Zwölftes Kapitel - Jetzt müssen wir die Szene von Shetland nach Orkney verlegen, in die Ruinen eines vornehmen, ...

Jetzt müssen wir die Szene von Shetland nach Orkney verlegen, in die Ruinen eines vornehmen, wenngleich alten Gebäudes, der Grafenpalast genannt, das drei Seiten eines länglichen Vierecks bildet und noch immer das treue Bild eines vornehmen, massiven Gebäudes darstellt mit dem Charakter eines alten Feudalschlosses. Eine große Banketthalle, die mit mehreren weitläufigen Gemächern oder vorspringenden runden Türmchen in Verbindung stand, mit ungeheuren Kaminen rechts und links, legte Zeugnis ab von der altnordischen Gastfreiheit der Grafen von Orkney, Ihr Licht erhielt die stolze Halle durch ein schönes gotisches, aus Steinen geformtes Fenster; zu ihr hinauf führte eine geräumige Treppe, die sich aus steinernen Stufen in drei Absätzen zusammensetzte.

Mit übereinandergeschlagenen Armen und niedergesenkten Blicken schritt in der vom Zahne der Zeit verwüsteten, von uns eben beschriebenen Halle der Pirat Cleveland langsam auf und ab in einer Tracht, die sehr verschieden war von der, die er auf Shetland getragen; es schien eine Art Uniform zu sein, reich mit Tressen und Stickereien besetzt, ein Federhut und ein kleiner zierlich ausgelegter Degen, damals die beständigen Begleiter aller Männer von Range, verrieten, daß er nicht den gewöhnlichen Ständen angehörte. Dagegen schien sein Gesundheitszustand gelitten zu haben. Er war bleich, seine Augen hatten ihr Feuer, seine Schritte ihre Festigkeit verloren, und sein ganzes Wesen verriet Schwermut und körperliches Leid, wenn nicht eine Mischung von beidem.


Während Cleveland in der alten Ruine auf und ab schritt, sprang ein junger, wohlgebauter Mann in einem Gewande, das wohl stattlich und elegant, trotz allem aber geschmacklos war, und dessen Gesicht mit den kecken Zügen den Wüstling jener Zeit verriet, die Stiege hinauf, trat in die Halle und begrüßte Cleveland, der ihm zunickte, aber den Hut noch tiefer ins Gesicht zog und sich in seinem verdrossenen Spaziergange nicht stören ließ.

Der fremde Ankömmling setzte seinen Hut wieder auf, nickte abermals, nahm aus einer kostbaren goldenen Dose eine Prise, bot auch Cleveland eine an und schob, als dieser kalt mit dem Kopfe schüttelte, die Dose wieder zu sich, schlug die Arme übereinander, und stand da, aufmerksam die Bewegungen des Mannes verfolgend, dessen Einsamkeit er gestört hatte. Endlich stand Cleveland still, wie wenn es ihn verdrösse, der Gegenstand solcher dauernden Beobachtung zu sein, und fragte kurz: »Kann man nicht eine halbe Stunde allein sein? Was, Teufel, gibt es schon wieder?«

»Schön, sehr schön, daß Ihr sprecht!« antwortete der Fremde, »weiß man nun doch, ob Ihr wirklich Clement Cleveland seid, oder bloß Clements Geist; Geister aber sollen, wie man sagt, niemals zuerst reden – und so weiß ich nun, daß Ihr es selbst leibhaftig seid. Aber was habt Ihr Euch hier für ein Domizil gewählt? Das taugt ja für Eulen zum Tagesversteck.«

»Gut, gut,« entgegnete Cleveland, »sagt ernstlich, was Ihr von mir wollt.«

»Kapitän Cleveland,« erwiderte der andere, »Ihr haltet mich hoffentlich für Euren Freund.«

»Ich lasse mir an der Vermutung genügen,« sagte Cleveland,

»Ich dächte, über Vermutungen wären wir beide hinaus.« antwortete der junge Mann; »daß ich Euer Freund bin, habe ich, dächt ich, bewiesen, hier und anderswo.«

»Nun ja, lassen wir's gelten, Du bist immer ein freundlicher Bursch gewesen, – und was nun?« »Und was nun – was nun?« wiederholte der andere, »ein kurzer Weg sich zu bedenken! Seht, Kapitän, Benson, Barlowe, Dick Fletcher und noch ein paar von uns, die Euch wohl wollen, haben Euren alten Kameraden, Kapitän Goffe, in diesen Gewässern hier zurückgehalten, um uns nach Euch umzuschauen, obgleich er und Hawkins, und der größte Teil der Mannschaft, lieber zur spanisch-amerikanischen Küste gesegelt wäre, um dort unser Handwerk wieder zu beginnen.«

»Wünschte ich doch, ihr alle wäret wieder an euer Geschäft gegangen, und hättet mich meinem Schicksal überlassen,« antwortete Cleveland.

