Siebentes Kapitel - Zwischen Stourbourgh und Jarlshof lagen zehn "stramme Meilen schottisch" ...

Siebentes Kapitel.

Zwischen Stourbourgh und Jarlshof lagen zehn »stramme Meilen schottisch« – und wenn auch dem jungen Wanderer nicht, all jene Hindernisse in den Weg traten, die Tam–o'–Shanter auf seinem berühmten Rückmarsch vom Ayr begegneten, – so brauchte er doch soviel Zeit, die, die er fand, zu überwinden, daß er erst gegen elf Uhr nachts Jarlshof erreichte. – Rings um das Haus war alles still und finster, und er bekam erst Antwort, als er ein paarmal unter Swerthas Fenster gepfiffen hatte.


»Wer klopft denn zu solcher nächtlichen Stunde?« fragte sie, nachdem sie beim ersten Tone noch traumumfangen gemeint hatte, der junge Walfischfahrer sei es wieder, der einst vor vierzig Jahren bei ihr »gefensterlt« und sich immer durch Pochen gemeldet hatte – beim zweiten Schlag munter geworden war – und beim dritten sich erinnerte, daß Johnie Fraja schon viele, viele Jahre unter Grönlands Eise begraben liege. –

»Ich bin's,« antwortete der Jüngling.

»Und warum kommt Ihr nicht herein? Die Tür ist ja nur eingeklinkt, und im Herde glimmt Torf und ein Span liegt auch daneben.«

»Ganz gut und schön,« versetzte Mordaunt, »aber ich wollte wissen, wie es dem Vater geht.«

»Wie immer geht's – gefragt hat er nach Euch, der brave Herr – Ihr solltet doch nicht so weite und lange Spaziergänge machen, junger Herr.«

»Die finstere Stunde ist vorüber, Swertha?« fragte er.

»Jawohl, Herr Mordaunt,« antwortete die Haushälterin, »der Vater ist sogar recht vernünftig und gutmütig. Ich habe gestern zweimal mit ihm gesprochen; zuerst gab er die höflichste Antwort; dann sagte er, ich möchte ihn in Ruhe lassen, und da sagte ich mir, aller guten Dinge seien doch immer drei – und versuchte es noch einmal, aber da schalt er mich einen schwatzhaften alten Drachen.« »Genug, Swertha, genug,« rief Mordaunt, »nun steh aber auf und schaffe mir etwas zu essen, denn ich habe sehr schlecht heute zu Mittag gegessen.«

»Dann seid Ihr gewiß bei den neuen Leuten in Stourbourgh gewesen, denn ich wüßte sonst kein Haus auf all unsern Inseln, wo man Euch nicht das Beste vom Besten gäbe. Habt Ihr Norna vom Fitful-Head gesehen? Sie ging heute früh nach Stourbourgh, ist aber am Abend zurückgekommen.«

»Zurückgekommen? Also hier? Aber wie hat sie drei reichliche Meilen in so kurzer Zeit zurücklegen können?«

»Wer kann denn sagen, wie sie Wege zurücklegt?« antwortete Swertha. – »Aber gehört hab ich's mit eigenen Ohren, wie sie es dem Ranzelmann sagte, sie ginge heute nach Burgh-Westra, um mit Minna Troil zu sprechen, daß sie aber in Hafra – denn Stourbourgh nennt sie es nie – was gesehen hätte, das sie wieder hierher zurückzukommen bestimmte. Aber geht nur herein, Ihr sollt schon was zu essen finden.«

Mordaunt ging nach der Küche, und Swertha sorgte für ein reichliches, wenn auch einfaches Mahl, das ihn für die karge Stourbourgher Kost schadlos hielt.

Frühzeitig stand Mordaunt auf, aber doch, da er sich etwas erschöpft fühlte, später als gewöhnlich, so daß er, was sonst nicht der Fall war, seinen Vater bereits in dem Zimmer fand, wo sie zu essen pflegten.

»Du bist gestern nicht dagewesen, Mordaunt,« sagte der Vater, denn der Sohn wartete ehrfurchtsvoll, bis er angesprochen wurde – er war über acht Tage abwesend gewesen, hatte aber wiederholt bemerkt, daß seinem Vater, wenn er in seiner trüben Stimmung war, der richtige Zeitbegriff abhanden kam. Er sagte also einfach »Ja« auf die Frage des Vaters.

»Bist in Burgh-Westra gewesen, nicht wahr?« fragte der Vater wieder.

»Ja!« antwortete Mordaunt wieder.

Der Vater ging eine Zeitlang schweigend auf und ab – mit einem Gesicht so düster, wie wenn er wieder in seine Trübnis verfallen wollte. Plötzlich aber wandte er sich gegen seinen Sohn mit der Frage: »Magnus Troil hat zwei Töchter, – sie müssen schon erwachsen sein und gelten für schön; nicht wahr?«

»Ja, Vater, man hört so,« sagte Mordaunt, verwundert, daß der Vater sich nach Angehörigen eines Geschlechtes erkundigte, dem er im allgemeinen nicht wohlgesinnt war – aber seine Verwunderung wuchs noch bei der weitern Frage aus Vaters Munde, die ebenso kurz wie die erste gestellt wurde ...

