Fünftes Kapitel - Wir können nur hoffen, daß den freundlichen Leser der letzte Teil des vorigen Kapitels nicht ...

Fünftes Kapitel.

Wir können nur hoffen, daß den freundlichen Leser der letzte Teil des vorigen Kapitels nicht gelangweilt haben möge – soviel aber dürfen wir als gewiß annehmen, daß seine Ungeduld nicht so groß gewesen sein kann, wie die des jungen Mertoun, der – während Blitz auf Blitz folgte, der Wind, von einem Punkte der Windrose zum andern laufend, mit der Gewalt eines Orkans wehte, und der Regen in Strömen floß – an das Tor von Stourbourgh donnerte, dabei rief und schrie, ohne zu begreifen, wie man einem Fremden bei so furchtbarem Wetter den Eintritt wehren könne. Zuletzt aber wurde er inne, daß alles Lärmen unnütz sei, und nun trat er soweit vom Hause zurück, daß er die Schornsteine genau sehen konnte; und was sah er da zu seinem namenlosen Entsetzen? daß keine Spur von Rauch aufstieg, obgleich es nahe an Mittag war, damals die Essenszeit auf dieser Inselflur.


Jetzt trat nun an Stelle der Ungeduld Teilnahme und Besorgnis; denn an die unbedingte Gastfreiheit der shetländischen Inseln gewöhnt, konnte er keine andere Erklärung für den Fall finden, als daß die Familie, die hier ihren Sitz hatte, von einem schweren, unerklärbaren Unglück heimgesucht worden sei. So sah er sich nun nach einem Platze um, von wo aus sich in das Haus eindringen lasse, um über die Lage der Bewohner Klarheit und für sich selbst Obdach und Unterkunft zu gewinnen. Aber seine Bekümmernis war ebenso grund- und zwecklos wie seine Hast, denn Triptolemus und seine Schwester hatten sein Klopfen und Rufen recht gut gehört und sich schon geraume Zeit heftig darum gezankt, ob sie das Tor öffnen sollten oder nicht.

Barbara oder, wie sie von Triptolemus genannt wurde, Baby Yellowley wollte von Gastfreundschaft nichts wissen, war vielmehr von Cauldshouters, ihrem Pachthof in den »Mearns«, her allem vagierenden Volk in der schlimmsten Erinnerung; kein Bettler, Hausierer oder Kesselflicker, selbst der verschlagenste nicht, konnte sich rühmen, die Klinke des Tors dort offen gefunden zu haben. Das folgende Gespräch zwischen Bruder und Schwester wird über die Gründe, die zum Zank zwischen ihnen führten, Aufschluß geben können.

»Der Himmel gebe seinen Segen,« sagte Triptolemus, in der alten Schulausgabe seines Vergil blätternd; »das ist 'mal wieder ein Tag, um Gerste zu säen; sagte nicht schon der weise Mantuaner: ventis surgentibus? Wie es im Gebirge heult – wie es von den Küsten schallt! Aber – Baby, wo sind die Wälder? Wo finde ich nemorum murma hier in unsrem neuen Wohnsitze?«

»Was hast Du wieder für dummes Zeug im Kopfe?« rief Baby, den Kopf aus einem finstern Loch in der Küche hervorsteckend, wo sie irgend ein häusliches Geschäft verrichtet hatte.

Triptolemus, mehr aus Gewohnheit als Absicht das Wort an sie richtend, hatte kaum ihre spitze, rote Nase, ihre funkelnden grauen Augen und scharfen Züge erblickt, als ihm auch schon beifiel, daß ihr solche Frage kaum recht kommen würde, und es ihm rätlicher bedünkte, sich lieber einer neuen Flut von Scheltworten auszusetzen, als das Gespräch von neuem zu beginnen,

»Nun, Yellowley,« sagte Baby, in die Mitte der Stube tretend, »warum denn solch Geschrei nach mir? Du solltest doch wissen, daß ich noch mitten in der Arbeit stecke.«

»Ach, ich habe eigentlich gar keinen Grund, Baby, Dich zu behelligen; ich dachte nur, an Meer und Wind und Regen fehlte es uns freilich nicht – wohl aber an Holz! Wo ist das Holz, Baby? he! sag es nur, wo ist das Holz?«

»Das Holz?« wiederholte Baby, – »ginge ich damit nicht haushälterischer um als Du, Bruder, dann gebe es in der Nähe wohl bald kein Holz weiter als den Klotz, den Du als Kopf auf Deinen Schultern trägst. – Meinst Du aber das Treibholz, das gestern angeschwommen, so sind zwölf Lot davon heute früh auf Deine Suppe gegangen – ich freilich meine, daß sich jeder sparsame Mensch statt mit Suppe auch mit Drammock [Fußnote]Mehl mit kaltem Wasser eingerührt einrichten könnte, statt daß man zum Mehl auch noch Feuerung wegen des bißchens Frühstücks verbrauchen muß.«

