Sechzehntes Kapitel - Die neuen Ankömmlinge waren, wie es bei solchen Festlichkeiten häufig, ...

Sechzehntes Kapitel.

Die neuen Ankömmlinge waren, wie es bei solchen Festlichkeiten häufig, fast durch die ganze Welt zu geschehen pflegt, unter einer Art von Maskentracht versteckt, in der Absicht, jene Tritonen und Meermädchen vorzustellen, mit denen die alten Sagen und der Volksglaube die nördlichen Gewässer bevölkert. Die ersteren, von den Shetländern jener Zeit Schaupeltins genannt, wurden von jungen, grotesk gekleideten Männern, mit falschem Haar und langen Bärten von Flachs, dargestellt; sie trugen Kränze von Schilf, mit Muscheln und andern Seeerzeugnissen verziert, mit denen auch ihre hellblauen und grünlichen Mäntel, von grobem selbstgemachten Zeuge, geschmückt waren. Sie hielten Fischspeere und andere sinnbildliche Zeichen ihrer vorgeblichen Abkunft in den Händen, unter denen der klassische Geschmack von Claud Halcro, von dem dieser Zug geordnet wurden, die Muschelhörner keineswegs vergessen hatte, die zum großen Verdruß derjenigen, die in der Nähe standen, dann und wann von einigen der Seegötter laut und heiter geblasen wurden.


Die Nereiden und Wassernymphen dieses Aufzugs zeigten wie gewöhnlich etwas mehr Geschmack hinsichtlich ihrer Kleidung und ihres Schmucks, als bei ihren männlichen Begleitern sichtbar war. Ein phantastischer Putz von grüner Seide und ähnlichen kostbaren Gegenständen war ersonnen worden, um dem Begriff, den man von den Seebewohnern hegte, so viel wie möglich zu entsprechen, zugleich aber auch, um die Gestalten der schönen Darstellerinnen in dem vorteilhaftesten Lichte zu zeigen; die Bänder von Muscheln, die Nacken, Arme und Knöchel der Jungfrauen schmückten, waren hie und da mit echten Perlen verziert, und das Ganze bot einen Anblick dar, der selbst dem Hofe der Amphitrite nicht zur Unzierde gereicht hätte, zumal ihm die langen vollen Locken, die blauen Augen, das schöne Kolorit und die lieblichen Gesichtszüge der Mädchen von Thule noch wesentlich zu statten kamen. Claud Halcros Muse, immer tätig bei solchen Gelegenheiten, hatte für einen passenden Gesang gesorgt, der abwechselnd von den Nereiden oder Meermädchen und von den Meermännern oder Tritonen gesungen wurde.
1. Das Meermädchen.

Klaftertief aus Meeresnacht,
Wo wir Perlenkränze schlingen,
Und was kühn der Held vollbracht
Gern in unsern Liedern singen,
Wo wir hausen, und die Winde
Leis in unser Ohr nur wehn,
Wie die Seufzer, die so linde
Um der Teuren Liebe flehn.
Kinder Thules! dorther steigen
Wir aus dunkler Flut empor,
Einend uns mit Eurem Reigen,
Und mit Eurem Freudenchor!
2. Der Triton.

Vom Bänd'gen wilder Rosseschar,
Deren Wut die Woge hebt,
Wo vor unserm Wink sogar
Selbst des Ozeans Schlange bebt;
Wo, wenn Hai- und Walfisch streiten,
Unser Muschelhorn erklingt,
Wo wir Grabesglocken läuten,
Wenn der Seemann untersinkt.
Kinder Thules! dorther zogen
Wir zu Eurem Lustverein,
Unser Zug schnitt in die Wogen
Pfluggleich tiefe Furchen ein!
3. Das Meermädchen und die Tritonen

Eure Jubeltöne klingen,
Bis in unsre dunkle Nacht.
Denn der Wonne Klänge dringen
Selbst durch wilde Wogenmacht.
Ob wir in der Tiefe schweben,
Ist doch Freude unser Ziel,
Euren Frohsinn zu beleben,
Sind wir hier mit Sang und Spiel.
Kinder Thules, seht, wir steigen
Aus der Meeresnacht empor,
Einen uns mit Euren Reigen
Und mit Eurem Freudenchor!

