Zweites Capitel. - Von Staub umwirbelt, mit pludernden Hemdärmeln, die rot gesprenkelt waren, hetzte Malimmes auf dem Ingolstädter Gaul dem zerstörten Hallturm entgegen. ...

Zweites Capitel. - Von Staub umwirbelt, mit pludernden Hemdärmeln, die rot gesprenkelt waren, hetzte Malimmes auf dem Ingolstädter Gaul dem zerstörten Hallturm entgegen. Dem Erschöpften drohten die Kräfte zu erlöschen. Manchmal verzog er das Gesicht, weil ihm das verkrustete Blut die Haut spannte. Und manchmal lachte er wie ein Berauschter vor sich hin. Den fremden Bidenhänder hatte er quer vor dem Sattel liegen. Die mächtige Klinge war ein bißchen rot geworden. Bei den letzten Häusern von Berchtesgaden hatte dem Malimmes eine Wache mit vier Spießen den Weg versperren wollen. Dann hatte ihm kein Hindernis mehr den jagenden Ritt gestört. Über die Stillen, die auf der Straße lagen, sauste der Gaul ohne Zuck hinüber. Er scheute auch nicht vor den Brandruinen, nicht vor den Leuten, die bei den qualmenden Haustrümmern stumpf und ruhig auf der Erde saßen.

Von Rauch umkräuselt, von aufgeregten Dohlen und Tauben umflattert, tauchten die Reste des Hallturmes über die Wiesen herauf. In der Torhalle war’s öd und still. Alles Leben fehlte. Und die Toten hatte man, um Platz für den Rückzug der Bayrischen zu schaffen, aus dem Torweg herausgezerrt in den Burghof. Hier und entlang der Mauer, lagen sie in der bratenden. Sonne und mahnten schon fürchterlich an die Düfte des Vergänglichen. Sie waren wie friedsame Schläfer nur mit dem Hemd bekleidet; was sie sonst am Leibe getragen hatten – Kleider, Wehr und Waffen –, alles war verschwunden.


Dem Malimmes, der an den Graus der Schlachtfelder gewöhnt war, rann beim Anblick dieses vom Tode besetzten Burghofes kein Schleier des Grauens über die Augen. Als Kriegsmann erriet er, daß diese Schläfer auf ihre Gräber warten mußten, um den heiligen Peter und seinen Freund Salzburg durch die Pflichten der Pietät einen Tag lang vom Sturm auf den Fuchsenstein und die Feste Plaien abzuhalten. Herr Seipelstorfer, der den Nachmarsch des Feindes durch jeden Behelf verzögern wollte, hatte auch die Zugbrücke zerstören lassen. Der tiefe Wassergraben sperrte den Weg des Malimmes. Ein Faustschlag: „Spring, Rössel!“ Und der Ingolstädter, der von Herzog Ludwigs Falkenjagden an kalte Bäder gewöhnt war, klatschte mit mächtigem Satz in das grüne Wasser hinunter. Als das weiße Geschäum zerfloß, war unter dem Wasserspiegel ein wunderlich geformter, heftig arbeitender Riesenfrosch zu sehen. Jetzt tauchte ein triefender Menschenkopf, ein triefendes Tierhaupt, an die Luft, Malimmes schleuderte den Bidenhänder ans Ufer, stieg mit den Füßen auf den Sattel des schwimmenden Gaules, sprang an das Land und half dem schlagenden Pferd aus dem Wasser heraus. Ein Griff nach dem Bidenhänder. Und wieder hinauf und davon durch das weißgraue Aschenfeld des niedergebrannten Waldverhaues.

Das kalte Wasser hatte dem Malimmes die müden Kräfte ein erfrischt und säuberlich alle Blutflecken vom Hemde, vom Gesicht und aus den Haaren fortgewaschen. „Gott sei Lob und Dank! Jetzt wird der Bub nicht erschrecken vor mir.“ Er schüttelte sich in der Sonne.

Hinter dem Aschenfeld arbeiteten Kriegsknechte und Schanzbauern an einem neuen Sperrwall, der schon übermannshoch gewachsen war. Und auf dem Fuchsenstein gewahrte Malimmes ein Geblitz von Waffen und die Verschanzungen der drei Geschütze. In seiner Freude hob er den Bidenhänder und tat einen gellenden Schrei. Waren die Kammerbüchsen noch da, so waren auch Jul und Runotter nicht weit.

Viele Stimmen kreischten auf dem Wall. Faustbüchsen und Armbrusten richteten sich gegen den Reiter. Malimmes schrie die Losung von Plaien und schimpfte: „Hammelsköpf! Man schießt doch nit auf die eigenen Leut!“

Der Wall hatte kein Tor und war so steil, daß man den Söldner und seinen Gaul an Seilen hinauflotsen mußte. Und da war auch Herr Martin Grans schon auf dem Wall und brüllte: „Du Schaf, du gottverlorenes!“

„Herr Hauptmann, Ihr seid ein Menschenkenner!“

„Hast du denn meinen Botschaftsweg in die Ramsau nicht verstanden?“

„Wohl, Herr! Aber weil ich ein Schaf bin, hab ich halt auch was Schafmäßiges tun müssen. Sind meine Leut in Sicherheit?“

„Freilich!“ Herr Grans wurde heiter. „Dein Herr und sein Vetter sind grad so dumm wie du! Die wären um deinetwegen ins Feuer gesprungen. Denen hab ich Fuß machen müssen.“

Malimmes tat einen tiefen Atemzug.

„Aber du, Mensch? Wo kommst denn du jetzt her? Und so?“

Der Söldner guckte an sich hinunter. „Ich bin gewesen, wo man die Gäns rupft. Und hab gemeint, daß Ihr Kundschaft braucht. Die hab ich geholt. In dritthalb Stunden sind die Salzburger beim Hallturm. Ich schätz dreihundert Roß und fünfhundert Spieß, dazu vier Hauptbüchsen, die einen Zentner schießen. Hauptmann ist der Hochenecher. Den kenn ich vom ungrischen Handel her. Ist ein Scharfer! Aber sein Profos ist ein Schöps. Bei den Salzburgern sind die Gadnischen, die sich gesammelt haben. Und Ingolstädtische müssen dabeisein. Ich hab Gäul gesehen, die den ›Loys‹ mit der Herzogskron als Brand auf dem Hintern haben.“

Herr Grans war ernst geworden. „Teufel! Das ist mehr, als der Seipelstorfer weiß.“ Er wollte davongehen, sah den Malimmes an, trat auf ihn zu und rührte mit dem Finger an den bläulichen Strich, den der Söldner rings um den Hals hatte. „Mensch?“

Jetzt lachte Malimmes. Und weil er wußte, daß dem Hauptmann die Geschichten vom ungefährlichen Hanfsamen bekannt waren, sagte er: „Der von heut, das ist der sechste gewesen. Kann auch sein, erst der fünfte. Ich weiß nimmer recht. Aber mein Hals will verdienen. Vergeßt nit auf meinen Botenlohn! Heut bin ich Kirchenmaus geworden. Ich brauch Gewand und eine neue Wehr.“

„Sollst alles haben.“

„Und einen Mann, der mich zu meinem Herren führt.“

Der Hauptmann winkte einen der Knechte herbei. „So erzähl doch, Mensch!“

„Ein andermal, Herr!“ Malimmes nahm den Zügel des Ingolstädter Gaules, dessen Fell in der warmen Sonne schon zu trocknen begann. „Heut wird’s mit der Zeit ein lützel knapp.“ Er sah über die Schulter gegen die Hallturmer Mauer. „Ich hätt mir in Berchtesgaden gern die Haar stutzen lassen. Aber der Bader ist mir mit der Scher unter die Haut gekommen. Jetzt wart ich lieber bis übermorgen.“ Malimmes sah scharf den Hauptmann an und sagte langsam: „In Burghausen gibt’s doch gute Haarstutzer? Nit?“

Herr Grans wollte etwas erwidern, drehte sich aber plötzlich um, klirrte davon und schrie: „Der Seipelstorfer? Wo ist der Seipelstorfer?“

Den Gaul am Zügel führend, ging Malimmes hinter dem Knechte her, der ihn zum Runotter führen sollte. In dem schmalen Waldtal war eine dichte Zeltstadt aus dem Boden gewachsen. Söldner, Schützen und Harnischer lagen neben den Reihen der angepflöckten Gäule bei den Feuerstätten, würfelten um Beutestücke, verzechten das Berchtesgadnische Raubgeld und scherzten mit den Troßweibern. Fast am Ende des Gelägers, bei einer Quelle unter alten Bäumen, stand das große Zelt, das man dem Runotter und den Seinen zugewiesen hatte. Der Falbe, der Schimmel und die zwei erbeuteten Gäule der Knechte waren angepflöckt und zupften den Hasenklee aus dem Moose. Heiner putzte das Sattelzeug. Als er den Malimmes kommen sah, sprang er auf. „Gott sei Lob!“ Er rückte vergnügt den Stirnverband, als wär’s ein Hütl. „Der Bub, unser Bauer und das narrische Mensch sind fast verzweifelt vor Angst um dich!“

„Wer noch?“ fragte Malimmes.