»Und welche hältst Du für die schönere?«

»Ich, Vater,« antwortete der Sohn, nicht ohne Verlegenheit; »wahrhaftig! darüber kann ich nicht urteilen; ich habe noch keinmal darüber nachgedacht – sind doch beides hübsche Mädchen.«

»Du weichst der Frage aus, Mordaunt, und doch habe ich vielleicht Gründe, die es mir wünschenswert erscheinen lassen, Deinen Geschmack zu kennen. Unnütze Worte mache ich nicht gern. Ich frage Dich noch 'mal, welche von Magnus Troils Töchtern hältst Du für die schönere?«

»Aber, Vater« – antwortete Mordaunt – »Sie stellen mir solche Frage doch nur aus Scherz?«

»Junger Mensch,« entgegnete Mertoun, dessen Augen ungeduldig zu rollen anfingen, »ich frage nie zum Scherz, verlange aber Antwort auf meine Frage.«

»Ja, da wird mir die Antwort schwer, Vater, wenn nicht unmöglich,« sagte Mordaunt, »denn, wie gesagt, sie sind beide hübsch, jede auf ihre Art – doch sich durchaus nicht ähnlich – Minna ist dunkel und ernster als ihre Schwester, aber nicht grämlich oder gar düster.«

»Hm,« sagte der Vater: »Du bist ernst gezogen; also gefällt Dir Minna am besten?«

»Nein, Vater, ich kann ihr keinen Vorzug vor Brenda, ihrer Schwester, geben, die fröhlich ist wie ein Lamm am Frühlingsmorgen; nicht so groß wie ihre Schwester, doch ebenso schön gebaut und eine vortreffliche Tänzerin.«

»Die sich am besten schickte, einen jungen Menschen, dem bei seinem trübsinnigen Vater zu Hause die Zeit lang wird, aufzuheitern,« sagte Mertoun.

Mordaunt war es an seinem Vater gewöhnt, daß er ein Thema, das seiner Gedankenrichtung wenig entsprach, nach allen Seiten hin ausspann; er begnügte sich deshalb noch einmal, zu sagen, daß die beiden Mädchen Muster von Schönheit seien, daß er sie aber nie miteinander in Parallele gestellt habe, und daß mithin manch anderer vielleicht besser auf solche Frage Antwort geben könnte als er, zumal er bei keiner eine auszeichnende Eigenschaft zu nennen wüßte, die nicht durch eine andere Eigenschaft der andern aufgewogen würde.

Wohl möglich, daß die Ruhe, mit der Mordaunt diese Antwort gab, dem Vater die gewünschte Befriedigung nicht brachte; Swertha trat aber jetzt mit dem Frühstück ein, und Mordaunt langte trotz der späten Stunde so kräftig zu, daß der Vater bald einsehen lernte, die Fragen, die er ihm gestellt, gälten ihm weit geringer. Die Hand über die Augen haltend, sah er dem Jüngling unverwandt zu; keine Bewegung desselben verriet indes Befangenheit oder das Bewußtsein, beobachtet zu werden; alles vielmehr an ihm war frei, ungezwungen, offen...

»Sein Gemüt ist noch rein und lauter,« sagte Mertoun vor sich hin; »seltsam, daß ein hübscher, munterer, junger Mensch in seinen Verhältnissen Schlingen entgangen sein sollte, in denen sich doch die ganze Welt fängt.«

Nach beendigter Mahlzeit hieß der Vater nicht, wie es sonst bei ihm Gewohnheit war, den Sohn zu diesem oder jenem Studium greifen, sondern nahm Hut und Stock, forderte Mordaunt auf, mit ihm aufs Vorgebirge hinauszuwandern, da er sich das Meer ansehen wolle, das von dem Sturme des vorigen Tages noch in großer Bewegung sein müßte. Mordaunt, noch in dem Alter, wo der Mensch alle sitzende Arbeit gern mit Beschäftigung im Freien vertauscht, sprang sogleich auf, des Vaters Befehl zu gehorchen; und nach wenigen Minuten schon stiegen sie den Hügel hinan, der von der Landseite her einen langen, steilen, mit Gras bestandenen Abhang bildete, vom Gipfel aber zum Meere hinunter in einem schroffen, grausigen Schlunde abstürzte. Es war ein wunderschöner Tag – die Luft ging nur leise noch, so daß sich die Wölkchen, die noch am Himmel sichtbar waren, kaum bewegten – über der kahlen endlosen Landschaft lag etwas wie ein Zauber, der – eine Wirkung des Wechsels zwischen Licht und Schatten, – ihr zeitweilig etwas von der Mannigfaltigkeit eines wohlausgebauten Kulturbodens lieh, und doch war alles bloß wildes Moor, und Felsen und Buchten breiteten sich immer weiter vor ihnen aus, je höher sie hinanklommen.