Der Schlußchor wurde von sämtlichen Tänzern gesungen, diejenigen ausgenommen, die Muschelhörner bliesen. Dichtung sowohl als Vortrag fand bei allen, die von solchen Dingen Kenner zu sein glaubten, großen Beifall, vor allem aber bei Triptolemus Yellowley, dessen Ohr seine Lieblingsworte »Pflug und Furche« aufgefangen hatte und bei seiner Voreingenommenheit nur nach ihrer buchstäblichen Bedeutung begreifen konnte. Er erklärte daher laut und rief Mordaunt zum Zeugen: daß, obgleich es Sünde sei, so viel Flachs in Bärten und Perücken zu verschwenden, dieser Gesang dennoch die einzigen vernünftigen Worte enthalte, die er den ganzen langen Tag über gehört habe.

Mordaunt aber hatte keine Zeit, dieser Aufforderung Genüge zu leisten, denn er war beschäftigt, mit größter Aufmerksamkeit die Bewegungen einer der weiblichen Masken zu beobachten, die ihm beim Eintritt ein Zeichen gegeben, und obgleich er nicht wußte, wer sie sein könnte, war er sich doch sofort klar, daß er eine Mitteilung von Wichtigkeit von ihr zu erwarten hatte. Die Sirene, die seinen Arm berührt und ihn dabei scharf angesehen hatte, war mit weit größerer Sorgfalt als alle übrigen gekleidet und in einen weiten, ihre Gestalt völlig verbergenden Mantel gehüllt, ihr Gesicht aber durch eine seidene Larve bedeckt. Mordaunt bemerkte, wie sie sich nach und nach von den übrigen Masken absonderte und endlich, gleichsam um Luft zu schöpfen, an die offenstehende Türe trat, dort wieder ernst auf ihn blickte und dann, in einem Augenblick, wo die ganze Aufmerkfamkeit der Gesellschaft mit den übrigen Masken beschäftigt war, schnell das Gemach verließ.

Mordaunt säumte nicht, seiner geheimnisvollen Führerin zu folgen, die jetzt einen Augenblick lang still stand, um ihn den Weg, den sie nahm, erkennen zu lassen, dann schnellen Schrittes dem Seearm zueilte, der jetzt vor ihnen lag, und dessen kleine Sammetwellen im vollen Mondschein kräuselnd plätscherten. Der Glanz desselben, vereint mit dem starken, in der Tag- und Nachtgleiche des Sommers in diesen Regionen gewöhnlichen Zwielicht, ließ die Abwesenheit der Sonne nicht vermissen, deren Untergang auf den Wellen noch sichtbar war, während gegen Osten der Morgen schon zu dämmern begann.

Mordaunt fand daher keine Schwierigkeit, seine verkleidete Führerin im Auge zu behalten, die leichten Fußes über Höhen und Tiefen voraneilte und, sich zwischen den Felsen durchwindend, den Weg nach einem einsamen Plätzchen einschlug, das, zur Zeit seines frühern Verkehrs auf Burgh-Westra, durch ihn selbst angelegt worden und von den Töchtern Magnus Troils bei günstiger Witterung gern als Aufenthalt benutzt wurde. Hier also sollte die Erklärung stattfinden; denn die Maske hemmte ihre Schritte und ließ sich nach kurzem Zögern hier nieder.