„Die Traudi. Wirst doch wissen –“

Malimmes sah ein bißchen wunderlich drein. „Die ist auch noch da?“ Und während er seinen Gaul anpflöckte, murrte er vor sich hin. „Es ist doch ein Elend mit den Weibsleuten. Haben kann man sie flink. Los wird man sie niemals wieder.“ Den Altknecht machte die mangelhafte Bekleidung des Söldners neugierig. „Da ist die Hitz dran schuld. Gebadet hab ich, wider das Schwitzen, weißt. Und da ist mir so pudelwohl geworden, daß ich das ganze Gelumpert beim Wasser hab liegenlassen.“ Malimmes lachte über die verdutzten Augen der beiden Knechte, ging auf das Zelt zu und sah in den dämmerigen Raum. „Wo ist denn – – Höi! Wo der Bauer ist, frag ich?“

„Da drunt, wo man Ausschau hat über das Haller Tal. Die meinen doch, du kämst durch den Schwarzenbach von der Ramsau her.“

„Spring, Heiner! Sag dem Bauer, daß ich daheim bin.“ Der Bursch rannte davon. Und Malimmes befahl dem Altknecht: „Hol mir den Feldscher! Und schau, daß du einen Krug Wein auftreibst. Einen festen!“ Als er allein war, taumelte er auf den Waldboden hin. Eine Weile blieb er liegen, wie leblos. Dann stemmte er sich mühsam wieder auf und trat in das Zelt. Zwischen anderen Waffenstücken hing da ein zierlicher Helm mit einem Reiherbusch. Malimmes strich mit der Hand über den blanken Stahl, als wär’s die Wange eines Kindes. Nun ging er zu seinem neuen Gaul, lockerte ihm die Sattelgurten und tätschelte den schlanken Hals des schönen Tieres. „Bald kriegst was! Erst mußt verschnaufen.“

Zwei Knechte des Herrn Grans erschienen mit einem großen Pack. Sie brachten Wehrzeug, Waffen und Kleider. Alles war, Raubgut. Und Hauptmann Seipelstorfer schickte als Dank für die Kundschaft einen schweren Beutel. Malimmes schmunzelte. „So viel ist der Hänfene nit wert gewesen.“ Er wollte sich kleiden. Es war reichliche Auswahl da. Nur das Hemd fehlte. Malimmes kramte im Zwerchsack der Knechte. Umsonst. Die hatten nur das Hemd, das sie am Leibe trugen. Im Bündel der Traudi fand er ein langes, grobleinenes Weiberpfaid. Das zog er an. Und lachte, während er so dastand und sich anguckte. Den feuchten Bausch des eigenen, zerfetzten Hemdes stopfte er zwischen die paar Habseligkeiten des Mädels. Mit allem anderen ging’s flink. Stattlich und doch ein bißchen sonderbar gewandet, wie ein Mischling aus zwei Dritteln Herr und einem Drittel Soldknecht, stand Malimmes vor dem Zelt, als der Feldscher mit seiner Tasche und der Altknecht mit dem Weinkrug kamen. „Gib her!“ Malimmes packte den Krug. „Jetzt duck dich, arme Seel! Die Sündflut kommt!“ Er soff, daß die zwei anderen zu lachen begannen.

Nun saß er auf einer Baumwurzel und hielt unter dem Lichterspiel der Sonne geduldig den Kopf hin, während der Feldscher die kitzlige Arbeit begann. Ein Hautlappen, den man wegschneiden mußte, flog ins Moos. „So!“ sagte Malimmes. „Da kriegen die Mäus was. Der liebe Herrgott teilt’s allweil so aus, daß jedes Schwänzlein Leben zu seiner Notdurft kommt.“

Heiter meinte der Feldscher: „Nit jeder laßt seine Haut so willig wie du!“

„Was liegt an einem Läpplein Haut? Wer gut durch die Welt kommen will, muß sieben Haut haben. Da schält sich bei jedem Elend eine weg von ihm. Die wo nachwachst, muß allweil die bessere sein.“ Ohne Zusammenhang mit diesen klugen Worten lachte Malimmes plötzlich wild hinaus. Dann preßte er den Arm an die Stirn und sagte bekümmert: „Sonst vertrag ich nit wenig. Aber heut – die Hitz halt, weißt –“ Er atmete schwer. Der Feldscher nähte mit festem Zwirn, den er zuvor in Essig tauchte. Über die Naht kam das Pflaster. Malimmes griff hinauf. „Jetzt mußt mir noch die Haar über das Pflaster kampeln. Ich mag nit merken lassen, daß ich ein Loch hab, wo keins hingehört.“ Über den neuen Scheitel, der ihm angebürstet wurde, zog er eine gesteppte Seidenkappe, die er im Pack des Herrn Grans gefunden. Aus dem Säckel holte er den Dank für den Feldscher heraus: „Vergelt’s Gott, Mensch!“ Und dem Altknecht befahl er: „Jetzt futter meinen Gaul! Er hat verschnauft.“

Eine freudig schrillende Weiberstimme im tieferen Wald. Malimmes guckte gottergeben drein. Atemlos kam Traudi durch den Wald heraufgewirbelt, vergaß aller Eifersucht und überschüttete den Malimmes mit einer ausreichenden Mahlzeit von Sorge und Zärtlichkeit. Stumm ertrug er’s, während schon die Wirkung des schweren Trunkes in seinen Augen zu blinkern begann. Daß er anders aussah als sonst, das merkte die Traudi nicht. Der Malimmes war da, war gut zu ihr, und ihr Glück hatte keinen Wunsch mehr. Als ihre Freude sich ausgetobt hatte, faßte er sie am Handgelenk: „Dich hab ich gesucht. Bloß um deintwegen bin ich gekommen.“

„Ist’s wahr?“ Sie glich in diesem Augenblick dem seligsten Geschöpf der Erde.

„Aber, Maidl, jetzt mußt du beweisen, daß du mich lieb hast.“

„Dir tu ich alles.“

„Zu meiner Mutter mußt du, in die Ramsau, jetzt gleich. Die Mutter tut Not leiden.“ Er schüttelte den Inhalt des Säckels vor sich hin und schob ein paar Silberstücke in seinen Hosensack: das übrige teilte er nach dem Augenmaß und gab dem Altknecht die eine Hälfte: „Das schieb in des Herren Zwerchsack. Ist für uns alle.“ Die andere Hälfte gab er wieder in den Sack. „So, Maidl, das bring der Mutter, jetzt gleich! Und bei der Mutter bleibst du, bis ich komm. Dein Kind muß ein Heimatl haben, weißt!“

Ihre Augen strahlten. „Wann kommst?“

„So bald wie’s geht. Hast meinen Goldpfennig noch?“

„Wohl! An einem Schnürl um den Hals.“

„Da laß ihn nur hängen derweil. Jetzt kannst du die Mutter auch grüßen – von mir. Mach weiter! Das Ding hat Eil.“ Sie wagte keinen Widerspruch, sprang in das Zelt, holte ihr Bündel und wollte den Malimmes halsen. Er sagte: „Schon gut!“ Mit Tränen in den Augen sprang die Traudi davon. Er sah ihr nicht nach, sondern starrte vor sich hin auf den Waldboden, und in seinem Gesicht war der Ausdruck eines peinvollen Grams. Mit schweren Schritten ging er ins Zelt und preßte die Lippen, an den zierlichen Helm, wie ein inbrünstiger Beter die Reliquie eines Heiligen küßt. Wieder jenes wilde Lachen. Dann warf er sich auf die Pferdedecken, die in einem Winkel des Zeltes lagen.

Noch einmal hörte er die Stimme der Traudi. Das Mädel war dem Runotter und dem Jul begegnet und sprach mit ihnen.

Nun kamen die beiden. Jul war ohne Kettenhaube, barhäuptig. Wie ein dickes, schweres Mäntelchen hing das schwarze Haar um das erhitzte Gesicht. Runotter, völlig gewaffnet, schlug den Tuchlappen des Zeltes zurück. „Gott sein Dank! Da ist er. Mir geht ein Stein von der Seel.“

Malimmes lag unbeweglich auf den Decken, mit geschlossenen Augen. Als Jul zu ihm hinspringen wollte, faßte Runotter den Buben am Arm. „Sei fürsichtig! Der schaut aus wie ein arg Müder. Gönn ihm die Ruh! Er schlaft.“

Lautlos kauerte der Bub sich auf den Boden hin und schmiegte seine Wange an die Faust des Malimmes. Der zuckte leis. Doch er ließ die Faust so liegen, wie sie lag.

