Zehntes Kapitel - Inzwischen stürmte Mordaunt, dem verwundeten Hirsche gleich den Schmerz, den ...

Zehntes Kapitel.

Inzwischen stürmte Mordaunt, dem verwundeten Hirsche gleich den Schmerz, den ihm der Pfeil bereitet, durch schnellen Lauf zu ersticken suchend, über die Heide und durch das wilde Moor, in seinem Stolze durch das, was er vom Hausierer vernommen, auf das tiefste verletzt – um so tiefer als es durch die Zweifel, die durch das unfreundliche Stillschweigen der Leute von Burgh-Westra in ihm geweckt worden, volle Bestätigung erhielt. Er, in seinen eigenen Augen von der Höhe herabgesunken, auf welcher er als erster unter der Jugend der Insel gestanden, fühlte aber nicht bloß Demütigung, sondern Kränkung und Beleidigung: die beiden schönen Schwestern, um deren Lächeln alle buhlten, mit denen er auf so freundlichem Verkehrsfuß gestanden, daß man ihn schon auf der ganzen Inselflur für einen Freier gehalten – auch sie schienen seiner vergessen zu haben? auch ihnen bedeutete er auf einmal so wenig, daß er nicht einmal mehr als gewöhnlicher Bekannter galt? Selbst der alte Udaller, dessen biederes, aufrichtiges Wesen ihn immer so angeregt und angezogen hatte, schien ebenso wandelbar und veränderlich zu sein wie seine Töchter! Ach, der arme Mordaunt hatte mit dem Lächeln seiner Huldinnen auch die Wohlgeneigtheit seines eifrigen Gönners, des mächtigsten auf der ganzen Inselflur, verloren!


Ohne auf den Weg zu achten, eilte Mordaunt, getrieben von dem Verlangen, diesen peinvollen Gedanken zu entrinnen, mit verdoppelten Schritten durch eine Gegend weiter, wo weder Hecken, noch Mauern, noch Zäune den Wanderer aufhielten, bis der Weg ihn an eine einsame Stätte führte, wo zwischen steilen, mit Heidekraut bewachsenen Hügeln, die sich jäh bis zum Wasserrande hinunterzogen, einer der kleinen Sühwasserseen lag, deren es auf den shetländischen Inseln so viele gibt, und deren Ufer die Quellen und Bäche und Flüßchen bilden, die das Land bewässern und die kleinen Mühlen bewegen, auf denen die Inselbewohner ihr Korn mahlen.

Es war ein milder Sommertag; die Strahlen der Sonne wurden, wie es in Shetland nicht zu den Seltenheiten gehört, durch einen silbernen Nebel, der den starken Gegensatz von Licht und Schatten in der Atmosphäre aufhebt und selbst dem Mittag die ruhige Färbung der Abenddämmerung leiht, gebrochen und gemildert. Der kleine See, kaum dreiviertel Stunden im Umkreise, lag in tiefer Ruhe; kein Hauch kräuselte seine Fläche, die nur gestört wurde, wenn einer der vielen Wasservögel, die über ihr strichen, beutesuchend tauchte. Die Tiefe gab dem Wasser die blaugrüne Farbe, die dem See den Namen des »grünen« gab, – und in diesem Augenblick bildete er einen so vollkommenen Spiegel für die Hügel ringsherum, daß sich das Wasser von dem Lande kaum unterscheiden ließ; ia, die Dämmerung die der dünne Nebel verbreitete, hätte einen Fremden schwerlich vermuten lassen, daß ein Wasserspiegel vor ihm lag. Die ungemeine Heiterkeit des Wetters, die durch die Ruhe der Atmosphäre und das tiefe Schweigen der Elemente noch erhöht wurde, lieh der ganzen Szenerie einen seltsamen Reiz, und ein einsameres Stück Erde wäre kaum auffindbar oder nur denkbar gewesen; neigten sich doch selbst die Wasservogel, in so großer Menge sie hier auch weilten, in tiefer Ruhe über die schweigende Flut.

