Sechstes Kapitel - Kurz vor Nornas Eintritt hatte sich der Sturm einigermaßen gelegt; sonst wäre es ihr wohl ...

Sechstes Kapitel.

Kurz vor Nornas Eintritt hatte sich der Sturm einigermaßen gelegt; sonst wäre es ihr wohl nicht möglich gewesen, den Weg hierher zu finden. Kaum jedoch hatte sie unvermuteterweise die Gesellschaft vemehrt, die der Zufall in Triptolemus' Wohnung geführt, als auch der Sturm von neuem einsetzte, ja noch rasender tobte als vordem und so wild um das Gebäude raste, daß die Bewohner jeden Augenblick unter ihren Trümmern begraben zu werden fürchteten.


Baby-Barbara machte ihrer Furcht durch laute Ausrufungen Luft: »Gott schütze uns – der jüngste Tag bricht an – solch ein Land, wo es bloß Hexen und Zauberer gibt! – – Und Du, Schafskopf!« fügte sie hinzu, ihren Bruder meinend – denn ihr Grimm machte sich immer in Anwandlungen von Bosheit Luft – »Du mußt die schönen Mearns verlassen und hierher ziehen, wo man nichts im Hause hat als freches Bettlervolk und draußen nichts als des Himmels Zorn!«

»Schwester Baby,« antwortete der gekränkte Landwirt, »alles wird anders und besser werden; bloß nicht,« fügte er halblaut hinzu – »die üble Laune einer bösen Sieben, deren Mundwerk selbst bei solchem Sturm nicht Ruhe halten kann.«

Magd und Hausierer überboten sich unterdes, Norna gut zuzureden, doch in Worten, von denen der Hausherr nichts verstand, da sie der norwegischen Sprache angehörten. Norna hörte sie an, aber stolz, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken; dann sagte sie laut auf englisch: »Ich will nicht! Und wenn dies Haus morgen in seinen Trümmern läge, was würde die Welt einbüßen an dem wirren Pläneschmied und an dem Knauservolk, das jetzt darin haust? Sind sie hergekommen, unsere shetländischen Sitten zu wandeln, so mögen sie auch kosten, was shetländischer Sturm ist. – Wer nicht mit untergehen will, der verlasse dies Haus.«

Der Hausierer nahm sein Bündel und warf es auf den Rücken; die Magd nahm den Mantel um die Schultern; und beide schienen das Haus verlassen zu wollen. Triptolemus Yellowley, auf den dies Verhalten nicht ohne Eindruck blieb, fragte Mordaunt schüchtern und mit vor Furcht zitternder Stimme: ob er glaube, daß wirklich Gefahr im Spiele sei?

»Ich kann's nicht sagen,« versetzte der Jüngling, »aber solchen Sturm habe ich noch nie erlebt. Norna kann uns am besten Auskunft geben, wann er sich legen wird, denn auf dieser Inselflur versteht sich niemand besser auf die Witterung als sie.«

»Und sonst traust Du ihr nichts zu, der Norna?« antwortete die Sybille; »doch wisse, daß ihre Macht sich nicht auf so engen Kreis beschränkt! Höre mich, Mordaunt, Jüngling aus fremdem Lande, aber mit wohlwollendem Herzen – gedenkst Du, die dem Verderben geweihte Stätte mit denen zu verlassen, die sich jetzt dazu anschicken, oder nicht?«

»Nein, Norna, ich werde den Fuß nicht hinweg setzen,« erwiderte Mordaunt; »ich kenne die Gründe nicht, die Dich bestimmen, mich zu solchem Entschlusse zu bringen, und auf Deine dunklen Drohungen hin aus einem Hause zu gehen, in dem man mich bei solchem Unwetter gastfreundlich aufgenommen, steht mir nicht nach dem Sinne.«

»Er ist doch wirklich ein braver Junge,« sagte Baby, die bei aller engherzigen, neidischen Gemütsart noch immer nicht aller höheren Empfindung bar, wenn auch im Augenblicke durch die gespenstischen Drohungen der Hexe eingeschüchtert war – »er verdiente gut und gern, wenn ich sie nur hätte, ein ganzes Dutzend Gänse, gekocht oder gebraten. Er ist sicherlich aus edlem Geschlecht, und Bauernblut fließt nicht in seinen Adern.«