Mit großen Augen sah Runotter die sonderbare Gewandung des Söldners an und betrachtete die neuen Waffen, die da umherlagen. Draußen bei den Gäulen war ihm das fremde Roß mit dem prächtigen Sattelzeug aufgefallen. Was er mit eigenen Augen sah, und das wirre Geschwätz, das der Heiner gemacht hatte, und das verdrehte Gerede der blonden Leuthausmagd – das alles stimmte nicht zueinander.

Über das braune Gesicht des Bauern glitt plötzlich ein fahles Erblassen. Der schwere Küraß, der zu Häupten des Malimme auf dem Boden stand? War das nicht der Küraß, den der Gadnische Vogt in jener Nacht getragen hatte, als der Jakob auf dem Totenbrett hatte liegen müssen? Und war’s nicht der gleiche Küraß, über den bei der Hallturmer Mauer das Blut des Erschlagenen heruntersprudelte, der unter den Streichen des Runotter zusammenbrach? Wie kam dieser Küraß in das Zelt? War Malimmes auf dem Greuelfeld des Hallturmer Burghofes zum Raubmann geworden? Oder gab es Wege, auf denen die Toten ihre bösen Mahnungen zu den Lebenden schicken?

Wortlos, wie von einer drückenden Last gebeugt, ging der Bauer aus dem Zelt. Und draußen befahl er mit rauher Stimme dem Altknecht: „Lauf, Mensch – da liegt ein Krug – bring, was du kriegen kannst! Mich dürstet nach Ruh.“

Der heitere Lärm des Gelägers – diese kreischenden Stimmen, das Gelächter, die johlenden Lieder, das Dullenklopfen auf den Harnischen und Eisenhüten, das Gewieher und Stampfen der Pferde – das alles tönte gleich dem wirren Geplätscher eines Sturzbaches in die dämmerige Stille des Zeltes.

Unbeweglich saß der Bub auf der Erde, mit dem Kopf an die Schulter des Malimmes gelehnt. Der lag wie ein toter Klotz. In dem Schlafe, den er geheuchelt hatte, war ihm aus Erschöpfung und Weindunst ein ehrlicher Schlummer auf die Lider gefallen. Manchmal ließ er ein kurzes, drolliges Schnarchen hören – es war wie der röchelnde Laut einer Kehle, der es ein bißchen an Luft gebricht. – –

Vor der Mahlstunde des Gelägers, als die Waldluft erfüllt war von den Schmorgerüchen der vielen Feuerstätten, vernahm man immer wieder von der Hallturmer Höhe her ein kurzes, dumpfes Trommelgerassel. Das war der kriegerische Segen, mit dem der heilige Peter seine Toten verspätet dem Schoß der Erde übergab. Jeder von den Troßbuben, die beim Hallturm als Totengräber dienen mußten, hatte sich ein mit Essig getränktes Tuch um Mund und Nase gebunden. Und hohe Feuer loderten, die man mit Stößen von Wacholder nährte. Man trieb da den Teufel mit dem Teufel aus und übertäubte den üblen Geruch des Todes mit einem Gestank des Lebens. Das gemeine Volk, das die Pflichten der Pietät erfüllen und durch die zerbröselte Mauer die für den Sturm auf die feindliche Sperrschanze nötigen Tore brechen mußte, hielt den bayrischen Hauptmann Seipelstorfer für einen großen Esel, weil er sein Pulver sparte, statt die Arbeit bei der Hallturmer Mauer durch einen Hagel von Stein und Blei zu stören. Die Büchsenschanzen auf dem Fuchsenstein waren deutlich zu sehen; doch über achthundert Schritte konnten die Getreuen des heiligen Peter nicht mehr erkennen, daß die bayrischen Geschütze bereits aus den Schanzen zurückgezogen waren. Unter Bespannung standen die ›Landshuterin‹ die ›Hornaussin‹ und die Trommelkanone schon im Wald auf der Straße, wo ihre Räder fest mit Sacklumpen und Filz umwickelt wurden. –

Der wehrhafte Häuf des heiligen Peter, dessen Nachhut noch mit einem langen Schwanz die von Berchtesgaden herziehende Straße füllte, wurde außerhalb des Duftbereichs der Hallturmer Mauer aufgestellt. Hinter den vier Hauptbüchsen hatte Hauptmann Hochenecher mit seinen Geleitsherren auf einem grünen Hügel Stand genommen, um die Anordnung des Sturmes zu beraten. Der durfte vor der fünften Morgenstunde nicht beginnen. Es war wohl verabredet, daß der Hinterhalt der Salzburger mit dem Kriegshaufen des Bischofs von Chiemsee und des Kaspar Törring das Saalachtal vor Anbruch der Nacht bei Piding und Marzoll, hinter dem Untersberge, sperren würde. Aber man brauchte den sichtigen Morgen dazu, um den Seipelstorfer von Plaien abzuschneiden und den Feind hinunterzupeitschen in die unentrinnbare Mausfalle an der Saalach. Sooft die Salzburgischen Herren während ihres Kriegsrates zum Fuchsenstein hinüberguckten, fingen sie zu lachen an. Wie ahnungslos die winzigen Käfer da drüben auf und nieder krabbelten an der Sperrschanze! Und Erde karrten und Bäume schleppten. Um sich einzusperren in einen mörderischen Sack!

Neben den Lachenden stand ein Ernster, der in diesem Kriegsrat kein Wort gesprochen hatte. Die feste Sonnenluft, die über den Hügel hinblies, bewegte die Fasanenflügel auf seinem schimmernden Helm.

Als die Herren des Rates auseinandergingen, jeder zu seinem Fähnlein, legte Fürst Pienzenauer seine gepanzerte Hand auf die Schulter dieses Schweigsamen. „Komm! Ich will reden mit dir.“

In Lamperts Augen war eine dürstende Hoffnung.

Die beiden gingen zu einer alten Ulme, in deren Schatten der Fürst sich niederließ. Lächelnd betrachtete er den Jungherrn. „Ich habe mir überlegt, was du mir am Morgen sagtest. Auch hast du dir durch den gefahrvollen Ritt nach Ingolstadt einen Dank verdient.“

„Ich tat nur meine Pflicht.“

„Grund genug für deinen Fürsten, um dir zu danken. Der Menschen, die immer ihre Pflicht tun, gibt es wenige. Sonst hätte das Leben ein anderes Gesicht als jenes üble, das von der Hallturmer Mauer zu uns herguckt und das wir heut in meinem verwüsteten Münster gesehen haben. Ich will es dir nicht vergessen, daß ohne deinen mutigen Ritt die Bayern noch immer in meiner Stube säßen. Oder denkst du auch von Herzog Heinrichs Leuten so gut wie von deinem Ramsauer Schützling?“

„Nein!“ In diesem harten, heiseren Worte zitterte ein leidenschaftlicher Zorn. „Man hat uns schamlos und wider Recht überfallen. Die da drüben haben die eigenen Bauernhöfe auf dem Hirschanger in Brand gesteckt, um einen Vorwand wider uns zu schaffen und die Unseren lügnerisch der Schuld zu bezichtigen.“

„Die da drüben erklären das vermutlich als feine Kriegskunst, die nicht Gut und Menschen zählt, nur den nützlichen Vorteil wertet.“

„Herr?“ fragte Lampert erschrocken. „Redet Ihr solchen Dingen das Wort?“

„Ich? Nein. Aber wer das Wesen des Lebens erkennen will, muß es mischen aus zwei Gesichtern.“

„Das, Herr, ist eingesichtig: Was Herzog Heinrich um dunkler Zwecke willen gegen uns begann, ist ein Frevel ohnegleichen.“

„Da frage den Klugen in Burghausen! Ich vermute, für ihn ist hell, was du dunkel nennst.“ Der Fürst lächelte. „Dein Zorn wider diesen Weisen ließe mich hoffen, daß du morgen gegen seine Farben ein grimmiges Eisen schwingen könntest – wenn nicht diese andere Sache wäre, die deine Kraft bedenklich fesselt. In dir ist mehr als nur die Dankbarkeit für diesen wunderlichen Mann, der die folgenschwere Kurzsichtigkeit meines guten Ruppert mit unglaubwürdiger Menschlichkeit vergalt. In dir ist das stärkste von allen Dingen: ein Glaube.“

„Ja, Herr! Ich glaube an diesen Redlichen.“

Herr Pienzenauer nickte. „Du bist auch nicht sein einziger Apostel. Den Söldner, der heut für seinen bäurischen Herrn durch die Salzburger Strickschlinge sprang, möcht ich als Diener haben. ›Durch zweier Zeugen Mund‹ – das ist ein altes, gutes Wort. Ich bekehre mich zu deinem Glauben.“

„Herr!“ stammelte Lampert in Freude.