Anfangs hatte er unter der Maske Norna vermutet, aber die hohe Gestalt und ihr langsamer majestätischer Gang waren von dem Wuchs und Wesen der schöner geformten Sirene völlig verschieden, die ihm mit so leichten Schritten vorangeeilt war, als sei sie tatsächlich eine Nereide, die zu lange auf dem Lande verweilt hatte und, jetzt Amphitritens Unwillen fürchtend, eilig in die Fluten zurückzukehren bemüht war. Da es nicht Norna war, konnte es, so dachte er, niemand anders als Brenda sein; und als sie Platz genommen und ihr Gesicht von der Larve befreit hatte, sah er, daß es wirklich Brenda war. Mordaunt hatte wahrlich nichts verbrochen, weshalb er ihre Gegenwart zu fürchten gehabt hätte, und dennoch, so stark ist der Einfluß der Schamhaftigkeit auf die unverdorbene Jugend beider Geschlechter, fühlte er jetzt ganz die Verlegenheit eines Menschen, der sich plötzlich vor einer, von ihm wirklich gekränkten Person befindet. Brenda zeigte nicht weniger Verwirrung. Da sie aber diese Zusammenkunft veranlaßt und die Ueberzeugung hatte, daß sie nur von kurzer Dauer sein konnte, war sie selbst wider Willen genötigt, die Unterredung zu beginnen.

»Mordaunt,« begann sie zaudernd, »Sie werden erstaunt sein, Herr Mertoun! daß ich mir diese ungewöhnliche Freiheit genommen.«

Erst seit heute morgen, Brenda,« erwiderte Mordaunt, »konnte irgend ein Beweis von Freundschaft und Vertraulichkeit, von Dir oder Deiner Schwester, mir seltsam erscheinen. Weit mehr war ich darüber verwundert, von Dir ohne Grund so lange gemieden zu werden, als daß es mich in Erstaunen setzen könnte, wenn Du mir jetzt eine Unterredung erlaubst. Sprich, in des Himmels Namen, Brenda, womit habe ich Dich beleidigt, und weshalb stehen wir auf diesem ungewöhnlichen Fuße?«

»Reicht es denn nicht hin,« antwortete Brenda, vor sich niederblickend, »wenn ich sage, daß es mein Vater so will.«

»Nein, nein,« rief Mertoun, »das reicht nicht hin – Dein Vater kann nicht so plötzlich seine Meinung von mir und sein Betragen gegen mich, ohne irgend eine schreckliche Täuschung geändert haben. Ich beschwöre Dich, mir darüber Aufschluß zu geben, denn ich will in Eurer Achtung weniger gelten als der elendste Bursche auf diesen Inseln, wenn ich nicht beweise, daß dieser Wandel Eurer Meinung nur durch irgend einen schändlichen Betrug oder durch ein außerordentliches Mißverständnis veranlaßt wurde.«

»Es mag so sein,« sagte Brenda – »ja, ich hoffe, daß dem so ist – und daß ich es hoffe, möge diese, von mir veranlaßte, geheime Zusammenkunft beweisen. Aber es ist schwer, – ja es ist mir unmöglich, die Ursache der schlimmen Meinung meines Vaters aufzuklären. Norna hat darüber kühn mit ihm gesprochen; sie gingen, wie ich fürchte, unzufrieden auseinander, und dazu konnte wahrlich den Anlaß nicht eine unbedeutende Ursache geben.«

»Ich habe bemerkt,« entgegnete Mordaunt, »daß Dein Vater ungemein viel auf Nornas Rat hält, und nachgiebiger gegen ihre Eigenheiten als gegen die anderer ist. – Ich habe es bemerkt, obgleich er den übernatürlichen Kräften, die sie sich anmaßt, eben keinen Glauben beimißt.«

»Sie sind weitläufig verwandt,« antwortete Brenda, »und waren Jugendfreunde, – ja man hat sogar, wie ich gehört habe, gemeint, daß sie einander heiraten würden. Aber Nornas Sonderbarkeiten zeigten sich gleich nach dem Tode ihres Vaters; und so war die Sache zu Ende, wenn wirklich etwas dran war. Gewiß aber ist es, daß mein Vater noch immer große Sympathie für sie hegt; und so ist es, wie ich fürchte, ein sicheres Zeichen, wie tief seine Vorurteile gegen Dich eingewurzelt sein müssen, daß sie in dieser Rücksicht gewissermaßen in Streit geraten sind.«

»Segen über Dich, Brenda, daß Du selbst sie Vorurteile nanntest, « rief Mertoun mit Wärme und Innigkeit – »Tausendfacher Segen über Dich!« – stets hattest Du ein sanftes Herz, und selbst den Schein der Unfreundlichkeit konntest Du nicht lange zur Schau tragen.«