»Du meinst Baby,« sagte Triptolemus, der nach seiner Weise auch einmal, wenn auch nur trocken, scherzen konnte, »wer Feuer hat, soll nicht essen, und wer zu essen hat, soll kein Feuer anmachen, da beides zu viel des Guten für einen Tag sei? Nun, daß Du uns vor Kälte und Hunger nicht unice contextu umkommen lassen willst, freut mich wenigstens; aber wenn ich Dir die Wahrheit gestehen soll, so habe ich mir mein Lebtag aus rohem Mehl in kaltem Wasser nichts gemacht – ich lobe mir nun einmal was Warmes.«

»Schlimm und dumm genug von Dir,« sagte Baby. »Könntest Dir mit der warmen Suppe auch Sonntags genügen lassen und in der Woche Drammock essen – wozu die Schleckerei? es ist doch bloß ein kurzes Stück, wo's gut schmeckt! und dann gibt's manchen, der ganz anders aussieht wie Du, und sich doch alle Finger nach einem Teller Suppe lecken würde.«

»Da sei Gott vor, Schwester!« erwiderte Triptolemus; »dann braucht' ich doch weder Feld zu bestellen, noch den Pflug zu spannen, sondern könnt mich ruhig hinlegen und auf den Tod warten; denn soviel, daß ganz Shetland sich ein Jahr an Mehl satt essen könnte, haben wir im Hause – und Du willst mir nicht einmal einen Teller warmer Suppe gönnen, trotzdem ich Dir doch über jeden Pfennig Rechenschaft ablegen muß?«

»Still! halte Deine geschwätzige Zunge,« sagte Baby, indem sie einen scheuen Blick durch die Stube warf; »wahrhaftig, Du bist gerade der Rechte, davon zu sprechen, was wir im Hause haben, und alles zusammenzuhalten und über allem die Augen zu halten! – Horch! So wahr ich lebe, draußen klopft jemand.«

»Dann geh und mach auf, Baby,« sagte der Bruder, froh, daß sich ein Umstand fand, der dem Gespräch ein Ende machte.

»Gehen und aufmachen?« wiederholte Baby, böse, erschrocken und schadenfroh zu gleichen Teilen – »so? gehen und aufmachen? Ich soll wohl Räuber ins Haus lassen, damit sie uns das bißchen noch wegschleppen, was wir haben?«

»Räuber?« fragte Triptolemus, »ei, Baby, in Shetland gibt's ihrer kaum oder gerade soviel, als Weihnachten Lämmer. Ich hab's Dir doch schon oft genug gesagt, daß es hier keine Hochländer gibt, die uns in Angst setzen könnten. In Shetland herrschen Ruhe und Ehrlichkeit. O, fortunati nimium!«

»Und was soll Dir Sankt Ninian nützen, Triptolemus?« sagte die Schwester, sein Zitat für die Anrufung eines Landes-Heiligen haltend. »Es gibt hier ebenso böse Leute wie im Hochlande; erst gestern ist ein halb Dutzend verdächtiger Kerle um unser Haus geschlichen, mit allerhand seltsamem Werkzeug in den Händen, Walfischmessern, wie sie sagten, aber Hirschfängern so ähnlich, wie ein Ei dem andern. Ehrliches Volk führt doch solche Geräte nicht!«

Das Klopfen und Rufen draußen wurde immer deutlicher; die Geschwister sahen einander erschrocken und ängstlich an.

»Wenn sie von unserm Silber was gehört haben,« sagte Baby, deren rote Nase blau vor Schrecken wurde, »so sind wir verlorene Leute.«

»Und wer spricht jetzt, wo er still sein sollte?« sagte Triptolemus. »Geh ans Schiebfenster und sieh nach, wieviel es ihrer sind, während ich die alte Entenflinte lade; – aber geh wie auf Eiern.«

Baby schlich ans Fenster und meldete, es sei nur einer draußen zu sehen, ein junger Mensch, der aber lärmte und schrie, als ob er toll wäre ... Wieviel noch im Hinterhalt lägen, könne sie nicht sagen.

