Neunzehntes Kapitel - Die beiden Schwestern bewohnten dasjenige Zimmer im Hause, das vor dem Tode ...

Neunzehntes Kapitel.

Die beiden Schwestern bewohnten dasjenige Zimmer im Hause, das vor dem Tode ihrer Mutter das Schlafzimmer ihrer Eltern gewesen, ihrem Vater aber durch den frühen Heimgang seiner Gattin verleidet worden war. Sie hatten sie nach ihrem eignen Geschmack hergerichtet und ausgeschmückt, wie es der Sitte der Inseln entsprach, und seit ihrer Kindheit war es ihnen die vertraute Stätte gewesen, wo sie ihre Gedanken und Pläne einander vertraut, wo sie gelebt und gewebt hatten. Erst seitdem Cleveland sich im Herrenhause aufhielt, war hierin Wandel eingetreten; denn seitdem waren Gedanken bei ihr eingekehrt, die der Mensch für sich behält. Minna hatte, was andern weniger interessierten Beobachtern vielleicht entgangen war, gar wohl bemerkt, daß Brenda von Cleveland keine so hohe Meinung hatte wie sie; und Brenda ihrerseits hielt dafür, daß Minna die Vorurteile, die jetzt gegen Mordaunt in ihres Vaters Herzen wohnten, zu schnell zu den ihrigen gemacht habe. Seitdem hatten die beiden Schwestern die Empfindung, daß sie einander nicht mehr das seien, was sie sich gewesen waren, und wenn sie sich auch alle Mühe gaben, sich hierüber hinwegzutäuschen, so konnten sie einander nicht verhehlen, daß das alte Vertrauen erschüttert, wenn nicht gar auf immer zerstört war.


Die Reise nach Kirckwall, noch dazu während des Marktes, da Menschen aus alten Schichten der Inseln dorthin strömten, war eine so wichtige Begebenheit in ihrem sonst so einfachen, einförmigen Leben, daß sie noch vor wenigen Monaten die halbe Nacht durchwacht hätten, um über alles zusammen zu plaudern, was sich dort erwarten ließe, was sich dort ereignen könnte. Jetzt aber fand der Fall kaum Erwähnung, ganz als ob man Furcht hätte, das Thema könnte Zwist unter ihnen veranlassen, oder zu einer offneren Aussprache führen, als man beiderseits wünschte – zumal jede der Schwestern edel genug war, sich die Schuld an dieser Entfremdung beizulegen.

In der Nacht, von der wir hier berichten, wurden beide. Schwestern von Träumen heimgesucht, die, obgleich verschieden, wie ihr Charakter und Gemüt, dennoch von einer seltsamen Aehnlichkeit waren: Minna träumte, sie befände sich an dem einsamsten abgelegensten Ort vom Ufer, Swartaster genannt, wo die rastlose Arbeit der Wellen in einem talkartigen Felsen eine jener unterirdischen Höhlen, von den Inselbewohnern »Halier« genannt, gegraben hatte, wohin die Flut ab und zu strömte. Viele von diesen Höhlen senken sich zu unergründlicher Tiefe und sind sichere Zufluchtsorte für Seehunde und Wasserraben. Unter ihnen war die Höhle von Swartaster, für die unzulänglichste gehalten ihrer vielen scharfen Winkel und Krümmungen, wie auch der darin versunkenen Felsstücke halber. Aus dem grauenvollen Schlunde dieser Höhle glaubte Minna in ihrem Traum eine Seefrau hervorschweben zu sehen, mit Kamm und Spiegel in der Hand, die mit ihrem langen schuppigen Schwanze die Wogen um sich her peitschte, und Minna zu sich zu winken schien, während die wilden Töne ihrer Stimme wie in prophetischen Klängen Unheil und Weh verkündeten.

Brendas Traum war von ganz anderer, wenn auch nicht minder schwermütiger Art. Sie saß, wie es ihr vorkam, in ihrem Lieblingsgemach, umgeben von ihrem Vater und einem Teil ihrer liebsten Freunde, unter denen Mordaunt Mertoun nicht fehlte. Sie wurde aufgefordert zu singen und bemühte sich, den Kreis um sich her mit einem muntern Lied zu unterhalten, das sie mit einem solchen Erfolge vortrug, daß lautes Lachen und Beifallrufen ihr lohnte. Da aber schien ihr die Stimme plötzlich versagen zu wollen, und es war ihr, als ob dieselbe ihr selbst zum Trotz in jene melancholischen Tone übergehen wollte, in denen Norna vom Fitful-Head zuweilen ein Runenlied anstimmte, ähnlich denen, die von Priestern der grauen Heidenzeit bei ihren grauen Opfermahlen Odins oder Thors Schreckensaltar gesungen wurden.

