten, derweilen wir mager wurden wie Kirchenmäuse."

"Ei Gevatter!" sprach Herr Niklas. "Kirchenmäuse sind auch Gottes Geschöpfe, und nicht die schlechtesten. Im Himmelreiche werden die Kirchenmäuse den Feldmäusen und Kellermäusen in der Rangordnung gewiß vorangehn. Und vor allem Kirchenmäuse, die ein Domstift haben. Meint Ihr, daß unsere geistlichen Herren uns da oben sitzen lassen? Ich meine, wenn uns die Kölner und Berliner hier unten übern Kopf wuchsen, da oben werden wir's wieder einbringen. Sie haben ja nur einen Propst und ein paar Pfaffen, und wir einen Bischof." – "Da oben, Gott sei uns allen gnädig! Aber ich meine, hier unten sollen wir's wieder einbringen, was wir verloren; und waren die älteste und fürnehmste Stadt der Marken." – "Und sind wir das nicht noch? Wer streitet's? Heißt nicht nach uns die ganze Landschaft, der Herrschaft und unser Markgraf? Heißen sie nicht alle Brandenburger, weil wir Brandenburger heißen? Gingen nicht von uns Ordnungen und Statuten aus, und schickten unsere Rechte in die neuen Städte? Und ist unser Schöffenrecht nicht so herrlich und berühmt als eines im Slavenlande? Wo Rat fehlt und Gerechtigkeit, bei uns müssen sie ihn holen. Gevatter! Gevatter! Man muß sich nicht selbst geringer machen. Und wenn wir nichts hatten, wir hatten doch die Ehre."

"Kann ich damit mein Dach decken, wenn's einregnet, Ballen schnüren und ein Kindelbier geben? Was schierte unsere Ehre die Dickwänste von Köln? Konnten wir sie nicht mal damit vertragen, als sie sich bei den Ohren zausten. Ihr wißt's ja am besten. Meine Ehre ist, wenn ich was verdiene. Und darum Ehre meinem gnädigsten Kurfürsten, der mir was zu verdienen giebt." – "Wohlgesprochen, als ein guter Bürger, und als ein rechtschaffener Unterthan unseres allergnädigsten Markgrafen." – "Dem Ihr doch ganz besonders danken müßt, Herr Niklas, da Ihr ganz allein die Lieferung des Schiefers habt." – "Wer sagt Euch, daß ich's ihm nicht danke. Möchte er in jeder Stadt, die sein ist, ein Schloß bauen lassen, und 's mit meinem Schiefer decken. So viel 's Städte giebt, wollt' ich's ihm danken."

"Ob's Euch aber die Städte danken werden!« sprach ein dritter, der hinzutrat; und war's der Meister Bertold von Dasseleben, ein berühmter Schieferdecker, mit dem der Markgraf abgeschlossen, daß er sein Schloß zu Köln, das er bauen ließ an der Spree, mit Schiefer decke. "Müssen, müssen!" sprach Herr Niklas, und nickte dem Meister freundlich zu. "Ist meines Dafürhaltens, Ihr Herren," sagte jener, "daß die Städte für die Dächer, die er ihnen auf den Kopf setzen will, grad so böse Gesichter machen werden, als die Herren von Adel dazumal, als er ihnen die Dächer von ihren Schlössern abriß." – "Mögen sie einander saure Gesichter schneiden." sprach Meister Perbant, »was geht's uns an!" – "Seid doch auch eine Stadt." – "Aber wir brauchen kein landesherrlich Schloß hier," fiel Perbant ein, "denn wir haben einen Dom und Bischofssitz, und oben auf dem Marienberg steht unser lieben Frauen Kirche. Die duldete keinen weltlichen Herrensitz neben sich. Wär's auch purer Spott."

"Das möchten die von Köln und Berlin und Frankfurt auch sagen: sie brauchen's nicht. Sage Euch, als wir mit der ersten Ladung Schiefer ankamen, machten sie kuriose Gesichter, wie so die von Berlin sind. Allerlei feine, spitze Redensarten. Wozu Schiefer gut wäre? Ob die Jungen darauf sollten rechnen lernen? Da hätte sich doch der Markgraf verrechnet. Andere sagten: er schicke es ihnen, um Butterschnitten zu werfen auf'm Wasser. Wär's nur zu viel, und könnte ihm ein Splitter ins Auge fliegen. Und als ich ausladen ließ, dort unter der langen Brücke, katzbalgten sich die Jungen, und prallten an meine Träger, und liefen ihnen durch die Beine, daß manches Last zu Boden fiel. Schelten half da nicht; sie wollten sich ausschütten vor Lachen und sagten, es wäre unsere Schuld. Sprach ich und drohte mit der Obrigkeit, da verzerrten sie erst gar die Gesichter und sahen nach der Wetterfahne und sagten: bei West-Nord-West könnt ich auf 'nen guten Spruch hoffen, aber bei Ost, Süd, und was dazwischen liegt, thät ich am gescheitesten, das Maul zu halten."