»Im Hinterhalt? – Dummes Zeug!« sagte Triptolemus und legte den Ladestock, den er mit zitternder Hand ergriffen hatte, weg ... »Ich stehe dafür, daß keiner weiter zu sehen und zu hören ist; wer soll's denn sein, als irgend ein armer Schelm, den der Sturm überfallen hat und der ein Obdach sucht? Mach auf, Baby, Du tust ein christliches Werk.«

»Tut er aber ein christliches Werk, so zum Fenster hereinzukommen?« sagte Baby und schrie jämmerlich auf, als Mordaunt, der ein Fenster eingeschlagen hatte, jetzt mit einem Satze in die Stube sprang, am ganzen Leibe triefend wie ein Flußgott.

Triptolemus legte die Flinte an, die er noch nicht geladen hatte, – da aber rief der Fremde: »Halt! halt! halt! – Was soll das heißen, bei einem Wetter, wie es draußen tobt, die Tür zu verriegeln und die Flinte auf Menschen anzulegen, als ob es Seehunde wären?«

»Und wer seid Ihr, Freund, und was wollt Ihr?« fragte Triptolemus, das Gewehr absetzend.

»Was ich will,« sagte Mordaunt; »alles mögliche! Essen, trinken, Feuer, ein Bett für die Nacht, und morgen einen Klepper, mich nach Jarlshof zu bringen.«

»Und Du sagst, es gebe keine Räuber oder Freibeuter auf Shetland?« fragte Baby schnippisch den Bruder ... »Hat jemals so ein Plaidmann von Lochnaben freier herausgeschrieen, was er verlange? Ohne Umstände, Freund,« fügte sie hinzu, sich an Mordaunt wendend: »zieht Euer Schild ein und geht Eurer Wege! Dieses Haus gehört dem Verwalter Seiner Herrlichkeit und ist keine Herberge, sei es für Bekannte, sei es für Freibeuter.«

Mordaunt lachte ihr ins Gesicht ... »O, gehen,« sagte er, »in solchem Wetter? Wofür haltet Ihr mich? Etwa für eine Solandsgans oder einen Kormoran, daß ich mich, weil ihr in die Hände schlagt und wie eine Besessene schreit, aus dem Hause und wieder in das Wetter hinausscheuchen lassen soll?«

»Und so wollt Ihr wirklich, junger Mann,« sagte Triptolemus im vollsten Ernste, nolens volens, d. h. ob mit, ob ohne unseren Willen, in unserem Hause bleiben?«

»Wollen?« wiederholte Mordaunt; »welches Recht hab ich, hier etwas zu wollen? Hört Ihr nicht den Donner? Hört Ihr nicht den Regen? Seht Ihr nicht den Blitz? Und wißt Ihr nicht, daß dies auf viele Meilen in der Runde das einzige Haus ist? Hört einmal, guter Herr, und Ihr, gute Frau, das mag wohl schottischer Spaß sein, aber ich versichere Euch, in shetländischen Ohren klingt er sehr übel. Das Feuer habt Ihr auch ausgehen lassen, und meine Zähne klappern vor Kälte im Munde. Aber das will ich bald in Ordnung bringen.«

Mit diesen Worten ergriff er die Feuerzange, scharrte die glühende Asche auf dem Herde zusammen, brachte den Torf, der, wie die sparsame Hauswirtin gerechnet hatte, noch mehrere Stunden Glut halten sollte, erblickte in einem Winkel den Vorrat von Treibholz, den Baby unzenweis zu verbrauchen gedachte, schleppte ein paar Blöcke heran und warf sie in den Herd, der über eine so ungewohnte Zubuße so lustig wurde, daß er dicke Rauchwolken, wie man sie seit vielen Tagen in Hafra nicht gesehen, zum Schornstein heraussspie.

Während der ungebetene Gast sich benahm, als ob er zu Hause sei, trieb Baby den Bruder in einem fort, ihn zum Hause hinauszujagen. Aber Triptolemus fühlte hierzu weder Mut noch Neigung; zumal die muskelhaften Glieder Mordaunts, die in dem Matrosen-Anzuge doppelte Stärke verrieten, keinen günstigen Ausgang eines etwaigen Kampfes zu versprechen schienen. – Mordaunts dunkles, blitzendes Auge, sein schön geformter Kopf, seine muntern Gesichtszüge, sein dichtgelocktes dunkles Haar, seine kühnen, freien Blicke bildeten einen auffallenden Gegensatz zu dem Wirte, in dessen Nähe er sich so selbständigerweise begeben. Triptolemus war ein kurzer, plumper, watschelbeiniger Schüler der Ceres, mit aufgestülpter, an der Spitze von Kupfer gefärbter Nase, die auf gelegentlichen Verkehr mit Gott Bacchus hinzuweisen schien; sonst ein ehrlicher, gutmütiger Wicht, der von seinem Gast rasch die Meinung gewann, daß ihn keinerlei schlimme Absicht herführe. Die Schwester hätte noch soviel hetzen können, so wäre es ihm doch schwerlich eingefallen, einem Jünglinge von so einnehmendem Aeußern ein so vernünftiges, durch die Not so tiefbegründetes Verlangen nicht zu erfüllen – und so überlegte er nur, wie er sich am besten, statt als rauher Schirmherr seiner Burg gegen unbefugten Zuspruch, als gastfreien Wirt aufspielen könne – als Baby, vor Staunen über Mordaunts unerhörten Freimut im Tun und Reden ganz außer sich, wieder zum Worte griff ...