Zuletzt schreckten die Schwestern fast im gleichen Augenblick aus dem Schlafe, mit einem lauten Schrei der Furcht schlugen sie die Arme fest umeinander. Ihre Phantasie aber hatte sie nicht getauscht; ähnliche Töne, wie sie sie zu hören geglaubt hatten, waren wirklich erklungen, und wohlbekannt war ihnen die Stimme; ihr Schrecken und Staunen war darum kaum geringer, als sie Norna vom Fitful-Head am Kamin erblickten, in welchem während des Sommers eine eiserne, wohlgefüllte Lampe stand, die zur Winterzeit einer wärmenden Holz- oder Torfglut Platz machen mußte.

Sie war in ihren langen, weiten Mantel gehüllt und bewegte ihren Körper langsam hin und her gegen die bleiche Flamme der Lampe, wobei sie in einem dumpfen, trauervollen und fast überirdischen Tone die folgenden Verse sang:

Viel Meilen weit in die See entlang,
Durch Strom und Brandung zog ich her;
Was Meer hört meinen Runensang,
Und seine Woge braust nicht mehr.

Wie unterm Hammerschlag das Erz,
Sinkt auf mein Wort die Woge hin,
Doch das weit wild're Menschenherz
Gehorcht allein dem Eigensinn.

Nur eine Stund' im Jahr ist mein,
Wo ich mein Leid verkünden kann;
Wenn hier erlöscht der Lampenschein,
Auch ihre kurze Frist verrann.

Ihr Töchter Magnus, drum entsteigt
Dem Lager Eurer nächt'gen Ruh';
Zu Ende bald das Licht sich neigt,
Erwacht, hört meiner Rede zu!

Norna war, wie gesagt, zwar beiden Schwestern wohlbekannt, dennoch aber konnten sie eine, obgleich verschiedenartige Gemütsbewegung bei ihrem so unerwarteten Anblick in dieser nächtigen Stunde nicht unterdrücken. Im Glauben an Nornas übernatürliche Kräfte wichen sie ungemein voneinander ab.

Minna war, obgleich sie geistig ihrer Schwester überlegen sein mochte, mit einer außerordentlich reichen Phantasie begabt und Erzählungen von Wundern und übernatürlichen Vorgängen leichter zugänglich; – Brenda hingegen hatte bei allem Frohsinn einen schwachen Hang zur Satire, der sie oft in Versuchung setzte, über Dinge, die Minna zu Traumgebäuden fügte, zu lächeln; auch ließ sie sich gleich allen muntern Gemütern nicht leicht durch großtuerisches Wesen imponieren, hingegen, da ihre Nerven schwächer und reizbarer waren als die ihrer Schwester, zuweilen von der Sucht verleiten, Ideen zu hegen, die ihre Vernunft verwarf. Bei solchen Gelegenheiten pflegte dann Claud Halcro, wenn die Rede auf Sagen kam, die um Burgh-Westra herum spielten, zu sagen: Minna glaube daran, ohne zu zittern, Brenda aber zittere davor, ohne daran zu glauben.

Unter dem Einflusse so verschiedenartiger Gefühle wollte Minna, als der erste Schreck vorüber war, von ihrem Lager aufspringen, um Norna zu begrüßen; Brenda aber, die in Norna, wenn nicht eine Geisteskranke, doch eine rätselhafte Erscheinung sah, hielt die Schwester zurück, und flüsterte ihr zu, daß sie um Hilfe rufen wolle. Aber Minnas Gemüt war, unter dem Eindruck, daß das Schicksal der Schwestern einer Krisis zutreibe, in zu großer Erregung, als daß sie den furchtsamen Aeußerungen ihrer Schwester hätte Folge leisten mögen; sie entwand sich ihren Armen, warf ein leichtes Nachtgewand über, schritt mutig durch das Gemach, mehr von Erwartung als Furcht beherrscht, und redete die seltsame Besucherin auf folgende Weise an:

»Wenn Eure Sendung uns betrifft, Norna, wie Eure Worte zu verkünden scheinen, so ist wenigstens eine von uns bereit, Eure ehrfurchtsvolle und furchtlose Zuhörerin zu sein.«

