Zweiundzwanzigstes Kapitel - Die Nachricht von der Gefangennahme der Räuber langte um die Mittagszeit zu Kirkwall ...

Die Nachricht von der Gefangennahme der Räuber langte um die Mittagszeit zu Kirkwall an und erfüllte alles mit Staunen und Freude. Im Nu war der Markt leer, denn alles, jung und alt, strömte den Gefangenen entgegen. Im Sonnenschein blinkten bald aus der Ferne die Bajonette, und näher und näher kam der finstere Zug der Gefangenen, die paarweis zusammengebunden waren. Viele davon waren verwundet und mit Blut bedeckt, andere vom Pulver geschwärzt und versengt. Die meisten schienen mürrisch und verstockt, einige beklommen und zaghaft, andere aber brüllten freche Lieder.

Der Bootsmann und Goffe, die zusammengebunden waren, machten sich einander nach Noten schlecht: der Bootsmann warf Goffe Mangel an Seemannskunst vor, und Goffe schalt den andern, daß er ihn verhindert habe, Feuer an das im Vorderteil des Schiffes befindliche Pulver zu legen. Zuletzt kamen Cleveland und Bunce, denen es gestattet worden war, fessellos nach Kirkwall zu marschieren. Clevelands taktvolles, wenn auch schwermütiges so doch mannhaftes Wesen stand in seltsamem Gegensatz zu dem großtuerischen Benehmen des armen Jack. Während man Cleveland mit Teilnahme begegnete, blickte man auf Jack verächtlich, auf alle übrigen aber voll Schrecken und Abscheu.


Ein Mensch aber lebte noch in Kirkwall, der von dem Schauspiel, das alle Blicke auf sich zog, nicht allein nichts sah, sondern von der Begebenheit, die die ganze Stadt in Bewegung setzte, nicht einmal etwas wußte: das war der ältere Mertoun, der sich nun schon ein paar Tage zu Kirkwall aufhielt, um seine Klage gegen Bryce Snailsfoot in Gang zu bringen. Clevelands Kiste nebst den darin befindlichen Papieren und andern Dingen war nach einigen Verhandlungen Mertoun als dem einstweiligen Besitzer zugestellt worden, bis der wirkliche Eigentümer seine Rechte darauf geltend machen könnte. Mertoun hatte die Sorge hierfür den Gerichten überlassen wollen; nachdem er aber einiges von den Papieren gelesen, hatte er plötzlich seinen Entschluß geändert und die Stadtobrigkeit ersucht, die Kiste nach seiner Wohnung bringen zu lassen. Kaum zu Hause angelangt, hatte er sich eingeriegelt, um die seltsamen Berichte, die ihm der Zufall in die Hände geführt, ungestört zu lesen und zu überdenken.

Unsere Leser werden sich erinnern, daß Norna in der Zwiesprache mit ihm auf dem Kirchhofe zu St. Rinian ihn auf den fünften Markttag mittags nach dem äußeren Flügel der St. Magnus-Kirche befohlen hatte, wo ihm über Mordaunts Schicksal Kunde werden sollte. – »Sie hat sich selbst damit gemeint,« sprach er vor sich hin; »wie ich sie aber früher auffinden soll, weih ich nicht; geratener ist's jetzt, wo ich ihrer so dringend bedarf, lieber einige Stunden zu warten, als sie zu kränken dadurch, daß ich mich ihr früher aufdränge.«

Lange noch vor Mittag, – um vieles früher als die Stadt durch die Nachricht des Kampfes in Alarm gesetzt wurde, schritt Mertoun in dem einsamen Flügel der Kirche auf und ab, Nornas Mitteilungen angstvoll harrend. Die Glocke schlug zwölf – keine Tür tat sich auf – kein Fuß betrat die Kirche; kaum aber hatte der letzte Schlag in dem Gewölbe ausgetönt, als auch Norna, aus einem Seitenflügel herschreitend, vor ihm stand. Mertoun, ohne sich mit der geheimnisvollen Art ihres Erscheinens zu befassen, eilte auf sie zu .... – »Ulla – Ulla Troil,« rief er, »sei mir behilflich, unsern unglücklichen Sohn zu retten!«

»Den Namen Ulla Troil kenne ich nicht,« sagte Norna; »ich übergab ihn den Winden in jener Nacht, die mich um meinen Vater brachte.«

»Sprich nicht von jener Nacht des Schreckens,« sagte Mertoun; »wir bedürfen jetzt unserer ganzen Vernunft. – Laß uns nicht Erinnerungen wecken, die uns die Vernunft rauben könnten; hilf mir lieber, wenn Du es vermagst, unsern unglücklichen Sohn zu retten!«

»Baughan,« entgegnete Norna, »er ist bereits gerettet, – längst schon gerettet. – Meinst Du, eine Mutter – und zumal eine Mutter, wie ich – würde auf Deinen zögernden Beistand warten? Nein, Baughan – der Triumph über Dich, das ist die einzige Rache, welche Norna für das an Ulla Troil verübte Unrecht suchte und jetzt gefunden hat.«

