Dritte Fortsetzung

Die oberrheinische Tiefebene ist seit der Tertiärzeit immer tiefer zwischen die höher aufsteigenden Randgebirge eingesunken; noch jetzt ist sie im Absinken begriffen; jedes Mal wenn wieder eine Spannung in diesem Teil des Erdgewölbes ausgelöst wird und bei den Einbrüchen die alten Spalten von neuem aufreißen, fühlen wir die Erde im Zusammenbruch unter unsern Füßen erbeben; so lange geschriebene Urkunden existieren, melden sie uns von den immer sich wiederholenden Erdbeben in der oberrheinischen Tiefebene: das Münster von Basel wurde im Jahre 1021 von einem Erdbeben zerstört und in den Rhein geworfen; Basel, Freiburg, Strassburg wurden oft von Erdbeben heimgesucht; die Dome von Speyer und Worms zeigen in den Rissen ihrer Mauern die Spuren der Erdbewegungen; die Erdbeben zu Groß-Gerau aus den Jahren 1869 und 1870 sind noch in aller Gedächtnis.

Die Rheinebene sinkt noch jetzt allmählich tiefer ein zwischen ihren Randgebirgen, daher sind die Überschwemmungsgefahren des Rheinstromes und seiner Zuflüsse in unserer Ebene immer mehr gewachsen.


Andrerseits steigen die umliegenden Randgebirge immer höher; wir können dieses Aufsteigen von Schwarzwald, Vogesen, Odenwald und Haardt geologisch genau nachweisen; ich will ihnen aber hier nur einen leicht verständlichen Beweis anführen: mehrere Zuflüsse des Rheines durchschneiden, ehe sie in die Rheinebene eintreten, Berge, welche bedeutend höher sind als die Landstrecken ihres Mittellaufes; z. B. der Neckar fließt in der Gegend von Heilbronn zwischen niedrigen Bergen, welche nur 250 m Höhe über dem Meere erreichen; weiter abwärts tritt er ein in den südlichen Odenwald und durchschneidet nun Berge, die 500 m Höhe über dem Meere aufragen. Die Zorn drüben im Elsass durchquert ebenfalls bei Pfalzburg und Zabern den Kamm der Vogesen, der ansehnlich höher aufsteigt als die Wasserscheide zwischen Zorn und Saar. Ebenso der Main, der in seinem Unterlauf die hohen Sandsteinplateaus vom Odenwald und Spessart durchschnitten hat.

Solche hydrographischen Rätsel lösen sich uns nur, wenn wir wissen, dass die Flussläufe älter sind als die Gebirge, durch welche sie fließen: Neckar, Zorn und Main gaben bereits ihrem Laufe die Richtung, welche sie jetzt besitzen, lange Zeiten, bevor Vogesen, Odenwald und Spessart ihre Sandsteinplateaus zu der Höhe erhoben hatten, in der wir sie jetzt sehen. Und zwar durchsägt jeder Fluss das Gebirge, welches unter seinem Bette heraufgestaut wird, in dem Maße seiner Wassermasse: starke Gewässer durchschneiden die Berge, bis sie ein gleichmäßiges Gefälle erreicht haben, schwache Wasseradern bleiben oben im Gebirge haften.

Der Rhein selbst durchquert von Konstanz bis Basel Berge, die jünger sind als er und bedeutend höher aufsteigen als der Spiegel des Bodensees; wie rasch diese Juraberge emporgehoben werden, das beweist die Thatsache, dass der Rhein trotz seiner Wasserfülle mit der Erosionsarbeit erst bis zum Wasserfall bei Schaff hausen gelangt ist. Wenn dieser Wasserfall einst bis Konstanz hinaufgewandert sein wird, würde sich der Spiegel des Bodensees um den Betrag der Höhe des Falles, nämlich um ca. 30 m, erniedrigen; diese in weiter Ferne liegende natürliche Tieferlegung des Seespiegels wird jetzt in geringerem Maße durch die Kunst der Ingenieure vorausgenommen werden, indem die Uferstaaten den Abfluss des Rheines in einer längeren Strecke vertiefen und den Hochwasserspiegel des Bodensees etwas tiefer legen wollen.