»Nur ein Schein war es in der Tat,« sagte Brenda, nach und nach in den Ton der Vertraulichkeit übergehend, in dem sie sich von Kindheit an zu unterhalten gewohnt waren; »nie konnte ich denken, Mordaunt – nie ernstlich glauben, daß Du von mir oder von Minna unfreundlich gesprochen.«

»Und wer wagt es, zu behaupten, daß ich es getan?« rief Mordaunt, der ganzen Lebhaftigkeit seines Charakters Raum gebend; »wer wagt es, ohne zu fürchten, daß ich ihm die Zunge ausreiße? Beim heiligen Magnus, dem Märtyrer, ich will die Habichte damit füttern!«

»Nicht so,« entgegnete Brenda, »Deine Heftigkeit ängstigt mich und wird mich zwingen, Dich zu verlassen.«

»Mich verlassen,« erwiderte Mordaunt, »ohne mir die Lästerung und den Namen des schändlichen Verleumders zu nennen?«

»Ach, mehrere sind's,« sagte Brenda, »die meinem Vater eine Meinung beigebracht haben – von der ich selbst Dir nichts sagen kann – aber mehr als einer behauptet« –

»Und wären ihrer hundert, Brenda, es soll ihnen sämtlich geschehen, wie ich gesagt – heiliger Märtyrer! mich anzuklagen, daß ich unfreundlich von denjenigen gesprochen hätte, die ich auf der Erde am meisten achte und schätze. – Zurück ins Haus will ich in diesem Augenblick, und Dein Vater soll mir vor aller Welt Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

»Geh nicht, um des Himmels willen, geh nicht!« sagte Brenda, »willst Du mich nicht zu dem elendsten Geschöpf auf dieser Welt machen.«

»So sage mir wenigstens,« antwortete Mordaunt, »ob ich recht rate, wenn ich diesen Cleveland als einen jener Menschen nenne, die mich verleumdeten?«

»Nein, nein!« rief Brenda lebhaft, »Du rennst von einem Irrtum in einen andern, noch gefährlichern; Du sagst, Du seist mein Freund; – auch ich bin bereit, Deine Freundin zu sein: – sei nur einen Augenblick ruhig, und höre, was ich Dir zu sagen habe; – unsere Unterredung hat schon zu lange gewährt, und jeder neue Moment bringt neue Gefahr.«

»So sage mir denn,« sprach Mordaunt, dessen Hitze sich durch die Angst und den Kummer des Mädchens abkühlte, »was verlangst Du von mir? Sei überzeugt, daß Du nichts fordern kannst, was ich nicht nach allen meinen Kräften zu erfüllen bereit wäre.«

»Höre also – der Kapitän, dieser Cleveland« –

»Also der, beim Himmel, dacht' ich's doch!« rief Mordaunt, »eine Stimme in meinem Innern rief mir zu, daß dieser Elende, auf eine oder die andere Weise, die Ursache aller dieser Mißverständnisse sei!«

»Wenn Du nicht auf einen Augenblick ruhig und geduldig sein kannst,« erwiderte Brenda, »so muß ich Dich auf der Stelle verlassen; – was ich sagen wollte, hat keinen Bezug auf Dich – aber auf jemand anders – mit einem Wort, auf meine Schwester Minna. – Ueber ihre Abneigung gegen Dich habe ich nichts zu sagen, aber von den Aufmerksamkeiten, die er ihr bezeigt, muß ich eine ängstliche Geschichte erzählen.«

»Diese Aufmerksamkeiten springen in die Augen,« sagte Mordaunt, »und wenn meine Augen mich nicht trügen, sind sie auch willkommen, wenn sie nicht etwa gar erwidert werden.«

»Das ist eben die Ursache meiner Angst,« antwortete Brenda; »auch auf mich hatten das Aeußere, das offene Wesen und die romantische Unterhaltung dieses Mannes Eindruck gemacht.«