»Norna, liebe Norna,« flehte mit zitternder Stimme Brenda, – die der Schwester, weil sie sich allein auf ihrem Lager nicht mehr sicher glaubte, gefolgt war und die jetzt hinter ihrer Schwester stand, das Gewand derselben mit beiden Händen festhaltend, – »Norna, liebe Norna,« fuhr sie fort, »was Du auch zu sagen vorhast, laß es bis morgen. Ich will Euphane Fea, die Haushälterin, rufen, daß sie Dir ein Lager für die Nacht bereite.«

»Ich brauche kein Lager,« antwortete die nächtliche Besucherin, »meine Augen schließen sich nicht; sie wachten, wenn Sandbänke und Felsenmassen zwischen Burgh-Westra und Orkney sich erhoben und verschwunden – sie sahen wie die Klippe von Hoy in das Meer hinabstürzte, und wie der Felsen Hengcliff daraus emporstieg, und dennoch schloß der Schlummer sie nicht, und nimmer wird er sie schließen, bis mein Geschäft vollendet. Setze Dich also, Minna, und auch Du, furchtsame Brenda, setz Dich, während ich die Flamme meiner Lampe anfache. – Legt Eure Kleider an, denn die Erzählung ist lang, und noch bevor sie zu Ende sein wird, werdet Ihr vor Schlimmerem als Kälte zittern.«

»Ach, um Gottes willen, liebe Norna!« bat Brenda, »laß es, bis es Tag geworden ... Bald muß es ja zu dämmern beginnen. Ist's etwas Grauenvolles, was Du sagen willst, so erzähle es bei Tage, doch nicht beim Dämmerschein der blauen Lampe.«

»Ruhig, Du Törin!« gebot der nächtliche Gast: »nicht bei Tag kann Norna eine Geschichte erzählen, vor der selbst die Sonne am Himmel erlöschen würde, und mit der alle Hoffnungen jener Hunderte von Booten, die noch vor Mittag dieses Ufer verlassen werden, um die Tiefe des Meeres nach Fischen zu durchwühlen, wie auch die ihrer Familien, die vergebens ihre Rückkehr erwarten, untergehen müßten. Der böse Geist, den meine Worte wecken werden, muß, wenn er seinem Felsen entsteigt, um sich an den Schreckenstönen zu lechzen, die ihm Wonne und Entzücken sind, seine schwarzen Schwingen über ein schiff- und bootfreies Meer bewegen.«

»Nehmt Rücksicht auf Brendas Furcht, gute Norna,« sprach die ältere Schwester, »oder verschiebt wenigstens Eure schreckliche Mitteilung bis zu einer geeigneteren Zeit und Stunde.«

»Nein, Mädchen,« erwiderte Norna ernst, »nein, was ich zu erzählen habe, taugt nicht für ein Tageslicht, sondern muß noch erzählt werden, so lange noch diese Lampe brennt, die aus dem Galgenseilen des grausamen Lords von Woodensvoe, der seinen Bruder ermordete, geformt wurde... Seht, sie brennt schon dunkler, und doch darf meine Erzählung nicht länger währen als ihre Flamme. Setzt Euch dorthin, ich nehme meinen Platz Euch gegenüber und stelle die Lampe in unsere Mitte, denn den Bereich ihres Schimmers darf kein böser Geist überschreiten.«

Die Schwestern gehorchten; Minna warf einen schnellen, scheuen, aber doch festen Blick um sich, wie wenn sie das Wesen, das Nornas Worten zufolge in ihrer Nähe hausen sollte, suchte, während Brendas Furcht mit Verdruß und Ungeduld gemischt schien. Norna schenkte ihrem Benehmen keine Aufmerksamkeit, sondern begann ihre Erzählung mit folgenden Worten:

»Ihr wißt, meine Töchter, daß wir Blutsverwandte sind, aber in welchem Grade, ist Euch unbekannt; denn früher schon herrschte Feindschaft zwischen Eurem Großvater und dem Manne, der das Unglück hatte, mich Tochter zu nennen. Ich will ihn Erlend, bei seinem Taufnamen, nennen; denn den, der unsere Verwandtschaft bezeichnet, darf ich ihm nicht beilegen. Euer Großvater Olau war Erlends Bruder. Als aber die weitläufigen Besitzungen ihres Vaters Rolf Troil, eines der reichsten und mächtigsten Abkömmlinge des alten norwegischen Stammes, unter den Brüdern verteilt wurden, erhielt Erlend die Güter seines Vaters auf Orkney, Olav aber diejenigen, die auf Hialtland gelegen waren. Hierüber entstand Uneinigkeit zwischen den Brüdern; denn Erlend glaubte, ihm sei unrecht geschehen; und als das obere Gericht [Fußnote]Lawthing der höchste Gerichtsort des Landes, welcher noch jetzt auf den Orkney- und Shetlands-Inseln besteht und, seiner Verfassung nach, das rohe Bild eines Parlaments bietet die Teilung bestätigte, ging er zornig nach Orkney, verwünschte Hialtland und seine Bewohner, – verfluchte seinen Bruder und sein Blut. Aber die Liebe zu den Klippen und Felsen war noch immer in Erlends Seele herrschend, und er schlug seinen Wohnsitz auf, nicht etwa auf den freundlichen Hügeln von Orphir oder in den grünen Ebenen von Gramesay, sondern auf der wilden und felsenreichen Insel Hoy, deren Klippen sich wie die von Foulah und Feroe bis in die Wolken erheben. Dem unglücklichen Erlend waren alle Legenden und Sagen bekannt, die die Skalden und Barden hinterlassen haben; und mich in dieser Wissenschaft, die uns beiden so teuer zu stehen kommen sollte, zu unterrichten, war die hauptsächlichste Beschäftigung seiner alten Tage. Ich lernte jeden einsamen Hügel, jeden Steinhaufen besuchen, wußte die Geschichten zu erzählen, die mit ihnen zusammenhängen, und verstand mit Versen zu seinem Lobe den Geist des zornigen Kriegers zu besänftigen. Mir waren die Orte bekannt, wo man einst dem Thor und Odin geopfert; ich kannte die Opfersteine, wo das Blut vergossen war, wo die finstern Priester standen und die stolzen Häuptlinge, die den Willen des Götzenbildes vernahmen, und die Menge untergeordneter Anbeter, die mit Schrecken zuschauten. Jene Orte, die der furchtsame Landmann am meisten scheute, hatten keine Schrecken für mich; ich wagte mich in ihren Zauberkreis; ich traute mich, bei der magischen Quelle gut zu schlummern. Zu meinem Unglücke aber fühlte ich mich besonders zu dem Zwerggestein hingezogen, einer Reliquie des Altertums, auf die die Fremden mit Neugierde, die Eingeborenen aber mit Entsetzen blicken. Ein ungeheures Bruchstück eines Felsens ist es, das in einem wilden Tal voll Steinen und Abgründen an einem einsamen Orte unten am Fuße des Ward-Felsens von Hoy liegt. Sein Inneres bietet zwei Ruhestätten dar, von keiner irdischen Hand ausgehauen, und ein schmaler Gang trennt beide. Der Eingang liegt Wind und Wetter offen; daneben aber liegt noch jener ungeheure Stein, der, den Aushöhlungen nach, die noch am Eingänge sichtbar sind, einst dazu gedient hat, diesen seltsamen Wohnsitz zu öffnen und zu verschließen, und den jener mächtige Zwerg der nordischen Sagen, Trolld mit Namen, zu seiner Lieblingsresidenz erbaute.

»Mir graute vor Trollds Erscheinung nicht, wie den Schäfern, die diesen Ort noch immer meiden, denn mein Herz und meine Hand, Minna, waren kühn und schuldlos wie die Deinen. Aber in meinem kindischen Mut war ich zu anmaßend, und der Durst nach unerreichbaren Dingen trieb mich, wie unsere Stammmutter, die Erkenntnis selbst auf verbotenen Wege zu suchen. Mich verlangte nach der Macht der Voluspae, jener begabten Frauen unseres Geschlechts: gleich ihnen wünschte ich den Elementen gebieten und die Geister längst entschlafener Höhlen hervorrufen zu können, um von ihnen den Bericht ihrer kühnen Taten und Kunde von ihren verborgenen Schätzen zu erhalten. Oft wenn ich bei dem Zwerggestein weilte, die Augen auf den Ward-Felsen gerichtet, der sich über dieses grauenvolle Tal erhebt, sah ich in der Mitte des dunklen Gesteins jenen wundervollen Karfunkel, der wie rote Glut demjenigen erscheint, der von unten hinaufsieht, aber sogleich dem unsichtbar wird, dessen kühner Fuß es wagt, die Höhe zu erklimmen, der er seinen Glanz verdankt. [Fußnote]An der Westseite des Zwerggesteins nämlich erhebt sich ein ungemein hoher, steiler Felsen, Ward Hill genannt, nahe an dessen Gipfel in den Monaten Mai, Juni und Juli gegen Mittemacht etwas Glänzendes und Schimmerndes sichtbar wird, das man oft selbst in weiter Entfernung bemerken lann. In früherer Zeit war sein Glanz stärker als jetzt, und obgleich schon mancher Fuß den Felsen erkletterte, um dem schimmernden Gegenstände nachzuspüren, ward doch noch nie etwas dergleichen gefunden. Der gemeine Mann spricht wie von einem zaubervollen Karfunkel davon; ich aber halte es für ein über die Felsenfläche weggleitendes Wasser, das, wenn es von der Sonne zu solcher Zeit beschienen wird, einen so wundervoll glänzenden Widerschein von sich gibt Meine eitle Jugendbrust verlangte nach der Entschleierung dieses und hundert anderer Geheimnisse, die mir in den Sagen, die ich von Erlend erlernte, mehr angedeutet als erklärt wurden; und in meinem übermütigen Sinne forderte ich den Herrn des Zwerggesteins auf, Mir zur Erreichung jener, für bloß Sterbliche unzugänglichen Kenntnisse Beistand zu leisten.«