Der Vater blieb oft stehen und sah sich um – eine Zeitlang glaubte der Sohn, in der Absicht, die Schönheit des Bildes zu genießen, während des Steigens aber ward er inne, daß des Vaters Atem kürzer und seine Schritte schwank und schwer wurden; nicht ohne Unruhe erkannte er, daß ihn das Bergsteigen stärker angriff als ehedem. Ohne ein Wort zu sprechen, reichte er ihm den Arm, und schweigend nahm der Vater die dargebotene Hilfe, indes nur einige Minuten; denn plötzlich, beinahe rauh, stieß er den Sohn von sich, und als ob ihm irgend ein Gedanke, der ihm einfiel, doppelte Kräfte liehe, stieg er mit so großen und schnellen Schritten weiter hinauf, daß es dem Sohne schwer wurde, ihm zur Seite zu bleiben. Er kannte den Vater zur Genüge und wußte, daß ihn derselbe, trotz aller Fürsorge, die er auf seine Erziehung wandte, eigentlich nicht liebte – der Vater aber schien den garstigen Eindruck nicht zu bemerken, den seine Unfreundlichkeit auf die Empfindungen seines Sohnes hervorbrachte. Sie hatten inzwischen den Kamm erreicht. Hier blieb der Vater stehen und sagte in einem gleichgültigen Tone, der sich nicht natürlich anhörte:

»Mordaunt, da Dir so wenig daran liegt, auf diesen wilden Inseln zu bleiben, hast Du wohl schon daran gedacht, Dich einmal in der Welt umzusehen?«

»Ich könnte nicht sagen, Vater,« erwiderte Mordaunt, »daß mir solcher Einfall schon einmal gekommen wäre.«

»Und warum nicht, Junge?« fragte der Vater; »ich dächte, in Deinem Alter wäre er nur natürlich. Mir wenigstens konnte, als ich so alt war wie Du, das schöne lachende England kaum genügen, geschweige denn solches Torfmoor wie dieses.«

»Shetland zu verlassen, Vater, ist mir nie in den Sinn gekommen,« versetzte Mordaunt, »ich fühle mich hier wohl und glücklich und habe Freunde. Und auch Dir, Vater, möchte ich wohl zuweilen fehlen ...«

»Daß Du aus Liebe zu mir hier bleibst oder bleiben wollest,« erwiderte der Vater barsch, »wirst Du mir doch nicht einreden wollen?«

»Warum nicht, Vater?« sagte Mordaunt ruhig – »ich hielt es für Kindespflicht und habe, wie ich hoffe und wünsche, bis jetzt nicht dagegen verstoßen.«

»Ja so,« wiederholte der Vater in gleichem Tone, »Deine Pflicht – Deine Kindespflicht – ist's ja auch Hundespflicht, an demjenigen Diener vom Hause zu hängen, der ihn füttert.«

»Und tut er nicht immer so?« sagte Mordaunt.

»Ja doch,« sagte der Vater, den Kopf abwendend, »aber zu wedeln pflegt er nur bei Leuten, die ihn liebkosen.«

»Ich kann mich nicht besinnen,« sagte der Sohn, »daß ich es an Liebe hätte fehlen lassen.«

»Nichts mehr davon,« rief Mertoun kurz; »wir haben beide lang füreinander getan, was sein mußte, und – wir müssen uns nun trennen, – brauchen wir Linderung im Trennungsschmerze, mag dieser Gedanke sie uns geben.«

»Ich werde nie ermangeln, Ihren Wünschen gerecht zu werden,« sagte Mordaunt, mit der Aussicht, die Welt zu sehen, nicht unzufrieden; »ich soll doch sicher mit einer Walfischfahrt den Anfang machen?« »Walfischfahrt?« wiederholte der Vater: »ei, das wäre der rechte Weg, die Welt zu sehen; aber Du redest, wie Du es verstehst – lassen wir die Sache! Wo hast Du in dem Sturme gestern Unterkommen gefunden?«

»In Stourbourgh, beim neuen Verwalter aus Schottland,«

»Ein pedantischer, überspannter Pläneschmied,« sagte Mertoun; »und wen trafst Du dort?«

»Seine Schwester,« erwiderte Mordaunt; »und die alte Norna vom Fitful-Head.«

»Was! die Norna? die soviel Zaubersprüche kennt?« versetzte Mertoun mit höhnischem Lächeln, »die den Wind wenden kann, wenn sie ihr Kopftuch auf die Seite zieht, wie König Erich, wenn er die Mütze wendete? Die Frau macht große Touren – wie geht es ihr? Hat sie schon Reichtümer damit erworben, daß sie denen, die in den Hafen einlaufen wollen, günstigen Wind verkauft?«

»Ich weiß es nicht, Vater,« sagte Mordaunt, den gewisse Erinnerungen abhielten, auf diese Stimmung einzugehen.

»Du meinst, die Sache sei zu ernst für Scherze, vielleicht auch die Ware zu gering, sich darum zu härmen,« fuhr Mertoun mit dem gleichen Spott fort, »besinne Dich aber genauer! Wird nicht alles in der Welt gekauft und verkauft; warum nicht der Wind, wenn der Kaufmann Käufer dafür finden kann? Die Erde ist verpachtet, von ihrer Oberfläche bis zu den Bergwerken in ihrem Innersten; das Feuer und die Mittel, es zu nähren, werden gekauft und verkauft; die Armen, die das wilde Meer mit ihren Netzen durchschiffen, bezahlen das Vorrecht des Ertrinkens mit einem Zoll . . . Weshalb sollte die Luft von dem allgemeinen Handel ausgeschlossen bleiben? Alles über der Erde hat seinen Preis, seine Käufer, seine Verkäufer. In vielen Läden verkaufen Dir die Priester einen Teil des Himmels, – in allen Ländern sind die Menschen bereit, die Hölle zu kaufen für Gesundheit, Reichtum, Gewissensfreiheit: warum sollte Norna nicht auch den Handel treiben, der ihr paßt?«