„Ich will, daß meine Gadnischen sich morgen auszeichnen. Auch du! Da soll dein Arm nicht lahm werden durch die Sorge, daß du morgen diesem Redlichen begegnen könntest, gegen den du nicht schlagen willst, weil er für deinen Glauben das Martyrium eines Gerechten leidet. Es zeugt doch auch deine zerbrochene Stimme für die Kraft deines Glaubens.“

„Spottet nicht meines Glaubens, Herr! Ich bürge mit meinem Kopf –“

„Den verwette nicht!“ Wieder lächelte der Fürst. „Er ist mir zu lieb. Obwohl ich Raupen in ihm sehe. Wie in allen Menschenköpfen – leider auch in meinem eigenen. Höre, Lampert! Ich will alles in deine reinliche Hand legen. Nimm zwei von meinen Leuten, reite mit dem weißen Lappen zur Sperrschanze der Bayrischen hinüber und mache den Versuch, ob sie dich mit dem Ramsauer reden lassen. Gelingt es dir, so laß dir sagen von ihm, wie sich alles in der Ramsau und auf dem Hängmoos zutrug. Ich selber glaube, daß der Richtmann nicht lügen wird. Und waren die Dinge so, daß du seine Lösung auf dein Gewissen nehmen kannst, so hast du Vollmacht von mir, ihm Verzeihung und Urfehd anzutragen. Ich will sein Dach wieder aufbauen und will ihn ungekränkt mit den Seinen hausen lassen im Erbrecht. Bist du zufrieden?“

„Herr!“ Wie in einem Rausch von Freude beugte Lampert die Stirne auf den Eisenhandschuh des Propstes. „Das ist mehr, als ich hoffen durfte.“

„So geh! Und eil dich! Die bösen Dinge laufen so schnell, daß die guten sich um den Vorsprung tummeln müssen.“ Freundlich, doch nicht ohne leisen Spott, sah Herr Pienzenauer dem jungen Manne nach, der im ungeschickten Käfertanz eines Gepanzerten über den Hügel hinuntergaukelte zu seinem Pongauer Rappen.

Während der Knecht den angepflöckten Moorle löste, faßte Lampert mit beiden Fäusten das Pferd an den Kiefern und drückte ihm das Gesicht an die Schnauze. „Moorle, Moorle, wir reiten zu einer Freud!“

Die zwei Gadnischen Hofleute, die mit Lampert Someiner durch ein in die Mauer geschlagenes Tor hinausritten, trugen an ihren langen Spießen die weißen Flatterzipfel.

Während die drei ihre Rosse durch das zähe Grau des im Winde stäubenden Aschenfeldes waten ließen, tönte ihnen ein sonderbar aufgeregter, ohrbetäubender Gesang entgegen.

Hinter der neuen Sperrschanze saßen Herzog Heinrichs Harnischer auf ihren Gäulen, in kleine Haufen geteilt. Jeder Reiterschwarm brüllte ein Lied, jeder ein anderes. Und die hundert Schanzbauern jodelten ihre heimatlichen Weisen. Richtiger Gesang brauchte das nicht zu sein, nur fester Lärm, der den Flinkschritt der unter Martin Grans davonmarschierenden Spießknechte und das dumpfe Gerassel der vom Fuchsenstein abziehenden Geschütze und Troßwagen übertönen sollte.

Nahe bei der Sperrschanze, auf welcher Herr Seipelstorfer mit seinem Geleit die Parlamentäre erwartete, waren einem Reiterhaufen auch die fünf Ramsauer zugeteilt. Malimmes, in seiner neuen Tracht und schweren Bewaffnung, war nach einem fünfstündigen Schlaf wieder frisch bei Kräften, sang lustig mit und schwatzte dazwischen allerlei drolliges Zeug gegen Jul und Runotter hin, die still auf ihren Gäulen saßen. Manchmal sahen die beiden den heiteren Söldner verwundert an. Seit er aus dem bleiernen Schlaf erwacht war, hatten sie gemerkt, daß er heute anders war als sonst. Über seinen lustigen Ritt durch Berchtesgaden log er allerlei krauses Zeug zusammen. Dem Runotter mißfiel das; doch Jul sagte: „Wir verstehen’s halt nit. Ich weiß: Was er tut, ist ein Nutzen für uns.“

Und während da nun dreihundert Kehlen so kräftig sangen, daß von dem Marschlärm hinter dem Fuchsenstein nichts mehr zu hören war, kam ein Trabant des Herrn Seipelstorfer über den Wall heruntergesprungen und winkte dem Runotter: „Kommen sollst du! Ein Gnadnischer Herr steht vor dem Wall, mit Botschaft für dich. Der Jungherr Someiner.“ Der Name wirkte auf die drei wie ein Lanzenstoß. Malimmes warf einen brennenden Blick nach dem Buben, der sich auf eine wunderlich sinnlose Weise plötzlich gegen die Mähne seines Gaules beugte. Runotter, in dessen Augen nach dem schweren Trank dieses Mittags eine dumpfe Ruhe gewesen war, verfärbte sich. Er sagte rauh: „Der soll seine Botschaft dem Hauptmann kundtun! Nach Zwiesprache mit Gadnischen Herren dürstet mich nit.“

Da hob der Bub den schimmernden Helm mit dem Reiherbusch. Ein irres Flehen war in seinen großen Augen. „Red mit ihm! Der tät nit bringen, was ein Ungutes wär für dich!“

Der Bauer sah den Buben an – und sah dem Trabanten nach, der gegen die Sperrschanze hinauf sprang – und sagte müd: „Ist schon vorbei.“

Herr Seipelstorfer winkte vom Wall herunter. Er rief auch etwas. Doch unter diesem brüllenden Gesang verstand man’s nicht.

Ein heißes Drängen: „Vater! So geh doch, Vater!“

Runotter schien nicht zu hören und war auf seinem Gaul wie eine steinerne Säule.

In Zorn schimpfte Malimmes: „Gotts Teufel, so rumpelt doch fürwärts!“ Er versetzte dem Schimmel einen heimtückischen Fußtritt gegen den Hinterbacken. An so grobe Behandlung war das brave Rößlein nicht gewöhnt. Schnaubend surrte es gegen die Sperrschanze hin. Und Malimmes – in einer Aufregung, als ginge es jetzt um Hals und Leben – faßte den Zügel des Falben und hetzte gegen den Fuchsenstein hinauf. „Komm, Bub! Ich laß meinen Herren nit aus dem Aug.“ Nun waren Jul und der Söldner zwischen den Schanzen der verschwundenen Geschütze, sahen den Runotter beim Hauptmann steher und konnten über die Sperrschanze hinausgucken auf das Aschenfeld.

Da draußen hielt ein eisgrauer Reiter.

„Siehst du ihn?“ tuschelte Malimmes. „Daß er so grau ist, kommt von der fliegenden Äsch da draußen!“ Man sah die grauwehenden Schleier, die der Sonnenwind von dem Aschenfeld emporwirbelte; sie waren so dicht, daß man die zwei ferner stehenden Gadnischen Hofleute mit den weißen Flatterzipfeln manchmal nur als verschwommene Schemen gewahrte. „Siehst du ihn? Er ist nit allweil so grau, ist wie ein jungs Bäuml im besten Saft. Und heut in der Früh, da ist er gewesen wie der heilige Jörg, der dem Teufel ins Maul speit und lacht dazu!“ Auch Malimmes wollte lachen. Doch mit gut gespieltem Schreck verstummte er, als das brennende Gesicht des Buben so jäh herumfuhr. „So, jetzt hab ich mich schiech verschnappt. Jetzt muß ich schon alles redlich bekennen. Heut hab ich dich grauslich angelogen. Eine Dummheit gesteht man nit freiwillig ein. Weißt, ich hab wieder eine von meinen Narreteien gemacht, und da haben mich die Salzburger beim Zwickel erwischt. In elenden Todsnöten bin ich gewesen, und es hat mir der Hänfene schon das Zäpfl gedruckt –“

„Jesus!“ stammelte der Bub erblassend.

„Aber da ist der Jungherr bei mir gewesen wie ein paradiesischer Engel, hat mich herausgehoben aus aller Not, hat mir den hilflosen Buckel gedeckt und hat mich aus dem Tod wieder reiten lassen ins lustige Leben – auf seinem eigenen Gaul! Guck, Bub! Das feine Rössel, auf dem ich da hock, das ist des Jungherren Kriegsroß.“ Eine zitternde Knabenhand tastete nach Hals und Mähne des schönen Pferdes. „Gelt! Ein fürnehmes Rössel!“ beteuerte Malimmes. „Hat den ›Loys‹ mit der Herzogskrone auf der Schattenseit!“

Für dieses Wichtige schien der Bub kein Ohr mehr zu haben. Die mit Stahl geplattete Hand in die Mähne des Ingolstädter Gaules klammernd, beugte er sich im Sattel vor, und seine großen Augen glänzten gegen das Aschenfeld hinaus.

Malimmes tat einen schwülen Atemzug.

Das war in dem Augenblick, als man auf der Sperrschanze den Runotter an einem Seil hinunterließ über den Steilhang des hohen Walles.

Unter dem Gewicht der eisernen Wehr und seines schweren Körpers versank der Bauer bis zu den Waden in die angewehte Asche. Ein paar Schritte machte er noch. Dann blieb er stehen, mit den Fäusten auf dem Schwertknauf.