»Sein Aeußeres!« fiel Mordaunt ein; »zwar ist er wohlgebaut und seine Gesichtszüge sind wohlgestaltet; aber, Mädchen, ich habe schönere Gesichter auf Borough-Moor hängen sehen. Nach seinem Benehmen mag er Kapitän eines Freibeuters, und seiner Unterredung nach, der Trompeter seines eigenen Puppenspiels sein; denn er spricht fast von nichts anderm als von seinen eigenen Taten.«

»Du irrst,« erwiderte Brenda; »nur zu gut erzählt er von dem, was er gesehen und erfahren hat; überdies war er wirklich in vielen fernen Ländern und bei mancher kühnen Tat, und er weiß davon mit eben so vielem Geiste, als großer Bescheidenheit zu sprechen. Man glaubt den Blitz zu sehen und den Donner der Kanonen zu hören. Auch versteht er noch von andern Dingen zu reden: von den herrlichen Früchten und Bäumen anderer Gegenden, und wie die Menschen dort das ganze Jahr hindurch eine Kleidung tragen, kaum halb so warm als unsre Sommertrachten.«

»Auf mein Wort, er versteht die Kunst, junge Mädchen zu unterhalten,« erwiderte Mordaunt.

»Allerdings,« sagte Brenda mit großer Schlichtheit; »anfangs, glaube es mir, gefiel er mir besser als meiner Schwester; aber wenn sie auch weit klüger ist als ich, habe ich dagegen mehr Welterfahrung als sie; denn ich habe mehrere Städte gesehen, einmal schon war ich in Kirckwall und dreimal in Lerwick, als die holländischen Schiffe dort vor Anker lagen – und so irre ich mich nicht so leicht in Menschen.«

»Und was, Brenda,« fragte Mordaunt, »ließ Dich denn weniger vorteilhaft von dem jungen Manne denken, dessen Wesen so einnehmend schien?«

»Ei,« entgegnete Brenda nach kurzem Besinnen, »er war sonst munterer, und seine Erzählungen nicht so schwermütig und schrecklich; auch lachte und tanzte er mehr.«

»Und tanzte wohl damals mehr mit Brenda als mit ihrer Schwester?« fügte Mordaunt hinzu.

»Das weiß ich nicht mehr so recht,« sagte Brenda ausweichend, »aber die Wahrheit zu sagen, ich hatte keinen Argwohn gegen ihn, so lange er uns beiden gleiche Aufmerksamkeiten bewies, denn damals konnte er uns nicht mehr sein als Du, Mordaunt, oder der junge Swaraster oder sonst irgend ein junger Mann auf der Insel.«

»Aber warum,« fragte Mordaunt, »kannst Du denn nicht geduldig ihn in ein näheres Verhältnis mit Deiner Schwester treten sehen? – Er ist reich, oder scheint es wenigstens zu sein. Du sagst, er sei gebildet und angenehm; was kannst Du von einem Liebhaber Minnas mehr verlangen?«

»Mordaunt, Du vergißt, wer wir sind!« sprach das Mädchen, sich ein Ansehen von Wichtigkeit gebend, das ihrem einfachen Wesen ebenso lieblich stand, wie der Ton, in dem sie bisher gesprochen; »dieses Shetland hier ist unsre eigne kleine Welt, vielleicht, wenigstens wie die Fremden behaupten, kleiner als andere Teile der Erde, aber es ist unsre eigene Welt; und wir, die Töchter von Magnus Troil, behaupten den ersten Rang darin. Schlecht nur stünde es uns, meiner Meinung nach, wollten wir uns, die wir von Seekönigen und Jarls abstammen, an den ersten besten Fremden wegwerfen, der, dem Eidervogel gleich, im Frühling an unsere Küste fliegt und sie im Herbst wieder verläßt, ohne daß wir wissen, von woher er gezogen kam, noch wohin er seinen Weg wieder genommen.«

»Und dennoch vielleicht einen shetländischen Goldvogel mit hinweglockt,« fügte Mordaunt hinzu.