»Das hätte geheißen, prozessiert und gehängt zu werden, Kapitän, sowie einer von jenen holländischen oder englischen Schurken, denen Ihr die Ladung abnahmt, Euch erkannt hätte, und nirgend können Seefahrer leichter zusammentreffen als auf diesen Inseln. Um Euch vor solcher Gefahr zu schützen, haben wir unsere kostbare Zeit hier verschwendet; bis die Leute argwöhnisch geworden sind, – und wenn wir weder Güter noch Geld mehr zu verschenken haben, werden sie unser Schiff anhalten wollen.«

»Nun, und warum geht Ihr denn nicht in See ohne mich?« fragte Cleveland. – »Wir haben richtig geteilt und jeder hat das Seinige empfangen, – mag nun auch jeder tun, was er will. Ich habe mein Schiff verloren, und da ich einmal Kapitän war, will ich weder unter Goffes noch irgend eines andern Befehl in See gehen, Ueberdem weißt Du, daß er sowohl wie Hawkins scheel auf mich sieht, weil ich sie anhielt, die spanische Brigg mit den armen Teufeln von Negern an Bord zu versenken.«

»Was zum Henker! ist mit Dir vorgegangen?« unterbrach ihn sein Gefährte. »Bist Du Clement Cleveland, unser alter treuherziger Clem von Cleugh? und sprichst von Furcht vor Hawkins, Goffe und zwanzig andern, wenn Du mich selbst, und Barlowe, und Dick Fletcher hast als Rückendeckung? Haben wir Dich je, wenn es auf Rat oder Tat ankam, verlassen, daß Du jetzt an unserer Treue zweifelst? Und was den Dienst unter Goffe betrifft, so ist es doch nichts Neues, wenn Glücksritter hin und wieder ihre Anführer wechseln. Laß das nur unsere Sorge sein; Kapitän sollst Du schon werden; denn der Tod lulle mich in Schlaf, wenn ich länger unter diesem Goffe diene, der ein Bluthund ist, wie je einer war – nein, nein, gehorsamer Diener! Mein Kapitän muß wenigstens den Anstrich von einem Kavalier haben. Ueberdem wart Ihr es ja, der zuerst meine Hände in das schmutzige Wasser tauchte, und aus einem herumziehenden Schauspieler auf dem Lande einen Räuber zur See machte« »Ach, armer Bunce,« entgegnete Cleveland, »Du bist mir dafür wenig Dank schuldig!« »Ei nun, wie man es nimmt,« meinte der andere, »ich meinerseits sehe kein Unrecht darin, wenn man vorm Publikum so oder so Kontributionen erhebt. Aber vergeßt doch bloß den Namen Bunce, und nennt mich Altamont, wie ich Euch oft gebeten habe. Ein Ritter vom Seeräuberhandwerk hat, denk ich, wohl eben so viel Recht, seinen Namen zu verändern als ein Schauspieler, und nie habe ich die Bühne betreten, ohne mich wenigstens Altamont zu nennen.« »Nun also, Jack Altamont, weil es denn einmal Altamont sein soll,« erwiderte Cleveland. »Ja, ja, Altamont ist das Wort,« unterbrach ihn sein Gefährte, »aber Jack Altamont? – das ist ein Samtrock mit papierner Tresse. – Laßt es Federigo sein – das paßt zu Altamont. »Nun gut denn, Federigo, mir auch recht,« erwiderte Cleveland; »welcher von Euren Namen wird wohl am besten klingen vor der letzten Rede, der Beichte, den Sterbeworten usw., wenn Du wegen Räuberei auf offener See an die Raa geknüpft wirst?«