Der dritte und letzte Lauf des Rheinstromes beginnt mit dem mächtigen Tore des Binger Loches, durch welches der Rhein eintritt in das dritte ihm vorgelagerte Gebirgssystem, das Niederrheinische Schiefergebirge. Dieses Gebirgssystem umfasst den Taunus und Hunsrück, Westerwald und Eifel, Sauerland, Hohe Venn und die Ardennen, Gebirge, welche in ihrer Gesamtheit jetzt ein ziemlich gleichmäßig abgehobeltes Plateauland bilden; der innere Bau des Niederrheinischen Schiefergebirges beweist, dass wir hier den Rest eines alten Gebirges vor uns haben, welches einst an Höhe die Alpen erreichte und weit hinaus sich erstreckte nach Westen durch das nördliche Frankreich, nach Osten durch das nördliche Deutschland bis nach Russland hinein; in der Normandie und Bretagne, an der Werra bei Allendorf, im Thüringer Walde und im Harze tauchen Teile dieses alten Gebirges noch jetzt aus den jüngeren Bedeckungen zu Tage herauf.

Parallel den Alpen und Pyrenäen, aber viel älter als diese jungen Gebirge durchzog dieses hohe und ausgedehnte Gebirge das nördliche Europa von West nach Ost, ebenfalls durch Druck von Süden her aufgestaut und zu langen, westöstlich ziehenden Bergzügen zusammengefaltet. Während einer sehr langen Zeit der Erdgeschichte wurde dieses mächtige Gebirge vom Wasser abgetragen und bis auf seine tiefste Basis abrasiert; auch versanken viele Stücke desselben in die Tiefe, so dass das Niederrheinische Schiefergebirge den größten sichtbaren Rest des alten Gebirges darstellt.

Bei der vorhin erwähnten Umkehr der Gewässer Europas zu Anfang der Diluvialzeit nahm der Ausfluss des Sees in der oberrheinischen Tiefebene seinen Weg über das abrasierte Plateauland hinweg nach Norden; quer durch die ostwestlich gerichteten Falten des Niederrheinischen Schiefergebirges schnitt der Rhein sein Bette ein und sägte sich durch die harten Quarzite und Grauwacken und durch die weicheren Schiefer ein echtes Erosionstal hindurch in der Strecke von Bingen über Koblenz bis Bonn. Als der Rhein mit dieser Arbeit begann, lag einerseits die oberrheinische Tiefebene in einem höheren, andrerseits das niederrheinische Plateauland in einem tieferen Niveau als jetzt: gerade wie die Randgebirge der Tiefebene, Schwarzwald, Vogesen, Odenwald und Haardt, stiegen auch Taunus und Hunsrück, sowie das ganze übrige Niederrheinische Schiefergebirge allmählich höher empor, während der Rhein in Wasserfällen und Stromschnellen sich mühsam sein Bett wühlte.

Wir erkennen diese Gebirgsbewegungen wieder deutlich in den eigentümlichen hydrographischen Verhältnissen im Bereiche des Niederrheinischen Schiefergebirges: die Lahn verharrt bei Gießen nicht in ihrer Richtung nach Süden und fließt nicht hinüber in die Wetterau, wo sie sich leicht in die weichen Tertiärablagerungen hätte einschneiden können, sondern wendet sich nach Westen um, durch Berge hindurch, die ansehnlich höher ansteigen als die Wasserscheide gegen den Main bei Butzbach. Die Mosel fließt in Lothringen durch niedriges Bergland und dringt dann zwischen Hunsrück und Eifel ein in das viel höher aufragende Schiefergebirge; ebenso entspringen die Quellzuflüsse der Maas in einem absolut tieferem Niveau als dasjenige der Berghöhen der Ardennen ist, durch welche die Maas von Mezières bis Namur quer hindurchschneidet.

So auch der Rhein selbst: aus der Tiefebene, deren Oberfläche hier bei uns 90—100 m über dem Meer liegt, bricht er im Binger Loch ein in die Berge, die im Bingerwalde sogleich bis auf 643 m Meereshöhe aufragen. Das beweist, dass das Niederrheinische Schiefergebirge erst allmählich höher gehoben wurde, während der Rhein und seine Zuflüsse ihre gewundenen Erosionsbetten gleichzeitig in das Plateauland einschnitten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Rheinstrom und seine Überschwemmungen