Vierzehntes Kapitel - Wir hatten Mordaunt Mertoun schwer verwundet verlassen und finden ihn jetzt als ...

Wir hatten Mordaunt Mertoun schwer verwundet verlassen und finden ihn jetzt als Genesenden wieder, zwar noch bleich und schwach, infolge von bedeutendem Blutverlust und starkem Wundfieber; da die Waffe aber, an der Rippe abgleitend, keine edlen Teile berührt hatte, war die Wunde unter der Hand der weisen Norna vom Fitful-Head so gut wie ganz geheilt. Die weise Frau hatte ihren Kranken auf eine entlegene Insel gebracht, wo er jetzt, in einem ziemlich gut eingerichteten Raume, ein Buch in der Hand haltend, in welches er von Zeit zu Zeit mit einem Ausdruck von Ungeduld und Langeweile blickte, vor dem Kamin saß. Jetzt nahm die unangenehme Stimmung, die ihn beherrschte, so überhand, daß er das Buch auf den Tisch schleuderte.

Norna, die ihm gegenüber saß, mit Zubereitung von Heilmitteln und Salben beschäftigt, sprang ängstlich auf, eilte zu ihm, faßte seinen Puls und fragte besorgt: ob er etwa Schmerzen fühle und wo? Mordaunt antwortete auf ihre Frage mit Worten, die von der Dankbarkeit, die er gegen seine Pflegerin fühlte deutlichen Beweis ablegte; und versicherte ihr, daß er sich durchaus wohl fühle; seine Antworten schienen indes der Wahrsagerin nicht zu genügen.


»Undankbarer Knabe,« rief sie aus, »bist Du meiner schon so müde, daß Du die Sehnsucht nicht zurückhalten kannst, schon die ersten, Dir durch mich wiedergeschenkten Lebenstage fern von mir zu verschwenden?«

»Ihr tut mir unrecht, teure Frau!« antwortete Mordaunt, »ich bin Eurer Gesellschaft durchaus nicht müde, aber es rufen mich Pflichten in die Welt zurück.«

»Pflichten!« wiederholte Norna; »und welche Pflichten können der Dankbarkeit Eintrag tun, die Du mir schuldig bist? – Pflichten! Deine Gedanken verlangen nach Deiner Jagdflinte, Du möchtest die Klippen wieder nach Seevögeln absuchen. Dazu sind Deine Kräfte aber noch nicht stark genug.«

»Und meine Sohnespflicht rechnest Du für nichts?«

»Was hat Dein Vater an Dir getan,« rief Norna, »daß er solche Rücksicht von Dir verdiente? War er es nicht, der Dich jahrelang fremden Händen überließ, ohne zu fragen, ob Du noch am Leben seiest oder nicht? Der Dir von Zeit zu Zeit Unterstützung sandte, wie man einem Bettler aus der Entfernung ein Almosen zuwirft? Der Dich in den letzten Jahren zum Gefährten seines Elends machte? bald Dein Schulmeister, bald Dein Tyrann, nie aber, Mordaunt, Dir ein Vater war?«

»In Euren Worten liegt allerdings manches Wahre,« erwiderte Mordaunt, »mein Vater ist nicht zärtlich, aber gütig war er stets gegen mich. Der Mensch hat sein Temperament nicht in seiner Gewalt, und es ist Kindespflicht, für die empfangene Wohltat sich dankbar zu beweisen, auch wenn sie ihm kalt erwiesen worden. Mein Vater hat meinen Geist gebildet, und liebt mich, davon bin ich überzeugt; er ist unglücklich, und selbst wenn er mich nicht liebte.«

»Er liebt Dich nicht,« unterbrach ihn Norna rasch, »nie hat er jemand in dieser Welt außer sich selbst geliebt. – Er ist unglücklich, doch ist sein Elend verdient – aber Deine Mutter, Mordaunt – Deine Mutter – sie liebt Dich wie ihr Herzblut!«

»Ich habe keine Mutter mehr,« erwiderte Mordaunt, »längst schon starb sie; – Eure Worte, Norna, verlieren an Klarheit.«

»O nein, nein!« rief Norna in einem Ausbruch tiefster Gefühle. »Du hast eine Mutter! – die Unglückliche ist nicht tot – wollte Gott, sie wäre es! aber sie ist es nicht. Deine Mutter allein liebt Dich, und – ich – ich – Mordaunt,« hier warf sie sich an seinen Hals, »bin diese unglückliche, und doch so glückliche Mutter!«

Sie preßte ihn fest und krampfhaft an ihre Brust, und Tränen, die ersten, die sie seit vielen Jahren vergossen, entströmten ihren Augen, als sie an seinem Halse schluchzte. Erstaunt über solche Kunde, gerührt durch ihre starke Gemütserschütterung, aber den leidenschaftlichen Erguß für einen Ausbruch von Wahnsinn haltend, bemühte sich Mordaunt vergebens, die Seele dieser außerordentlichen Frau zu beruhigen.