»Hast Du ihn wirklich gerettet – gerettet von der mörderischen Schar? – Sprich! – Sprich die Wahrheit! – Ich will alles glauben, – alles, was Du verlangst! – nur beweise mir, daß er entkommen und gerettet ist!«

»Entkommen und gerettet,« erwiderte Norna, – »gerettet und glücklich in der Hoffnung einer freudvollen Verbindung. Ja, Du Ungläubiger! – Du überkluger Treuloser voll Eigendünkel! Sieh, das ist Nornas Werk! Seit Jahren so schon hatte ich Dich erkannt; nie aber hätte ich mich Dir zu erkennen gegeben außer mit dem sieghaften Bewußtsein, das Schicksal beherrscht zu haben, das meinem Sohne drohend entgegentrat .... Welcher Ungläubige unter den Sterblichen oder welcher verstockte Dämon wird fortan meine Macht leugnen?«

»Wären Deine Ansprüche weniger erhaben und Deine Rede einfacher, würde ich über die Sicherheit meines Sohnes ruhiger sein,« antwortete Mertoun, auf den die wilde Schwärmerei, die aus den Worten der Seherin klang, den Eindruck von wirklichem Wahnsinn machte.

»Zweifle immerhin, eitler Skeptiker,« entgegnete Norna. – »Wisse denn, daß nicht nur unser Sohn gerettet ist, sondern daß mir auch Rache ward, obgleich ich sie nicht suchte – Rache an dem Werkzeuge der finstern Gewalten, das oft meine Pläne durchkreuzte und das Leben meines Sohnes in Gefahr brachte. – Ja, nimm es als eine Bürgschaft für die Wahrheit meiner Worte, daß Cleveland – der Pirat Cleveland – eben jetzt als Gefangener in Kirkwall eingeführt und bald mit seinem Leben büßen wird, daß er Blut vergoß, das von Norna stammte.«

»Wer, sagst Du, sei gefangen?« fragte Mertoun mit donnernder Stimme, – »wer, meinst Du, Weib, soll seine Verbrechen mit dem Tode büßen?«

»Cleveland – der Pirat Cleveland!« antwortete Norna, »durch mich, deren Rat er verachtet, ward er seinem Schicksal entgegengeführt.«

»Elendes Weib!« knirschte Mertoun zwischen den Zähnen, – »Du hast Deinen Sohn gemordet, wie einst Deinen Vater!« –

»Meinen Sohn! – welchen Sohn – wen meinst Du? Mordaunt ist Dein Sohn – Dein einziger Sohn!« – rief Norna, »ist dem nicht also, dann sprich – sprich – ohne Zaudern!«

»Mordaunt ist allerdings mein Sohn,« entgegnete Mertoun, – »die Gesetze wenigstens erkennen ihn als solchen, – aber Cleveland, o unglückliche Ulla – Cleveland ist Dein Sohn wie der meine – Blut von unserm Blut, Bein von unserm Bein! – und hast Du ihn dem Tode übergeben, so will auch ich mein elendes Dasein mit ihm enden.«

»Halt ein, Vaughan,« rief Norna, »noch bin ich nicht überzeugt; beweise mir die Wahrheit von dem, was Du sprachst, und ich werde Hilfe finden, selbst wenn ich die Hölle in Anspruch nehmen müßte! – Aber Beweise will ich, sonst vermag ich Deinen Worten nicht zu glauben.«

»Hilfe, Du armes, eingebildetes Weib! – Wohin haben nicht schon Deine Berechnungen – Deine eitlen Gebilde des Wahnsinns Dich geführt? – Aber dennoch will ich Dich für vernünftig, ja für mächtig halten. – Vernimm denn die Beweise, die Du forderst, und leiste Hilfe, wenn Du kannst.«

»Als ich aus Orkney entfloh,« – fuhr er nach einer Pause fort, »fünfundzwanzig Jahre schwanden seitdem dahin – nahm ich das unglückliche Kind, dem Du das Leben gabst, mit mir. Eine Deiner Verwandten sandte es mir mit dem Bericht von Deiner Krankheit, dem bald darauf die Nachricht von Deinem Tode folgte. Es ist unnütz, von dem elenden Zustande zu sprechen, in dem ich Europa verließ. Ich fand Zuflucht in Hispaniola, wo eine schöne junge Spanierin, Luisa, meine Trösterin ward. Sie ward mein Weib und Mutter jenes Jünglings Mordaunt Mertoun.«

»Sie ward Dein Weib?« fragte Norna mit vorwurfsvollem Tone.