»Die Frage kann ich wirklich nicht beantworten, Kapitän, ohne einen Becher Grog zu leeren; wenn Ihr also mit mir hinunter gehen wollt zu Betahldanas am Strande, will ich die Sache mit einer Pfeife von echtem Trinidado überlegen. Wir wollen die große Bowle mit den besten Dingen füllen, die Ihr je geschmeckt habt, und ein Paar hübsche Dirnen sollen uns helfen sie zu leeren. Wie, Ihr schüttelt den Kopf? Ihr seid nicht bei Laune. – Nun gut, ich will bei Euch bleiben, denn, meine Hand darauf, Clem, Du wirst mich nicht los. Ich will Dich aus dieser Steinhöhle heraus in die freie Luft und in den Sonnenschein treiben. – Wohin wollen wir?« »Wohin Du willst,« antwortete Cleveland, »nur unsern Schurken von Gefährten und andern aus dem, Wege.« »Gut denn,« entgegnete Bunce; »wir wollen hinauf auf den Berg von Whiteford, von wo aus man die Stadt überschauen kann, und ruhig und ernst dahinschreiten wie ein paar ehrliche Advokaten.«

Als sie das verfallene Schloß verließen, blickte Bunce noch einmal zurück und sprach, zu seinen Gefährten gewandt: »Hört einmal, Kapitän, wißt Ihr, wer diesen alten Hühnerstall zuletzt bewohnte?«

»Ein Graf von Orkney, sagt man,« erwiderte Cleveland.

»Und wißt Ihr, woran er starb?« fragte Bunce; – »an einer zu engen Halskrause, an einem sogenannten Galgenfieber oder dergleichen, hörte ich sagen.«

»Die Leute hier behaupten,« entgegnete Cleveland, »daß Seine Herrlichkeit vor einigen hundert Jahren das Unglück hatten, mit einer Schlinge und einem Luftsprunge Bekanntschaft zu machen.«

»Ja so,« sagte Bunce, »zu jener Zeit war es noch eine Ehre, in so würdiger Gesellschaft gehängt zu werden.«

»Und was mögen denn Seine Herrlichkeit verbrochen haben, um solche Beförderung zu verdienen?«

»Er soll die Lehnsleute geplündert, sie getötet und verwundet, auf die Flagge Seiner Majestät gefeuert haben usw.« erwiderte Cleveland,

»Nah also mit einem Herrn vom Raube verwandt,« sagte Bunce, indem er eine theatralische Verbeugung gegen das alte Gebäude machte, »und deshalb bitte ich Euch, mein mächtiger, stolzer, ehrenwerter Herr Graf, um Erlaubnis, Euch meinen lieben Vetter zu nennen, und ein recht herzliches Lebewohl zuzurufen. Ich lasse Euch in einer guten Gesellschaft von Ratten, Mäusen usw. zurück und nehme einen wackern Kavalier mit mir, der, seit kurzem nicht herzhafter als eine Maus, jetzt wie eine Ratte seinen Freunden und seinem Handwerk entlaufen will, also ein ganz schicklicher Bewohner von dem Palast Eurer Herrlichkeit wäre.«

»Ich möchte Dir raten, nicht so laut zu sprechen, Federigo Altamont oder John Bunce,« erwiderte Cleveland; »als Du noch auf der Bühne warst, mochtest Du immerhin deklamieren nach Herzenslust; in Deinem jetzigen Gewerbe aber, von dem Du soviel hältst, spricht einer nur immer unter Furcht vor dem Quermast und der Schlinge.«

Die beiden Gefährten verließen nun schweigend die kleine Stadt Kirkwall und erstiegen den Berg von Whiteford, der seine braune, mit Heidekraut umkränzte Stirn nördlich von der alten Burg von St. Magnus emporhebt. Die Ebene am Fuße des Berges war bereits zahlreich mit Menschen angefüllt, die ihre Vorbereitungen zu dem St. Olavs Markt trafen, der am andern Tag abgehalten werden sollte und als ein Zielpunkt der Bewohnerschaft aller benachbarten Inseln galt, ja auch noch von weiter entlegenen Inseln besucht ward. Er stammt von früherer Zeit her und führt seinen Namen von Olaus, Olave, Ollaw, dem berühmten Beherrscher Norwegens, der durch die Schärfe seines Schwertes statt anderer Gründe das Christentum auf dieser nordischen Inselflur einführte.

Es lag aber nicht in Clevelands Absicht, sich unter die Menschenschar zu mischen, die sich hier sammelte. Er wandte sich links und stieg mit seinem Kameraden in ungestörte Einsamkeit hinauf, wo nur Scharen von Haselhühnern, vielleicht zahlreicher auf Orkney als auf irgend einer andern britischen Besitzung, vor ihnen aufstiegen und fortflogen. Als sie fast den Gipfel des kegelförmigen Hügels erreicht hatten, wandten sich beide, wie auf einen Wink, um sich an der Aussicht zu ihren Füßen zu ergötzen.