Lampert Someiner trieb seinen grau gewordenen Rappen gegen den Bauern hin. Er beugte sich nieder und bot dem Runotter die Hand.

Der nahm sie nicht.

„Richtmann –“

„Jetzt bin ich Kriegsknecht.“

„Sei, was du magst! Mir bist du immer der gleiche. Ich bin gekommen –“ Lampert räusperte sich. Er mußte die kranke Stimme plagen, um bei diesem sonderbaren Liedergebrüll verständlich zu werden. „Ich bringe Frieden, Runotter! Für dich!“

„Da wird wohl Krieg bleiben!“ sagte der Bauer hart.

„Runotter! Du bist ehrlich – sag mir, wie alles war in der Ramsau. Ich selber weiß, wie es war auf dem Hängmoos –“

„Da heißt man’s jetzt: in der Mordau.“

„Gott seis geklagt: Dieser Name hat Wahrheit! Aber höre mich, Runotter! Ich habe Vollmacht von unserem Fürsten –“

„Das ist Euer Fürst. Der meinige nimmer.“

Die Erregung verwandelte Lamperts Stimme in ein rauhes Krächzen. „So will ich sagen: Ich habe Vollmacht von meinem Fürsten, die gerechte Lösung und ehrlichen Frieden zu bieten, wenn du schuldlos bist. Und daß du es bist, das weiß ich. Runotter, ich glaube an dich.“

Über die schwere Gestalt des Bauern lief ein Zittern. Er wankte ein wenig, wie von einem wuchtigen Hieb getroffen. Dann stand er wieder in seiner steinernen Härte, wortlos, mit starrglänzenden Augen.

„Runotter? Warum bleibst du so stumm?“

Mühsam sagte der Bauer: „Weil Eure Stimm mir weh tut. Seit gestern weiß ich, für wen Ihr den Hals so verschrien habt.“

Lampert nickte. „Für dein Recht! Hab Vertrauen zu mir! Sag mir, wie alles gewesen ist!“

„Das weiß ich nimmer. Jetzt ist alles anders geworden. Da ist kein Reden mehr, kein Fried und kein Rückweg. Wenn Euer Fürst sich der Güt besinnt, soll er gerecht sein gegen die Ramsauer, die Eure Gadnischen Hofleut hineingehetzt haben in die Untreu der Ängstlichen.“

„Das will ich erwirken.“

„Vergelt’s Gott, guter Herr! Für die anderen. Mich lasset aus dem Spiel! Für mich ist die Ramsau nimmer auf der Welt. Und Euer Fürst, der ist tot für mich.“ Die Stimme des Bauern wurde grell. „Einmal hab ich die Treu meines Lebens zerbrochen im Zorn. Das reut mich, daß es mir hart an die Leber geht. Jetzt hab ich wiederum Treu geschworen. Die halt ich bis in den Tod, Reitet heim, Jungherr –“ Runotter verstummte und sah mit glasigen Augen den Kopf des Moorle an. Langsam hob er die Hand, blies die graue Asche von der Stirn des Rappen und streichelte ihm sanft die Nüstern. „Gottes Vergelts, du gutes Roß! Weil du meinen Jakob getragen hast auf deinem Buckel!“ Er wandte sich und wollte gehen.

„Runotter!“ stammelte Lampert erschüttert. Und schwieg eine Weile. Und stieß es mühsam vor sich hin: „Denkst du nicht an dein ander Kind?“

Der Bauer sagte über die Schulter: „Mein Kind ist weit. Was geht’s Euch an? Wie die Herren ihr Traid geworfen haben, so ist’s aufgegangen für mich und mein Weib, für meinen Buben und mein Maidl.“ Er sah diesen ratlosen Kummer in Lamperts Gesicht. „Nichts für ungut, Jungherr! Ihr, weiß ich, habt’s redlich gemeint. Vergelt’s Gott! Aber jetzt ist das so! Was die Säu verwüstet haben, das macht auch kein Heiliger nimmer sauber.“ Er schnaufte schwer und ging.

„Runotter!“ Lampert streckte erschrocken die Hand.

„Ein End, Herr! Und daß ich ehrlich bin: Heut habe ich einen Rausch. Den muß ich ausschlafen. Weil ich nüchtern sein muß, wenn die Gadnischen Hofleut stürmen.“ Unter rauhem Lachen ging Runotter zur Sperrschanze, schlüpfte mit Kopf und Armen in die Strickschlinge, rüttelte am Seil und schrie: „Wie, Leut! Lupfet mich in die Höh!“ – –

– Jetzt konnten die beiden auf dem Fuchsenstein den Runotter nimmer sehen. Weil ihn der Wall verdeckte. Sie sahen nur, wie unter dem ohrzerreißenden Liedergebrüll jener graue, Reiter zögernd davonritt durch das Aschenfeld. Und ohne sonderlichen Menschenwitz war es zu merken, daß die zwei in der Asche da drunten – mochten sie was immer miteinander geredet haben – nicht eines Sinnes geworden.

Malimmes mußte flink seinen Arm um den Buben legen, dem ein Laut aus der Kehle quoll wie der zerdrückte Atem eines Erstickenden. „Da mußt du dich nit sorgen. Jul! Heut hat er bloß einen halben Weg getan. Das Stündl kommt noch, wo er den ganzen tut. Der Weg zum Verstand geht allweil treppelweis.“

Das blasse Gesicht des Buben im schmalen Oval der Kettenhaube war entstellt. Nicht mit der Stimme eines jungen Harnischers, sondern mit dem Stammeln eines hilflos verstörten Mädels fragte Jul: „Hast du –?“

„Was?“

„Hast du – heut, am Morgen – geredet – mit ihm?“

„Ich?“ Der Söldner machte verwunderte Augen. „Nit ein Wörtl!“ Das war so ehrlich gesagt, daß man’s glauben mußte. Und als der Bub aufatmete, lachte Malimmes. „Zum Reden ist gar nit Zeit gewesen. Mein heiliges Jörglein hat mich so flink aus der Not geschupft, daß ich schon den Hallturmer Stank in der Näh geschmeckt hab, eh’s mir eingefallen ist, daß ich dem Jungherren ein Vergeltsgott hätt sagen müssen.“ Der Mensch ist allweil ein undankbares Luder. Da streckte er plötzlich in Neugier den Hals. Auf der Straße von Plaien sah er einen Kundschafter auf keuchendem Gaul heraufjagen zur Sperrschanze. „Höia! Mir daucht, da blast ein Wind, der nit gut ist? Komm, Bub!“ Er packte den Falben am Zügel. Und die beiden Pferde kletterten über den Hang des Fuchsensteines hinunter.

Unter ihnen schoß der erschöpfte Reiter vorbei. Herr Seipelstorfer lief ihm entgegen. Und der Reiter, im Sattel hängend, redete atemlos auf den Hauptmann herunter. Der knirschte einen Fluch und faßte einen Trabanten am Arm. „Flink! Die Straß hinunter, bis du den Grans findest! Er soll die Spießknecht in die Burg stopfen. Büchsen, Pulver und Kugeln dazu. Vom Troß soll er bergen, was die Zeit verstattet. Die Troßleut mögen hinspringen, wo’s ihnen paßt. Vor dem Abend schick ich dem Grans noch Botschaft! Flink!“

Während der Trabant auf seinen Gaul sprang, trat Herr Seipelstorfer mit den Gefolgsherren zusammen. Der Kriegsrat, der da gehalten wurde, schien Feuer unter dem Boden zu spüren. Die Reiter und Schanzbauern, während sie ihre wirren Lieder brüllten, guckten in Sorge zu der aufgeregten Gruppe hin, die den hastig redenden Hauptmann umstand. Nur Runotter schien nicht zu sehen, was da vorging. Mit fahlem Gesicht, einen starren Glanz in den Augen, ritt er den beiden entgegen, die vom Fuchsenstein herunterkamen. Und sagte: „Malimmes! In dir ist Treu. Da mußt du auch wissen, was Untreu wär. Jetzt deut mir das aus –“

„Was?“

„Ob ich den Handschlag halten muß, den ich dem Grans, gegeben?“

„Wohl, Herr, das mußt du!“

Der Bauer wurde ruhiger. „So hab ich mich nit versündigt.“ Mit einem Blick voll heißen Kummers sah er den Buben an: „Jul! Man hat uns einen Weg zum Frieden gewiesen. Mir ist er zugemauert. Dir ist er offen. Magst du ihn reiten?“

Der schlanke Körper des Buben straffte sich im Eisen. Und die herbe Knabenstimme sprach: „Du und ich miteinander. Und die Unsrigen mit uns. Sonst nit. Und wenn’s in den Himmel wär.“

Da verwandelte sich der Rauschglanz, der die Augen des Bauern füllte, zu klarem Blick. „Vergelt’s Gott!“

Und Malimmes, dessen große Narbe zu glühen anfing, sagte lachend: „Herr! Man fragt doch nit, ob der Tag hell ist.“

Trotz allem Lärm bei der Sperrschanze vernahmen diese drei, daß mehrere Stimmen nach dem Malimmes schrien. Der Söldner ließ den Ingolstädter Gaul die paar Sprünge bis hinüber zum Hauptmann machen. „Du bist doch der“, fragte Herr Seipelstorfer, „der von Plaien in fünfthalb Stund zum Herzog geritten ist?“

„Wohl!“ Die Augen des Malimmes lauerten.