»Ich wüßte keinen Grund dagegen,« versetzte Mordaunt, »nur meine ich, es wäre besser, sie schlüge ihre Ware in kleinen Mengen los. Gestern trieb sie Großhandel, und wer sich mit ihr einließ, bekam für sein Geld zu viel.«

»So ist es,« sagte der Vater, am Rande des wilden Vorgebirges stehen bleibend, das sie erreicht hatten; »die Spuren davon sind noch sichtbar!«

Als Vater und Sohn von der aus weichem, bröckligem Sandstein bestehenden Höhe auf das Meer hinunterschauten, schlug die Flut noch dröhnend wider das Ufer, und das Auge schwindelte, wenn es in die Wogen hinabblickte, die allem, was in ihre Gewalt geriet, mit jäher Zerstörung drohten. Der Anblick der Natur in ihrer Pracht, in ihrer Schönheit, oder in ihrem Schrecken hat immer etwas Ueberwältigendes, dessen Eindruck selbst die Gewohnheit nicht schwächen kann; und Vater und Sohn setzten sich auf die Klippe, dem ungemessenen Kampf der Wogen, die noch immer gegen den Schlund des Ufers rasten, zuzuschauen.

Auf einmal sprang Mordaunt, dessen Auge schärfer, dessen Aufmerksamkeit wahrscheinlich reger war, als die seines Vaters, empor und rief: »Gott im Himmel, ein Fahrzeug im Rooft!«

Mertoun blickte nach Nordwesten und sah einen Gegenstand in der schäumenden Flut... »Es zeigt kein Segel,« sagte er, und gleich darauf, als er durch sein Fernglas gesehen hatte, fügte er hinzu: »Es ist entmastet und liegt als Wrack auf dem Wasser.«

»Und treibt auf Sourbourgh-Head zu,« rief Mordaunt entsetzt, »ohne jede Hilfe, das Vorgebirge zu umschiffen.«

»Es liegt tot,« sagte der Vater, »wahrscheinlich ist es von der Mannschaft verlassen.«

»An einem Tage, wie gestern,« sagte Mordaunt, »in einem Sturm wie gestern, wo kein offenes Boot die See halten konnte, müßten alle, auch die besten Leute, die je ein Ruder geführt, in die Tiefe gegangen sein.«,

»Sehr wahrscheinlich,« erwiderte sein Vater mit ernster Fassung, »aber später oder früher hätten doch alle untergehen müssen. Was liegt daran, ob der große Vogelsteller, dem nichts entrinnt, sie auf einmal oder einzeln in seine Krallen bekam? Was liegt daran? Schiffsdeck und Schlachtfeld haben nicht mehr Gefahr für uns als Tisch und Bett, und der Mensch entgeht dem einen nur, um, bis er im andern stirbt, ein armseliges Dasein weiter zu fristen. Ich wollte, die Stunde wäre auch für mich schon da! ... Kind, Du wunderst Dich über solche Betrachtungen, weil Dir das Leben noch neu ist; doch auch mit Deinen Gedanken werden sie, ehe Du mein Alter erreichst, verwachsen sein.«

»Ein solcher Widerwille gegen das Leben,« erwiderte Mordaunt, »ist doch nicht eine notwendige Folge vorgerückten Alters?«

»Für solche, die Verstand genug besitzen, es nach dem wirklichen Werte zu schätzen, doch!« antwortete Mertoun; »solche wie Magnus Troil, die infolge ihrer tierischen Neigungen Geschmack an der Sinnesbefriedigung finden, werden vielleicht, wie die Tiere, schon durch das Dasein an sich satt.« Mordaunt gefiel weder Rede noch Beispiel. Er war der Ansicht, daß ein Mann, der seine Pflichten gegen andere so redlich erfüllte wie der gute alte Udaller, auf seinen Platz an der Sonne ganz ebensoviel, wenn nicht größeres Anrecht habe als andere, die mit Fühllosigkeit prunkten. Aber er wußte, daß Disputieren den Vater aufbrachte; deshalb schwieg er und wendete seine Aufmerksamkeit abermals auf das Wrack.

Mehr als Wrack war es wohl kaum, was jetzt in der Mitte der Strömung trieb, dem Fuße der Klippe zu, an deren Rand sie standen. Aber geraume Zeit verging noch, bis sie das Ding wirklich erkennen konnten, das sie zuerst nur als schwarzen Fleck im Wasser gesehen hatten – das, näher kommend, Aehnlichkeit mit einem Walfisch aufwies, der bald die Rückenflosse über das Wasser hebt, bald seine große schwarze Seite zeigt, – das aber jetzt deutlich die Gestalt eines Schiffes zeigte, das von den gewaltigen Wogen, die es der Küste zutrugen, bald über den Spiegel des Meeres gehoben, bald in seine Tiefen hinuntergerissen wurde. Es war ein Schiff von zwei- bis dreihundert Tonnen, zur Verteidigung eingerichtet, denn man konnte die Stückpforten sehen; in dem Sturme am vorigen Tage mochte es die Masten verloren haben, und trieb nun voll Wasser auf den Wellen, eine Beute ihrer Wut. Die Mannschaft schien die Unmöglichkeit, das Schiff zu lenken oder durch Pumpen zu retten, erkannt und in den Booten Zuflucht gesucht zu haben, ihr Schiff seinem Schicksal überlassend ... Und doch konnten Mertouns, Vater und Sohn, nicht ohne ein Gefühl von Beklommenheit dies Schiff betrachten, jenes seltene Meisterstück menschlichen Geistes, das den Sohn der Erde zum Herrn über die Welt macht, das ihn in stand setzt, mit Wind und Sturm auf den Wogen zu kämpfen, und doch jeden Augenblick in Gefahr setzt, von ihnen zerschellt und verschlungen zu werden.