Ohne zu zielen, ohne irgend etwas zu bezwecken, ja fast ohne zu wissen oder zu denken, was er tat, legte Mordaunt die Flinte an die Wange und schoß über den See. Der grobe Schrot kräuselte die stille Fläche wie Hagelschauer; von den Hügeln schallte der Knall zurück; die Wasservögel schwirrten, unregelmäßige Kreise ziehend, zu engeren Schwärmen zusammen, und tausendfältig verschiedenes Geschrei, vom tiefen Baß der weißen Sturmmöwe bis zu den klagenden Lauten der Winter- und isländischen Möwen, erfüllte die Luft.

»Ja, ja,« rief Mordaunt, den lärmenden Tieren mit einem Gefühl von Erbitterung nachschauend, das er, so geringen Zusammenhang es auch mit ihr auswies, gern auf die gesamte Natur übertragen hätte; – »taucht, schreit, lärmt, soviel ihr wollt, weil euch was der Quere kam, das eure Ruhe störte – weil ein Ton euch schreckte, den ihr nicht gewöhnt seid! Ja, ja, auf diesem runden Erdenball gibt's viele wie euch; aber ihr sollt wenigstens lernen,« fügte er hinzu, die Flinte wieder ladend, »daß mit einem fremden Anblick, fremden Klange und fremder Bekanntschaft zuweilen auch Gefahr verbunden ist. – Doch, warum Zorn an harmlosen Tieren auslassen?« setzte er nach einer kurzen Pause hinzu, »mit den Freunden, die mich vergaßen, mich vergessen konnten, haben doch sie nichts zu schaffen! Ach, und ich liebte sie alle so innig, – und nun müssen sie mich um des ersten besten Fremden willen, den ein Zufall an die Küste wirft, aus ihrer Erinnerung streichen – müssen sie mich so bald aufgeben und im Stiche lassen?«

Er stand, auf seine Flinte gestützt, versunken in diese schmerzvollen Betrachtungen, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter fühlte. Sich umdrehend, erblickte er die Norna vom Fitful-Head, in ihren dunklen weiten Mantel gehüllt. Vom Hügel aus hatte sie ihn gesehen, und war zum See durch eine kleine Felsschlucht herabgestiegen, die sie seinen Blicken entzog – war ihm mit unhörbaren Schritten so nahe gekommen, daß sie ihn berühren konnte.

Mordaunt war von Natur weder furchtsam noch abergläubisch, auch für sein Alter belesener, als man gewöhnlich findet; aber es wäre doch einem Wunder nahe gekommen, zumal auf Shetland und ausgangs des siebzehnten Jahrhunderts, wenn er schon jene Philosophie besessen hätte, die selbst in Schottland erst zwei Generationen später Eingang fand. Wohl fühlte er Zweifel an der Möglichkeit übernatürlicher Gaben, wohl hielt er Norna für kein anderes als menschliches Wesen mit menschlichen Schwächen und Tugenden – aber vom Zweifel zum Unglauben stieg auch er nicht; auch ihm galt Norna, trotz aller Vorbehalte seiner Vernunft, als eine Frau, begabt mit einer seltenen Geistesstärke und, dem Anscheine nach, enthoben aller Rücksicht auf irdischen Zwang. Von Jugend auf in dieser Meinung befangen, konnte er dieses geheimnisvolle Wesen, das jetzt so jäh vor ihm auftauchte und ihn so finster und ernst betrachtete, wie die Schicksals-, ihre Namens-Schwestern, die jungen Kämpen betrachteten, die sie auserwählt hatten, das Gastmahl Odins zu teilen, – nicht anders als mit banger Unruhe anstarren; und manch anderer als er, an seiner Stelle hier an dem einsamen Strande des grünen Seees, hätte gebebt und gezittert angesichts solcher bösen Prophetin, die ihm als ein Anzeichen des Unglücks erscheinen mußte.

»Ich bringe Dir kein Unglück, Mertoun,« sagte sie, denn sie mochte in den Blicken des jungen Mannes wohl etwas, wie abergläubische Ahnungen, lesen – »Ich habe Dir nie welches zugefügt und werde Dir nie welches zufügen.« »Das fürchte ich nicht,« entgegnete Mordaunt, einer Besorgnis Herr zu werden suchend, deren unmännliche Art er schmerzlich fühlte – »und warum sollte ich, Mutter, mich fürchten? Weiß ich denn nicht, daß Ihr mir immer freundlich gesinnt wart!«