„Das mußt du heut wieder machen.“

„Wenn’s dem Runotter paßt. Der ist mein Herr.“

Der Hauptmann winkte den Bauern herbei. Runotter nickte. „Mir ist’s recht.“ Und nun führte Herr Seipelstorfer den Gaul des Malimmes aus der Hörweite der anderen und sah dem Söldner scharf ins Gesicht. „Kann ich mich verlassen auf dich?“

„Wie der Höllische auf eine arme Seel, die den Himmel verscherzt hat.“

„Gut! Augen hast du – das weiß ich –“

„Ums Eck kann ich nit schauen. Aber die Salzburger müßten ein Muckenhirn haben, wenn sie nit hinter dem Untersberg an der Saalach drunt das Loch mit Balken vernagelt hätten.“

„So mußt du über die Balken hinüber.“

Malimmes lachte. „Ein Hauptmann redet sich leicht.“

„Bleib ernst!“

„Das geht nit. Man muß doch lachen, wenn man sieht, wie die Menschenleut sich plagen, daß sie um die Gurgel kommen. Also?“

„Tu die Augen auf! Und daß du Bescheid weißt: Die Spießknecht hab ich in die Burg geworfen. Mit den Reitern bleib ich über die Nacht. Ich muß den Grans decken, bis er die Büchsen in Plaien hat. Wenn’s Tag wird, leg ich Feuer an den Sperrwall. Sag dem Herzog, daß ich mich an der Saalach durchschlag, über Piding hinaus. Ich hoff, daß ich mich halten kann, bis die Sonn und der Herzog kommen. Die Sonn ist sicher. Kommt der Herzog nit, so beiß ich mich mit den Wenigen, die mir bleiben werden, gegen den See von Waging durch. Jetzt reit! Du mußt in Burghausen sein bis zur elften Glock. Auf der Höh von Raitenhaslach mußt du Feuer in jeden Baurenhof schmeißen. Wie mehr als brennen, wie besser! Das wird den Herzog wecken. Um Mitternacht muß er vierhundert Harnischer sausen lassen. Sonst liegen morgen hundert von unseren Köpfen im Dreck. – Was meinst du?“

„Ich bin landskundig und mein’, daß ich durchkomm. Aber machen muß ich’s dürfen, wie ich mag. Meine Herrenleut nimm ich mit.“

„Gut.“

„Und zehn Reiter muß ich haben. Oder lieber sechs.“

„Such dir die besten aus!“

„Nit Herr!“ Malimmes beugte sich im Sattel. Sein Gesicht wurde hart. „Sechs Köpf sind weniger als hundert. Gebt mir nichtsnutzige Leut! Aussuchen müßt Ihr sie selber. Ich bin nit Richter. Jetzt reit ich derweil voraus. Daß ich Ausguck find, muß ich hinter Plaien hoch am Untersberg hinaus. Wo der Plaiener Weg an die Saalach hinunterbiegt, sollen die sechs Speckbrocken warten, bis ich komm. Ich mein’, da weiß ich schon, wo die hungrigen Ratzen ihre Löcher haben.“

Herr Seipelstorfer sah verdutzt an dem Söldner hinauf. Dann schmunzelte er. „Kerl! Komme ich morgen oder übermorgen mit dem Herzog ins Reden, so bist du Sergeant.“

„Nit um die Welt!“ Malimmes griff an den Hals. „Für Sergeanten ist der Galgen eine sichere Sach. Mir ist er noch allweil zweifelhaft.“ Er wandte den Gaul. „Gotts Gruß, Herr Hauptmann! Beim Herzog wieder!“ In Sorge warf er einen Blick zu dem Buben hinüber, ritt neben den Runotter hin und flüsterte: „Komm, wir reiten!“

Der Bauer schüttelte den Kopf. „Ich bleib, wo man ficht. Für Kundschaft taug ich nit.“

„So? Gut! Und kann auch sein, es ist besser so! Für den heutigen Ritt könnt dein Schimmel nit ausreichen. Und im Schädel hast einen Sums, an den du nit gewöhnt bist.“ Seine Stimme wurde wie Stahl. „Den Buben nimm ich mit.“

Ruotter wollte widersprechen.

„Wehr’s nit, Bauer! Der Bub soll Sicherheit haben. Die ist bei mir! Schutzengel müssen nüchtern sein. Ich hab ausgeschlafen. Sei gescheit! Und laß den Buben nit merken, was los ist.“

Das Gesicht des Bauern versteinte. Schweigend reichte er dem Söldner die Hand. Dann zwang er sich zu einem heiteren Lächeln und nickte dem Buben zu.

Malimmes faßte den Zügel des Falben. „Komm, Jul, wir reiten ein lützel auf Kundschaft. Da lernst du was Neues. Und, eine schöne Gegend siehst.“ Er zog den Falben gegen die Straße.

Jul, mit den Augen eines halb Erwachenden, schien kaum zu merken, daß sein Gaul sich unter dem Sattel bewegte.

Es war um die vierte Nachmittagsstunde, als die beiden hinuntertrabten gegen die Plaienburg, der Bub unter stetem Schweigen, Malimmes unter lustigem Schwatzen. Allerlei sinnlose, Dummheiten plauschte er zusammen, während er mit gerunzelter Stirn diese Rechnung machte: eine Stunde für den Ausguck, eine Schleichstunde für den Umweg um den Salzburger Hinterhalt, der sich wohl bei Marzoll schon eingegraben hatte, und fünf Stunden für den Ritt bis zu den Raitenhaslacher Bauernhöfen, die brennen sollten, damit Herr Heinrich neugierig würde. Diese Rechnung mußte stimmen, oder – – Malimmes schnitt den halben Gedanken mit dem Glauben ab: „Ich zwing’s.“

Um den Buben ein bißchen lächeln zu machen, begann er von dressierten Flöhen zu erzählen, die eine welsche Gauklertruppe dem König Sigismund zu Nürnberg ›vorgeritten‹ hatte.

Jul fragte: „Weiß denn ein König, daß es Flöh gibt?“

„Sobald sie ihn beißen, merkt er’s. Und Zweibeinige hocken mehr auf ihm, als eines Bauern Hund von den anderen hat.“ Dabei rechnete Malimmes: Von Piding bis Raitenhaslach, das wäre mit den zwei feinen Gäulen in vier Stunden zu machen. Aber der Bub muß heil nach Burghausen kommen. Also fünf Stunden. Eh’ die Sonne rot wurde, mußten sie hinter Piding sein.

„Guck, wie nett das ist!“

Er deutete nach der Plaienburg, über deren steilen Fahrweg die vielen Rosse das schwere Geschütz hinaufzogen. An jedem Rade hingen Spießknechte, die stemmen und schieben mußten. Und das alles, aus der Ferne gesehen, war so winzig, daß man es mit dem Milchbecher eines Kindes hätte einschöpfen können.

Nun verschwand das niedliche Bild, weil Jul und Malimmes einritten in das Waldgehänge des Untersberges.

„Warum legt der Seipelstorfer Geschütz und Spießvolk in die Burg?“

„Weil er beim Fuchsenstein nit losschlagt. Der Seipelstorfer ist ein Fürsichtiger. Und der heilig Peter muß warten. Das faule Liegen wird manchem von den Gadnischen unlieb sein, der ein guter Kriegsmann ist.“ Malimmes betonte das: „Ein guter Kriegsmann!“

Die beiden hatten schon einmal von einem ›guten Kriegsmann‹ miteinander gesprochen. Also war’s nicht verwunderlich, daß der Falbe dicht neben den Ingolstädter kam: „Das mußt du mir nochmal sagen, wie er dich heut herausgelupft hat aus der Not.“

Malimmes erzählte – und das wurde eine so abenteuerliche Geschichte vom Heldenmut des heiligen Jörg mit den Fasanenflügeln, daß Jul unmutig sagte: „Geh! Jetzt lügst du aber!“

Über diesen ungerechten Vorwurf war Malimmes gekränkt. Er schwor: „Bub, wenn’s nit wahr ist, soll mir gleich einer sagen dürfen, ich hätt als Mannsbild unter dem Küraß ein Weibsbilderhemd. Das glaubst doch selber nit? Gelt, nein?“

Die beiden kamen im Wald an aufgeschichtetem Brennholz vorüber. Auf einer Scheiterbeuge lagen sechs lange, dünne Kienholzscheite, schon zum Feuermachen ausgespänelt. Malimmes griff zu. „Die können wir brauchen.“

„Tu’s liegenlassen! Der Bauer wird’s mänglen.“

„Nimm’s ich nit, so stiehlt’s ein andrer.“ Malimmes schnürte die Scheite hinter dem Sattel an den Mantel fest.