»Ich will keinen Scherz über solche Dinge,« antwortete Brenda unwillig, »Minna ist, wie ich, die Tochter von Magnus Troil, dem Beschützer der Fremden, aber dem Vater von Hialtland. Er spendet ihnen die Gastfreiheit, deren sie bedürfen, aber selbst der stolzeste von ihnen mag sich nicht einbilden, daß es ihm gelingen würde, sich mit Troils Hause zu verbinden.«

Sie sprach dies in einem ungemein lebhaften Tone, den sie indes sogleich milderte, als sie fortfuhr: »Nein, Mordaunt, glaube nicht, daß Minna fähig wäre, das, was sie ihrem Vater und dem Blute desselben schuldig ist, so weit zu vergessen, daß sie auch nur dächte, sich mit diesem Cleveland zu vermählen – aber sie könnte ihm vielleicht ihr Ohr so lange leihen, als hinreichend wäre, ihr künftiges Glück zu zertrümmern. Ihr Gemüt ist von der Art, daß gewisse Gefühle tief in dasselbe eindringen. – Erinnere Dich, wie Ulla Storlson Tag für Tag den Gipfel vom Voßdale-Head bestieg, um nach dem Schiff ihres Geliebten auszuschauen, das nimmer wiederkehren sollte. Wenn ich an ihre langsamen Schritte denke, an ihre bleiche Wange, an ihr Auge, das, einer Lampe gleich, der es an Oel gebricht, immer mehr und mehr erlosch – wenn ich mich erinnere, mit welchen Blicken voll flüchtiger Hoffnung sie jeden Morgen die Klippe hinanstieg, und wie sich tiefe Verzweiflung auf ihrer Stirn gelagert hatte, wenn sie heimkehrte – wenn ich an alles dieses denke, kann es Dich wundern, wenn ich für Minna fürchte, deren Herz geschaffen ist, mit einer ähnlichen, tief eingewurzelten Treue eine Liebe zu nähren, die hineingepflanzt werden möchte?«

»Ich wundere mich nicht länger,« rief Mordaunt, an der Angst des armen Mädchens innigen Anteil nehmend; denn außer dem Zittern ihrer Stimme ließ ihn auch das Dämmerlicht eine Träne erblicken, die ihrem Auge entperlte, als sie jenes Bild entwarf, in dem ihre Phantasie das zukünftige Schicksal ihrer Schwester zeigte. »Ich wundere mich nicht, daß Du fühlst und fürchtest, wie es Dir die reinste Zuneigung gebietet, und wenn Du mir nur anzugeben vermagst, wie und auf welche Weise ich Deiner Schwesterliebe zu dienen vermag, so sollst Du mich bereit finden, mein Leben, wenn es not tut, eben so leicht daran zu wagen, als ich bereitwillig war, die Klippe zu erklimmen, um für Euch die Eier der Seevögel heranzuholen; und glaube mir, was auch immer Deinem Vater oder euch beiden, gesagt worden, daß auch nur der geringste Gedanke von Nichtachtung und Unfreundlichkeit in Rücksicht auf Euch bei mir geherrscht habe, ist falsch, falsch wie der Böse es nur ersinnen konnte.«

»Ich glaube Dir,« sagte Brenda und reichte ihm ihre Hand; »ich glaube Dir, und meine Brust ist leichter, jetzt, da sich mein Vertrauen zu einem so vieljährigen Freunde erneuert hat; wie Du uns helfen kannst, weiß ich nicht; aber auf den Rat Nornas, ja ich kann wohl sagen, auf ihr Gebot, war es, daß ich diese Mitteilung gewagt habe; und ich wundere mich fast selbst,« fuhr sie fort, »daß ich den Mut dazu gefunden. Du weißt nun alles, was ich Dir von der Gefahr, in der Minna schwebt, zu erzählen vermag. Beobachte diesen Cleveland – aber hüte Dich vor Streit mit ihm, denn gegen ihn, den erfahrenen Krieger, würdest Du unfehlbar den kürzeren ziehen.«

»Daß dies ausgemacht sei, will mir nicht einleuchten,« rief der Jüngling. »Mit gesunden Gliedern, einem Herzen voll Mut, den mir Gott verliehen, und in einer guten Sache obendrein, fürchte ich mich vor keinem Streite, den Cleveland mit mir anfangen könnte.«