Jetzt kam sie heran, die große, schwarze Masse, mit jeder Fadenlänge an Größe wachsend, auf einer mächtigen Woge getragen, die jetzt samt ihrer Last gegen den Felsen prallte; die Elemente hatten über das Werk von Menschenhand den Sieg errungen – noch einmal trat das zertrümmerte Schiff in seiner vollen Größe in Sicht, als es wider die Wand getragen wurde – als aber die Woge zurück von der Wand prallte, trug sie kein Schiff mehr, nur Balken, Planken, Tonnen, Trümmer ...

Da war es Mordaunt mit einem Male, als sähe er auf einer Planke oder einem Fasse einen Menschen abwärts von der Hauptströmung auf eine seichtere Stelle zu treiben, wo sich die Wellen mit geringerm Ungestüm brachen ... »Er lebt noch – er kann noch gerettet werden!« rief der Jüngling – in der andern Sekunde schwang er sich von der Platte auf einen Vorsprung, – mehr einem Sturze glich der Schwung als einem Sprunge – und, die Spalten, Risse, Zacken des Felsens benutzend, klomm er hinunter in die Tiefe.

»Halt, unbesonnener Knabe!« rief der Vater, »dieses Wagestück bringt Dir den Tod .. Halt, ich befehle es Dir – und nimm den sichern Pfad zur Linken.«

Aber Mordaunt war schon zu weit vorwärts gedrungen, um noch zurück zu können ...

»Und warum sollte ich ihn hindern?« sagte der Vater, dessen strenge Denkweise keine Sorge aufkommen ließ. »Fände er jetzt den Tod in dem edlen großen Gefühle, durch Aufgebot seiner besten Kräfte die Rettung eines Mitmenschen versucht zu haben – fände er jetzt den Tod: entrönne er dann nicht Menschenhaß, Gewissensbissen, Alter, und der Empfindung der von Seele und Leib schwindenden Kraft? – Aber den Blick muß ich von dem Vorgange abwenden – denn ich kann nicht Zeuge sein, wie diese jugendliche Flamme jäh verlischt.«

Er trat von dem Abhange zurück, in eine Spalte zur Linken, »Erichs Stufen« genannt, die zwar weder sicher noch bequem, aber der einzige Pfad war, den die Bewohner von Jarlshof einschlugen, wenn sie an den Fuß des Felsens gelangen wollten.

Lange vor Mertoun, der nun das obere Ende des Pfades erreichte, hatte sein kühner, gewandter Sohn das gefahrvolle Unternehmen vollführt, das er begonnen – alle Schwierigkeiten, die er auf der Höhe nicht geahnt, bis zur grausen Tiefe hinunter besiegend – mehr denn einmal glitt sein Fuß auf der weichen, bröckligen Masse; Blöcke, auf denen er fußen wollte, rutschten mehr denn einmal und rollten in das Meer oder stürzten ihm nach, als ob sie ihn mit sich reißen wollten ... Sieben lange, bange Minuten, – dann stand er am Fuße der Klippe auf einem kleinen, von Steinen, Sand und Kies gebildeten Vorsprung, der sich in die See, die den Fuß der Klippe bespülte, hinausstreckte, – bis hin zu dem Fuße zur Linken, den »Erichs-Stufen«, auf denen sein Vater den Abstieg versuchte.

Als das Schiff zerschellte, hatte das Meer alles verschlungen, was nach dem letzten Stoße noch auf den Wellen trieb, ein paar Trümmer ausgenommen, die ein starker Strudel dort an das Land geworfen hatte, wo Mordaunt jetzt stand. Darunter entdeckte sein scharfes Auge bald das Ding, das zuerst seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und das er jetzt in der Nähe wirklich für einen Menschen in verzweifeltster Lage erkannte – der die Arme krankhaft um den Pfosten geschlungen hielt, an den er sich im Augenblick des Ertrinkens geklammert hatte, – dem das Bewußtsein fehlte, – der keiner Bewegung mehr fähig war – und dessen Tod jetzt unvermeidlich schien.