»Und doch, Mordaunt, bist Du kein Shetländer, kein Mann von unserer Flur – aber selbst denen nicht, Mordaunt, die um Magnus Troils Herd herum sitzen, selbst jenen nicht vom Blute des edlen Abkömmlings der alten Jarls von Orkney – will ich wohler als Dir, wackerer, hochherziger Jüngling ... – Als ich Dir die Zauberkette um den Hals hing – die, wie auf den Inseln alle wissen, von keiner irdischen Hand verfertigt wurde, sondern von den Draus in den geheimen Werkstätten ihrer Höhlen – zähltest Du kaum fünfzehn Jahre, und standest doch schon auf der Jungfrauen-Klippe von Northmaven, die vor Dir nur der gehäutete Fuß der Sturmmöwe betrat, – hattest Deinen Nachen doch schon in die tiefste Höhle von Brinnastir gelenkt, wo der Haafefisch [Fußnote]Der große Seehund oder das Seekalb, das die einsamsten Schluchten zu seinem Aufenthalt wählt vorher in Finsternis schlummerte. Darum, Mordaunt Mertoun, gab ich Dir jenes edle Geschenk, damit Dich jedes Auge auf diesen Inseln als seinen Sohn oder Bruder betrachte, hochbegabt vor allen andern Jünglingen, und als den Günstling jener Frau, deren Stunde der Macht erscheint, wenn Tag und Nacht sich vermählen.«

»Ach, Mutter,« sagte Mordaunt, »Eure freundliche Gabe mag mir wohl Gunst verschafft haben, aber sie hat sie mir nicht zu erhalten vermocht, wenn ich selbst nicht schuld trage an ihrem Verluste – aber was ist gelegen an Menschengunst? Ich will lernen, mich ebensowenig auf andere zu stützen, wie sie auf mich. Mein Vater sagt, ich solle diese Inseln bald verlassen, darum Mutter Norna, will ich Euch Eure Zauberkette zurückgeben, die einem andern wohl besseres und dauernderes Glück bringen mag als mir.«

»Verachte die Gabe nicht, wenn sie auch stammt vom namenlosen Geschlecht,« sagte Norna zürnend, ging aber sogleich aus dem Mißmut, der sie erfüllte, zu wehmütigem Ernst über und setzte hinzu: »Verachte sie nicht, Mordaunt, doch vergöttere sie auch nicht! Setz Dich auf jenen grauen Stein! und ich will, so viel ich vermag, ablegen, was mich von der großen Menge scheidet, und zu Dir reden wie eine Mutter zu ihrem Kinde.«

Das Zittern ihrer Stimme, verursacht durch den Kummer, der ihr Herz erfüllte, im Verein mit der erhabenen Weise ihrer Sprache und ihrer Haltung, konnte nicht anders, als Mordaunts Gemüt tief ergreifen; er setzte sich auf den Felsblock, auf den sie gezeigt hatte, und der zusammen mit andern von gleicher Größe von dem Felshange, an dessen Fuße er lag, bis an den Wasserrand geschleudert worden war. Norna setzte sich ihm gegenüber, knapp drei Fuß von ihm entfernt, auf einen andern Block, legte ihren Mantel so über den Kopf, daß fast nur Stirn, Augen und eine Locke ihres grauen Haares sichtbar blieben, und nahm nun in einem Tone, aus dem jene eingebildete Wichtigkeit, worin sich verworrene Geister so oft gefallen, aber auch ein ungewöhnlicher tief eingewurzelter Seelenschmerz sprach, wieder das Wort...

»Ich war,« hub sie an, »nicht immer, was ich jetzt bin; war nicht immer die Weise, Mächtige, Gebietende, vor der die Jugend Scheu, das Alter Achtung hegt. Es hat auch eine Zeit gegeben, wo Frohsinn nicht verstummte, wenn ich mich zeigte – wo ich der menschlichen Leidenschaften, menschlicher Freude und menschlichen Kummers, teilhaftig war – eine Zeit, da auch mir Beistand und Hilfe lieb und wert war – da ich Freude fand an müßigem Tand, an müßigem Lachen und müßigem Weinen – ach! was gäbe die Norna vom Fitful-Head darum, wieder das glückliche, harmlose Mädchen zu sein, das sie in jenen Tagen war! Mordaunt, sei nachsichtig mit mir; denn Du hörst Klagen aus meinem Munde, die nie ein sterbliches Wort vernahm, die kein sterbliches Ohr wieder vernehmen soll...« Und ihren magern, verdorrten Arm ausstreckend, rief sie: »Ha! Ich will sein, wozu die Göttin des Schicksals mich bestimmte: Königin und Schirmherrin über diese wilden, vernachlässigten Inseln, – ich will Norna sein, deren Fuß keine Woge netzen darf, ohne ihre Erlaubnis, deren Gewand der Wirbelwind schont, während er die Dächer von den Sparren reißt. Mordaunt Mertoun, sei mir Zeuge! – Du vernahmst meine Worte in Hafra – Du sahst, wie der Sturm vor ihnen wich, Mordaunt, sprich und sei mir Zeuge!«

