Zweites Kapitel - Als die Schwestern in die Stube traten, um das Frühstück, eben so reichlich ...

Als die Schwestern in die Stube traten, um das Frühstück, eben so reichlich wie am vergangenen Morgen, zu nehmen, und wegen ihres späten Erscheinens vom Vater mit scherzhaftem Verweis empfangen wurden, fanden sie die Gesellschaft, die zum Teil schon mit dem Frühstück fertig war, mit einem ähnlichen alten norwegischen Spiel beschäftigt, wie wir ihrer bereits beschrieben haben.

Es schien aus jenen Geschichten der Skalden entlehnt zu sein, in denen oft Kämpen und Heldinnen dargestellt wurden, wie sie sich, um ihr künftiges Schicksal zu erfahren, an Zauberer oder Wahrsagerinnen wandten.


Eine alte Sibylle, die schon früher erwähnte Haushälterin, Euphane Fea, mußte sich in die Vertiefung eines breiten Fensters begeben, die mit Bärenfellen und andern Decken verhängt war, so daß das Ganze einer lappländischen Hütte nicht unähnlich sah. Eine wie in einem Beichtstuhl angebrachte Oeffnung gestattete der dahinter befindlichen Person jede gestellte Frage zu hören, ohne den Fragenden dabei zu sehen. Hier weilte die Voluspa oder Sibylle, um aus dem Stegreif sogleich Antwort auf jede Frage zu geben. Man nahm an, daß der Vorhang sie verhindere, zu wissen, wer diese oder jene Frage getan, und der absichtliche oder zufällige Bezug, den die Antworten unter solchen Umständen haben mußten, bot oft Stoff zum Gelächter, zuweilen aber auch Ursache zu ernster Betrachtung. Zur Sibylle wählte man gewöhnlich eine Person, die in der altnorwegischen Poesie zu Hause war und zu improvisieren verstand; keine seltene Fähigkeit in einem Lande, wo das Gedächtnis der Bewohner mit alten Versen angefüllt, und wo die Regeln der Metrik nur auf ungemein einfachen Grundsätzen beruhten. Die Fragen wurden gleichfalls in Versen vorgelegt; da aber die Kunst, aus dem Stegreife zu reimen, obwohl ziemlich allgemein, doch nicht jedem geläufig war, war es erlaubt, sich eines Dolmetschers zu bedienen, der den Frager bei der Hand faßte und dem alsdann das Geschäft oblag, den Inhalt der Frage in Verse zu übertragen und sie laut auszusprechen.

Bei dieser Gelegenheit hatte man zum Dolmetscher einstimmig Claud Halcro gewählt, der auch nach kurzem Kopfschütteln und einigem Zögern zur Uebernahme des Amtes sich bereit erklärte.

Gerade aber als das Spiel beginnen sollte, fand plötzlich eine Rollenveränderung statt. Norna vom Fitful-Head, die jedermann, mit Ausnahme der beiden Schwestern, viele Meilen weit entfernt wähnte, trat plötzlich ein und schritt, ohne jemand zu grüßen, langsam und majestätisch auf das Gezelt von Bärenfellen zu, wo sie der dort sitzenden Sibylle ein Zeichen gab, das Heiligtum zu verlassen. Die alte Euphane kam zum Vorschein, schüttelte ihr Haupt und schien von Angst überwältigt; auch gab es in der Tat nur wenige in der Gesellschaft, die bei der plötzlichen Ankunft der allgemein gefürchteten Norna ihre völlige Fassung behielten.

Sie stand einen Augenblick am Eingange des Zeltes still, blickte, indem sie das Bärenfell hob, hinauf nach Norden, gleich als erflehe sie, von dort Beistand und Eingebung, und nachdem sie den überraschten Gästen ein Zeichen gegeben, einer nach dem andern näher zu treten, schritt sie in das Gezelt und war vor aller Augen verschwunden.