»Und der böse Geist vernahm Euren Ruf?« fragte Minna, der während dieser Erzählung das Blut zu starren begann.

»Still,« gebot Norna mit gedämpfter Stimme, »erzürne ihn nicht durch Vorwürfe, – er ist bei uns – eben jetzt hört er uns,« –

Brenda stand erschrocken auf. – »Ich will nach Euphanens Kammer,« rief sie, »mögt Ihr beide Eure Geschichten von Kobolden und Zwergen, so viel Ihr Luft habt, weiter erzählen; ich fürchte mich zu keiner andern Zeit vor ihnen, aber um Mitternacht und bei diesem bleichen Lampenschimmer mag ich nichts davon hören.«

Schon wollte sie das Zimmer verlassen, als Minna aufsprang und sie zurückhielt.

»Ist das Brendas Mut,« sprach Minna, »Brenda, die allen Sagen unserer Väter von übernatürlichen Wundern mit Unglauben begegnet? Was Norna mitzuteilen hat, betrifft vielleicht das Schicksal unsres Vaters und seines Hauses! – wenn ich zuhören kann, im Vertrauen darauf, daß Gott und meine Unschuld jeden bösen Einfluß von mir abwenden, hast Du, Brenda, die Du an keinen solchen Einfluß glaubst, um so weniger Ursache zu zittern. Glaube mir, der Schuldlose braucht sich nimmer zu fürchten.«

»Gefahr mag immerhin nicht vorhanden sein,« erwiderte Brenda, unfähig ihren natürlichen Hang zur Munterkeit zu unterdrücken, »aber wie jenes alte Scherzbuch sagt, große Furcht ist doch dabei. Minna,« fuhr sie flüsternd fort, »ich will doch lieber bei Dir bleiben, als Dich mit der furchtbaren Alten allein lassen; auch müßte ich über eine dunkle Treppe und über einen langen Gang, um bis zu Euphanen zu kommen, sonst hätte ich sie hierher geschafft, noch ehe fünf Minuten vergangen wären.«

»Rufe niemand her, Mädchen, bei Gefahr Deines Lebens,« rief Norna, »und unterbrich meine Geschichte nicht, noch einmal, denn nicht weiter erzählen darf ich sie, sobald das magische Licht hier erloschen sein wird.«

»Nun, Gott sei gedankt,« flüsterte Brenda vor sich hin, »die Flamme brennt nur noch matt in der Lampe; ich hätte wohl Lust, ihr den Rest zu geben, aber dann würde Norna mit uns im Dunkeln allein sein, und das wäre noch schlimmer.«

So sprechend, ergab sie sich in ihr Schicksal und nahm ihren Platz wieder ein, entschlossen, Nornas fernerer Geschichte mit allem nur erdenklichen Gleichmut zuzuhören. Norna aber begann auf folgende Weise wieder:

»An einem heißen Sommertag, gerade als ich gegen Mittag bei dem Zwerggestein weilte, meine Blicke auf den wundervollen Karfunkel gerichtet haltend, der seinen geheimnisvollen Glanz vom Wardfelsen zu mir herabsandte, beklagte ich mehr als je das unzulängliche menschlicher Wissenschaft, und wie unwillkürlich sprach ich die Worte einer alten Sage aus:

»Seid, Felsenbewohner, dem Rufe hold,
Haims der Weise, mächt'ger Trolld,
Die Ihr das schwache Weib oft geehrt,
Jenen Zauberstab, den ihr gewährt
Mit gebietender Hand zu schwingen,
Weises und Starkes kühn zu vollbringen,
Und des Sturmes Wut zu empören
Und des Ozeans Welle zu wehren;
Ruhig noch? fehlt Euch die Macht,
Die Euch einst eigen um Mitternacht?
Seid Ihr nicht die Starten mehr,
Wie, verkläng Eu'r Name leer?
Schwand er leicht hin durch die Luft
Wie des Morgens Nebelduft?«