»Wahrhaftig, Bursche,« sagte sie zu Mordaunt, »blöde bist Du nicht, ein solches Feuer anzuzünden, und noch dazu vom besten Holze; Dir ist wohl Torf nicht einmal gut genug?«

»Euch hat's ja doch nicht viel gekostet,« erwiderte Mordaunt munter – »und was Euch das Wasser umsonst bringt, solltet Ihr dem Feuer nicht vorenthalten – die stattlichen Eichenklötze haben hienieden den letzten Dienst getan zu Lande und Wasser, denn sie konnten unter den braven Leuten, mit denen das Boot bemannt war, nicht mehr zusammenhalten.«

»Das mag wohl sein,« erwiderte Baby, etwas milder gestimmt, »es muß ja auf dem Meere schrecklich gehaust haben. Setzt Euch und wärmt Euch, da das Holz nun doch einmal brennt.«

»Ja, ja,« sagte Triptolemus, »solch helles Feuer zu sehen, wärmt einem Herz und Leib. Seit ich von Culdacres fort bin, hab ich keins wieder gesehen von solcher Art.«

»Und sollst es auch so bald nicht wiedersehen,« sagte Baby, »es müßte denn sein, daß das Haus in Brand geriete oder eine Kohlengrube entdeckt werde.«

»Und warum sollte keine Kohlengrube entdeckt werden?« rief der Verwalter triumphierend. »Warum in Shetland nicht, so gut wie in Fife, da der Kümmerling jetzt einen umsichtigen, besonnenen Mann meines Wissens an Ort und Stelle hat, die nötigen Nachforschungen anzustellen? Beides sind ja doch Fischerplätze!«

»Ich muß Dir nun sagen, Triptolemus,« antwortete seine Schwester, die freilich triftige Gründe hatte, vor brüderlichen Spekulationen auf der Hut zu sein, »daß, wenn Du dem Lord gar so viele schöne Aussichten eröffnest, unseres Bleibens hier wahrscheinlich nicht lange sein wird. Versprechen bedingt halten, mein Lieber.«

»Und warum sollte ich nicht halten, was ich verspreche,« versetzte Triptolemus. »Dir ist freilich wohl noch nie in den Kopf gekommen, daß es auf Orkney eine Gegend gibt, die Ophir, oder so ungefähr, heißt; warum könnte nicht Salome seine Schiffe und Sklaven dahin geschickt haben, um vierhundert und fünfzig Talente zu holen? Ich sollte meinen, daß dieser weise König über Juda am besten hat wissen müssen, wohin er sich zu wenden hatte; und an die Bibel, Baby, glaubst Du doch hoffentlich noch?«

Baby wurde durch die Berufung auf die Heilige Schrift – so wenig am Platze sie auch sein mochte, – zur Ruhe verwiesen und brummte bloß noch ein ungläubiges, verdrossenes Hm hm! – während Triptolemus, zu Mordaunt gewendet, fortfuhr:

»Ja, Ihr sollt sehen, was selbst in einem so kümmerlich bedachten Lande wie dem unsrigen, alles anders werden kann, wenn Bargeld hineingesteckt wird – von Kupfer oder Eisenstein habt Ihr auf diesen Inseln wohl noch nie was vernommen?«

Mordaunt sagte, seines Wissens gäbe es Kupfer in der Nähe der Klippen von Kings-Bourgh.

»Ja, und Kupferschaum auch auf dem Loch Swana, junger Mann! Aber von Euch jungem Volk ist ja der dümmste, Eures Wissens, noch immer klüger als Männer von meinem Alter und Schlage.«

Baby, die den Jüngling die ganze Zeit über aufmerksam im Auge behalten, trat ihm jetzt auf eine dem Bruder gänzlich unerwartete Weise zu Hilfe.

»Es wäre wohl gescheiter, Trip,« sagte sie, »dem jungen Menschen trockene Kleider und etwas Essen zu geben, als ihm solchen Wind vorzumachen, für den doch das Wetter schon zur Genüge gesorgt hat. – Auch einen Schluck möcht er wohl nehmen, wenn Du ihm einen anbötest?« – Triptulemns, ganz verwundert über solches Ansinnen, ging mit sich zu Rate, kam aber zu dem gleichen Schlusse und führte den Jüngling in eine andere Stube, gab ihm dort Kleider von sich und ließ ihn allein, sich umzuziehen, während er selbst nach der Küche zurückkehrte, außer stande, für die ungewöhnliche Anwandlung von Gastfreundschaft bei der Schwester eine Erklärung zu finden ...

