Zweite Fortsetzung

Die tiefste und breiteste Längsfalte des alpinen Gebirgssystems ist die Tiefschweiz zwischen den Alpen und dem Schweizer Jura: ursprünglich ein Meer zur mittleren Tertiärzeit, dann ein großer Süßwassersee, dessen Reste die Seen der Schweiz sind. Der Bodensee reichte ursprünglich in der breiten Gebirgsspalte zwischen Schweiz und Vorarlberg mit seinem Wasserspiegel hinauf bis Ragatz und Landquart unterhalb Chur. Der Rhein hat diese 50 km lange Strecke allmählich mit dem von ihm in großen Massen mitgeschleppten Gebirgsschutte zugefüllt und schiebt noch jetzt sein Delta immer weiter in den Bodensee hinein. Der breite Talboden oberhalb des Bodensees ist demnach Oberfläche des alten Rheindeltas; da nun jeder Fluss seine eignen Anschwemmungen naturgemäß nicht viel über seinen Wasserspiegel erheben kann, so ist jede Deltabildung und so auch das Rheintal oberhalb des Bodensees häufigen Überschwemmungen ausgesetzt. Ich habe dort eine solche Überschwemmung zu Anfang September des Jahres 1890 selbst miterlebt: im Gebirge hatte es acht Tage lang geschneit, der Schnee lag auf den Graubündener Alpen fußhoch; da schlug der Wind um, warme Lüfte aus Südwesten brachten Regen und Gewitter, die Schneemassen schmolzen plötzlich und ungeheure Wassermassen stürzten zu Tal, viele Straßen und Wege zerstörend. Das Rheintal war bald vom Bodensee bis Ragatz hinauf völlig überschwemmt, der Bodensee hatte wieder seine frühere Ausdehnung gewonnen und ließ seinen weit ausgedehnten Wasserspiegel so hoch steigen, dass z. B. in Rorschach die Eisenbahnzüge bis über die Achsen im Wasser fuhren.

Um die fast alljährlich wiederkehrenden Überschwemmungen der Landstrecken im Deltagebiete des Rheines oberhalb des Bodensees zu beseitigen oder wenigstens abzuschwächen, haben sich die Schweizer und die österreichische Regierung endlich geeinigt, die erforderlichen Schutzmaßregeln in Angriff zu nehmen. Auch die übrigen Uferstaaten wollen eine Regulierung des ganzen Bodensees gemeinsam vornehmen; zu diesem Zwecke ist in den letzten Jahren der Bodensee in jeder Hinsicht von Sachverständigen untersucht und genau studiert worden; die geologische Beschreibung und Entstehungsgeschichte des Sees und seiner Ufergegenden wird demnächst im Auftrage der Regierungen der fünf Uferstaaten zur Publikation gelangen.


Der Bodensee ist auch für uns hier am Mittelrhein ein gewisser Schutz gegen Überschwemmungsgefahren, da sein großes Becken in der Regel die von den Alpen niederströmenden Wassermassen zu fassen und so die Kraft derselben zu brechen vermag.

Der mittlere Teil des Rheinstromsystems interessiert uns am meisten, da wir hier am Mittelrhein diesem Teil angehören und seinen Gefahren ausgesetzt sind.

Das Oberrheinische Gebirgssystem bedingt hier den Lauf des Rheines; zu diesem Systeme gehört das südwestliche und ein großer Teil des südlichen Deutschlands: Schwaben und Elsass-Lothringen, Schwarzwald und Vogesen, die schwäbische, bayerische und fränkische Alp, das ganze Maingebiet, endlich Odenwald und Haardt, sowie die ober- und mittelrheinische Tiefebene — alle diese äußerlich so mannigfaltig gestalteten Gebirge und Landstrecken sind gleichzeitig und durch die gleichen Bewegungen entstanden; sie bilden daher in ihrer Gesamtheit ein einziges Gebirgssystem , welches wir das „Oberrheinische“ nennen. Ich gehe hier nicht näher auf die Entstehung dieses Gebirgssystems ein, nur über die uns hier zunächst interessierende oberrheinische Tiefebene gestatten Sie mir einige Worte.

Die Rheinebene von Basel bis Mainz ist, wie gesagt, kein Tal, sondern eine weite Erdspalte, welche dadurch entstand, dass der zwischen den Alpen und dem Niederrheinischen Schiefergebirge eingespannte Erdgewölbeteil in der Mitte auseinanderbarst: die Ränder des Bruches erhoben sich allmählich immer höher über den eingebrochenen Schollen der Grabenversenkung und bilden nun die Randgebirge: Schwarzwald, Vogesen, Odenwald und Haardt.

Seit der älteren Tertiärzeit vermögen wir diesen Einbruch nachzuweisen: zuerst verband hier ein Meeresarm das norddeutsche mit dem Schweizer und südfranzösischen Meere; die marine Fauna in den ältesten Schichten des Mainzer Beckens gibt uns Kunde von dieser Meeresbedeckung unserer Ebene; dann wurden die Verbindungen nach Norden durch die vulkanische Erhebung des Vogelsberges, nach Süden etwas später durch die Auffaltung des Schweizer Jura aufgehoben; es entstand allmählich ein Süßwassersee in der Bruchspalte von Basel bis Mainz, der zunächst immer noch nach Süden, nach Südfrankreich, seinen Abfluss hatte. Erst zu Anfang der diluvialen, also der allerjüngsten Zeit der Erdgeschichte geschah die große Umkehr der Wassermassen im südwestlichen Deutschland: der Rhein, welcher zuerst, nachdem er entstanden war, durch die jetzige Burgunder Pforte südlich der Vogesen nach Südfrankreich in das Rhonebecken abfloss, wandte sich bei Basel nach Norden und mündete in den großen Süßwassersee, dessen Spiegel sich zwischen Schwarzwald und Vogesen, Odenwald und Haardt ausbreitete; als die ersten Menschen hier in unsern Gegenden erschienen, bewohnten sie die Ufer dieses großen Sees, gleichzeitig mit dem Elefanten, dem Rhinozeros, dem Flusspferd, dem Riesenhirsch, dem Urochs, Tieren, deren Reste in unserem Museum aufbewahrt werden.

Mit den gewaltigen Schuttmassen, die der Rhein und seine Zuflüsse zur diluvialen Gletscherzeit aus den Alpen mitbrachte, begann er nun alsbald ein mächtiges, rasch wachsendes Delta in den See unterhalb Basel vorzuschieben; allmählich hat der Rhein mit diesen seinen Deltaanschwemmungen den ganzen See bis Mainz zugefüllt: wir finden in den diluvialen Rheinsanden bis hier in unsere Gegend, z. B. in den Sanden des Darmstädter Wasserwerks im Griesheimer Eichwäldchen, Gerölle von Gesteinen, deren Herkunft aus den Alpen wir mit Sicherheit nachweisen können. Das tiefste Bohrloch in unserer Rheinebene, dasjenige der Spiegelglasaktiengesellschaft Waldhof bei Mannheim, hat mit 17 5 m Tiefe noch nicht die diluvialen Anschwemmungen durchsunken; so mächtig lagert jetzt der Schutt des Rheines in der ober- und mittelrheinischen Tiefebene.

Die gleichen Deltaanschwemmungen haben die Nebenflüsse des Rheines, der Neckar, der Main, auch die kleinen Zuflüsse wie die Modau bei Eberstadt vor ihren Mündungen in den damaligen See hinausgebaut.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Rheinstrom und seine Überschwemmungen
Am Rhein 020 Andernach

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Am Rhein 021 Der Drachenfels

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