»Junger Mordaunt, höre auf meine Worte,« rief Norna, »und geh von hinnen! Das Schicksal verfolgt Großes mit Dir. Bleib nicht in dieser Hütte, um unter ihren kläglichen Trümmern, mit ihren noch kläglicheren Bewohnern, begraben zu werden, deren Leben so gering ist wie Hauslauch auf ihrem Dache.«

»Ich – ich – ich werde gehen,« sagte Yellowley, der sich zwar bis hierher als Weiser und Gelehrter benommen, aber um den Ausgang dieses Abenteuers sich zu ängstigen anfing, zumal das Haus alt war und unter den Stößen des Windes in allen Fugen krachte.

»Und warum?« fragte die Schwester; »der Fürst der Finsternis hat hoffentlich noch nicht soviel Macht über die, die nach Gottes Ebenbild geschaffen sind, daß ein gutes Haus über ihren Häuptern zusammenbrechen sollte, weil ein Bettelweib, wie diese,« – (hier warf sie einen furchtbaren Blick auf Norna) – »uns mit ihren frechen Worten gebieten zu können glaubt, als ob wir Hunde wären, die zu ihren Füssen kröchen.«

»Ich wollte,« sagte Triptolemus, sich seiner Furcht schämend ... »bloß nach der Gerste sehen, die der Sturm doch ganz umgelegt haben muß; aber wenn die ehrliche Frau bei uns bleiben will, so wäre es wohl das beste, wir setzten uns alle zusammen ruhig nieder, bis das Wetter die Arbeit wieder gestattet.«

»Ehrliche Frau!« wiederholte Baby; »spitzbübische Hexe, sag lieber« – dann sich direkt gegen Norna wendend, rief sie: »Hinweg, Abscheuliche! hinweg aus einem ehrlichen Hause, oder Schande möge mich treffen, wenn ich nicht den Hammer nach Dir werfe!«

Norna warf ihr einen Blick tiefster Verachtung zu, trat zum Fenster und schien sich in tiefe Betrachtungen des Himmels zu versenken. Tronda, die alte Magd, aber trat zu ihrer Gebieterin und bat sie um alles dessen willen, was einem Manne oder einer Frau teuer sei, Norna vom Fitful-Head nicht zu erzürnen ... »Auf dem Festlande von Shetland,« sagte sie, »gibt's keine Frau, die, gleich ihr, auf einer der Wolken dort so sicher reiten kann, wie ein Mann auf einem Pferde.«

»Hoffentlich sehe ich sie noch auf einer Teertonne reiten,« sagte Baby-Barbara, »die sicher das beste Roß für sie abgäbe.«

Noch einmal warf Norna der grimmen Baby Yellowley einen Blick unaussprechlichen Hohnes zu; dann trat sie zu dem gegen Nordwesten, woher der Wind jetzt zu kommen schien, liegenden Fenstern, stand eine Zeitlang mit gekreuzten Armen da, den Blick zu dem bleifarbigen, von wildem Gestöber verfinsterten Himmel gerichtet, und sah dem Kampfe der Elemente zu, wie jemand, dem derselbe nichts Neues ist, wie der Kabbalist auf den Geist blickt, den er zwar gerufen hat, der aber, wie er wohl weiß, nichtsdestoweniger seinem Worte gehorchen muß.

Die Anwesenden standen in verschiedenen Stellungen, wie sie den Empfindungen entsprachen, die ihre Herzen füllten, um sie her; Mordaunt, obgleich nicht gleichgültig gegen die Gefahr, in der er sich befand, weniger angstvoll als erwartungsvoll, hatte er doch von Nornas Gewalt über die Elemente schon vernommen und erhoffte sich jetzt eine Gelegenheit, sich selbst ein Urteil darüber, ob dies Gerücht wahr oder unwahr sei, zu bilden; – Triptolemus Jellowley, eigentlich mehr erschrocken als neugierig, sicherlich aber betroffen über diese die Grenzen seiner Philosophie weit überschreitenden Wahrnehmungen, – Baby-Barbara, seine Schwester, weder neugierig noch erschrocken, vielmehr noch erboster als bisher, denn aus ihren scharfen Augen und von ihren dünnen, Zusammengepreßten Lippen sprühte der wildeste Zorn; – der Hausierer und die alte Tronda, beide von dem festen Glauben beherrscht, daß das Haus nicht einstürzen würde, solange die gefürchtete Norna unter seinem Dache weilte, aber bereit, es auf der Stelle mit ihr zu verlassen.