Das bunte Gewühl zwischen dem Fuße des Berges und der Stadt gab diesem Teil der Szene Leben und Bewegung; nicht minder auch die Stadt selbst, ans der sich die alte Kirche von St. Magnus erhob, erbaut im schwerfälligsten arabischen Baustil, dabei aber erhaben, feierlich und stattlich anzuschauen, das Werk einer längst verflossenen Zeit und eines mächtigen Armes. Auch der Strand mit seinen Schiffen belebte die Szene, und nicht nur die ganze schöne Bucht, die die Vorgebirge von Inganeß und Quanterneß trennt, und in deren Hintergrund Kirkwall gelegen ist, sondern das ganze Meer, so weit man es überblicken konnte, und vorzüglich die ganze Straße zwischen der Insel Shapinscha und Pomona oder Mainland, war mit einer Menge von Fahrzeugen aller Gattung bedeckt, die von fernen Inseln her befrachtet Waren, um Menschen oder Waren nach dem Kirkwaller Markte zu führen.

Jeder dieser beiden Fremden zog hier auf Seemannsweise sein Fernglas hervor; aber ihre Aufmerksamkeit schien auf verschiedenen Gegenständen zu ruhen, Bunce oder Altamont, wie er sich lieber nennen hörte, blickte unverwandt auf die bewaffnete Schaluppe, die mit ihren hohen Masten und ihrem breiten Tauwerk wie der Flagge Britanniens, die sie aus Vorsicht aufgezogen, und wehendem Wimpel unter den handeltreibenden Schiffen dalag, sich durch ihr schmuckes Aeußere von ihnen unterscheidend, wie ein Soldat unter Bauern.

»Da liegt sie nun,« sagte Bunce, »wünschte ich doch,, sie läge in der Bai von Honduras! – Ihr unser Kapitän, ich Euer Leutnant, Fletcher Euer Quartiermeister, und fünfzig rüstige Burschen unter uns – nichts gäbe ich dann darum, diese verwünschten Heiden und Felsen je wiederzusehen! – Kapitän sollt Ihr bald sein! Das alte Vieh, der Goffe, trinkt sich alle Tage toll und voll, poltert, pocht und schilt mit der Mannschaft; hat auch schon mit den Leuten hier einen so verdammten Lärm angefangen, daß sie bald kaum Lebensmittel und Wasser an Bord lassen werden und daß täglich ein offener Bruch mit ihnen zu erwarten steht.«

Als Bunce keine Antwort erhielt, wandte er sich schnell, und da er die Augen seines Gefährten anderswohin gerichtet sah, rief er aus: – »Was zum Henker ist denn das mit Euch, und was könnt Ihr da an dem Plunder von Kähnen schauen, die nur mit Stockfisch und Kabeljau, mit geräucherten Gänsen und Butter beladen sind, die ärger noch als Talg schmeckt? – Ist der ganze Lumpenkram dort doch keinen Pistolenschuß wert. – Da lob ich mir ein Wild, wie wir es von der Insel St. Trinidad kommen sahen: Euren Don, die Wellen durchschneidend wie ein Nordkaper, schwer beladen mit Rum, Zucker und Tabak, Barren, Münzen und Goldstaub; – dann setzt alle Segel bei – die Luken auf – auf die Posten! – hinauf mit der schwarzen Flagge [Fußnote]Das Zeichen der Piraten. Wir nahen – wir finden ihn gut bemannt und bewaffnet.«

»Zwanzig Kanonen im untern Deck,« fiel Cleveland ein.

»Vierzig, wenn Ihr wollt,«, entgegnete Bunce, »wir haben nur zehn im Gange, – aber tut nichts. – Der Don gibt eine Salve, – schadet auch noch nichts, ihr Jungen! – zur Seite hin an Bord, – An die Arbeit mit Euren Granaten, Enterbeilen, Säbeln und Pistolen. – Der Don schreit Miserikordia, und wir teilen die Ladung ohne licencio Seignior.«