Mordaunt sah es – Mordaunt sah die Woge nahen, die den Unglücklichen ins Meer hinaus führen mußte, wenn sie ihn beim Rückprall von der Felswand faßte – und im andern Momente rang Mordaunt mit der Brandung um den Körper; aber die Stärke der zurückrollenden Wogen war größer, als er gerechnet hatte, er mußte einen harten Kampf bestehen für sein eigenes und des Fremden Leben, um nicht in das offene Meer hinausgetrieben zu werden, wo er, trotzdem er ein gewandter Schwimmer war, von der Flut unrettbar entweder zerschmettert oder in die Tiefe hinunter gerissen worden wäre .. doch Mordaunt hielt stand mit übermenschlicher Kraft – und entrang der Flut den Leib; denn ehe die zweite Welle zum Angriff wiederkehrte, hatte er Leib und Planke auf den Streifen trocknen Sandes gezogen, der ihm am Fuße der Klippe als erster Standort gedient hatte ... Wie aber den Funken des verlöschenden Lebens festhalten – wie ihn anfachen – wie den Unglücklichen, den fast schon Todesstarre befallen, – an einen sicheren Ort schaffen? Das waren Fragen, auf die Mordaunt keine Antwort fand. Er blickte zur Spitze der Klippe hinauf, wo er den Vater zurückgelassen, und rief diesen um Beistand an; sein Auge aber konnte ihn nicht entdecken, und nur Geschrei von Seevögeln gab ihm Antwort ... Noch einmal blickte er den Schiffbrüchigen an; er trug ein nach der Art jener Zeit reich mit Tressen besetztes Kleid, feines Linnen und Ringe an den Fingern: Dinge, welche bewiesen, daß es ein Mann von hohem Range sei; sein bleiches, entstelltes Gesicht zeigte Jugend und Anmut; er atmete noch, aber so schwach, daß man kaum eine Spur von Hauch bemerken konnte; das Leben schien nur noch an einem dünnen, dünnen Faden zu hängen, der zu zerreißen drohte, wenn er nicht bald Halt fand oder verstärkt würde. Ihm die Halsbinde lösen, das Gesicht gegen den Wind drehen, ihn mit den Armen stützen, war alles, was Mordaunt zu seinem Beistande tun konnte, während er sehnlichst nach jemandem ausschaute, der ihm hälfe, den Unglücklichen an einen sichern Platz zu schleppen ...

Da sah er einen Mann langsam und vorsichtig am Ufer entlangkommen. Im ersten Augenblick meinte er, es sei sein Vater; doch gleich darauf fiel ihm ein, daß dieser den weiteren Weg, den er genommen, noch nicht zurückgelegt haben könnte; er sah nun auch, daß der Mann kleiner war; und bald erkannte er nun den Hausierer, den er tags vorher in Hafra getroffen und schon bei frühern Gelegenheiten kennen gelernt hatte.

»Holla, Bryce! hierher, Bryce!« rief er, so laut er konnte – der Hausierer aber dachte nur an Trümmer, die er aus dem Meere fischen könne – und schien der Rufe nicht zu achten; als er aber endlich Mordaunt nahe genug war, daß er dessen Rufe nicht mehr ungehört verhallen lassen konnte, hob er nicht die Hand zur Hilfe, sondern öffnete den Mund, um Mordaunt zu schmähen ...

»Seid Ihr toll?« rief er; »habt Ihr darum solange auf Shetland gelebt, daß Ihr es wagen wollt, einen Ertrinkenden zu retten? Wißt Ihr nicht, daß er Euch gewiß ein Leid zufügt, wenn Ihr ihn wieder ins Leben zurückbringt? – Kommt, Mordaunt, und leiht mir Eure Hilfe zu besserer, klügerer Tat! Laßt uns ein Paar von den Kisten am Ufer bergen, ehe andere sie uns wegfischen, und teilen, was Gott uns spendet, und ihm danken für seine Gnade.«

Mordaunt, mit dem sonderbaren Aberglauben nicht unbekannt, der in früheren Zeiten wirklich unter den niederen Shetländern herrschte, und vielleicht um so mehr Anhänger fand, als er zum Vorwand dienen konnte, unglücklichen Opfern des Meeres Beistand zu versagen, während man ihre Güter plünderte, – Murdaunt folgte dem Blicke des ehrlichen Handelsmannes und sah nun eine große, starke Schiffskiste, die aus fremdem, scheinbar indischem Holze gezimmert und das Meisterwerk irgend eines Zimmermanns in fernen Landen zu sein schien; denn ihr durch Messingplatten wohlverwahrtes starkes Schloß widerstand allen Anstrengungen des kleinen Mannes, dem es inzwischen gelungen war, sie aus dem Meere ans Land zu ziehen, und allerhand Versuche machte, sie zu öffnen, bis er zuletzt Hammer und Meißel aus seinem Sacke langte und die Haspen loszuschlagen anfing.

Mordaunt, außer sich über die Selbstsucht und Unbarmherzigkeit Snailsfoots, griff nach einem neben ihm treibenden Querholz, bettete den Schiffbrüchigen sanft auf den Sand und trat mit drohender Miene auf den Hausierer zu... »Auf der Stelle hilfst Du mir, den Unglücklichen ins Leben zurückrufen, oder ich zerschlage Dir nicht bloß alle Knochen im Leibe, sondern zeige Dich Unmenschen bei Magnus Troil als Strandräuber an, damit er Dich auspeitschen lasse und von Shetland verbanne.«