»Ich hatte,« fuhr Norna fort, »kaum diese Worte ausgesprochen, als der Himmel, der bisher ungewöhnlich heiter gewesen war, sich plötzlich so verdunkelte, daß es eher Mitternacht als Mittag zu sein schien. Ein einziger Blitzstrahl zeigte mir die wüste Landschaft, von Gestein, Heidekraut, Morästen und Abgründen rund um mich her; und ein einziger furchtbarer Donnerschlag rief alle Echos des Wardfelsens wach, die den Schall rastlos widerhallten, so daß es schien, als ob ein von dem Schlage losgerissenes Felsstück über Klippen und Felsen in das Tal hinabrollte. In demselben Augenblick begann der Regen so heftig zu strömen, daß ich mich, um Schutz davor zu, finden, durch die niedrige Oeffnung in das Innere des geheimnisvollen Gesteins flüchten mußte. Ich setzte mich auf das größere Steinlager am obern Ende der Felsenhöhle und versank, die Augen auf den kleinern Ruhesitz mir gegenüber richtend, in tiefes Sinnen über Ursprung und Art meiner seltsamen Zuflucht. War es wirklich, wie die Skalden berichten, das Werk jenes mächtigen Trollds? Oder, das Grabmal irgend eines skandinavischen Häuptlings, der hier mit seinen Waffen und Reichtümern, ja vielleicht mit seinem geopferten Weibe begraben ward, auf daß alles, was er im Leben am liebsten hatte, auch im Tode nicht von ihm getrennt würde? Oder der Wohnort eines frommen Eremiten aus späterer Zeit? Öder vielleicht das Werk irgend eines wandernden Künstlers, vom Zufall oder einer Grille zu diesem Unternehmen geführt? Ich schildere Euch die Gedanken, die damals meine Seele durchflogen, damit Ihr Euch überzeugt, daß dasjenige, was nun folgt, nicht die Vision einer in Vorurteilen befangenen, erregten Einbildungskraft, sondern eine ebenso wirkliche als schreckensvolle Erscheinung war. ... Der Schlaf war während meiner Betrachtungen nach und nach auf mich herabgesunken, als mich ein zweiter Donnerschlag plötzlich aus meinem Schlummer aufschreckte, und als ich meine Augen aufschlug, sah ich bei dem Dämmerlicht, dem die obere Oeffnung Zugang ließ, die unförmige und undeutliche Gestalt Trollds des Zwerges, mir gegenüber auf dem kleineren Steinlager, das sein viereckiger, mißgestalteter Körperklumpen ganz auszufüllen schien. Ich war bestürzt, aber nicht erschrocken, denn das Blut des alten Geschlechts von Lochlin floß warm in meinen Adern. Er sprach, aber seine Worte waren so altnorwegisch, daß nur wenige, außer meinem Vater und mir, ihren Inhalt verstanden hätten, – Worte, wie sie auf diesen Inseln gesprochen wurden, noch bevor Olav das Kreuz auf die Ruinen des Heidentums pflanzte. Auch ihr Sinn war dunkel und unverständlich, wie der, den die heidnischen, Priester im Namen ihrer Götzenbilder von dem Helga-Fels [Fußnote]Geheiligte Berge, von den skandinavischen Priestern zu ihrem Gottesdienste gebraucht herab vor der versammelten Menge auszusprechen pflegten. Er lautete, wie folgt:

Zehn Säcula schon sah ich fliehen,
Seitdem ein Gast den Felsensäulen
Genaht, um meine Macht zu teilen. –
Besucher mein, Sollst mir willkommen sein;
Hochherzige Maid,
Vernimm den Bescheid:
Macht, von Dir begehrt,
Ueber Woge und Wind,
Sie sei Dir gewährt,
Du mutiges Kind;
Auf Felsen und Buchten, I
n bergigen Schluchten,
Auf jeglichen Höh'n,
Wo Winde nur wehn,
An jeglichem Strand
Im nordischen Land,
Doch hemmt so lange noch tatlose Ruh'
Dein Heldenbemühn,
Bis Deinem Lebensspender
Du Genommen, was er Dir verlieh'n!