»Wenn also nicht um Deinetwillen,« erwiderte Brenda, »doch um Minnas Wohl – meines Vaters und meinetwegen, vermeide jeden Zwist mit ihm und begnüge Dich damit, ihn zu beobachten und womöglich zu erforschen, wer er eigentlich ist, und was seine Absichten gegen uns sein mögen. Er sprach davon, sich nach den Orkney-Inseln begeben zu wollen, um sich nach seinem zweiten Schiffe umzusehen, aber Tage vergehen und Wochen, und noch immer macht er keine Anstalt zu seiner Abreise, und während er meinem Väter bei der Flasche Gesellschaft leistet und Minna mit romantischen Geschichten von fremden Völkern und fernen Kriegen in wilden unbekannten Gegenden unterhält, eilt die Zeit hin, und der Fremde, von dem wir nichts wissen, als daß er ein Fremder ist, schließt sich nach und nach immer vertraulicher und enger unserm Kreise an. – Und nun Lebewohl! Norna hofft den Frieden zwischen meinem Vater und Dir zustande zu bringen, und wünscht, Du solltest Burgh-Westra morgen noch nicht verlassen, wie kalt auch immer mein Vater und Minna gegen Dich sich verhalten mögen. Auch ich,« fuhr sie fort, ihm ihre Hand hinreichend, »darf dem unwillkommenen Gaste nur ein kaltes Gesicht zeigen; aber im Herzen sind wir einander immer Freund, Brenda und Mordaunt. Und nun trennen wir uns, denn wir dürfen nicht zusammen gesehen werden.«

Noch einmal bot sie ihm ihre Hand, schnell aber zog sie diese lächelnd und errötend mit einiger Verwirrung zurück, als der Jüngling von einem natürlichen Gefühl hingezogen ward, sie an seine Lippen zu drücken. Einen Augenblick lang bemühte er sich, sie zurückzuhalten, denn diese Zusammenkunft hatte für ihn einen großen Zauber, den er früher, so oft er auch schon mit Brenda allein gewesen, noch nie empfand; aber sie machte sich von ihm los, und indem sie ihm noch ein Lebewohl zuwinkte, bezeichnete sie ihm einen andern Pfad als den, den sie einzuschlagen im Begriff stand, und dem Hause zueilend, verschwand sie hinter den Anhöhen.

Mordaunt blickte ihr in einem ihm bis jetzt fremd gebliebenen Seelenzustande nach: die zweifelhafte neutrale Straße zwischen Liebe und Freundschaft mag jemand lange in Sicherheit wandeln, bis jählings die Aufforderung, die Oberherrschaft der einen oder der andern Macht anzuerkennen, an ihn herantritt. Da trifft es sich denn nicht selten, daß, wer sich jahrelang für einen bloßen Freund gehalten, sich jählings in einen Liebhaber umgewandelt sieht. – Daß sich eine solche Wendung von diesem Tage an in Mordaunts Gefühlen vollzog, wenn er auch ihre Natur nicht genau unterscheiden konnte, ließ sich erwarten. Er sah sich plötzlich mit argloser Offenheit von einem liebenswürdigen und reizenden Mädchen ins Vertrauen gezogen, von dem er sich noch vor kurzer Zeit verachtet und zurückgesetzt glaubte; und wenn etwas diesen an sich selbst schon so wunderbaren und erfreulichen Wandel noch berauschender machen konnte, so war es die harmlose Schlichtheit Brendas, die über alles, was sie sagte und tat, einen unwiderstehlichen Zauber verbreitete. Auch der Schauplatz, auf welchem sich die Handlung abspielte, mochte seine Wirkung geäußert haben, obgleich es seiner Hilfe eigentlich nicht bedurfte. Immerhin nimmt ein liebliches Gesicht sich im Schimmer des Mondes noch lieblicher aus, und eine süße Stimme klingt in dem Raunen und Lispeln einer Sommernacht noch süßer. Mordaunt, der unterdessen ins Haus zurückgekehrt war, befand sich demnach in der schicklichen Stimmung, mit ungewöhnlicher Geduld und Gefälligkeit einer enthusiastischen Deklamation, wie Claud Halcro, dessen Feuer für diesen Gegenstand, durch einen kurzen Gang in freier Luft – zu dem Zweck unternommen, Alkoholdunst, der sein Hirn umnebelte, verdunsten zu lassen – geweckt worden war, sie jetzt an den Mond richtete, mit aufmerksamem Ohr zu lauschen.