»Das ist doch kurz vor ihrem Tode,« sagte er, immerhin ein wenig ängstlich, »und wenn ich auch bei ihrem Ableben Erbe ihres mütterlichen Vermögens werde, sollte es mir doch leid um sie sein, denn sie hält das Hauswesen gut in Ordnung, wenn auch das Wort auf ihr Regiment zutrifft: je straffer der Gurt, desto fester der Sattel.«

In der Küche angelangt, fand Triptolemus neue Nahrung für seine Ahnungen, denn Barbara war eben damit beschäftigt, eine geräucherte Gans, die mit anderen ihres Geschlechtes schon lange im Schornstein gehangen, in einen Kochtopf zu hängen ... »Einmal muß sie doch gegessen werden,« hörte er sie nun gar murmeln, »warum sollte also der arme Mensch sie nicht verzehren?«

»Schwester,« rief Triptolemus, »Topf und Backschüssel zugleich am Herde? »Was haben wir denn für einen Tag heut?« – »Einen Tag, wie ihn die Israeliten bei den Fleischtöpfen Aegyptens hatten, Triptolemus; aber Du weißt ja nicht, wen Du an diesem gesegneten Tage in Deinem Hause als Gast siehst!«

»Nein, das weiß ich freilich nicht,« sagte Triptolemus; »so wenig als ich ein Pferd kennen würde, das ich nie vorher gesehen. Ich hätte den Burschen für einen Hausierer gehalten, aber er hat kein Bündel bei sich und ist von guter Art und Sitte.«

»Du weißt wahrhaftig keinen Deut mehr als Deine Ochsen,« eiferte Baby. »Kennst Du Tronda Dronsdaughter nicht?« – »Tronda Dronsdaughter?« wiederholte Triptolemus; »die muß ich doch kennen, wenn ich ihr täglich zwei Pfennige schottisch für Arbeit in unserm Hause bezahle? trotzdem sie freilich arbeitet, als ob sie sich die Finger dabei verbrennte! Wahrhaftig, lieber gäbe ich einem schottischen Mädchen einen Grot englisches Silbergeld.«

»Das erste kluge Wort, das Du an diesem gesegneten Morgen gesprochen! Nun, Tronda kennt den Burschen und hat mir oft von ihm erzählt. Den stillen Mann von Sumbourgh nennt man seinen Vater; aber trotzdem soll er, heißt's, ein boshafter Kerl sein.«

»Still – dummes Zeug! Mit dergleichen Geschwätz sind die Leute gleich bei der Hand, wenn sie arbeiten sollen – da finden sie immer schnell was heraus, das ihnen nicht paßt.«

»Schon gut, Bruder; mußt bloß nicht denken, Du seiest allein gescheit, weil Du in St.-Andrews Lateinisch gelernt,« sagte Baby; »kannst mir aber mit all Deiner Weisheit wohl nicht sagen, was der Bursch um den Hals hat?«

»Ein Barcelona-Halstuch!« rief Baby, lauter als bisher; dann aber schnell wieder die Stimme senkend, als fürchte sie, belauscht zu werden; »eine goldene Kette hat er um, sage ich Dir!«

»Eine goldene Kette!« rief Triptolemus.

»Gewiß, Freund, und wie gefällt Dir das? Bei den Leuten heißt's, wie Tronda erzählt, der Zwerg-König hätte sie dem stillen Manne von Sumbourgh gegeben.«

»Entweder rede vernünftig oder spiele die stille Frau,« versetzte anspielend Triptolemus. »Aus all Deinen Worten geht für mich weiter nichts hervor, als daß der Bursche des fremden Mannes Sohn ist; und aus all Deinem Tun ersehe ich nichts andres, als daß Du ihm die Gans gibst, die bis zu Michaelis aufbewahrt werden sollte.«

»Je nun, Bruder, wir müssen doch was tun, uns Freunde zu machen; und der Bursche,« setzte Baby hinzu (denn auch sie war nicht ganz der Vorliebe ihres Geschlechts für ein hübsches Aeußere ledig) – »hat wirklich ein hübsches Gesicht.«

»Du hättest,« sagte Triptolemus, »wohl sein, wie manches andere hübsche Gesicht ungetröstet an Deiner Tür vorbei gehen lassen – wenn nicht die goldene Kette wäre.«

