Die Tätigkeit des Flusses von Quelle bis Mündung

1. In seinem Quellsystem breitet sich das aus der Wolke niederfallende Wasser in unzähligen Adern aus über alle Flächen der Berge, es spannt ein ungeheures Netz von Regenrinnen, von Quellen, von Bächen über das ganze Gebirge aus und wirkt nun auf alle Bergflächen zerstörend und abtragend; wir nennen diese abtragende Tätigkeit des Wassers Denudation, zu Deutsch Abwaschung, also eine mehr oder weniger gleichmäßige Erniedrigung aller Berge und Abwaschung aller kontinentalen Teile unsrer Erde.
Ungeheure Quantitäten des verwitterten Bodens werden durch das Quellnetz der Flüsse von allen Landstrecken abgetragen und in aufgelöstem Zustande oder suspendiert als Trübung oder als Sand und Kies am Boden des Bettes von den Flüssen mitgeführt und schließlich hinausbefördert bis in die Seen oder bis in die Meere.

2. Die zweite Art der Arbeitsleistung gewinnt der Fluss dann, wenn alle die feinen Wasseradern seines Quellsystems zu größerer Wassermenge sich vereinigt haben: dann erhält das Wasser eine tief in die Berge einschneidende Kraft, die Kraft der Erosion, mit welcher der Fluss im Gegensatz zu der Flächenwirkung der Denudation nun mit seiner in einem Lauf gesammelten Energie in einer Linie arbeitet und dadurch die härtesten Gesteine, Berge und Gebirge allmählich durchsägt. Die Strecken der Erosionsarbeit eines Flusses sind gekennzeichnet durch enge Talschluchten, durch Wasserfälle und Stromschnellen; gewaltige Felsblöcke, groben Schotter und Kies vermag alsdann der Fluss in seinem Bette fortzubewegen und zu zermalmen. Im oberen und mittleren Lauf der Flüsse lässt sich diese einsägende Tätigkeit des Wassers beobachten, und zwar wechseln hier stets Strecken geringerer mit Strecken stärkerer Erosionsarbeit. Die stärkste Erosion des Untergrundes geschieht in den Wasserfällen: durch die Gewalt des senkrecht niederstürzenden Wassers werden die Gesteine des Flussbettes zerstört, die Felskante, über welche der Fall stürzt, wird unterwaschen und bricht durch die eigene Last nieder. Dadurch geschieht es, dass ein jeder Wasserfall allmählich im Tale aufwärts wandert.
In den Strecken geringeren Gefälles unterspült der Fluss seine Ufer, und richtet seine Zerstörungskraft seitlich und zwar am kräftigsten in der Außenseite der Schlingen; dadurch verbreitert er fortwährend sein Tal und seinen Talboden.
Die Überschwemmungsgefahr wird im oberen und mittleren Laufe eines normalen Flusses durch die Erosion verringert, weil eben in diesen Strecken das Flussbett in der Regel zu tief in den Talgrund eingeschnitten ist.


3. Im unteren Laufe leistet dagegen der Fluss die umgekehrte Arbeit: was er an Gesteinsboden, an Schotter, Kies und Sand mit dem starken Gefälle seiner jungen Kraft mechanisch mitgerissen und mitgeschleppt hat, das setzt er nun in den flachen Gefilden seines Unterlaufes wieder ab; durch diese dritte, die auftragende Tätigkeit erzeugt der Fluss vor seiner Mündung in die Seen oder in das Meer die bekannten Deltas, die ihren Namen tragen von den im Altertume nach dem griechischen Buchstaben benannten Anschwemmungen des Nil bei seiner Einmündung in das Mittelmeer.
Allerdings entwickeln viele Flüsse und so unsre sämtlichen in die Nord- und Ostsee einmündenden Flüsse keine Deltas, sondern sie zeigen im Gegenteil tief in das Land eindringende Trichtermündungen. Dies liegt aber nicht etwa daran, dass unsre Flüsse keine Sedimente in ihren Mündungen absetzen, sie tun dies gerade ebenso wie alle anderen Flüsse, und unsre Schifffahrt weiß davon zu erzählen. Vielmehr sind daran unsre Küsten schuld, welche so rasch unter den Meeresspiegel sinken, dass die Anschwemmungen der Flüsse in ihren Mündungen nicht über die Oberfläche des Wassers auftauchen können.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Rheinstrom und seine Überschwemmungen
Am Rhein 009 Pfalz

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Am Rhein 010 Katzenellenbogen und die Ruine Schönberg

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Am Rhein 011 Tal Engehöllejpg

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Am Rhein 012 Oberwesel

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