»Mein Seel',« rief Cleveland, »Du sprichst mit einer Lust von dem Gewerbe, daß es jedermann einleuchten muß, wie an Dir kein ehrlicher Kerl verloren ging, als Du Seeräuber wurdest. Aber Du sollst mich dennoch nicht dazu bewegen, ferner mit Dir des Teufels Schlund zu befahren; Du weißt, was er verleiht, verschwindet, wie es kam – in einer Woche oder höchstens einem Monat geht es mit unserm Rum und Zucker zu Ende, der Tabak ist in Rauch aufgegangen, Münzen, Barren und Goldstaub sind aus unsern Händen in die der ehrlichen, ruhigen und gewissenhaften Leute von Port-Royal. oder anderer Orte gewandert, – die unserm Gewerbe durch die Finger sehen, so lange wir Geld haben, aber keinen Augenblick länger. Nur kalt sieht man noch auf uns, und vielleicht hat gar der Oberrichter schon einen Wink bekommen; denn wenn unsere Taschen leer sind, mühen sich unsere ehrlichen Freunde, Nutzen aus unsern Köpfen zu ziehen. Dann erscheint der hohe Galgen, der kurze Strick, und die Geschichte des Seeräubers ist aus. Ich sage Dir, ich will diesem Gewerbe entsagen, und wenn ich so mit meinem Glase jene Barken mustere, gibt es keine noch so elende darunter, die ich nicht lieber auf Lebenslang rudern, als meine bisherige Lebensweise fortsetzen wollte.«

»Und wo wird Eure Ehrlichkeit ihren Wohnsitz aufschlagen?« fragte Bunce. »Ihr habt die Gesetze aller Länder verletzt, und die Hand der Gerechtigkeit wird Euch finden und zermalmen, wo immer Ihr weilt, – Cleveland, ich spreche zu Euch ernster, als ich's gewohnt bin. Auch ich habe meine Betrachtungen angestellt, sie waren trübe und bitter genug; obgleich sie nur Minuten währten, raubten sie mir doch meinen Frohsinn auf Wochen! Aber was bleibt uns anders übrig, als den Weg fortzusetzen, den wir einschlugen, wenn wir nicht anders geradezu den Galgen schmücken wollen?«

»Wir können die Begnadigung für diejenigen in Anspruch nehmen,« erwiderte Cleveland, »die zurückkehren und sich selbst überliefern.«

»Hm!« antwortete sein Gefährte trocken, »jene Gnadenzeit ist längst vorüber, und die Gerichte können jetzt nach Willkür strafen oder verzeihen. Wäre ich an Eurer Stelle, ich würde meinen Hals nicht so aufs Spiel setzen.«

»Andere sind noch vor kurzem zu Gnaden wieder aufgenommen worden,« meinte Cleveland; »warum sollte man sie mir nicht angedeihen lassen?«

»Ei nun ja,« erwiderte sein Gefährte, »Harry Glasby und ein paar andere sind allerdings begnadigt worden; aber Glasby leistete, wie man zu sagen pflegt, gute Dienste, denn er verriet seinen Kameraden, und dazu wäret, wie ich glaube, Ihr nicht der Mann, selbst Euch an dem rohen Goffe zu rächen.«

»Lieber wollt ich tausendmal sterben,« antwortete Cleveland.

»Darauf wollte ich schwören,« rief Bunce; »und die andern waren nur gemeine Matrosen – Diebe und erbärmliches Gesindel, kaum des Galgens wert. Euer Name aber steht in der Liste der Glücksritter zu hoch, als daß Ihr so leichten Kaufs davon kämet. Ihr seid der Leithirsch der Herde und werdet auch demgemäß ausgezeichnet werden.«

»Und weshalb?« sagte Cleveland, »Jack!«

»Federigo, wenn es beliebt,« verbesserte ihn Bunce.

»Der Teufel hole Deine Torheit,« rief Cleveland, »laß allen Scherz beiseite und sei einen Augenblick lang ernsthaft.«

»Einen Augenblick – nun ja!« antwortete Bunce, »aber ich fühl's, wie der Geist Altamonts über mich kommt, – länger als zehn Minuten schon bin ich ernst gewesen.«

»Nun, so sei es auch noch etwas länger,« entgegnete Cleveland; »ich weiß, Jack, daß Du mich wirklich liebst; und da wir uns einmal in diese Sache so weit vertieft haben, will ich mich Dir ganz vertrauen.– Sprich, weshalb sollte man mir die Begnadigung verweigern? Ich habe, wie Du weißt, ein wildes Leben geführt, kann aber nötigenfalls eine Anzahl Leben aufweisen, die ich rette, eine, Menge von Eigentum nennen, das ich seinen rechtmäßigen Eignern, denen es ohne mein Zutun verloren gegangen wäre, zurückgab.«