»Die Sonne, mein Sohn!« sprach er, »ist jedes armseligen Taglöhners Taglaterne, – da steigt sie glänzend im Osten auf, um eine ganze Welt zur Arbeit und zum Elende zu wecken, während der heitere Mond zur Freude und Liebe winkt.«

»Und zur Narrheit, sofern man ihn nicht verleumdet,« entgegnete Mordaunt, um doch etwas zu sagen.

»Mag sein,« erwiderte Halcro, »treibt er doch nicht zur melancholischen Narrheit. Die Bewohner dieser mühseligen Welt, junger Freund, sind viel zu ängstlich bemüht, ihr bißchen Verstand zusammenzuhalten. Oft bin ich ein Simpel genannt worden, und bin doch durch die Welt gekommen, als hätte ich doppelt soviel Verstand gehabt. Aber – halt, wo blieb ich denn? ja, ja, ganz recht, beim Monde, – er ist die wahre Seele der Liebe und der Poesie. Ich frage: mag es wohl je einen Verliebten gegeben haben, der nicht in einem Sonnett sein: »O, Du!« zu seinem Lobe ertönen ließ?«

»Der Mond,« nahm der Verwalter, dessen Junge nachgerade auch zu lallen anfing, das Wort, »reift das Korn, wie die alten Leute sagen, auch füllt er die Nüsse, was aber von geringerer Bedeutung ist – sparge nuces, pueri.«

»Bravo, bravo,« rief Magnus Troil, der jetzt sein volles Maß hatte, »der Verwalter spricht Griechisch! Bei den Gebeinen meines heiligen Namensvetters St. Magnus, er soll unsre Schaluppe voll Punsch ganz allein leeren, wenn er uns nicht gleich auf der Stelle ein Lied zum besten gibt.«

»Zuviel Wasser tut dem Müller Schaden,« antwortete Triptolemus, »mein Gehirn bedarf des Austrocknens weit eher als einer noch größeren Zufuhr geistiger Getränke.«

»So singt denn,« rief der Hauswirt in gebietender Weise, »denn hier darf niemand eine andre Sprache reden, als ehrlich Norwegisch, lustig Holländisch oder Dänisch, oder wenn es nicht anders sein kann, allenfalls breit Schottisch. Also die Schaluppe her, Erik Scambester, und fülle sie bis zum Rande, als Ersatz für den Aufschub!«

Aber bevor das Schiffchen den Ackerbauer erreichen konnte, der es unterwegs und in kurzen Wendungen auf sich los lavieren sah, (denn auch Scambester steuerte bereits nicht mehr in gerader Richtung), machte dieser den verzweiflungsvollen Versuch, ein Yorkshirer Erntelied zu singen oder vielmehr zu krähen, das sein Vater hin und wieder, wenn er ein wenig angetrunken war, anzustimmen pflegte; die klägliche Miene des Sängers und die Mißtöne seiner Stimme bildeten zu der Fröhlichkeit der Worte und der Melodie einen so großartigen Kontrast, daß der ehrliche Triptolemus seinen Zuhörern fast den gleichen Spaß gewährte, wie ein lustiger Kopf, wenn er an irgend einem Jubeltage im Sonntagskleide seines Großvaters erscheinen wollte. Dieser Scherz beschloß den Abend, denn selbst der rüstige Magnus, der viel vertragen konnte, unterlag der Macht des Schlummergottes. Die Gäste Zogen sich zurück, so gut sie konnten, jeder in die für ihn bestimmte Schlafstelle, und nach kurzer Zeit ruhte das Herrenhaus von Burgh-Westra, noch vor wenigen Augenblicken der Schauplatz lärmenden Jubels, in tiefster Stille.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Pirat. Band 1