Jetzt aber schien es eine andere Unterhaltung werden zu wollen, als die Gesellschaft früher beabsichtigt hatte, und da die meisten fürchteten, sie würde mehr als Scherz darbieten, zeigte niemand eine große Bereitwilligkeit das Orakel zu befragen, Nornas Charakter und Wesen waren, so glaubten fast alle Anwesenden, zu ernst für die Rolle, die sie übernommen, die Männer flüsterten miteinander, und die Frauen versinnlichten, wie Claud Halcro meinte, das alte Dichterwort:

»Zu einem Haufen nur trieb sie die Schreckensangst.«

Diese Pause ward aber durch die laute, männliche Stimme des alten Udallars unterbrochen. »Nun, und warum ist das Spiel gestört, meine Herren?« rief er, »fürchtet ihr euch etwa, weil meine Verwandte gekommen ist, die Voluspa zu spielen? Freundlich ist es von ihr, diese Rolle zu übernehmen, zu der niemand auf den Inseln besser als sie geeignet ist; wir wollen unsern Scherz dadurch nicht stören lassen, sondern ihn um so lustiger fortsetzen.«

Noch immer währte das Schweigen der Gesellschaft, und Magnus fuhr fort: »Nimmer soll es heißen, daß meine Verwandte in ihrem Winkel gesessen habe, als sei sie eine unsrer alten Bergriesinnen, und daß man bloß aus Furcht sie nicht befragt hätte. Ich selbst will der Erste sein, – aber der Vers geht mir jetzt schwerer von der Zunge als früher vor einigen zwanzig Jahren; Ihr müßt mir zur Seite stehen, Claud Halcro.«

Hand in Hand nahten sie sich darauf dem Gezelt, und nach einer augenblicklichen Beratung miteinander sprach Halcro die Frage seines Gönners aus, der, wie eben die meisten angesehenen Shetländer, sich von Jugend auf mit Fischerei und Handel beschäftigt und jetzt über den Ausgang seiner Walfischjagd durch den Barden eine Frage an die Sibylle richten ließ.

»Finstre Mutter, Wohl und Weh
Kündest Du von Fitful-Höh.
Mutter, deren Auge schauet,
Dorthin wo kein Dunkel grauet, –
Jetzt nach Grönlands frost'gem Strand
Sei Dein Seherblick gesandt;
An dem eisumstarrten Riff
Jagt den Walfisch dort ein Schiff.
Dunkle Mutter, sag uns an,
Hat es guten Fang getan?«

Das Spiel schien eine ernsthafte Wendung zu nehmen, als alle, ihre Köpfe hinwendend, der Antwort Nornas horchten, die, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, aus ihrem verborgenen Winkel heraus folgendes erwiderte:

Stets richtet der Greis den rastlosen Sinn,
Auf Fischen und Pflügen und eitlen Gewinn,
Doch, glückt ihm auch beides in trefflicher Art,
Benetzen doch Tränen den greisigen Bart. –

Hier machte sie eine kurze Pause, während welcher Triptolemus Zeit hatte, vor sich hin zu flüstern: »Und wenn auch zehn Hexen und ebensoviel Wahrsagerinnen es beschwören wollten, so würde ich doch nimmermehr glauben, daß ein vernünftiger Mann sich oder seinen Bart in Tränen baden konnte, so lange es gut mit seinem Ackerbau geht.«

Aber die Stimme in dem Zelte nahm ihren einförmigen Ton wieder auf, und seine fernern Betrachtungen unterbrechend, fuhr sie fort:

Das Schiff, beladen voll und schwer,
Gräbt Furchen in das Inlands-Meer.
Nach Shetland weht's ein günst'ger Wind,
Er regt der Krone [Fußnote]Eine künstliche Krone von Bändern, von den Mädchen gewunden, welche Anteil an dem Schiffe oder dessen Mannschaft nehmen, prangt gewöhnlich an dem Takelwerk der Walfischjäger und wird während der Reise sorgsam aufbewahrt Prachtgewind',

Es hängen die Barten [Fußnote]Die Barten oder Kinnbacken des Walfisches, die den vorzüglichen Tran liefern, werden, um sie auszuleeren, an den Masten aufgehängt allzumal,
Auf sieben stieg der Fische Zahl,
Für Lerwick zwei, für Kirckwall zwei,
Für Westra Burgh die besten drei.