»Gewiß, gewiß!« antwortete Barbara; »oder sollt ich unser bißchen Hab und Gut jedem Bettler und Landstreicher an den Hals werfen, den sein Weg an einem Regentag bei uns vorüberführt? Der Bursche hier hat aber einen guten Namen im ganzen Lande, und Tronda sagt, er würde eine Tochter des reichen Udallers Magnus Troil heiraten, und der Hochzeitstag solle gleich festgesetzt werden, sobald er sich eins von den beiden Mädchen ausgesucht habe – und was sollte wohl werden, wenn wir ihn nicht ordentlich bewirten wollten, trotzdem wir ihn nicht eingeladen haben?«

»Der beste Grund,« sagte Triptolemus, »einen Menschen ins Haus zu lassen, ist immer, daß man sich nicht getraut, ihm zu sagen, daß er gehen soll. Da wir indes hier einen Mann von Stand vor uns haben, soll er auch wissen, mit wem er in meiner Person zu hat.«

Und so ging er an die Tür und rief: »Heus tibi, Dave«!

»Adsum!« antwortete der Jüngling, in die Stube tretend.

»Hm!« sagte der gelehrte Triptolemus, »also in humanioribus nicht unbewandert? Ich will ihm aber weiter auf den Zahn fühlen. – Versteht Ihr was vom Landbau, junger Mann?«

»Nein, Herr, denn ich lernte nur das Meer pflügen und auf Klippen ernten.«

»Das Meer pflügen?« sagte Triptolemus; »Meer ist eine Furche, die der Egge wenig bedarf, und was Eure Ernte auf den Klippen betrifft, so, glaube ich, meint Ihr die jungen Möwen, oder wie Ihr sie nennt? Das ist aber eine Ernte, die der Vogt verbieten sollte, denn nirgends kann sich ein ehrlicher Mensch den Hals leichter brechen! Ich gestehe, für das Vergnügen, zwischen Himmel und Erde an einem Seile zu schweben, habe ich kein Verständnis, es sei denn, der Galgen käme in Betracht.«

»Nun, versuchen könntet Ihr es immerhin einmal,« antwortete Mordaunt; »ich für mein Teil kann mir kaum etwas Großartigeres denken, als in freier Luft zwischen Klippe und Ozean zu schweben, an einem Seile, das kaum dicker als ein Seidenfaden erscheint, und mit dem Fuß auf einem Steine knapp so groß, daß eine Möwe drauf nisten könnte, einzig angewiesen auf Eure behenden Glieder und Euren klaren Kopf – mit der Zuversicht, verloren zu sein, wenn Euch Kopf und Glieder verlassen – das bedeutet wohl etwa soviel, als frei von der Erde sein, die Euer Fuß berührt.«

Triptolemus schüttelte zu dieser begeisterten Schilderung eines Zeitvertreibs, der so geringen Reiz für ihn besaß, bedenklich den Kopf, aber seine Schwester, des Jünglings funkelndes Auge und selbstbewußte Haltung würdigend, rief nicht ohne Wärme: »Ei, Du bist wirklich ein braver Junge!«

»Ein braver Junge!« wiederholte Yellowley, »ein braver Ganter, meine ich, sei ein besserer Name für jemand, der in der Luft herumtost, während er ruhig auf terra firma bleiben könnte. . . . Aber nun kommt, hier ist zwar kein Ganter, sondern eine Gans, die uns, sofern sie gut gekocht ist, besser munden soll. Gib uns Teller und Salz, Baby – zwar, an Salz wird's der Gans nicht fehlen – aber ein schöner Bissen ist's doch, und ich denke, die Shetländer sind die einzigen Leute in der Welt, die sich solchen Gefahren aussetzen, um Gänse zu fangen und nachher, wenn sie sie haben, zu kochen.«

»Allerdings,« sagte seine Schwester, – und das war das einzige, worin sie an diesem Tage übereinstimmten, – »einer Hausfrau in Angus oder auf den Mearns möchte es wunderlich vorkommen, eine Gans kochen zu sollen, solange es noch Bratspieße auf Erden gibt . . . Aber was ist denn das wieder?« rief sie, mit lebhaftem Unwillen zur Tür hin blickend; »weiß Gott! die Türen dürfen bloß offen sein, so kommen auch Hunde – und wer hat Dem da hereingewinkt?«

»Ich,« antwortete Mordaunt; »es kann doch Euer Wille nicht sein, einen armen Kerl in solchem Wetter vor der Tür stehen zu lassen? – Aber hier ist was, das Feuer zu schüren,« rief er, den eichenen Riegel von der Tür wegziehend und auf den Herd werfend, von dem ihn aber Jungfrau Baby mit beispiellosem Grimme wegriß, keifend:

»Es ist Treibholz, von bester Art, und er hantiert damit, als ob es Kienspan wäre! – Ei, und wer seid Ihr denn, wenn's beliebt?« – setzte sie hinzu, sich zu dem Fremden wendend, der jetzt an den Herd trat; »weiß Gott, ein Bettelwicht, wie mir sobald keiner vor die Augen gekommen.«

»Ich bin ein Jagger, zu Befehl,« – versetzte der ungebetene Gast, ein kleiner, stämmiger Mann von gewöhnlichem Aussehen, der in der Tat viel von einem Hausierer an sich hatte, die man auf dieser Inselflur »Jagger« nennt – »und nie bin ich an einem böseren Tage unterwegs gewesen, – Dem Himmel sei Dank für Feuer und Obdach!«

Mit diesen Worten zog er einen Schemel zum Feuer und setzte sich ohne weiteres nieder.

Jungfer Baby schnitt ein Gesicht, ähnlich dem eines Falken, der auf seine Beute schießt, und wollte ihrem Aerger gerade in grimmigen Worten Luft machen, als eine alte, halb verhungerte Dienerin – die oben erwähnte Tronda, die bis jetzt in einem fernen Winkel des Hauses gesteckt hatte, in die Stube gehinkt kam und Rufe ausstieß, die zu neuer Unruhe Anlaß zu geben schienen.

»Ach, gnädiger Herr!« – »ach, gnädige Herrin!« weiter konnte sie im ersten Augenblicke nichts über die Lippen bringen: dann kamen noch die abgebrochenen Worte: »Das Beste im Hause! Das Beste auf den Tisch! Und doch wird alles nicht reichen; denn die alte Norna vom Fitful-Head kommt, das schrecklichste Weib auf den Inseln!«

»Wo mag sie bloß herumgeirrt sein?« – fragte Mordaunt, nicht erschrocken wie die alte Magd, aber im höchsten Grade verwundert – »doch wozu diese Frage? je schlimmer das Wetter, desto sicherer ist die Norna auf der Landstraße zu finden.«

»Was für eine Landstreicherin kommt uns da wieder auf den Hals?« rief Baby, durch diese Menge von Gästen schier um den Verstand gebracht, in heller Verzweiflung – »aber sie sollen bald aufhören, mich zu scheren, falls mein Bruder noch einen Funken Raison im Leibe hat – und wenn's auch nur ein Halseisen noch in Galloway gibt.«

»Das Eisen, das die Norna von Fitful halten soll, hat nie den Amboß gesehen,« sagte die Magd; »sie kommt – sie kommt – um Gottes willen, seid freundlich zu ihr, oder wir bekommen keinen Haspel Garn mehr glatt.« Eine Frau, so groß, daß sie mit der Haube fast bis znr Tür reichte, setzte den Fuß über die Schwelle und machte das Zeichen des Kreuzes. Dann sprach sie mit feierlicher Stimme: »Der Segen Gottes und des heiligen Ronald sei mit der offenen Tür, aber beider Fluch und mein Fluch treffe den Geizigen!«

»Wer seid Ihr, daß Ihr in anderer Leute Haus so laut Fluch und Segen sprecht? Was ist das für ein Land, wo die Leute keine Viertelstunde ruhig sitzen und dem Himmel dienen können, ohne daß Landstreicher und Landläufer und Bettelvolk einander jagen, wie eine Flucht wilder Gänse?«

Die Worte kamen, wie der Leser errät, aus Barbaras Munde; von welcher Wirkung sie aber auf die Fremde waren, ließe sich höchstens vermuten, denn die Magd, wie auch Mordaunt wandten sich, um einen Ausbruch ihres Unwillens zu verhüten, gleichzeitig zu ihr – die Magd auf norwegisch, Mordaunt auf englisch – mit den Worten: »Es sind Fremde, Norna, die Dich weder dem Namen noch dem Wesen nach kennen – auch sind ihnen die Gebräuche unseres Landes fremd, und wir müssen ihnen darum Mangel an Gastfreundschaft nachsehen.«

»Ich weiß nichts von solchem Mangel, junger Mann,« sagte Triptolemus. » Miseris succurrere, disco – die Gans, die bis zu Michaelis im Schornsteine räuchern sollte, kocht jetzt für Euch im Topfe; und hätten wir zwanzig Gänse, so fänden wir auch, merke ich, Mägen für sie; aber das muß alles besser werden.«