Nachdem Norna eine Zeitlang, ohne sich zu rühren, im tiefsten Schweigen den Himmel betrachtet hatte, streckte sie auf einmal, mit langsamer, majestätischer Gebärde, ihren Stab von schwarzem Eichenholz gegen die Himmelsgegend aus, aus welcher der Sturm am stärksten wehte, und erhob ihre Stimme, umtobt von seinem wildesten Gebrüll, zu einer norwegischen Beschwörung, die sich noch jetzt auf der Insel Nist unter dem Namen des Gesanges der Reim-Kennar erhalten hat.

Kühner Aar aus fernem Nordwest,
Der in der Kralle führt den Donnerkeil,
Du, des rauschende Flügel zur Wut den Ozean treiben,
Vernichter der Herden, Zerstörer der Schiffe, –
Gleicht dein Gekreisch auch dem Schrei erliegenden Volkes,
Deiner Flügel Rauschen dem Getös von zehntausend Wogen,
Dennoch höre in deinem Zorn, deiner Hast –
Höre die Stimme der Reim-Kennar!

Du trafst die Fichten von Drontheim;
Gebrochen liegen die grünen Häupter neben den Stämmen.
Du trafst den Wanderer auf dem Meere,
Die schlanke, starke Barke des furchtlosen Ruderers,
Und gestrichen hat sie ihr Segel von dir,
Das vor keiner Königsflotte sich hätte geneigt; –
Du trafst den Turm, der in die Wolken streckt sein Haupt,
Den starken festen Turm der Earle aus der Vorzeit,
Und der Schlußstein des Turmes
Liegt auf dem gastlichen Herd.
Doch auch du sollst innehalten, stolzer Bezwinger der Wolken,
Wenn du hörest die Stimme der Reim-Kennar.

Genug des Wehs hast auf dem Meer du gestiftet. –
Die Witwe ringt die Hände an der Bucht; –
Genug des Wehs hast dem Land du gebracht, und
Verzweifelnd kreuzt der Landmann die Arme; –
Endige das Schlagen deiner Flügel,
Laß das Meer ruhn in seiner finstern Kraft;
Endige das Blitzen deiner Augen,
Laß den Donnerkeil still in der Rüstkammer Odins. –
Sei still auf mein Geheiß, Renner nordwestlichen Himmels,
Schlafe auf Nornas, der Reim-Kennar, Ruf!

Mordaunt liebte, wie schon bemerkt, die romantische Dichtkunst des norwegischen Landes und die romantischen Begebenheiten; es wird darum niemand wundern, daß er dem wilden Sänge der Seherin mit Begeisterung lauschte, der dem wildesten Winde der Windrose gesungen wurde. Wohl hatte er in dem Lande, wo er so lange gewohnt, von runischen Reimen und nordischen Zaubersprüchen schon viel vernommen; und doch hätte ihm der Glaube, der Sturm, der eben noch so wild geweht, werde wirklich vor Nornas Versen schweigen, sicherlich gefehlt! Nichtsdestoweniger konnte er sich der Wahrnehmung nicht verschließen, daß die Gewalt des Sturmes nachließ, daß die furchtbare Gefahr, mit der er drohte, überstanden zu sein schien – zwar glaubte er nicht an übernatürliche Gaben der seltsamen Frau, aber für wahrscheinlich hielt er es, daß sie den Ausgang schon seit einiger Zeit aus Zeichen erkannt hatte, die den Augen solcher, die noch nicht lange im Lande lebten, oder die auf Naturerscheinungen wenig oder gar nicht achteten, verschlossen bleiben mußten. Die übrigen Anwesenden waren der Meinung eines übernatürlichen Zusammenhanges der Dinge zugänglicher – Tronda und der Hausierer waren von Nornas Macht über die Elemente längst überzeugt; Triptolemus und Barbara starrten einander verwundert und erschrocken an, besonders als während der Pausen, die Norna in ihrem Beschwürungssange machte, der Sturm zusehends nachließ. Auf die letzten Strophen folgte lange Stille; dann setzte Norna, doch mit weicherer Modulation von Stimme und Melodie, von neuem ein:

Aar der fernen nördlichen Gewässer,
Du vernahmst der Reim-Kennar Gesänge.
Rafftest auf ihr Wort dein weites Segel,
Faltetst friedlich es an deinen Seiten.
Segen ruh' auf deinem Pfade!
Wenn du auf aus deinem Horste steigst,
Sei dein Schlummer sanft in schwarzen Meeres Höhle!
Ruhe, bis das Fatum dich erwecke,
Aar der fernen nordischen Gewässer,
Du vernahmst der Reim-Kennar Gesänge.

»Das wäre ein Lied, das Korn zu bewahren,« flüsterte der Landwirt der Schwester zu, »wir müssen ihr zureden, Baby – vielleicht lehrt sie uns das Geheimnis für hundert Pfund schottisch.«

»Für hundert schottische Tröpfe,« erwiderte Baby; »biete ihr fünf Mark klingende Münze! Alle Hexen, die ich gekannt, waren arm wie Hiob.«

Norna, als ob sie ihre Gedanken erriete, – was vielleicht auch der Fall war, – blickte wieder verächtlich über sie hinweg, trat zu dem Tische, den Barbara zu dem kargen Mahle hergerichtet, füllte aus dem irdenen Kruge eine hölzerne Schale mit Hausbier, brach von einem Gerstenkuchen ein winziges Stück und wandte sich, als sie gegessen und getrunken, zu ihren unfreundlichen Wirten. »Für die Erfrischung, die ich zu mir genommen, sage ich Euch kein Dankeswort,« rief sie, »denn Ihr habt sie mir nicht angeboten, und Dank, einem Geizhals erstattet, gleicht dem Himmelstau, der auf steinige Klippen fällt. Beide können nichts dort finden, was sie erfrischen könnte. Aber,« fügte sie hinzu, einen ledernen Beutel, der groß und schwer zu sein schien, aus der Rocktasche ziehend, »bezahlen will ich Euch mit dem, was Euch lieber sein, was Euch mehr gelten wird als die Dankbarkeit aller Leute von Hialtland. Der Norna vom Fitful-Head sollt Ihr nicht nachreden, sie habe von Eurem Brote gegessen und aus Eurem Becher getrunken, und Euch dann in Sorge ums Geld, daß sie Euch schuldig wurde, verlassen.« Bei diesen Worten legte sie eine kleine alte Münze, auf der halb verwischt das Bildnis irgend eines alten nordischen Königs zu erkennen war, auf den Eßtisch nieder.

Die Geschwister verwahrten sich mit Eifer gegen diese Zumutung; Triptolemus sagte, »er hätte kein Wirtshaus,« und Barbara: »Ist das Weib von Sinnen? wer hätte je gehört, daß Clincscalter Leute sich Speise und Trank bezahlen ließen?«

»Oder anders gegeben hätten, als um Gottes willen« – brummte ihr Bruder vor sich hin; »bleib dabei, Schwester, bleib dabei!«

»Was schwatzest Du da wieder, Tropf?« sagte die liebreiche Schwester; »gib dem Weib die Münze wieder und freu Dich so heil davonzukommen; morgen ist sie vielleicht ein Stück Schiefer oder etwas Aergeres geworden.«

Der ehrliche Triptolemus nahm die Münze vom Tische, um sie der Sibylle wiederzugeben, konnte aber seines Staunens nicht Herr werden, als er das Gepräge darauf sah. Mit zitternder Hand reichte er sie der Schwester. »Ja,« sprach die Seherin abermals, als ob sie die Gedanken des erstaunten Paares auf ihren Gesichtern zu lesen vermöchte: »Ihr habt die Münze schon früher gesehen – gebt wohl acht, wie ihr sie braucht! – Geizigem Volk und Leuten kleinlicher Gesinnung bringt sie keinen Segen. Sie ward, wenn auch in Gefahr, so doch mit Ehren gewonnen, und ist gespendet worden, freigebig und in Ehren. Der Schatz, der unter kaltem Herde liegt, wird dereinst, gleich dem vergrabenen Talent, Zeugnis ablegen wider seine habsüchtigen Besitzer.«