»Nun, so sei uns der Himmel gnädig,« rief Bryce Snailsfoot, »mehr als Weiberwitz hat das herausgeklügelt. Ich sprach Leute zu North Ronaldsha, die die Barke »Olav von Lerwick« zu Gesicht bekamen, an der unser werter Patron einen so großen Anteil hat, daß man sie sein Eigentum nennen könnte; die Barke hat ihnen ein Signal gegeben, und sie schwören darauf, daß sie, so gewiß wie Sterne am Himmel sind, sieben Fische am Bord haben, gerade wie es uns Norna in Reimen vorgetragen.«

»Wie, gerade sieben Fische?« fragte Cleveland, »und das hörtet Ihr zu North Ronaldsha? vielleicht habt Ihr es als große Neuigkeit ausgeplaudert, als Ihr kamt?«

»Es ist kein Wort davon über meine Lippen gekommen,« erwiderte der Hausierer: »habe ich doch, seit ich wieder in Dunroßneß bin, mit keinen drei Menschen davon gesprochen, daß der Olav seine volle Ladung habe.«

»Aber wenn auch nur einer von den dreien die Sache weiter gebracht hat, und zwei gegen eins ist zu wetten, daß das geschehen, – so hatte die alte Hexe leicht prophezeien.«

Aber Clevelands Worte, an Magnus Troil gerichtet, fanden keinen Beifall, auch bei dem Udaller nicht, dessen Vaterlandsliebe und Teilnahme an seiner unglücklichen Verwandten dazu zu groß waren. ...

»Norna, seine Verwandte,« meinte er, indem er Nachdruck auf das letzte Wort legte, »halte keine Gemeinschaft mit Bryce Snailsfoot oder dessen Bekannten; er mache freilich nicht Anspruch, erklären zu wollen, wie sie zu dieser Nachricht gekommen sei, doch habe er immer bemerkt, daß die Shetländer und überhaupt die Fremden, wenn sie nach Shetland kämen, nach wie vor beflissen seien, Dinge, deren Grund allen Eingeborenen seit Jahrhunderte in Dunkel gehüllt sei, als unwahr oder unhaltbar zu erklären.«

Cleveland verstand den Wink und verbeugte sich, aber ohne jeden Versuch, seine eigene Ungläubigkeit verteidigen zu wollen.

»Und nun vorwärts, Kinder,« fuhr der Udaller fort, »möge Euch allen ein eben so guter Bescheid werden, wie mir; drei Walfische geben – wart' einmal, wieviel Tonnen?« –

Nichtsdestoweniger herrschte bei den Gästen noch immer offenbarer Widerwille, das Orakel zu befragen.

»Gute Nachrichten sind manchem willkommen, selbst wenn sie vom Gottseibeiuns kämen,« sagte Jungfer Yellowley zu Lady Glowrowrum, mit der sie, da ihre Ansichten in mancher Beziehung übereinstimmten, sich schon mehrfach unterhalten hatte, »aber es ist doch wohl zuviel Zauberkram dabei, als daß christlich gesinnte Frauen, wie Ihr und ich, sich darein finden sollten.«

»Es mag allerdings an Euren Worten etwas sein,« erwiderte Lady Glowrowrum; »aber wir Shetländer sind nicht ganz wie andere Leute, und wenn Norna wirklich eine Hexe ist, so ist sie doch auch unseres Vogts und Wirts nahe Verwandte, und da möchte es übel aufgenommen werden, wenn wir uns nicht auch wahrsagen ließen; mögen deshalb auch meine Nichten, wenn die Reihe an sie kommt, kein Aergernis daran nehmen. Ihr Unrecht zu bereuen, wenn anders Böses dabei ist, wird Ihnen ja, menschlicher Voraussicht nach, reichlich Zeit bleiben.«

Während manch andere unsrer Gäste von ähnlicher Ungewißheit und Furcht zurückgehalten wurden, erklärte Halcro, dem die Runzeln auf Magnus Troils Stirn nicht entgingen, jetzt in seinem eigenen Namen, und nicht als Dolmetscher für andere, die Sibylle befragen zu wollen. Er besann sich einen Augenblick – ordnete seine Reime, und sprach dann:

»Finstre Mutter, Wohl und Weh
Kündest Du von Fitful-Höh.
Manchen Reim hast Du geseh'n
Mit dem Strom der Zeit verweh'n. –
Sprich, wird man mein Lied einst singen,
Wie noch Hakons Verse klingen?
Sag, wird eine Melodie
Meines Spiels, die Phantasie
Von John Dryden wohl erringen?«

Die Stimme der Seherin erwiderte sogleich aus ihrem Heiligtume:

»Das Klapperspiel ergötzt das Kind,
Der Greis, ein zwiefach Kind, er sinnt
Auf Spielwerk auch, nur tönt die Lust
Verschieden in der beiden Brust.
Der Adler steigt zum Sonnenlicht;
Die Embergans, sie fliegt ja nicht.
Und muß deshalb zufrieden sein,
Kann sie ihr Lied den Robben weihn.