»Was alles muß besser werden, schmutziger Sklav?« sagte die Fremde, sich mit einem Tone an ihn wendend, der ihn erschreckte – »bring nur Deine neugestalteten Pflugeisen, Spaten und Eggen her, und vernichte die Werkzeuge unserer Väter, von der Pflugschar bis zur Mäusefalle; aber vergiß nicht darüber, daß Du in einem Lande bist, das einst von den blondhaarigen Kämpen des Nordens erobert wurde; in einem Lande, wo das Gastrecht als heilig gilt. – Hüte Dich, sage ich Dir, vor Norna, denn so lange sie noch von der Spitze des Fitful-Head auf das unermeßliche Gewässer hinausschaut, erinnert noch immer etwas an die einstige Stärke und Macht des edlen Geschlechtes, von welchem wir stammen ... und wenn auch die Männer von Thule aufgehört haben, Kämpen zu sein und den Raben für Fressen zu sorgen, so haben doch die Weiber die Künste nicht vergessen, die ihre Ahnfrauen zu Königinnen und Seherinnen machten.«

Die Frau, die diese seltsamen Worte sprach, setzte durch ihre Erscheinung in nicht geringere Verwunderung als durch ihre Anmaßung und den selbstbewußten Klang ihrer Stimme. Dem letztern, wie ihrer Gestalt und ihrem Gesicht, nach hätte sie Wohl als Bonduca der Briten, oder als Belleda oder Aurinia der alten Goten auf jeder Bühne gelten können; wenn auch ihre edlen, scharfen Züge durch die. strenge Witterung des Landes, der sie sich beständig aussetzte, stark gelitten hatten. Alter, wohl auch Kummer hatten das Feuer ihres dunkelbraunen Auges, dessen Farbe sich fast schon dem Schwarz näherte, gemildert und ihr jetzt von der Gewalt des Sturmes arg zerzaustes Haar mit weißgrauem Schnee bestreut. Ihr Oberkleid aus grobem, dunkelfarbigem Kleide, »Wadmaral« genannt, damals auf den shetländischen Inseln wie auch in Island und Norwegen in starkem Gebrauch, triefte von Wasser. Als sie es von sich warf, kam ein kurzes Wams aus dunkelblauem Samt, mit Figuren bedruckt, zum Vorschein; die dazu gehörige Unterjacke war von hochroter Farbe und mit verblichener Silber-Stickerei besetzt; ihr Gürtel war mit Silber-Zieraten, die Gestalt der Himmelszeichen nachahmend, benäht, und ihre blaue Schürze, mit ähnlichen Zeichen bestickt, bedeckte einen Rock von hochrotem Tuche. Starke, dicke Schuhe von halb gegerbtem Leder, wie man sie anders auf der shetländischen Inselflur nicht kannte, waren mit Riemen, wie die der römischen Kothurne, über Strümpfen aus scharlachroter Wolle festgemacht: in dem Gürtel trug sie eine Waffe seltsamen Aussehens, die als Opfermesser oder Dolch gelten konnte, je nachdem sie dem, der sie betrachtete, als Priesterin oder Zauberin galt. In der Hand hielt sie einen auf allen vier Seiten gleichen eckigen Stab mit eingegrabenen römischen Schriftzügen und Bildern, einen der immerwährenden Kalender darstellend, dessen sich die alten Skandinavier bedienten, der aber von abergläubischen Menschen eher für einen Zauberstab gehalten wurde. So sah sie aus, die Norna vom Fitful-Head, von fast allen Insulanern mit Scheu, von nicht wenigen mit Ehrfurcht betrachtet, und in keinem andern Teile Schottlands, – wo damals ein krasser Hexenglaube wütete, – Ware sie den grausamen Richtern entronnen, die oft mit absoluter Machtvollkommenheit ausgerüstet waren, um alle, die,der Zauberei angeklagt waren, zu prozessieren, zu foltern und den Flammen zu überliefern, Shetland bildete eben noch eine kleine Welt für sich, wo von dem alten norwegischen Aberglauben nur das übrig geblieben war, was den Hauptteil des alten skandinavischen Glaubens ausmachte, Wenn hiernach die Eingeborenen von Thule auch zugaben, daß Zauberer ihre Wunder zum Teil durch einen Bund mit dem Satan verrichten, so herrschte doch auch der frömmere Glaube, daß es Zauberer gäbe, die mit Geistern von weniger schlimmer Art zusammen hausten: mit den allen Zwergen, die in Shetland Trows oder Brows hießen, wie auch mit Feen jüngeren Datums. Zu denen, die mit solch wesenlosen Geistern verkehrten, gehörte auch Norna, die von einer Familie stammte, die seit undenklicher Zeit den Ruf genoß, im Besitz übernatürlicher Gaben zu stehen, und nach einer der Schicksalsschwestern, die den Faden des menschlichen Lebens spinnen, genannt wurde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Pirat. Band 1