Das Waldgehänge bog sich um eine Rippe des Berges. Nun kam eine Rodung, von der man hinuntersah ins Tal der Saalach und weit hinaus in das grün gehügelte Vorland. Der erste Späherblick des Malimmes huschte ins nahe Tal. Und beinah hätte er’s laut gesagt: „Eine Mausfall, wie vom Satan erfunden für den übelsten der Sünder.“ Herüben vom Untersberg, bei Marzoll, und drüben vom Staufen, bei Piding, schoben sich die Waldköpfe bis nahe zur Saalach hin. Hundert feste Kerle konnten da einem mächtigen Kriegshauf den Weg versperren. Und der braune, zerfaserte Strich da drunten? Halb im Wald versteckt – von Marzoll gegen die Saalach hin? Dieser krause Strich, hinter dem man immer wieder ein feines Blinken gewahren konnte? Das war die Wagenschanze des Salzburgs Hinterhaltes.

„Gelt, Bub, eine liebe Gegend!“

„Schau nur“, sagte Jul mit leisem Beben in der Stimme, „wie goldig schön da draußen das Traid steht!“ Dem Buben wurden die Augen feucht, weil er an die Ramsauer Felder dachte, auf denen der Hafer in diesem Jahr verfaulen mußte.

„Schön steht alles, ja!“ Malimmes nickte ernst. „Aber nimmer lang.“ Seine Augen spähten wie der Blick eines Falken, mit winzigen Pupillen. Über der Saalach drüben, von Piding gegen Aufham hin, war nichts Ungemütliches zu sehen. Das war der Weg, den Malimmes nehmen mußte. Aber – so leichtsinnig können doch die kriegstüchtigen Salzburger nicht sein, daß sie bei Marzoll sperren und bei Piding die Mausfall offen lassen? Spürend wanderte sein Blick von Aufham gegen den Waginger See, dann über die Tittmoninger Wälder in den Dunst hinaus hinter dem es nach Raitenhaslach und Burghausen ging. Und wieder zurück – ein Blick, der in Erregung die Ferne trank. Nun zogen sich die Brauen des Spähenden hart zusammen. Zwischen Aufham und dem See von Waging kroch ein langer, grauer Tausendfüßler, von Staub umqualmt.

Der Herzog? Nein! Das müßte der Seipelstorfer wissen. Also ein Feind! Wer kann es mit Salzburg und Ingolstadt halten? Und so flink bei der Saalacher Schüssel sein? Nur einer. Der Kaspar Törring! Der mit Herzog Ludwig im Ritterbunde verbrüdert war und sich mit Herzog Heinrich zerschlagen hatte wegen des bayerischen Oberstjägermeisteramtes. Kaspar Törring, bei dessen altem Geschlecht dieses Amt seit vier Jahrhunderten erblich war, begehrte als Oberstjägermeister der bayerischen Herzöge freies Jagdrecht, so weit die bayerischen Berge in den blauen Himmel wachsen. „Aber nicht, so weit meine Wälder grün sind!“ wehrte Herzog Heinrich und schimpfte über die in aller Welt berühmten Leithunde des Törringer Zwingers. Um Hund und Hirsch machen die Herren Krieg, bis die Bauern verbluten, die Häuser brennen und das Traid auf den Feldern verfaulen muß.

Der Törring? Einer mit fester Burg! Ein Starker bei kleinem Spiel. Bei großem Wurf ein Schwacher für sich allein. So einer reitet nicht gern ohne Freund. Und in dem weiten Lande da drunten hat der Törring nur einen einzigen Bundeskameraden, den Bischof von Chiemsee. Die Augen des Malimmes suchten. Und jetzt fanden sie auch den zweiten graudampfenden Heerwurm.

„Nit schlecht!“

In einer Stunde mußte der Törring an der Saalach stehen. Und dann gab’s zwischen Piding und Marzoll keinen Ausweg mehr. Beim Chiemseer Haufen aber waren geistliche Herren. Die reiten nicht gleich dem Teufel die Ohren weg. Die machen’s bequemer. Wenn der Kaspar Törring sich schon bei Piding einbeißt, wird’s noch ein halbes Stündl dauern, bis die Chiemseer aus dem Aufhamer Waldbuckel herauskommen. Und da muß man zwischen durch!

„Komm, lieber Bub!“ Malimmes lachte wunderlich laut. „Jetzt machen wir noch ein lustiges Reiterstückl!“ Sehr flink ging’s über den steilen Hang hinunter. Und als die beiden zu besseren Wegen kamen, ritt Malimmes in sausendem Trab voran. Immer wieder rief er ein paar lustige Worte über die Schulter zurück.

Wo hinter Plaien der Weißbach sein Geschäume in die Saalach schüttete, fanden sie die sechs ›Speckbrocken‹. Von denen sah jeder aus, daß man nicht gerne bei Nachtzeit mit ihm allein durch einen Wald hätte reiten mögen. Sehr vergnügt waren sie, hatten die Gäule festgebunden und eine Bäuerin gefangen. Alle sechs waren um das schreiende Weibsbild herum.

Da kam der Falbe dem Ingolstädter voraus. Mit brennendem Zorn in den Augen schrie der Bub: „Ihr Sau! Lasset das Weib in Ruh!“ Die Spreckbrocken wollten aufmucken. Aber da sahen sie den Malimmes. Und Herr Seipelstorfer hatte ihnen geboten: „Der ist euer Fürmann! Wer ihm Gehorsam weigert, hängt.“

Nur ein kurzer Aufenthalt war nötig, bis die Reiter im Sattel saßen. Im Galopp davon. Durch das Wasser der Saalach. Die weißen Tropfengarben spritzten über die Gäule hinauf, Und drüben ging es durch weglosen Wald. Da mußte man mit dem Eisenhut voraustauchen, um die Äste zu brechen. „He, Fürmann“, fragte einer von den sechsen, „zum Teufel, wo geht’s denn hin?“

„Zum Teufel“, wiederholte Malimmes, „merkst du’s noch allweil nit? Hinter Aufham draußen, da ist ein Wirt – der schenkt einen roten Wein – bei dem vergißt man die Not der Zeit. Flink, liebe Gnoten, flink!“

Jetzt gefiel den sechsen dieser unbequeme Ritt. Doch in den Augen des Buben war ein Vorwurf. Er hieh den Falben am „Da laß mich umkehren. So was mag ich nit.“

„Geh, sei kein Spielverderber!“ Lachend faßte Malimmes den Falben am Zügel und riß ihn vorwärts. „Ein so fester, junger Reiter wie du, der muß sich ein lützel auch ans Saufen gewöhnen.“

Als Jul erwidern wollte, sah er den Ernst in den Augen des Söldners. Erschrocken schwieg er. Und da beugte sich Malimmes zu ihm und tat, als müßte er am Zaumzeug des Falben was ordnen. Kaum hörbar tuschelte er: „Bub? Hast du kein Vertrauen nimmer? Zu mir?“ Und gleich wieder schwatzte er lustig über die Schulter gegen die sechse hin: „Aber gelt, das Maul heißt’s halten! Der Hauptmann hat mich heut nit zum roten Wein geschickt. Wenn mich einer verschwätzt, der kriegt’s!“ Da wurden heilige Eide geschworen. Und weiter und weiter ging’s, durch versteckte Waldlöcher, hügelauf und hügelnieder. Immer huschten die Augen des Malimmes, immer war in seinem Gesicht die Anstrengung des Lauschens. Und als die schöne Abendsonne sich golden färbte, befahl er mit einem keuchenden Laut dem Buben: „Reit links von mir!“ Die Gefahr war rechts. Zu sehen war sie nicht. Aber Malimmes hörte sie: die Harnischer des Kaspar Törring ritten da drunten in Piding ein. Und plötzlich scholl aus dem Tal herauf der grillende Schrei eines Weibes.

„Fürmann! Lus! Was ist denn da?“

„Gelt ja, du Tropf du!“ lachte Malimmes. „Meinst, das bringen die Pidinger Bauernburschen nit auch noch fertig, daß sie ein Weibsbild in den Speck zwicken?“ Fünfe lachten. Doch einer, ein Sachse, machte die vorwitzige Bemerkung, daß da drunten was zu hören wäre wie das Hufgeklapper eines Reiterhaufens. „Ei, guck doch, was für gescheite Leut die Sachsen sind!“ Malimmes haschte wieder den Zügel des Falben. „Die wissen alles, bloß das einzige nit, wie ein Bergländer Sensenschmied mit seinen Gesellen hämmert.“ Und weiter, weiter, bis man die Pidinger Sensenschmiede nimmer hörte. Malimmes tat einen tiefen Atemzug. „So, Leut, da drunten kriegen wir die schöne Straß hinter Aufham. Da sind wir jetzt bald beim feinen Wirt.“ Er räusperte sich lustig. „Ich mach schon die Gurgel sauber.“ Die in Sorge fragenden Blicke des Buben schien er nicht zu sehen. Flink durch den Wald hinunter. Und richtig, da war die schöne Straße. Sie leuchtete unter dem beginnenden Rotglanz des Abends. Malimmes fiel in jagenden Trab. Jul mit dem guten Falben konnte sich an der Seite des Söldners halten. Die sechse mit ihren schlechteren Gäulen blieben zurück.