Eben hatte sich der Deckel von der Kiste gelöst, und allerhand schöne Sachen, zu Lande wie auf See gut brauchbar – Hemden einfach und mit Spitzen-Manchetten, ein silberner Kompaß, ein Degen mit silbernem Griffe, und andere Gegenstände von Wert, – traten vor die gierigen Augen des Hausierers, der sich über ihren Handelswert keine Sekunde im Zweifel befand – da drang ihm Mordaunts Drohung in die Ohren – und fuchswild, sich über solch schöner Beute gestört zu sehen, wollte er eben aufspringen und seinen Degen ziehen, der zugleich Stoß und Hiebdegen war – schon hatte Mordaunt seine Drohung, grimmiger als zuvor, wiederholt und den Hausierer, der zwar klein, aber ein starker vierschrötiger Wicht war und noch in der Vollkraft der Jahre stand, zudem besser bewaffnet war als er, von neuem aufgefordert, ihm bei der Bergung des Schiffbrüchigen zu helfen – schon hatte Bryce Snailsfoot, nach trotziger Antwort, daß er sich das Fluchen verbiete und nicht Hand an sich legen lasse, eher dem jungen Grünschnabel einen Denkzettel geben wolle, an dem er von heute bis Weihnachten zu knabbern haben solle – schon war Mordaunt im Begriff, es darauf ankommen zu lassen und den Mut des Hausierers auf die Probe zu stellen, – als plötzlich hinter ihm eine Stimme ein lautes »Halt!« rief. Es war die Stimme der Norna vom Fitful-Head ... Unbemerkt von dem in Streit geratenen beiden Männern, hatte die Seherin sich ihnen genähert. Laut wiederholte sie »Halt!« und wandte sich drohend an Bryce Snailsfoot: »Leiste dem jungen Mordaunt den Beistand, den er begehrt; denn ich sage Dir, daß Dir besserer Vorteil daraus erwachsen wird als aus der Beute, die Deine Augen blendet.«

»Es ist Leinwand von feinstem Gewebe,« sagte der Hausierer, der schon eins der Hemden mit jener Kennermiene befühlt hatte, mit der Frauen und Sachverständige ein Gewebe taxieren; »stark wie Doppelleinwand. Immerhin will ich Euch, Mutter, zu Willen sein; hätt ich ja auch schon dem jungen Herrn seinen Willen getan,« setzte er hinzu, seinen bisherigen Trotz aufgebend und einen dienstwilligen Ton anschlagend, wie er ihn gegen seine Kunden brauchte, »hätte er bloß nicht gar so gotteslästerliche Flüche ausgestoßen.« Eine Flasche aus der Tasche ziehend, näherte er sich dem Schiffbrüchigen ... »Branntwein von bester Sorte,« sagte er, »und wenn ihn der nicht wieder ins Leben ruft, so weiß ich nicht, was wir machen sollen.« Als wenn er den heilsamen Trank auf seine Güte hin erst noch einmal erproben wolle, setzte er zunächst die Flasche an die eigenen Lippen und wollte eben dem Manne ein Paar Tropfen einträufeln, als er auf einmal mit der Hand zurückfuhr und sagte: »Norna, Ihr bürgt mir für alles, was mir durch ihn und seinetwegen geschehen könnte, wenn ich ihm helfe? – Ihr wißt selbst am besten, Mutter, was für Rede bei den Leuten umgeht.«

Statt einer Antwort nahm ihm Norna die Flasche aus der Hand und rieb dem Schiffbrüchigen Schläfe und Hals, während sie Mordaunt sagte, wie er ihm den Kopf halten müsse, damit er das geschluckte Seewasser von sich geben könne.

Eine Weile sah der Hausierer, ohne ein Hand zu rühren, der Arbeit der beiden zu; dann sagte er: »Na, die schlimmste Gefahr ist ja hinter mir, da er ja nicht mehr im Wasser, sondern am Ufer liegt; am meisten zu fürchten haben ja immer die, die einen Schiffbrüchigen zuerst anfassen. Aber man kann doch nicht mit ansehen, wie dem armen Menschen die Ringe in die Finger schneiden; seine Hand ist ja schon blau, wie ein Krabbenbuckel vorm Kochen.« Mit diesen Worten nahm er eine der kalten Hände, deren Zittern eine Spur von zurückkehrendem Leben verriet, und machte sich an sein Werk der Barmherzigkeit, die Ringe, die ihm von Wert Zu sein schienen, dem Ohnmächtigen von den Fingern zu ziehen.

»Wenn Dir dein Leben lieb ist, laß ab,« rief Norna, ernst die Hand aufhebend, »oder ich gebe Dir was zu kosten, das Dir das Wandern auf unserer Inselflur versalzen soll.«

»Um Gottes willen, Mutter, kein Wort mehr,« antwortete der Hausierer. »Ich will ja alles tun, was Ihr fordert. Es wäre gar zu großes Unglück für mich, wenn ich nicht meinen Handel weiter treiben könnte, der mir mein ehrliches Brot bringt und auch mir sichert, was uns die Vorsehung an die Küste treibt.«

»Dann sei ruhig,« erwiderte die Frau; »und nimm den Mann auf Deine breiten Schultern. An seinem Leben ist viel gelegen, und Dein Lohn soll Dir werden.«

»Lohn tut freilich not,« versetzte der Hausierer, dessen Blicke wieder auf der Kiste und ihrem reichen Inhalt ruhten; »denn ich habe heute mehr eingebüßt, als ich gebraucht hätte, um für den Rest meines Lebens ein Mann zu werden, der sich sehen lassen könnte. Statt dessen muß nun alles hier liegen bleiben, bis es die nächste Flut in die Strömung reißt, hinter denen her, die gestern noch Herren darüber waren.«

»Sei unbesorgt,« sagte Norna »zu statten kommen wird's schon jemand! Sieh, da kommen schon die Aasvögel, die kein minder scharfes Auge haben als Du.«