Diese letzte dunkle Anspielung schien die Angst und Verwunderung der Geschwister auf den Höhepunkt zu steigern. Der Bruder stammelte etwas, das sich wie eine Einladung anhörte, Norna möge in ihrem Hause übernachten oder doch wenigstens zum »Mittagessen«, oder, wie Barbara sich, als sie die große Gesellschaft und den kargen Inhalt im Topfe erwog, verbesserte, zu einem »Imbiß« bleiben ...

»Ich esse nicht hier, und ich schlafe nicht hier,« versetzte Norna; »ja, ich enthebe Euch nicht allein meiner Gegenwart, sondern werde Euch auch von Euren unwillkommenen Gästen befreien. – Mordaunt,« fügte sie hinzu, an den Jüngling sich wendend, »die schwarze Stunde ist vorüber, und Dein Vater erwartet Dich am Abend.«

»Führt Dich Dein Weg dorthin?« fragte Mordaunt; »ich will nur einen Bissen essen und Dir dann auf dem Wege Stütze sein, gute Mutter. Die Bäche müssen ausgetreten, die Wege werden voller Gefahren sein.«

»Unsere Wege liegen nach verschiedener Richtung,« versetzte die Sibylle, »und Norna bedarf auf ihrem Wege keines sterblichen Armes als Stütze. Gen Osten ziehe ich –zu Menschen, die meine Bahn zu ebnen wissen. Du aber, Bryce Snailsfoot,« wandte sie sich zu dem Hausierer, »eile nach Sumbourgh; der Roost wird Dir reiche Ernte, des Einbringens wohl wert, bereitet haben; es wird viel gute Ware auf neuen Eigentümer warten, und der einst in banger Sorge war, schläft ruhig im Meer und läßt Ballen und Kisten ans Ufer treiben.«

»Nun, gute Mutter,« antwortete Snailsfoot, »mir zuliebe wünsche ich niemand den Tod und bin der Vorsehung schon dankbar, wenn sie meinem geringen Gewerbe geringes Gedeihen schenkt. Aber freilich, des einen Verlust ist des andern Gewinn, und da Stürme das Land zerschellen, ist's nur recht und billig, daß die See uns segnet. So will ich denn, wie Ihr Mutter, ein Stück Brot und einen Schluck dazu nehmen, den guten Leuten hier guten Tag sagen und danken, und mich dann, Eurem Rate gemäß, auf den Weg nach Jarlshof machen.«

»Ha,« sagte die Seherin, »wo Aas ist, sammeln sich die Adler, und wo ein Wrack am Ufer liegt, kommt der Hausierer eilends daher, wie der Haifisch, der auf die Kadaver lauert.«

Bryce Snailsfoot, der Hausierer, verstand den Vorwurf – wenn ein solcher in den Worten der Seherin lag – nicht recht; denn sein Geist befaßte sich schon mit dem Profit, der ihm winkte; und während er nach Quersack und Elle griff, fragte er mit einer, in einem von der Kultur noch unbeleckten Lande nicht auffälligen Familiarität den jungen Mordaunt, ob er ihn begleiten wollte.

»Ich will noch bei Herrn Yellowley zu Mittag essen und also erst in einer halben Stunde aufbrechen.«

»So will ich immer gehen,« sagte der Hausierer, murmelte einen kurzen Segen, nahm, wie Babys scharfe Augen richtig schätzten, ungefähr zwei Drittel von dem Brote, tat einen langen Zug aus dem Bierkruge, schob eine Handvoll kleiner Fische, in Shetland »Silloch« genannt, die die Magd eben auf den Tisch gesetzt, in die Tasche und verließ hierauf die Stube.