»Undankbarer Knabe!« rief sie aus; »wer anders wie eine Mutter hätte so über Dich gewacht? Von dem Moment an, als ich Deinen Vater wiedersah, der keine Ahnung hatte, von wem er erkannt worden, – Jahre sind seitdem dahin geschwunden – aber nur allzu gut kannte ich ihn; und unter seiner Obhut sah ich Dich, damals ein Kind, und laut sprach die Natur in meiner Brust: das ist Blut von Deinem Blut, und Bein von Deinem Bein, Erinnere Dich, wie oft Du mich mit Staunen, und wenn Du am wenigsten darauf rechnetest, an Deinen Vergnügungsorten und Spielplätzen erblicktest! Bedenke, wie oft mein Auge über Dir wachte an schwindelerregenden Abgründen. Gab ich Dir nicht zur Sicherheit jene goldne Kette um den Hals, die ein Elfenkönig unserm Stammvater schenkte? Hätte ich diese teure Gabe Wohl jemand anders als dem Sohn meines Herzens verliehen? – Mordaunt, ich beschwor mitternachts die Meerfrau, daß sie Deine Barke auf der tiefen See unter ihren Schutz nähme! ich gebot dem Winde Schweigen, damit Du Deiner Jagd auf den Klippen gefahrlos nachhängen konntest!«

Mordaunt entging es nicht, daß ihre Rede stürmischer zu werden anfing, und war auf eine Antwort bedacht, welche ihre Phantasie zu besänftigen vermöchte.

»Gute Norna,« sprach er, »ich habe freilich Ursache genug, Euch Mutter zu nennen, denn Ihr habt Wohltat über Wohltat auf mein Haupt gehäuft, und nimmer will ich es an Beweisen der Liebe und Dankbarkeit fehlen lassen. Aber die Kette, von der Ihr spracht, ist von meinem Halse verschwunden – ich sah sie nicht wieder, seitdem mich jener Raufbold niederstieß.«

»Wie magst Du in diesem Augenblick daran denken?« fragte Norna in einem kummervollen Ton, – »so wisse denn; ich war es, die sie von Deinem Halse nahm und derjenigen um den Hals hing, die Dir am teuersten ist, zum Zeichen dafür, daß Eure Verbindung, – der einzige, irdische Wunsch, den ich noch hegen darf – in Erfüllung gehen wird – und wenn die Hölle dazwischen träte!«

»Ach,« rief Mordaunt, tief aufseufzend, »Ihr vergeßt die Ungleichheit unserer Verhältnisse, – ihr Vater ist reich und aus altem Stamm.«

»Nicht reicher, als es einst Nornas Erbe sein wird,« antwortete die Wahrsagerin, – »und nicht von besserem oder älterem Blute, als dasjenige, welches in Deinen Adern rollt und von Deiner Mutter herstammt, der Sprossin eben derselben Grafen und Seekönige, von denen Magnus zu stammen sich rühmt. – Oder glaubst Du, wie jene pedantischen und fanatischen Fremden wie jene pedantischen, dünkelhaften Fremdlinge, Dein Blut sei schlechter, weil meine Ehe mit Deinem Vater nicht durch Priesterhand gesegnet wurde?– Wisse, daß wir vermählt waren nach der alten Sitte der Norweger, – wir reichten uns die Hände im Kreise Odins mit so innigen Schwüren ewiger Treue, daß selbst die unsere Inseln erobernden Schotten sie dem Segen vor dem Altare gleichgestellt hätten. Gegen den Sprößling solcher Verbindung kann Magnus nichts einwenden. Ich war schwach – aber die Geburt meines Sohnes wurde dadurch nicht entehrt.«

»Und glaubt Ihr wirklich, Mutter – »so wollt Ihr ja, daß ich Euch nennen soll,« sagte Mordaunt, dem ihre Worte, wenn er ihr auch noch keine Sohnesliebe zollen konnte, doch von neuem zu Herzen geführt hatten, daß er in ihr seine größte Wohltäterin erblickte – »daß der stolze Magnus sich bewegen lassen könnte, die Abneigung, die er seit kurzem gegen mich an den Tag legt, aufzugeben und meiner Bewerbung um Brenda sein Ohr zu leihen?«

»Brenda!« wiederholte Norna, – wer spricht von Brenda?« – von Minna war die Rede.«