Claud Halcro biß sich in die Lippen, zuckte mit den Achseln, gewann aber schnell seine gute Laune wieder und entgegnete, mutig improvisierend, wie es ihm lange Gewohnheit leicht gemacht hatte:

»Sei ich der Embergans auch gleich,
Nur eine Höhe sei mein Reich;
Entgeh' ich dort des Schützen Pfeil,
Fall' ich der Kugel nicht zu Teil. –
Vergnügt, wenn, was ich prunklos sang,
Verschönt durch Thules Wellenrauschen,
Den Ohren, die mir freundlich lauschen,
Wie Zauberharmonie erklang.«

Als der kleine Poet mit kühnem Schritt und zufriedener Miene zurücktrat, folgte ein einstimmiger Beifall der geistreichen Weise, mit der er dem Urteilsspruch, der ihn mit einer Embergans verglichen hatte, begegnet war. Trotzdem aber fühlte kein anderer Gast den Mut, die gefürchtete Norna zu befragen.

»Ei, über euch feigherzige Narren!« rief der Udaller, »fürchtet Ihr Euch etwa auch, Kapitän Cleveland, mit einer alten Frau zu sprechen? – So befragt sie doch um etwas – fragt sie, ob das Zwölf-Kanonenschiff zu Kirkwall Euer Gefährt sei oder nicht?«

Cleveland blickte auf Minna, und da er zu bemerken glaubte, daß sie seine Antwort auf die Aufforderung ihres Vaters ängstlich erwarte, besann er sich schnell und erwiderte nach kurzem Bedenken:

»Ich habe mich nie, weder vor Männern noch vor Weibern gefürchtet. – Ihr habt die Frage gehört, Halcro, die ich nach dem Wunsche unseres Wirtes tun soll, – fragt in meinem Namen auf Eure Weise, denn ich erhebe eben so wenig Anspruch auf Dichtkunst als auf Hexerei.«

Halcro ließ sich nicht zweimal dazu auffordern, sondern die Hand des Kapitäns mit der seinigen fassend, wie es die Sitte des Spiels gebot, sprach er die Frage, die der Udaller dem Fremden vorgeschrieben, in folgenden Worten aus:

»Finst're Mutter, Wohl und Weh
Kündest Du von Fitful-Höh.
Eine Barke voll und schwer
Liegt zu Kirkwall, ferne her.
Viel Geschütz mehrt ihre Fracht,
Glänzend ist der Mannschaft Tracht.
Gold und Seid' aus fremdem Land
Füllen sie bis an den Rand.
Mutter, sprich, hat dieser Mann
Auch wohl einen Teil daran?«

Eine Pause von ungewöhnlicher Länge trat ein, ehe das Orakel eine Antwort gab, und als diese erfolgte, geschah es in einem dumpferen, aber eben so entscheidenden Tone als bisher:

»Gold ist herrlich, hell und schön,
Blut ist dunkel anzuseh'n,
Nach der Bai schaut' ich hinaus,
Dort hält ein Falk, nach wildem Strauß
Fest seine Beute mit höhnischer Wut;
Krallen und Federn, sie triefen von Blut;
Schaue der Frager die Hände nur an,
Färbte sie Blut, hat teil er daran.«

Cleveland, dessen Mund ein verächtliches Lächeln umzog, streckte seine Hand hin. – »Wenige nur,« sprach er, »sind so oft wie ich an der spanisch-amerikanischen Küste gewesen, ohne mehr denn einmal mit Küstenwache in Konflikt zu kommen, aber nie hat es einen Blutflecken an meiner Hand gegeben, den nicht ein nasses Tuch auf der Stelle fortgebracht hätte.«

»Ja, ja mit den Spaniern unterhalb der Linie gibt es keinen Frieden,« fügte Magnus Troil bei, »hundertmal haben mir das Seeleute, wie der alte Kommodore Rummelaer, gesagt, der bis in die Honduras-Bai hinunter gekommen ... Ich hasse alle Spanier, seitdem sie 1558 auf der Fair-Insel alle Lebensmittel geraubt haben. Davon hat mir mein Großvater genug erzählt; hier im Hause liegt auch noch irgendwo eine alte holländische Chronik, in der zu lesen steht, wie sie vor langer Zeit in den Niederlanden gehaust haben.«