Ihr zu widersprechen, jetzt, wo die höchste Begeisterung sie zu dem höchsten Begriffe von ihrer Höhe trug, wäre Mordaunt, selbst wenn er noch fester, als tatsächlich, überzeugt gewesen, daß nicht eine mit übernatürlicher Gewalt begabte, sondern eine von Wahnsinn geschlagene Frau vor ihm stände, nicht möglich gewesen, weil es ihm zu hart, zu grausam bedünkt hätte. Drum antwortete er: »Ja, Norna – ich hörte Deinen Sang und sah, wie der Sturm sich legte.«

»Wie der Sturm sich legte?« rief Norna aus, mit ihrem Stab aus schwarzem Eichenholz ungeduldig den Boden stampfend – »Mordaunt, Du sprichst nur halbe Wahrheit; der Sturm schwieg plötzlich – schwieg in kürzerer Zeit als das Kind, das die Wärterin beschwichtigt. Indessen, – Mordaunt – Du kennst wohl meine Macht, weißt aber nicht, und kein Sterblicher weiß es und soll es je erfahren, welchen Preis diese Macht mich kostete! Nein, Mordaunt, nicht um der hohen Gewalt willen, die die alten Norweger besaßen, als ihre Banner noch von Nordlands Bergen bis Palästina wehten, nicht um all dessen willen, was der gesamte Erdball birgt, vertausche Deinen Seelenfrieden gegen solche Größe, wie sie Norna eigen!«

Bei diesen Worten setzte sie sich wieder auf den Felsen, zog den Mantel über das Gesicht, stützte den Kopf auf die Hand und schien, nach den krampfhaften Bewegungen ihrer Brust zu schließen, bitterlich zu weinen.

»Norna, Mutter,« rief Mordaunt, hielt aber inne, denn er wußte nicht, was er zum Tröste der unglücklichen Frau sagen sollte, – »gute Norna,« hub er wieder an, »sollte auf Eurem Gemüte Schweres lasten, das Euch beunruhigt, – wäre es dann nicht besser, Ihr ginget zu dem Pfarrer von Dunroßneß? Die Leute sagen, Ihr seiet seit vielen Jahren in keiner christlichen Gemeinde gewesen, – das ist nicht gut und nicht recht, Norna! – Ihr seid um Eurer Kunst willen, körperliches Leid zu heilen, auf der ganzen Inselflur bekannt; wenn aber die Seele krank ist, dann sollen wir uns auch an den Seelenarzt wenden.«

Norna hatte sich langsam aus der gebückten Stellung, in der sie bisher gesessen, aufgerichtet, warf jetzt den Mantel zurück und rief mit schäumender Lippe, blitzendem Auge und weit ausgestrecktem Arme – in einem Tone, der keiner menschlichen Stimme, sondern dem Schrei eines geängstigten Tieres glich: »Ich soll zu einem Priester gehen? mit einem Priester sprechen? ... Soll denn der fromme Mann vor Schrecken des Todes sein? Soll, wenn ich in eine christliche Gemeinde trete, das Dach auf sie niederstürzen? soll ihr Blut sich mit ihrer Andacht mischen?«