»Daß Ihr ein edler Dieb wäret, wie Robin Hood selbst, könnt Ihr freilich beweisen,« unterbrach Bunce, »und ich, Fletcher und die Bessern von uns lieben Euch deshalb als einen Mann, der unser Handwerk vor gänzlicher Verworfenheit schützte. – Nun, angenommen, man begnadigte Euch, was wollt Ihr beginnen? Welche Klasse der menschlichen Gesellschaft würde Euch aufnehmen? Wer sich mit Euch verbinden? Der alte Drake, zu Elisabeths Zeit, konnte Peru und Mexiko plündern, ohne auch nur durch eine Zeile dazu ermächtigt zu sein, und doch ward er, Ehre sei ihrem Angedenken, bei seiner Heimkehr dafür zum Ritter geschlagen. Aber damit ist's jetzt vorbei, – einmal Pirat, und ausgestoßen für immer! Kein ehrlicher Mann spricht mit ihm, – kein rechtliches Mädchen reicht ihm die Hand.«

»Du siehst zu schwarz, Jack!« fiel ihm Cleveland ins Wort; »es gibt Mädchen – eine wenigstens gibt es, die ihrem Geliebten treu bliebe, selbst wenn es mit ihm so bestellt wäre, wie Du sagst.«

Bunce schwieg einen Augenblick und blickte, starr auf seinen Freund: »Mein Seel'!« rief er endlich, »ich fange an, mich für einen Zauberer zu halten. Dachte ich doch gleich, daß hier ein Mädchen im Spiele sein müsse ... Ha, ha, ha!«

»Lache, soviel Du willst,« entgegnete Cleveland, »es bleibt dennoch wahr; – ein Mädchen gibt es hier, die mich liebt, ob ich gleich ein Seeräuber bin; und offen will ich Dir gestehen, daß, wenn ich auch schon oft unser Räuberleben verabscheute, ich es dennoch ohne dieses Mädchen kaum aufgegeben hätte – was jetzt, um ihretwillen, unwiderruflich bei mir feststeht.«

»Nun, so sei Gott gnädig!« rief Bunce, »einem Wahnsinnigen kann man nicht Vernunft predigen, und Liebe bei einem von unserm Gewerbe, Kapitän, ist wenig besser als Tollheit, Die Dirne muß ein rarer Bissen sein, da ein gescheiter Kerl ihretwegen den Kopf wagen will. Aber hört, spukt es nicht ebenfalls bei ihr ein wenig wie bei Euch? – Und war hier nicht vielleicht Sympathie im Spiel? Sie ist, wie ich vermute, ein Mädchen von Erziehung und Charakter.«

»Beides liegt ebenso außer Zweifel, als daß sie das schönste, bezauberndste Geschöpf ist, das je menschliche Augen sahen,« erwiderte Cleveland.

»Und sie liebt Euch, und weiß, daß Ihr der Befehlshaber einer Schar jener Glücksritter seid, die der gemeine Haufen Seeräuber nennt?«

»So ist es,« antwortete Cleveland.

»Nun denn,« entgegnete Bunce, »so ist sie, wie ich zuvor sagte, nicht recht bei Troste, oder sie weiß noch nicht, was das Wort Seeräuber sagen will.«

»Im letzten Punkt hast Du recht,« versetzte Cleveland. »Sie ist in einer solchen Einfalt und einer so gänzlichen Unbekanntschaft mit dem, was böse heißt, erzogen worden, daß sie unser Tun mit dem der alten Normänner vergleicht, die See und Häfen mit ihren siegreichen Flaggen füllten, Kolonien anlegten, Länder eroberten und sich Seekönige nannten.«

»Das ist wahrlich nicht viel besser als Seeräuberei und läuft mit dieser fast auf eins hinaus,« bemerkte Bunce, »Es muß aber eine mutige Dirne sein! – Warum brachtet Ihr sie nicht an Bord?«

»Meinst Du,« entgegnete Cleveland, »ich hätte einen Engel an Schönheit und Tugend mit jener Hölle bekannt machen sollen, die dort aus der satanischen Barke uns entgegengähnt? – Freund, durch diese Tat allein hätte ich das Maß meiner Sünden verdoppelt; solch eine Schändlichkeit hätte sie alle überwogen.«