»Recht, recht, mein würdiger Freund,« erwiderte Cleveland, »eifersüchtig sind sie auf ihre indischen Besitzungen wie ein alter Mann auf seine junge Braut, – und wenn sie einem nur ankommen können, heißt es gleich: auf Lebenszeit in die Bergwerke! – Und so bekriegen wir sie auf Leben und Tod, mit festgenagelter Flagge.«

»Das ist der rechte Weg,« rief der Udaller, »die alte britische Flagge darf nicht gesenkt werden. Denke ich an die hölzernen Wälle, möchte ich fast selbst ein Engländer sein, wenn ich nicht dann unsern Nachbarn, den Schotten zu ähnlich würde. – Aber genug – niemand soll beleidigt werden, – hier ist jedermann gut Freund und willkommen. – Nun, wir wollen das Spiel fortsetzen. Brenda, an Dir ist die Reihe; Du weißt ja, wie uns allen bekannt ist, nordischer Reime die Menge.«

»Aber keine, die sich zu diesem Spiele eignen, Vater,« sagte Brenda, zurücktretend,

»Dummes Zeug,« entgegnete ihr Vater, sie vorwärts drängend, während Halcro ihre abwehrende Hand ergriff, – »laß nicht falsche Scham unsere harmlose Freude stören; sprecht Ihr für Brenda, Halcro,– Euer Geschäft ist's ja, die Gedanken der Mädchen auszulegen.«

Der Sänger neigte sich zu der liebenswürdigen Jungfrau mit der Ehrfurcht eines Poeten und der Galanterie eines Weltmannes, und nachdem er ihr flüsternd bemerkte, daß sie ja auf keine Weise für das, was er spräche, verantwortlich wäre, blickte er auf, lächelte, als ob ihm plötzlich eine Idee gekommen, und sprach dann:

»Finst're Mutter, Wohl und Weh
Kündest Du von Fitful-Höh.
Sprich jetzt aus, was schüchtern still
Nicht die Schönheit fragen will.
Tauch' Dein Wort in Milch und Wein,
Hüll' es sanft in Seide ein,
Sag', wird dieses Herz, so rein,
Glücklich in der Liebe sein?«

Die Seherin antwortete fast im nämlichen Augenblick aus ihrem Gezelt heraus:

»Wer Jungfrau Brust, noch nicht erfüllt
Von Liebe, ist das Ebenbild
Von jenem glänzend reinen Schnee
Auf Ronas fels'ger Wolkenhöh'. –

Doch von dem Sonnenstrahl berührt,
Wird er dem Späherblick entführt.
Und träufelnd in den Talgrund nieder
Erweckt er Gras und Kräuter wieder,
Tränkt Herden mild, ruft Blumen wach
Und schmückt des Schäfers Laubendach.«

»Gut gesprochen,« rief der Udaller und hielt die errötende Brenda, die hinwegeilen wollte, bei der Hand, – »schäme Dich nicht, Mädchen, die Hausfrau eines ehrlichen Mannes und Mittel eines alten Norweger Namens zu sein, Nachbarn Glück zu bringen, Armen beizustehen und Fremden Hilfe zu leisten, denn solches ist das ehrenvollste Los, das einem jungen Mädchen werden kann, und ich wünsche es einer jeden, die hier zugegen ist.«

»Nun, an wem ist jetzt die Reihe? Hier gilt's gute Männer zu bekommen, – Maddie Greatsettar – und Du, meine hübsche Klara, wollt Ihr nicht auch Euren Teil davon?«

Lady Glowrowrum schüttelte mit dem Kopfe und meinte, sie wisse nicht, ob sie einwilligen könne – – – – –

»Genug – genug! unterbrach sie Magnus, »keinen Zwang! aber das Spiel soll fortgehen, bis wir dessen überdrüssig werden. Hierher, Minna, Du stehst unter meinem Kommando. Tritt näher, Mädchen; es gibt mancherlei, dessen man sich weit mehr schämen müßte als solches alten, unschuldigen Spieles. Komm, komm, ich selbst will für Dich sprechen – weiß ich freilich nicht, ob mir auch noch Verse genug dazu einfallen werden.«

Eine leichte Röte flog über Minnas Wange; schnell aber gewann sie die Fassung wieder, stand ruhig bei dem Vater, wie erhaben über den kleinen Scherz, zu dem sie durch ihre augenblickliche Lage den Anlaß gab, und sah zu, wie der Vater, nachdem er sich die Stirn gerieben und andere Mittel angewandt hatte, seinem Gedächtnisse zu Hilfe zu kommen, endlich zu dem die Seherin verhüllenden Gezelte trat ... Auf weniger galante Weise als Halcro sprach nun der Udaller:

»Dunkle Mutter, sag' uns an,
Hier die Maid will einen Mann,
Sag' uns, wird sie zeitig frei'n,
Und was wird Ihr Los dann sein?«

Ein tiefer Seufzer wurde hinter dem Gezelt gehört, wie wenn der Gegenstand, über den sie das Urteil aussprechen sollte, das Mitleid wecke; dann gab sie wie früher die Antwort:

»Des Mädchens Herz, noch unerfüllt
Von Liebe, ist ein Ebenbild
Von jenem unschuldsgleichen Schnee
Auf Ronas riesger Wolkenhöh';
Von jeder Erdenfarbe rein.
Scheint er ein Himmelsteil zu sein. –
Doch von des Sturmes wilder Kraft
Wird schleunig er hinweggerafft,
Und nur zerstörend stürzt die Flut,
Vom Fels herab mit grimm'ger Wut.«

Den Udaller erfüllte diese Antwort mit großem Zorn... »Beim Gebein des Märtyrers,« rief er aus, und sein kräftiges Gesicht färbte sich dunkelrot, »das nenn ich Höflichkeit mißbrauchen, und hätte es irgend wer anders als Ihr gewagt, den Namen Meiner Tochter mit Zerstörung zusammenzubringen, hätte er besser getan, seiner Zunge einen Zaum anzulegen! doch komm nur heraus, Du schwarzgallige Hexe,« fügte er gleich mit gutmütigem Lächeln hinzu, »ich hätte eben bedenken sollen, daß Du nicht lange Freude an einer Sache haben kannst, die nach Fröhlichkeit schmeckt. Nun, Gott helfe Dir.« Seine Aufforderung erhielt aber keine Antwort, und deshalb fuhr er nach einer kurzen Weile fort: – »Sei nicht böse auf mich, gute Norna, wenn ich auch ein barsches Wort gesprochen – Du weißt, ich meine es gut mit jedermann und zumal mit Dir, – komm, komm, wir wollen Frieden machen! – Kein Wort hätt ich verloren und wenn Du mir Schiffsunglück oder schlimmen Fang vorgesagt hättest; aber Minna und Brenda, weißt Du, gehen mich näher an. – Noch einmal, komm heraus, gib mir die Hand und laß die Sache aus sein.«

Norna gab indes auf keine seiner Aufforderungen Antwort, und die Gäste blickten einander schon verwundert an; da hob der Udaller den Vorhang und sah plötzlich, daß der Raum leer sei. In das Staunen der Anwesenden mischte sich nun Furcht; denn daß Norna aus ihrem verborgenen Winkel entweichen konnte, ohne von der Gesellschaft gesehen zu werden, schien ein Ding der Unmöglichkeit – und doch war sie fort. Der Udaller ließ nach kurzem Besinnen den Vorhang wieder hinab.

»Wir kennen, meine Freunde,« sprach er mit heiterm Gesicht, »meine Muhme ja sämtlich lange genug, um zu wissen, daß ihre Wege nicht die der gewöhnlichen Menschen auf Erden sind. Aber sie meint es gut mit Shetland und liebt mich und mein Haus wie eine Schwester, und keiner von meinen Gästen braucht Böses von ihr zu fürchten, noch sich beleidigt zu glauben! zur Mittagszeit wird sie ohne Zweifel wieder bei uns sein.«

»Nun, Gott behüte uns,« rief Jungfer Baby Yellowley, zu Lady Glowrowrum gewandt, »ich mag solche alten Weiber nicht, die da kommen und gehen können wie ein Sonnenstrahl oder wie ein Wirbelwind.«

»Sprecht leiser, leiser,« warnte Lady Glowrowrum, »und laßt uns Gott danken, daß die Alte die Wand nicht mit sich fortgenommen hat. Ihresgleichen hat schon tollere Streiche gemacht, und auch sie hat es nicht daran fehlen lassen.«

Gemurmel durchflog die Gesellschaft, bis des Udallers Stentorstimme die Gäste aufforderte, ihm zur Bucht zu folgen, wo die Boote bereit lägen, zum Fischfang in hohe See zu gehen. »Den Wind haben sie,« sagte er, seit Sonnenaufgang zurückgehalten; nun aber sei er günstig, und es soll nicht länger mit der Ausfahrt gesäumt werden.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Pirat. Band 2