»Ich aber dachte nur an Brenda,« erwiderte Mordaunt; »nur an sie denke ich, und nur an sie allein werde ich ewig denken.«

»Unmöglich, mein Sohn,« entgegnete Norna! »Du kannst nicht so engherzig, nicht so arm an Geist sein, daß Du das lachende Wesen und die hausmütterliche Einfalt der jüngern Schwester dem tiefen Gefühl und der erhabnen Seele der ältern vorziehen solltest. Wer möchte sich nach dem niedern Veilchen bücken, wenn er die herrliche Rose pflücken kann?«

»Manche meinen: die niedrigsten Blumen duften am lieblichsten, und in diesem Glauben will ich leben und sterben.«

»Solche Worte ziemen Dir nicht,« entgegnete Norna stolz; schnell aber den Ton wieder ändernd, fuhr sie liebevoll fort: – »Du mußt nicht, Du sollst nicht so sprechen, mein teurer Sohn! – Du wirft nicht das Herz einer Mutter in der ersten Stunde brechen wollen, wo sie ihr Kind umarmte! – Antworte mir nicht, aber höre mich, Minna muß Deine Gattin werden – ich habe ihren Hals mit einem Amulett geschmückt, von dem Euer beiderseitiges Glück abhängt, Minna muß die Braut meines Sohnes werden!«

»Aber ist Euch denn Brenda nicht gleich lieb und teuer?« rief Mordaunt.

»Eben so nahe verwandt,« antwortete Norna, »doch nicht so teuer, nein, nein! nicht halb so teuer. Minnas sanftes und doch so erhabenes, sinniges Gemüt macht sie zu der Gefährtin eines Wesens geeignet, dessen Wege, wie die meinigen, nicht die gewöhnlichen dieser Welt sind. Brenda gehört dem gemeinen Leben an, ist eine lachende Spötterin, die alles dasjenige ins Lächerliche zieht, was außer dem Bereich ihrer seichten Begriffe liegt.«

»Sie ist freilich weder abergläubisch, noch schwärmerisch,« entgegnete Mordaunt, »und deshalb liebe ich sie um so mehr. Zudem bedenkt, Mutter, daß Brenda mich wieder liebt, während Minna jenem Menschen aus der Fremde, Cleveland, ihr Herz geschenkt hat.«

»Nein, nein! das darf sie nicht, das kann sie nicht,« rief Norna, »auch darf er ihr nicht weiter nachstellen. Als er zuerst nach Burgh-Westra kam, sagte ich ihm, daß ich sie für Dich bestimmte.«

»Und dieser allzu raschen Kunde,« unterbrach sie Mordaunt, »verdanke ich seine Feindschaft, – meine Wunde – und fast den Verlust meines Lebens. Seht, Mutter, wohin Euer Zwischenspiel uns schon gefühlt hat.... um des Himmels willen, setzt es nicht weiter fort!«

Es schien, als ob dieser Vorwurf Norna mit der Gewalt und Schnelligkeit des Blitzes träfe; denn sie schlug sich mit der Hand vor die Stirn und schien nahe daran, zu Boden zu sinken. Mordaunt, heftig erschrocken, eilte, sie aufzufangen, und stammelte, da er nicht wußte, was er sagen sollte, nur ein Paar unverständliche Worte,

»Schone meiner, o Himmel, schone meiner!« waren die ersten Worte, die das arme Weib wieder hervorbrachte; »laß mein Verbrechen nicht durch ihn gerächt werden! – Ja, junger Mann!« begann sie nach einer Pause, »Du wagtest jetzt Worte, die ich mir selbst nicht zu sagen wagte; Worte, die, wenn sie zutreffen, das Ende meines Lebens bedeuten.«

Mordaunt bemühte sich vergebens, sie durch die Versicherung zu beruhigen, daß er nicht wisse, wie er sie beleidigt oder gekränkt habe, Und daß es ihn unendlich schmerze, wenn solches unwillkürlich geschehen. Sie fuhr mit wilder, zitternder Stimme fort:

»Du hast den finstern Argwohn berührt, der das Gefühl meiner Macht vergiftet – die einzige Gabe, die ich zum Ersatz für Unschuld und Seelenfrieden empfing! Deine Stimme vereint sich mit der des Dämons, der selbst in dem Moment, wenn mich die Elemente als ihre Gebieterin anerkennen, mir zuflüstert: »Norna, nur Täuschung ist's – Deine Macht beruht nur auf dem Aberglauben der einfältigen, durch Kunstgriffe von Dir getäuschten Menge.« – So spricht Brenda, so möchtest auch Du sprechen; schone wenigstens Du meiner, mein Sohn!« fuhr sie in flehendem Tone fort; »die Herrschaft, der mich Deine Worte berauben wollen, ist kein beneidenswertes Gut. Wenigen nur möchte es gelüsten, über Geister und Stürme zu gebieten. Mein Thron ist eine Wolke, mein Zepter ein Meteor, mein Reich nur mit Phantasiegebilden bevölkert; aber ich muß entweder aufhören zu sein oder das mächtigste und doch elendeste Wesen dieser Inselflur bleiben!«