Die ungewöhnliche Heftigkeit der Unglücklichen brachte Mordaunt auf einen in diesem abergläubischen Lande, zu jener abergläubischen Zeit allgemein verbreiteten Glauben... »Unglückselige!« rief er, »Hast Du Dich wirklich mit den Mächten der Finsternis verbündet, warum solltest Du nicht bereuen können? Doch tue, was Du willst, als Christ kann und darf ich nicht länger in Deiner Nähe weilen. Da, nimm Deine Gabe wieder zurück,« setzte er hinzu, indem er ihr die Kette wiedergeben wollte; »ist mir vielleicht auch nicht Böses schon durch sie entstanden, – auf Gutes werde ich nie durch sie rechnen dürfen!«

Norna hatte, vielleicht durch den Ausdruck des Schreckens, der aus Mordaunts Gesicht sprach, ihre Ruhe wieder gefunden ... »Törichter Knabe,« sprach sie, »höre, was ich Dir jetzt sage – zu denen, die mit dem Freunde des Menschengeschlechtes einen Bund geschlossen oder durch seine Hilfe Wissen und Macht erhalten, gehöre ich nicht – und obgleich die überirdischen Mächte durch ein Opfer gewonnen wurden, das die menschliche Zunge nie aussprechen kann, so ist doch, Gott weiß es, meine Schuld an diesem Ort nicht größer als die des Blinden, der von dem Abhang stürzt, den er weder sehen, noch meiden konnte. Mordaunt Mertoun, verlaß mich nicht in dieser schwachen Stunde! Bleibe bei mir, bis die Versuchung gewichen ist, oder ich stürze mich in jenen See, um meiner Gewalt und meinem Elende zugleich ein Ende zu machen.«

Mordaunt, der dieses seltsame Weib nie anders als – zufolge des Wohlwollens, das sie ihm schon früh erwiesen – mit Zuneigung betrachtet hate, ließ sich leicht bestimmen, ihr weiter zuzuhören, hoffte er doch, daß sie ihrer Bewegung nach und nach Herr werden würde! Und diese Hoffnung sollte ihn nicht trügen, denn früher, als er gedacht, schien sie den Sieg über sich errungen zu haben und redete jetzt wieder in ihrer sonstigen festen, gebietenden Weise.

»Nicht von mir, Mordaunt, wollte ich mit Dir sprechen, als ich von dem Gipfel jenes grauen Felsens dort zu Dir herniederstieg, steht doch mein Schicksal unabänderlich fest in Freud und Leid – habe ich für mich selbst doch wenig noch zu wünschen oder hoffen: aber für die, die sie liebt, hegt Norna vom Fitful-Head noch immer die Empfindungen, die sie an das Menschengeschlecht ketten. Höre mich, ich kenne einen Adler, den stolzesten, der in luftigen Höhen baut, und in dieses Adlers Horst hat sich ein Otter geschlichen... Willst Du den Wurm zertreten und die edle Brut des Gebieters der nordischen Himmel retten?«

»Du mußt deutlicher sprechen, Norna, wenn ich Dich verstehen soll,« sagte Mordaunt. »Denn Rätsel kann ich nicht lösen.«

»Wohl denn, ohne Gleichnis – Du kennst die Familie von Burgh-Westra – die lieblichen Töchter des wackern alten Udallers – Minna und Brenda – meine ich. Du kennst und liebst sie...«

»Ich kenne sie, Mutter,« erwiderte Mordaunt; »und ich habe sie geliebt, niemand weiß das besser als Ihr.« »Sie einmal gekannt haben,« sagte Norna mit Wärme, »heißt, sie immer gekannt haben; und wer sie einmal geliebt hat, der liebt sie für immer.«

»Sie einmal geliebt haben, Mutter, heißt, ihnen Gutes für immer wünschen,« erwiderte der Jüngling; »nichts weiter. Wenn ich offen mit Dir reden soll, Norna, so haben mich die Leute von Burgh-Westra jüngst völlig vernachlässigt. Aber gib mir Mittel, ihnen zu helfen, und ich will Dir beweisen, wie dankbar ich bin für erwiesenes Wohlwollen, wie rasch ich Kälte vergesse, die auf das Wohlwollen folgte.«

»Wohl gesprochen,« sagte Norna; »und ich will Dich auf die Probe stellen; Magnus Troil nährt eine Schlange an seinem Busen, und seine lieblichen Töchter werden den Künsten eines Niederträchtigen zur Beute fallen.«

»Ihr meint den Fremden – den Cleveland?« fragte Mordaunt.