»Nun, und warum denn, Kapitän?« entgegnete sein Vertrauter; »eine Torheit war's überhaupt,, hierher zu kommen. Die Nachricht wäre doch einmal bekannt geworden, daß der berühmte Pirat, Kapitän Cleveland, mit seiner Schaluppe »die Rache« an der Küste von Mainland strandete und mit Mann und Maus unterging. Dann wäret Ihr hier vor Freund und Feind verborgen geblieben, und hättet Eure hübsche Shetländerin heiraten, Eure Schärpe in ein Fischernetz, Euren Säbel in eine Harpune verwandeln können, und statt nach Gulden hattet Ihr fortan auf dem Meere nur nach Fischen gejagt.«

»Das war auch mein Wille,« erwiderte der Kapitän; »aber da kam ein Kerl von Hausierer nach Shetland und brachte Nachricht von Eurer Ankunft, und da war ich genötigt, mich hierher zu begeben, um zu erfahren, ob Ihr jene Gefährten wäret, von denen ich erzählt hatte, lange bevor ich den Entschluß faßte, dem Seeräuberhandwerk zu entsagen.« »Ja, so weit hattet ihr recht,« antwortete Bunce: »denn so wie Euch unsere Ankunft zu Kirkwall zu Ohren kam, hätten auch wir Euren Aufenthalt auf Shetland erfahren; und manche von uns aus Freundschaft, andere aus Haß, noch andere aber vielleicht aus Furcht, Ihr möchtet es machen wie Glasby, hätten ohne Zweifel Euch aufgesucht, um Euch wieder in unsern Kreis zu ziehen.«

»Das fürchtete ich,« entgegnete Cleveland, »und mußte das höfliche Anerbieten eines Freundes, der mich hierher begleiten wollte, zurückweisen. Ueberdem fiel mir ein, daß, wie Du auch früher selbst bemerktest, Begnadigungen nicht ohne Geld zu erlangen, und bei meiner Börse schien Ebbe eintreten zu wollen; – kein Wunder, weißt Du doch, daß ich nie zu geizen verstand. Und so ....« »Nun, und so kamt Ihr, um Euren Anteil an den Piastern zu holen,« fiel sein Gefährte ein; »das war gescheit und wir teilten ehrlich – insoweit hat Goffe unsere Gesetze allerdings beobachtet. Aber haltet den Entschluß, ihn zu verlassen, ja geheim; denn ich fürchte, er möchte Euch einen Schelmenstreich spielen. Ohne Zweifel sah er Euren Anteil schon als den seinigen an, und wird es Euch schwerlich verzeihen, daß Ihr wieder lebendig wurdet.«

»Ich fürchte ihn nicht,« erwiderte Cleveland, »und das ist ihm bekannt; wollte ich doch, ich wäre eben so sicher vor den Folgen der Kameradschaft, als ich mich vor denen seines bösen Willens geschützt glaube. – Ein andrer unangenehmer Schlag aber kann mich treffen, – ich habe einen jungen Burschen, der mich eine Zeitlang schikaniert hat, in einem Streit an eben dem Morgen, an dem ich Shetland verließ, verwundet.«

»Ist er tot?« fragte Bunce; »hier ist es mit so etwas ernster bestellt als auf den Bahama-Inseln, wo man ein Paar solcher Kerle alle Morgen totschießen kann, ohne daß man sich dabei mehr als um Holztauben bekümmerte; hier aber ist es anders, und so hoff' ich, daß Ihr Euren Freund nicht unsterblich gemacht habt?« »Hoffentlich nicht!« antwortete Cleveland, »obgleich mein Zorn schon bei geringerem Anlaß bösere Folgen hatte. Aber die Wahrheit zu sagen, es tat mir nichtsdestoweniger um den Burschen leid, zumal ich ihn der Aufsicht einer Wahnsinnigen, überlassen mußte.«

»Einer Wahnsinnigen?« fragte Bunce; »wie meint Ihr das?«

»Zuerst mußt Du wissen,« erwiderte sein Freund: »daß der junge Bursche zu mir trat, als ich gerade bemüht war, Minna zu einer geheimen Unterredung zu bestimmen, in der ich ihr noch vor meiner Abreise meine ferneren Pläne mitteilen wollte. Nun so in diesem Augenblicke gestört Zu werden von dem wilden Burschen« – – – –

»– verdiente nach allen Gesetzen der Ehre und Liebe den Tod,« unterbrach ihn Bunce.