»Sprecht nicht so finstere Worte, meine teure unglückliche Wohltäterin,« unterbrach sie Mordaunt, tiefbewegt. »Ich will von Eurer Macht glauben, was Ihr wollt; aber um Eurer selbst willen schlagt einen andern Weg ein. Wendet Eure Gedanken von solchen gemütsbewegenden Dingen ab und richtet sie auf andere, bessere; dann wird das Leben wieder Reiz für Euch haben und die Religion Euch Trost gewähren.«

Sie aber schüttelte das Haupt und erwiderte:

»Es kann nicht sein – ich muß die Gefürchtete – die Geheimnisvolle – die Reimkundige, die Beherrscherin der Elemente bleiben, oder ich muß aufhören zu sein. Ich habe keine andere Wahl, keinen Mittelweg! Meine Stätte ist dort oben auf jener riesigen Klippe, wo nie ein anderer Menschenfuß als der meinige stand, – oder tief auf dem Grunde des unermeßlichen Ozeans, dessen weiße Wellen dann über meinem fühllosen Körper schäumen. Die Vatermörderin soll nicht noch zur Betrügerin werden!«

»Die Vatermörderin!« rief Mordaunt, schreckenvoll zurückbebend.

»So ist's, mein Sohn!« entgegnete Norna mit finsterer Ruhe, die noch schrecklicher war als ihre frühere Heftigkeit, »in diesen Schreckensmauern fand mein Vater seinen Tod – durch mich! Dort in jenem Zimmer wurde sein Leichnam gefunden. – Drum hüte Dich vor kindlichem Ungehorsam, denn also reifen seine Früchte.«

Sie stand auf und verließ das Gemach, Mordaunt allein zurücklassend, in Gedanken über die außerordentlichen Mitteilung gen, die ihm geworden waren. Er selbst hatte von seinem Vater gelernt, den Aberglauben der Shetländer zu verachten, aber jetzt sah er, daß Norna, wie geschickt sie auch andern Respekt einzuflößen verstand, über Selbsttäuschung nicht erhaben war: ein starker Beweis dafür, daß sie nicht wahnsinnig sei; anderseits aber schien die Selbstanklage des Vatermordes so furchtbar und unwahrscheinlich, daß Mordaunt zu ihren andern Behauptungen kein großes Vertrauen gewinnen konnte.

Er hatte Muße genug, über seine letzten Erlebnisse nachzusinnen, denn niemand nahte sich diesem einsamen Eilande, das außer Adlern und andern Raubvögeln, die auf seinen Klippen horsteten, nur von Norna, ihrem Zwerge und ihm bewohnt wurde und einen wüsten und öden Anblick bot, die wenigen Stellen ausgenommen, wo Zwergbirken, Haselnußstauden und wilde Johannisbeerbüsche wuchsen, kümmerlich zwar, aber doch einiges Leben in die Landschaft bringend.

Die Aussicht vom Strande, Mordaunts Lieblingsweg, seit er so weit genesen war, daß er wieder gehen konnte, bot hingegen Reize, die den wilden Charakter des Innern sattsam wett machten. Eine breite, schöne Wasserstraße trennte das Eiland von der großen Insel Pomona, und in der Mitte dieses Sundes lag, wie ein Täfelchen von Smaragd, das liebliche grüne Eiland von Graemsay. Auf dem fernen Mainland sah man das Dörfchen Stromneß, in dessen trefflichem Hafen stets Schiffe in Menge ankerten. Hier konnte Mordaunt stundenlang wandern, und hier reifte der Entschluß in ihm, die Insel zu verlassen, sobald es ihm seine Gesundheit erlaubte. Da es ihm aber widerstrebte, die Dankbarkeit zu verletzen, die er Norna schuldete, für deren Pflegesohn er sich hielt, wenn er sich auch nicht überzeugen konnte, ihr wirklicher Sohn zu sein, so drang er in sie, ihn zum bevorstehenden St. Olavsmarkte nach der Hauptstadt von Orkney mitzunehmen, was sie ihm unter der Bedingung versprach, daß er sich streng nach ihrem Willen verhalte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Pirat. Band 2