»Ich meine den Fremden, der sich diesen Namen gibt, den Fremden, den wir wie ein Bündel Seetang am Fuße des Vorgebirgs von Hafra fanden. Mir sagte die Stimme meines Herzens, ich solle ihn der Flut lassen – Du ersticktest die Stimme in mir – jetzt aber bereue ich, ihr nicht Folge geleistet zu haben.« »Ich aber,« sagte Mordaunt, »kann nicht bereuen, meine Schuldigkeit als Christ getan zu haben. Und welches Recht hätte ich zu wünschen, daß die Sache anders läge, als sie liegt? Wenn Minna, Brenda, Magnus und die übrigen den Fremden lieber haben als mich, so habe ich kein Recht, mich dadurch gekränkt, zu fühlen; wollte ich mich mit ihm vergleichen, verdiente ich ausgelacht zu werden.«

»Gut; ich glaube, sie sind Deiner uneigennützigen Freundschaft trotz allem auch wert.«

»Ich aber, Mutter, sehe bei dem allen nicht,« fuhr Mordaunt fort, »worin ich den Leuten nützlich sein kann. Eben habe ich von Bryce Snailsfoot erfahren, daß dieser Cleveland in Burgh-Westra alles gilt. Wo ich nicht willkommen bin, möchte ich mich weder eindrängen, noch mein bescheidenes Verdienst dem eines andern Mannes an die Seite stellen. Er kann ihnen von Schlachten erzählen, ich nur von Vogelnestern – er kann ihnen sagen, wieviel er Franzosen erschossen hat, ich nur, wieviel Seehunde – er trägt prächtige Kleider und hat ein männlich-schönes Gesicht; ich gehe schlicht und sehe schlicht aus.«

»Du tust Dir unrecht,« sagte Norna; »Dir selbst, und noch größeres den beiden Mädchen, Minna und Brenda; verlaß Dich nicht auf des Hausierers Rede, denn er ist wie der gierige Walfisch und taucht um der kleinsten Münze willen, die ein Fischer in das Meer wirft, unter. Gewiß ist aber, daß dieser schlimme Mensch daran schuld ist, daß Du bei Magnus Troil nicht mehr so gut angeschrieben stehst, wie früher. Er mag sich aber in acht nehmen, denn ich lasse ihn nicht außer acht!«

»Und warum,« – fragte Mordaunt – »sagt Ihr Magnus Troil nicht das, was Ihr mir soeben gesagt habt?«

»Weil die,« erwiderte Norna, »welche sich selbst weise dünken, nur durch Erfahrung klug werden. Erst gestern hab ich mit Magnus gesprochen, und was hat er mir zur Antwort gegeben? Gute Norna,du wirst alt! – Und das hab ich mir von jemand anhören müssen, der durch so viel so enge Bande an mich gefesselt ist –, hab's anhören müssen von dem Abkömmlinge der alten Norwegsgrafen – von Magnus Troil – und das hat er jemand zuliebe gesagt, den das Wasser wie Seegras ausspie! Da er den Rat der Alten verschmäht, mag er sich raten lassen von den Jungen; es ist aber nur recht und in Ordnung, daß er seiner eigenen Torheit nicht überlassen wird... Geh also an des Täufers Fest, wie sonst, nach Burgh-Westra.«

»Man hat mich nicht geladen – denkt nicht an mich – sieht mich vielleicht gar nicht einmal an, wenn ich komme; und doch war ich, Mutter, wenn ich die Wahrheit sagen soll, dorthin unterwegs.«

»Es war ein guter, vernünftiger Einfall von Dir,« sagte Norna; »wir besuchen den Freund, wenn er körperlich leidet; warum sollten wir ihn unbesucht lassen bei seelischem Leide? Geh hin nach Burgh-Westra! geh! Vielleicht treffen wir uns dort; jetzt aber scheiden sich unsere Wege... Gott befohlen! doch sprich zu niemandem von dieser Begegnung.«

Sie trennten sich. Mordaunt, die Augen auf Norna gerichtet haltend, blieb an dem See stehen, bis ihre hohe, dunkle Gestalt sich in den Krümmungen des Tales, das sie durchschritt, verlor; dann kehrte er, willens einen Rat zu befolgen, der mit seinen Wünschen in so völligem Einklänge stand, nach dem Vaterhause zurück.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Pirat. Band 1