»Zum Henker mit Deinem Spaß, Jack, gib acht auf meine Worte! – Der mutige Bursche hielt es für gut, zu bleiben, als ich ihm zu gehen gebot. Ich bin, Du weißt es, nicht sehr geduldig und gab ihm einen derben Puff, den er mir nicht schuldig blieb. Nun rangen wir miteinander, bis ich endlich, um seiner um jeden Preis los zu werden, mit meinem Dolche nach ihm stieß, den ich, wie Du weißt, aus alter Gewohnheit, immer bei mir trage. Kaum aber war dieses geschehen, als ich meine Tat auch sogleich bereute; aber es war jetzt nicht Zeit, an etwas anders zu denken als an Flucht und Geheimhaltung; denn wenn Lärm im Hause entstand, so war ich verloren; der feurige alte Mann, das Haupt der Familie, hätte an mir Gerechtigkeit geübt und wäre ich sein Bruder gewesen. Schnell lud ich also den Körper auf meine Schultern und eilte damit dem Seeufer zu, um ihn in eine Riva oder tiefe Kluft zu werfen, wo er lange hätte liegen können, ehe man ihn gefunden. Dann dachte ich in ein bereit liegendes Boot zu springen und nach Kirkwall zu steuern. Aber als ich mit meiner Last am Strande ankam, seufzte der arme Bursche und ich erkannte, daß mein Dolchstoß nicht tödlich gewesen. Der Gedanke, mein Verbrechen zu vollenden, kam mir kein einziges Mal; ich legte vielmehr den jungen Mann auf den Boden und tat, was ich konnte, sein Blut zu stillen, als plötzlich ein altes Weib vor mir stand. Ich hatte sie schon oft auf Shetland gesehen, wo man sie für eine Zauberin hält. Sie begehrte, ich solle ihr den Verwundeten lassen, und mich drängte die Zeit Zu sehr, um ihrem Verlangen zu widerstehen. Noch mehr wollte sie mir sagen, als wir die Stimme eines albernen, zu der Familie gehörigen alten Mannes vernahmen, der in einiger Entfernung von uns sang. Schnell legte sie nun den Finger auf den Mund, als geböte sie Schweigen, pfiff leise, und als darauf plötzlich ein mißgestalteter Zwerg erschien, trugen sie den Verwundeten in eine jener dort so zahlreichen Höhlen, und ich stach so schnell wie möglich in See. Mir aber gab die alte Hexe einen recht intimen Beweis ihrer Kunst, denn selbst die westindischen Tornados, die wir zusammen erlebt haben, machten kein größeres Gerassel als der Sturm, der jetzt losbrauste und mich so weit aus meinem Fahrwasser trieb, daß ich, ohne Hilfe meines Taschenkompasses, die Fair-Insel nie wiedergefunden hätte, von wo aus mich eine Brigg hierher brachte ... Aber ob es das alte Weib nun schlimm öder gut mit mir meinte, genug, wir kamen endlich glücklich hier an, und hier bin ich nun, von mannigfacher Angst und Pein gefoltert.«

»Hol' der Teufel Sumburgh-Head, oder wie sie sonst die Klippe nennen, an der Ihr unsre liebe kleine »Rache« auf den Strand warft!« rief Bunce.

»Rede nicht solchen Unsinn,« erwiderte Cleveland; »habe ich Dir nicht schon fünfzigmal gesagt, daß, wenn die Kerle nicht trotz meiner Vorstellungen in die Boote gesprungen wären, das Schiff noch jetzt auf den Wellen schwämme? Wären sie bei mir geblieben, so wäre ihr Leben gerettet gewesen wie das meine; wäre ich ihrem Beispiel gefolgt, so hätte ich den Tod gefunden wie sie. Wer fügt mir, was für mich das Wünschenswertere gewesen wäre?«

»Nun gut!« antwortete sein Freund, »ich weiß jetzt alles und kann nun um so besser helfen und raten. Ich will treu sein, Cleveland, wie die Klinge dem Griff; aber ich mag nicht daran denken, daß Ihr uns verlassen wollt. Kommt! heut müßt Ihr auf jeden Fall mit uns an Bord!«

»Ich habe keinen andern Zufluchtsort,« antwortete Cleveland mit schwerem Seufzer; dann richtete er die Blicke noch einmal auf die Bucht, blickte noch einmal mit seinem Fernglase hinaus auf das Meer, ohne Zweifel in der Hoffnung, Magnus Troils Fahrzeug zu entdecken, und folgte dann schweigend seinem Gefährten den Berg hinab.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Pirat. Band 2