Erste Fortsetzung

Woher kommt es nun, meine Herren, dass der Rheinstrom sich nicht wie die meisten andern Flüsse mit einem einfach verlaufenden Flusssystem begnügen kann, vielmehr gezwungen ist, in der Länge seines Laufes dreimal die Arbeitsleistung eines normalen Flusses zu wiederholen?

Der Grund dieser ungewöhnlichen Anstrengung liegt darin, dass der Rhein nicht wie andere Flüsse nur ein Gebirgssystem durchfließt und dann im Meere stirbt, sondern dass er drei verschiedene Gebirgssysteme hintereinander überwinden und durchschneiden muss.


Ein Gebirgssystem umfasst diejenigen Berge und Gebirge, welche durch dieselben geologischen Ursachen entstanden sind, welche ihre gemeinsame und gleichzeitige Entstehung in einem analogen inneren Bau bekunden.

Gebirge entstehen an der Erdoberfläche durch seitliche Stauungen der unregelmäßig absinkenden Gewölbeteile der festen Erdkruste; durch Wärmeverlust in den kalten Raum wird das Volumen der Erdkugel fortwährend verkleinert, die feste Erdkruste sinkt nach auf einen schwindenden Kern und es stauen sich nun die einzelnen absinkenden Teile des Erdgewölbes, da sie in eine kleinere Kugeloberfläche gelangen.

Europa ist in den unendlich langen Zeiten der Erdgeschichte stets von Süden her bedrängt worden durch das kompakte Erdgewölbestück, welches wir Afrika nennen: alle Gebirge in Europa zeigen daher Falten, welche im allgemeinen von Ost nach West verlaufen, und Aufstauungen, deren innerer Bau beweist, dass diese Faltengebirge von Süden nach Norden fortgeschoben wurden.

Und zwar liegen die ältesten Faltengebirge im Norden von Europa, mit Schottland und Norwegen beginnend, die jüngsten Auffaltungen dagegen im südlichen Europa; auch die Alpen sind ein geologisch junges Gebirge, sie wurden von Afrika mittelst des Stiels, den wir Italien nennen, nach Norden um ca. 150 km weit vorgeschoben und dadurch zu einem Faltengebirge aufgestaut.

Für den Rhein kommen drei europäische Gebirgssysteme in Betracht: das ältere, am weitesten nach Norden geschobene Niederrheinische Schiefergebirge; das jüngere, eigentümlich gebaute Oberrheinische Gebirgssystem; und das eben erwähnte jüngste Alpine Gebirgssystem.

Betrachten wir, welche Wirkungen die Entstehung und der Bau dieser drei Gebirgssysteme auf den Lauf des Rheines ausgeübt haben; wir beginnen dabei mit dem Alpensystem.

Dieses System umfasst die Alpen selbst, die Tiefschweiz mit dem Bodensee und den Schweizer Jura, indem diese Berge und Landstrecken gleichzeitig und gleichartig entstanden sind.

Durch die Aufstauung von Süden her wurden die Schichten und Gesteine dieses Systems in lange Falten und Mulden gelegt, deren Verlauf sich auch äußerlich in den von Ost nach West langgestreckten Bergzügen zu erkennen gibt. Die höchste Auffaltung erhebt sich in den Zentralalpen, die tiefste Mulde wird ausgefüllt durch die seenreiche Tiefschweiz.

Der Rhein und seine Zuflüsse benutzen nun in den Alpen möglichst die Muldentäler, in denen sie leicht abfließen können: so sind das lange und breite Alpental des Vorderrheines von Dissentis bis Chur und das Rheinwaldtal, in dem der Hinterrhein am Bernhardin und Splügen vorbei ziemlich friedlich bis hinab zur Rofna-Schlucht fließt, solche Faltenmulden parallel gerichtet der ost-westlichen Erstreckung des Gebirges. Sobald jedoch der Rhein hinausgelangen will nach Norden, muss er die vorliegenden Falten des Gebirges in harter Arbeit quer durchschneiden. Während daher die Längstäler der Alpen sich als schöne, reichangebaute und dicht bevölkerte Talmulden darstellen, sind die Quertäler wilde Erosionsschluchten, eng, fast ungangbar, mit senkrechten Felswänden, mit Wasserfällen, mit gurgelnden Strudeln und Stromschnellen. Beispiele sind hier für den Rhein die bekannte Via mala oberhalb Thusis, die Felsschluchten des Oberhalbsteiner Rheines, der Bergüner Stein an der Albula-Straße.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Rheinstrom und seine Überschwemmungen
Am Rhein 017 Stolzenfels

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Am Rhein 018 Lahneck

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Am Rhein 019 Koblenz und Ehrenbreitenstein

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