"Man kennt sie ja," sagten die Brandenburger.

"Und dann sagten sie, man müsse die Rechnung nicht ohne den Wirt machen und kein Dach aufsetzen, ehe das Haus stünde. Und da lachte wieder alles grimmig, als wäre kein Herr im Lande. Weiß Gott, wie das werden wird."

"Sie werden schreien, und Ihr werdet bauen, und der Kurfürst wird zahlen."

"Ihr hättet den Hans Ferbitz." fuhr der Schieferdecker fort, "den Bartscher, der seine Bude an der langen Brücke hatte, sollen schreien hören, als man ihm das Haus einriß. Der lief wie ein toller Hund herum, und fehlte nicht viel, er hätte die Zimmergesellen von den Leitern gerissen. Was der auf den Rat, auf die Stadt, auf den Kurfürsten fluchte!" – "Der Rat hat's ihm doch auszahlen müssen, was sein Recht ist."

"Das wäre ein Dreck," schrie er, "ein Pappenstiel für eine Gerechtigkeit, die Vater und Vatersvater ernährt. Wovon sollten denn Kind und Kindeskind leben? Esel schalt er die Ratmannen und die Gemeinheit, die's zugegeben, und wie er den gnädigsten Herrn nannte, das will ich gar nicht wiedersagen." Die Fäuste hob der kleine Mann gegen das Rathaus auf der Brücke, und der Schaum stand ihm nur so im Munde: "Könnt ich Euch alle einseifen und scheren, Ihr Ochsen," rief er, "für Eure Dummheit und Ungerechtigkeit, Euch sollte kein Bart mehr wachsen, Ihr blinden Hennen, die Ihr nicht seht, was Ihr thut. Aber wartet nur, ein anderer wird Euch nun seifen und barbieren, daß Euch himmelangst werden soll. Das wird eine Bude geben für Köln und Berlin, darin geschröpft, geschoren, gebadet und geblutet wird, daß Euch Hören und Sehen vergeht. Die Bude wird über Eure Köpfe ragen, wie der Turm von Babylon. Reinsehen wird er in Euren Ratssaal und in Eure Schlafkammern, in Eure Hühnerställe und in Eure Heimlichkeiten, in Eure Dummheit und in Eure Schande. Und Ihr sollt wünschen, daß Ihr des Ferbitz kleines Haus stehen gelassen, Ihr sollt wünschen, daß Ihr es wieder aufbauen könntet, und würdet selbst die Balken tragen und die Nägel spitzen. Aber dann ist's zu spät. Das hohe Haus kriegt Ihr nicht wieder wie des Ferbitz kleine Bude: ein Stein der Ärgernis wird's Euch sein und Euch geschieht recht, recht und tausendmal recht, weil Ihr mein kleines Recht habt fahren lassen, da Ihr eingesetzt seid, es zu wahren und schirmen!" So schrie der tolle Mensch."

"Des Herrn Wille ist ein hart Brot. Wer leckt gegen den Stachel!" – "Die in Berlin und Köln sehen mir danach aus," fiel der Schieferdecker ein. "Denn wo hört einer solcherlei Rede ruhig an und steckt die Schimpfworte ein, wie 'nen alten Knopf, den man am Weg findet. Ich sage Euch, sie lassen ihn schimpfen und reden, und keiner spricht ein Wort gegen." – "Soll wunderlich drüben aussehen," sprach Meister Perbant, "weiß keiner, wer Koch und Kellermeister ist." – "Was Wunders, die Schüssel ist zerschlagen. Ihr Witz läuft verloren auf den Gassen um, seit die Baderstube zerstört ist," sagte Nikolas Perwenitz. "Aber in einem alten Buche steht auch geschrieben:

Was man in Berlin spricht,
Darum geschieht's doch nicht."