»Ich antwortete ihm ungefähr auf dieselbe Weise, denn der Geist der alten Skalden unseres Geschlechts ruhte auf mir, und weit entfernt, das Gespenst zu fürchten, mit dem ich mich in einem so engen Raum eingeschlossen befand, fühlte ich ganz jenen hohen Mut, der die alten Kämpen und Druiden zum Kampf gegen die unsichtbare Welt beseelte, wenn sie der Meinung waren, daß die Erde ihnen fortan seine Feinde mehr darbieten könne, würdig von ihnen bezwungen zu werden. Ich antwortete ihm also folgendes:

»Dunkel sind Deine Worte,
Du, der Du häufest im Stein,
Doch wer Dich sucht an diesem Orte,
Nennt Furcht nicht sein.
Mag immerhin werden
Das Schlimmste mein Teil,
Die Qual ist auf Erden,
Im Tod nur ist Heil!«

»Der Dämon schielte nach mir, wie bestürzt und zugleich überwältigt, dann hüllte er sich in einen dicken, schwefelartigen Dampf und war vor meinen Augen verschwunden. Bis zu diesem Augenblick hatte ich nichts von Furcht gefühlt, nun aber ergriff sie mich, und ich eilte hinaus in die freie Luft, wo der Sturm vorüber und alles wieder heiter war. Nach einer kurzen atemlosen Pause flog ich heim, über die Worte der Erscheinung nachsinnend, die ich, wie es zuweilen zu gehen pflegt, damals nicht so deutlich in mein Gedächtnis zurückrufen konnte als späterhin. Es mag seltsam erscheinen, daß ein solcher Vorfall mit der Zeit, wie ein kurzer nächtlicher Traum, aus meiner Seele entschwinden konnte, – aber dennoch war dem so. Ich überredete mich selbst, es sei nur ein Spiel meiner Phantasie gewesen, – ich glaubte, zuviel in der Einsamkeit gelebt und mich zu sehr den durch meine Lieblingsstudien veranlaßten Empfindungen überlassen zu haben. Ich gab meine bisherigen Beschäftigungen einige Zeit lang auf und mischte mich unter die Jugend meines Alters. Bei einem Besuch in Kirckwall lernte ich Euren Vater kennen, den Geschäfte dorthin geführt hatten. Leicht wurde es ihm, in dem Hause der Verwandten wo ich mich aufhielt, Zutritt zu erhalten; man wünschte dort, wo möglich unsere Familien auszusöhnen. Euren Vater, Mädchen, hat die Zeit im Grunde mehr gestählt, als verändert. Es war dieselbe männliche Gestalt, dieselbe altnordische Offenheit der Sitte und des Herzens; derselbe redliche Mut und dasselbe ehrliche Wesen, vereint mit dem jugendlichen Scharfsinn, dem Wunsche zu gefallen, der Lust an allem und der Lebhaftigkeit des Geistes, die nie den Frühling unseres Daseins überlebt. Aber obgleich er der Liebe wert war, und ob auch Erlend schriftlich seine Neigung billigte, gab er dennoch einer andern – einer Fremden, Minna, einer unheilbringenden Fremden, – mit einem einnehmenden Wesen, und mit Künsten begabt, die den einfachen Sitten Deines Vaters unbekannt waren, den Vorzug. – Ja, so war's, und er wandelte in unserer Mitte wie ein Wesen aus einem erhabnem Geschlecht. – Ihr staunt mich an, gleichsam als sei es seltsam, daß sich die Aufmerksamkeit eines solchen Liebhabers auf mich lenken konnte; Wohl bietet Nornas Gestalt jetzt nichts mehr, was an die Reize von Ulla Troil erinnern könnte. – Der Wandel des belebten Körpers zum Leichnam ist kaum furchtbarer und schärfer, als der, den ich erfahren habe, die ja noch auf Erden wandelt. Schaut mich an, Mädchen – schaut mich an bei diesem dämmernden Lampenschein, – könnt Ihr glauben, daß diese widerwärtigen, vom Wetter verwüsteten Gesichtszüge – diese Augen, die durch das Anschauen von Schreckensgebilden fast zu Stein geworden, – diese graue Locke, die sich nur noch wie der Wimpel eines untersinkenden Schiffes bewegt, – daß sie, und die, der sie angehören, einst der Gegenstand zärtlicher Liebe sein konnten? – Aber die sinkende Flamme beginnt zu verlöschen, während ich meine Schande verkünde! – Wir liebten uns heimlich – wir sahen uns heimlich, bis ich ihm den letzten Beweis von unheilbringender, schuldiger Liebe gab! – Und nun wirf Deinen magischen Schimmer – breite noch einen Augenblick Deinen im Verlöschen so mächtigen Schein – gebiete ihm, der in unserer Nähe schwebt, halte seine dunklen Schwingen von dem Kreise fern, den Du beleuchtest – nur einen Augenblick leuchte noch, bis das Schlimmste erzählt ist, und dann sinke, wenn Du willst, in ein Dunkel zurück, schwarz wie die Nacht meines Kummers und meiner Schuld.«