»Fürwahr,« sagte Barbara, entrüstet ob solcher Plünderung, »Hausierermagen kann viel vertragen; schade, schade, daß hierzulande die Gesetze gegen die Landstreicherei so milde gehandhabt werden ... Daß man seine Tür anständigen Leuten nicht verschließen würde,« sagte sie, den Blick auf Mordaunt richtend, »besonders nicht, wenn ein Wetter haust, als sollte das jüngste Gericht anbrechen, versteht sich von selbst ... Aber da steht ja die arme Gans noch immer auf dem Tische.«

Mordaunt lachte über dieses Mitleid mit einem Wesen, das schon geraume Zeit in der Räucherkammer gehangen, rückte einen Sessel heran und sah sich nach Norna und dem Hausierer um, die aber beide verschwunden waren,

»Gut, daß sie fort ist, das böse Weib,« sagte Baby; »hat sie uns doch, zur ewigen Schande, das Geldstück dagelassen!«

»Still, um Himmels willen,« rief Tronda Dronsdaughter, »wer weiß, wo sie im Augenblicke sein mag: wenn wir sie auch nicht sehen, so hört sie uns doch vielleicht!«

Barbara sah sich erschrocken um, gewann aber auf der Stelle die Herrschaft wieder über sich, denn, wenn sie auch heftigen Sinnes war, so gebrach es ihr doch an Beherztheit und Mut nicht. – »Ich hab sie gehen heißen,« sagte sie, »und tue auch jetzt nicht anders, – mag sie mich hören oder sehen oder schon weit weg sein über Block und Stein. Und Du, einfältiger Tropf,« fuhr sie den Bruder an, »stehst da und glotzest? – willst in St.-Andrews studiert haben? lateinische Humanität, wie Du es nennst? und fürchtest Dich vor dem Gewäsch eines alten Bettelweibs? Sprich Dein bestes Dankgebet aus dem Kollegium, Trip, und mag sie eine Hexe sein oder nicht, das Mittagessen soll sie uns nicht verderben; und daß wir uns an ihrem Gelde bereichert hätten, soll niemand uns nachsagen können. Ich will es einem Armen geben, das heißt nach meinem Tode vermachen, bis dahin aber als Heckpfennig verwahren; das heißt doch nicht, es wie gewöhnliches Geld brauchen! Sag also Dein bestes Tischgebet her, Trip, und laß uns essen und trinken.«

»Weit besser wär es, Ihr betetet zu St.-Ronald und würfet einen Sixpence über die linke Schulter, Herr,« sagte Tronda.

»Damit Du ihn aufnehmen könntest, he?« rief die ewig schnippische Barbara; »denn bis Du auf andere Weise so viel verdientest, möcht's wohl sein Weilchen dauern. – Setz Dich, Trip, und laß das alberne Ding schwatzen!«

»Ob albern oder klug,« antwortete Yellowley beklommen; »sie weiß doch mehr, als mir lieb ist; und dann, was sie über den Herd sagte; – ich kann wahrlich nicht umhin, Schwester, zu denken« –

»Wenn Du nicht umhin kannst, zu denken,« erwiderte Baby, wieder schnippisch, »dann halte wenigstens den Mund – das wirst Du wohl können?«

Trip erwiderte hierauf nichts, sondern setzte sich zu dem kärglichen Mahle, verhielt sich aber als Wirt aufs herzlichste gegen seinen Gast, den ersten, der ungebeten gekommen, und den letzten, der sie verließ. Fische und Gans verschwanden so schnell, daß Tronda an dem Gerippe, das für sie bestimmt war, kaum noch etwas zum Knabbern fand. Triptolemus langte zum Abschluß des Mahles die Branntweinflasche aus dem Schrankwinkel; aber Mordaunt, mäßig wie sein Vater, sprach ihr wenig oder gar nicht zu, zumal die Begegnung mit Norna, und was er aus ihrem Munde vernommen, sein Verlangen, nach Hause zu gelangen, heftig erregt hatte, und ihm das Haus, trotz aller jetzt in solchen Flor getretenen Gastfreundlichkeit, keine Lust zu längerem Verweilen machte. Er nahm deshalb das Anerbieten seines Wirtes, dessen Kleider anzubehalten, mit dem Versprechen an, sie gegen die seinigen abholen zu lassen, und nahm freundlichen Abschied von Wirt und Wirtin, welch letztere sich über den Verlust ihrer Gans damit tröstete, daß sie wenigstens einem schmucken Jüngling zu gute gekommen war.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Pirat. Band 1