»So ist es, Ulla,« antwortete Mertoun, »aber Du wurdest gerächt. Sie ward treulos, aber ihre Untreue ließ mich im Zweifel, ob das Kind, das sie gebar, ein Recht hatte, mich Vater zu nennen. – Aber auch mir ward Rache!«

»Wie? Du ermordetest sie?« rief Norna, furchtbar aufschreiend. »Ich beging,« entgegnete Mertoun, ohne eine bestimmtere Antwort zu geben, »eine Tat, die meine augenblickliche Flucht von Hispaniola nötig machte. Deinen Sohn nahm ich mit mir nach Tortuga, wo wir eine kleine Besitzung hatten; ich hatte Mordaunt Mertoun, ungefähr drei bis vier Jahre jünger als unser Kind, in Port-Royal seiner Erziehung wegen zurückgelassen. Ich wollte ihn nie wiedersehen, doch nach wie vor unterstützen. – Unsere Besitzung wurde von den Spaniern geplündert, als Cleveland kaum fünfzehn Jahre zählte; – Mangel gesellte sich zur Verzweiflung, und beides zu einem bösen Gewissen. Ich wurde Korsar und führte Cleveland in das schreckliche Gewerbe ein. Gewandtheit und Mut verschafften ihm sehr früh ein eigenes Kommando; und als wir nach ein paar Jahren in verschiedenen Gegenden kreuzten, empörte sich meine Mannschaft gegen mich und ließ mich als tot am Strande auf einer der bermudischen Inseln zurück. Ich erholte mich indes wieder, und als ich nach einer langen Krankheit genas, war meine erste Frage nach Clement. Auch gegen ihn hatte sich, wie ich vernahm, sein Schiffsvolk empört und ihn an einer wüsten Insel ausgesetzt, wo er, wie ich glaubte, den Tod gefunden.«

»Und was berechtigt Dich zu glauben, daß dem nicht so sei?« fragte Norna; »und was beweist, daß Cleveland und Vaughan ein und derselbe sei?«

»Solche Veränderung der Namen ist bei den Piraten nicht ungewöhnlich,« antwortete Mertoun, »und Cleveland hatte vermutlich gefunden, daß der Name Vaughan zu bekannt geworden – dieser Umstand aber hinderte mich, irgend eine Kunde über ihn zu erhalten. Nun erfaßte mich Reue, und alle Menschen hassend, zumal das Geschlecht, zu dem Luisa gehörte, beschloß ich, für den Rest meines Lebens auf den wilden shetländischen Inseln Buße zu tun. Eine schwerere aber leibliche Buße legte ich mir auf, indem ich beschloß, den unglücklichen Mordaunt mit mir zu nehmen, als lebendige Erinnerung an mein Elend und meine Schuld. Und nun – um mich zum völligen Wahnsinn zu treiben, – erstand mein Cleveland – mein unbestreitbarer Sohn von den Toten wieder auf, um durch die Ränke seiner leiblichen Mutter ein schmachvolles Ende zu nehmen!«

»Hinweg, hinweg!« rief Norna, laut auflachend, als sie die Geschichte zu Ende gehört hatte; »ein Märchen ist's, geschmiedet von dem alten Piraten, um meine Teilnahme für seinen schuldigen Kameraden zu wecken. Wie hätte ich Mordaunt für meinen Sohn halten können, da beider Alter so verschieden ist?«

»Seine dunkle Gesichtsfarbe und seine männliche Gestalt mögen an dieser Täuschung schuld sein,« sagte Basil Mertoun, »lebhafte Phantasie hat das ihrige getan.«

»Aber Beweise, Beweise! – Gib mir Beweise, daß Cleveland mein Sohn ist, und glaube mir, diese Sonne soll eher im Osten untergehen, eh' sie ein Haar auf seinem Haupte krümmen.«

»Diese Papiere, dieses Tagebuch,« entgegnete Mertoun, ihr eine Brieftasche hinreichend.

»Ich kann jetzt nicht lesen,« sprach Norna, »der Kopf schwindelt mir.«

»Clement besaß auch noch Dinge, deren Du Dich erinnern wirst,« fuhr Mertoun fort, »sie aber sind wohl eine Beute seiner Sieger geworden. Eine silberne Dose war es, mit einer Runenschrift, die ich einst von Dir erhielt, – ein goldener Kranz –«

»Eine Dose,« unterbrach ihn Norna, »vor kurzem noch gab mir Cleveland eine solche – noch habe ich sie nicht angesehen.«

Eilig zog sie sie jetzt hervor, – eifrig untersuchte sie die Schrift, und dann rief sie: – »Mit Recht heiße ich hinfort die Reimkundige, denn aus diesem Reime wird mir kund, daß ich meinen Sohn mordete, wie meinen Vater!«

Die Ueberzeugung von der Täuschung, der sie sich hingegeben, wirkte so gewaltsam, daß sie am Fuße einer der Säulen niedersank. – Mertoun schrie um Hilfe, obgleich er an einer solchen fast verzweifelte; der Totengräber erschien indes, und auf keinen Beistand von Nornas Seite hoffend, eilte der unglückliche Mann von dannen, um womöglich das Schicksal seines Sohnes zu erfahren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Pirat. Band 2