Während sie so sprach, regte sie die verlöschende Flamme der Lampe wieder an und fuhr dann mit hohler Stimme und abgebrochenen Worten fort:

»Ich darf keine Zeit mit Worten verlieren. – Meine Liebe Wurde entdeckt, aber nicht meine Schuld. Erlend langte zornig auf Pomona an und führte mich in unsere einsame Wohnung auf der Insel Hoy. Er gebot mir, meinen Geliebten nicht wiederzusehen und Magnus, dem er die Beleidigungen meines Vaters verzeihen wollte, als meinen Gatten zu empfangen. Ach, ich verdiente leider nicht mehr seine Zuneigung – mein einziger Wunsch war, der Wohnung meines Vaters zu entfliehen und meine Schande in den Armen meines Geliebten zu verbergen. Ich muß ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, – er war treu – nur allzu treu – seine Untreue hätte mich den Verstand kosten können; die unglücklichen Folgen seiner Treue kosteten mich zehnfach mehr.«

Sie hielt inne; nach einer kurzen Pause aber fuhr sie im wilden Tone des Wahnsinns fort: »Sie hat mich zu der mächtigen, verzweiflungsvollen Herrscherin über Meer und Wind gemacht!«

Wieder hielt sie inne und fügte gefaßter hinzu: »Mein Geliebter kam heimlich nach Hoy, um mit mir über die Mittel zu meiner Flucht zu beraten; ich versprach ihm eine Zusammenkunft, um den Zeitpunkt zu verabreden, wann sein Schiff in die Meerenge einlaufen sollte. Ich verließ das Haus um Mitternacht.«

Hier schien sie kaum Atem schöpfen zu können, und nur langsam, fuhr sie in ihrer Erzählung fort: »Ich verließ das Haus um Mitternacht – mein Weg führte mich bei meines Vaters Stube vorüber; ich sah die Tür offen, – ich glaubte, er bewache uns, und damit das Geräusch meiner Schritte ihn nicht aus seinem Schlummer wecke, schloß ich die unglückselige Tür – eine unbedeutende Handlung – aber Gott im Himmel, welche Folgen hatte sie! – Am Morgen war das Gemach mit einem erstickenden Dampfe angefüllt – mein Vater war tot – tot durch mich! – tot durch meinen Ungehorsam, tot durch meine Schande! – Alles, was jetzt folgt, ist Nacht und Finsternis – ein gräßlicher, erstickender, furchtbarer Nebel hüllte alles ein, was ich tat und sprach, alles was getan und gesprochen wurde, bis ich überzeugt war, daß mein Schicksal erfüllt sei, und ich nur einherschritt als das kalte schreckensvolle Wesen, das Ihr jetzt in mir erblickt, die Gebieterin der Elemente, – die Teilnehmerin an der Macht jener Wesen, denen der Mensch und seine Leidenschaften eine Lust gewähren, derjenigen vergleichbar, die der Fischer bei dem Schmerze des Haifisches empfindet, wenn er ihm die Augen ausbohrt, und ihn noch einmal seinem Elemente überläßt, um in Blindheit und Todesangst die Wellen noch einmal zu durchschneiden. Sie, die Ihr vor Euch seht, Mädchen, ist von den Torheiten frei, deren Spiel Eure Herzen sind. – Ich bin es, die das Opfer brachte – ich bin es, die ihrem Lebensspender dasjenige raubte, was er ihr gab. – Das dunkle Wort ist durch meine Tat ausgelegt, und ich bin der Menschheit entnommen worden, um an Macht, aber auch an Jammer und Elend bevorzugt zu sein vor anderen.«

Als sie dieses sprach, flammte die Lampe, die bisher nur geglimmt hatte, plötzlich noch einmal hell auf, dann schien sie verlöschen zu wollen ...

»Nichts mehr nun,« rief Norna, sich selbst unterbrechend, – »er kommt – er kommt. – Genug, daß Ihr mich kennt und das Recht, das mir zusteht, Euch Zu raten und Euch zu gebieten. – Nahe Dich jetzt, stolzer Geist! wenn Du willst.«

So sprechend, löschte sie die Lampe aus und verließ mit dem ihr eigentümlichen feierlichen Ernste, wie Minna aus dem abgemessenen Schall ihrer Schritte wahrzunehmen meinte, den Raum.

Ende des ersten Bandes.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Pirat. Band 1