Der Hausierer sah, tief aufseufzend, Leute aus Jarlshof zum Strande rennen, die sich ihren Anteil an der Beute sichern wollten, die der Sturm ihnen beschert hatte ... »Ja, ja,« sagte er, »die Jarlshofer werden bald aufgeräumt haben, sind sie doch weit und breit bekannt dafür, daß sie keine verweste Ratte zurücklassen – dabei hat keiner von ihnen eine Bohne Verstand für die Ware, die ihm in den Schoß fällt, wie zum Beispiel der alte Ranzelmann Neil Ronaldson, der keinen Fuß zur Predigt hebt, aber zehn Meilen weit humpelt, wenn er hört, daß sein Schiff auf den Strand geraten.«

Norna schien aber solche Gewalt über den Hausierer zu besitzen, daß er nicht mehr zauderte, den Mann, der jetzt deutliche Spuren von zurückkehrendem Leben gab, auf die Schultern zu nehmen, und mit Mordaunts Hilfe am Strande entlangtrug. Einen Moment lang schlug der Fremde die Augen auf, hob die Hand, um auf die Kiste zu zeigen, und schien etwas stammeln zu wollen, worauf Norna sagte: »Schon gut, schon gut! sie soll nicht abhanden kommen,«

An den Erichs-Stufen, die sie hinansteigen mußten, trafen sie die Leute von Jarlshof, die in entgegengesetzter Richtung gekommen waren und Norna ehrerbietig, zum Teil auch scheu und ängstlich, Platz machten.

Kaum ein paar Schritte waren sie hinter ihnen, als Norna sich umdrehte und dem Ranzelmanne, der sich – trotzdem die Angelegenheit mehr in Brauch und Sitte, als auf gesetzlichem Boden fußte, – den Leuten aus dem Orte angeschlossen hatte, zurief: »Neil Ronaldson, höre, was ich dir sage: Von dem Kasten dort, dessen Deckel eben abgesprengt worden, wird nichts genommen! Du stehst mir dafür, daß er unversehrt nach Deinem Hause in Jarlshof gebracht wird. Des Todes ist, der einen Blick hineintut!«

»Euer Wille soll unser Gesetz sein, Mutter,« sagte Ronaldson; »ich stehe dafür ein, daß alles geschehen soll, wie Ihr es wünschet,«

Weit hinter den andern aus dem Dorfe her kam eine Greisin gehumpelt, im lauten Selbstgespräch ihre Gebrechlichkeit verwünschend, aber mit aller Kraft, deren ihr Körper noch fähig war, dem Strande zustrebend, um sich ihrem Teil an der Beute zu sichern.

Zu seinem nicht geringen Erstaunen erkannte jetzt Mordaunt in ihr seines Vaters alte Haushälterin ... »Ei, ei, Swertha,« rief er; »was willst Du so weit vom Hause?«

»Ich wollte bloß nach dem alten Herrn sehen und nach Euer Gnaden,« antwortete Swertha, betreten wie eine arme Sünderin, die auf frischer Tat ertappt worden – sie hatte wohl auch Ursache zu Furcht, denn Mordaunts Vater hatte sich wiederholt sehr mißfällig über den Brauch geäußert, dem auch sie jetzt frönte. Aber Mordaunt war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, als daß er sich lange mit ihr hätte aufhalten sollen. – »Hast Du meinen Vater gesehen, Swertha?« fragte er.

»Ja,« antwortete diese. »Der Herr wollte die Erichs-Stufen hinunterklettern – was aber sein Tod gewesen wäre, denn das ist kein Weg für Leute von seinem Alter. Er ist meinem Rate gefolgt und heimgegangen – und um Euch zu sagen, junger Herr, daß Ihr Euch in das Herrenhaus begebt, und nach ihm seht – bin ich hier.«

»Ist Vater nicht wohl?« rief Mordaunt, sich jetzt der Schwäche erinnernd, die er auf dem Frühgange mit dem Vater an ihm bemerkt hatte.

»Gar nicht wohl – gar nicht wohl,« ächzte Swertha, wehleidig den Kopf schüttelnd. – »Kreideweiß hat er ausgesehen – und da fällt's ihm noch ein, die Riva hinabzusteigen!«

»Geh heim, Mordaunt,« – sagte Norna, die das Gespräch mit angehört hatte. – »Ich werde dafür sorgen, daß dem Schiffbrüchigen alle Pflege zuteil werde. Du triffst ihn, wenn Du ihn sehen willst, beim Ranzelmann; mehr als Du für ihn getan, kannst Du ja doch nicht tun!«

Mordaunt fühlte die Wahrheit dieser Worte und eilte, Swertha befehlend, mitzukommen, schnellen Schrittes nach Hause. Die Greisin humpelte unwillig hinter ihrem Herrn her; kaum aber war er aus Sehweite, so machte sie Kehrt, vor sich hin brummend: »Was? die beste Gelegenheit, die mir seit Jahren geboten worden, zu einem neuen Mantel und Rock zu kommen, sollte ich mir rauben lassen? – Nein, da sei Gott vor! So reich gesegnet ist unser Strand nicht! Wir haben ja solch Schiff nicht mehr zerschellen sehen seit König Karls Zeiten.«

So schnell die Beine sie tragen wollten, und von dem willigen Geist gestützt, der ihr schwaches Fleisch besiegte, hatte sie bald den Strand erreicht, wo der Ranzelmann, sich selbst die Taschen füllend, die andern mahnte redlich zu teilen und auch der Armen und Blinden zu gedenken, damit Gott, wie er andächtig bemerkte, ihre Küste auch weiter segne. –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Pirat. Band 1