Jetzt lief die Straße wieder in dichten Wald hinein, dessen Wand einen langen Schatten warf. Malimmes zwang den aufgeregten Ingolstädter zu ruhigem Schritt. Und der Falbe, wie ein kluger Kamerad, verstand das gleich; er hatte bei diesem Ritt, so Seite an Seite, schon was gelernt; alles tat er dem Ingolstädter nach, ohne sich viel um die Zügelgebote seines leichten Reiters zu kümmern, den die mühsame Hetze zu erschöpfen begann.

„Erst müssen wir die Gäul verschnaufen lassen.“ Es war seltsam, mit welchem Ernst Malimmes dieses scheinbar Unwichtige vor sich hin murmelte.

Da lispelte Jul: „Aber geh, so sag doch, was los ist!“

„Ja, lieber Bub! Dir sag ich alles.“ Er lauschte mit vorgestrecktem Hals. „Aber wart noch ein lützel! Bis wir beim roten Wirt vorbei sind. Und sorg dich nit!“ Er drehte das Gesicht nach dem Buben. „Du wirst nit saufen müssen vom roten Becher!“ In seinen Augen war eine heiße Zärtlichkeit. „Du nit!“

„Ich bitt dich“, bettelte Jul, „tu ehrlich reden!“

„Gut!“ Die Stimme des Malimmes bekam einen grimmigen Humor. „Der Seipelstorfer ist neugierig, ob der Wirt von Aufham einen Speck braucht. Mir wär’s lieber, es ging ohne Speck. Aber geht’s nit anders, so muß der Wirt seinen Speck haben.“

Das war lustig gesagt. Und dennoch spürte Jul ein Rieseln, das wie dunkles Grauen war. Er sagte leis: „Der Vater hat schon recht, heut lügst du. Allweil. Aber es wird wohl sein müssen. Sonst tätst du’s nit!“

„Gelt ja?“ Malimmes fing wie ein glücklicher Mensch zulachen an. Aber da riß ihm plötzlich ein Laut, den er vernommen hatte, den Kopf herum. Seine große Narbe war weiß wie Kalk, und seine Augen hatten den Blick eines bösen Tieres. Aber den sechsen, die nachgekommen waren, rief er heiter über die Schulter zu: „Höi, Leut! Wie langweilig ist das, so still dahintappen! Ich mein’, wie singen ein lustiges Liedl! Damit der Aufhamer Wirt gleich merkt, daß gute Gnoten kommen. Da zapft er an!“ Die sechse waren schon mißtrauisch geworden. Aber wo man singen durfte, war man weit von aller Gefahr. Drum stimmten sie gleich ein Lustiges an:

„Ein Reiter, der wollt pi–hir–schen,
Halerieh halerah fallaaah,
Auf Reechlein nit noch Hi–hir–schen,
Halerieh halerah fallaaah,
Er fing sich da ein Jungfeinsmaid,
Wozu brauchst du ein Nunnenkleid,
Ja Ni–na–nunnenkleid,
Wozu ein weißes Pfaid?
Hurrjeeh, stampeeh,
Was liegt im grünen Klee?“

Während die sechse so sangen, zog die Straße zu einer Biegung. Und da sprang Malimmes aus dem Sattel. „Teufel, jetzt ist meinem Gaul ein Eisen locker!“ Mit dem Zügel des Ingolstädters wand sich Malimmes auch den Zügel des Falbe um den Arm. Zu den sechsen sagte er: „Nur weiter! Gleich hinter dem Eck da drüben ist der Wirt.“

Durch den Wald her war ein gleichmäßiges Geräusch zu hören. Auch bei Aufham schien es Sensenschmiede zu geben. Die Singenden hörten den Klang dieser Hämmer nicht. Malimmes vernahm ihn. Und während er so tat, als schlüge er mit einem Stein auf das Hufeisen des Gaules, machte sein Gehirn verzweifelte Sprünge. Mußte der Wirt von Aufham Speck bekommen? Gab’s keinen anderen Weg? Ein Ausbrechen rechts von der Straße war unmöglich. Struppige Waldhügel, die kein Gaul überwinden konnte, verwehrten es. Eine Wegschlucht, die nordwärts gegen den See von Waging führte, kam erst weit da vorne – dort, wo die fleißigen Hämmer immer vernehmlicher pochten. – Und die Gefahr nach links umreiten, wie bei Piding? Dazu reichte die Zeit nimmer, wenn Herzog Heinrich wach werden sollte vor der elften Glock. Bei der Sensenschmiede von Aufhausen hieß es: durch! Der Speck mußte die eisernen Mäuse beschäftigen, mußte den geschlossenen Zug des Chiemseer Haufens auseinander reißen.

Die vergnügten Sänger näherten sich der Straßenbiegung:

„Das ist von Gott erscha–haf–fen,
Halerieh halerah fallaaah,
Da braucht’s ihm keinen Pfa–haf–fen,
Halerieh halerah fallaaah!“

Malimmes ließ den Stein fallen und sah den Buben an. Sein Gesicht wurde hart. Der Bub? Und die anderen beim Fuchsenstein? Hundert gute Köpfe? Und sechse, die nicht viel taugten?

Da vorne sangen sie:

„Und wenn du laufst mit einem Kind,
Tu langsam, ‘s geht nit so geschwind „

Die Faust des Malimmes umklammerte das Knie des Jul. „Jetzt schau nur meinem Gaul auf den Schwanz. Und her hinter mir!“ Er sprang in den Sattel. Von den Sängern bogen die zwei ersten um das Eck der Straße:

„Geschwie–schwa–schwiaschwind,
Schön heimlich wachst die Sünd!“

Malimmes haschte die Hand des Buben: „Tu geloben: Wenn ich ›Fürwärts‹ schrei, da hau deinem Gaul die Sporen in den Bauch und laß ihn rennen!“ Ein leises Lachen. „Ich hol dich wieder ein. Da kannst dich verlassen drauf!“ Er löste den Bidenhänder von der Brust. Auch Jul, mit großen Augen, stumm, das schmale Gesicht gespannt von einer ruhigen Strenge, griff nach seinem Eisen. Und da vorne verschwanden die zwei letzten der fröhlichen Sänger:

„Hurrjeeh, stampeeh,
Mich laß in Ruh, hadjeeh!“

Seite an Seite jagten der Ingolstädter und der Falbe nach links in die von der Abendglut umbrannte Waldung hinein.

Die sechse auf der Straße sangen:

„Wird’s ihm ein Bub, heißt Pe–he–ter,
Halerieh halerah fallaaah,
Der macht’s wie seine Vä–hä–ter,
Halerieh halerah fallaaah!
Wird’s ein Feinsmaid, heißt Adelheid,
Und braucht’s ihm auch kein Nunnenkleid,
Ja Ni–na–nunnenkleid
Und auch kein weißes Pfaid.
Hurrjeeh, stampeeh,
Das erstemal tut’s weh!“

Das lustige Lied klang gegen das Ende hin ein bißchen schütter, weil ein paar von den Sängern nimmer mittaten. Die hatten ihre Gäule verhalten und guckten verdutzt über die Straße hinaus, auf der ein langgezogener Reiterhauf einherzog. Der kluge Sachse schrie nach dem Fürmann. Die Spitze des fremden Reiterschwarmes kam für ein paar Augenblicke ins Stocken; dann zogen die Chiemseer vom Leder und ließen die Gäule jagen. Jetzt begannen auch die anderen fünf Speckbrocken zu schreien: „Fürmann! Fürmann!“ Sie zogen blank, warfen die schlechten Klepper herum, flüchteten gegen die Sensenschmiede von Piding, und immer wieder schrien sie: „Fürmann! Fürmann!“

Ihr Geschrei klang laut hinein in das Gehölz. Und Jul, dessen Falbe hinter dem Ingolstädter herflog, stammelte flehend: „Mensch! So hör doch, die Unseren schreien!“

Malimmes hatte das böse Gesicht. „Laß schreien!“

Von der Straße war ein Gerassel zu hören, als hätte man eiserne Pfannen zu Boden geworfen.

„Mensch!“ Dem Buben versagte fast bei dem auf und nieder tollenden Ritt die Stimme. „So tu doch den Unseren helfen!“

„Fürwärts! Fürwärts!“

Und der Bub im Zorn: „Wie schlecht du bist!“

Bei sausendem Ritt ein hartes Lachen. „Weiß schon! Ein Lumpenkerl bin ich. Tut man, was sein muß – das ist allweil schlecht.“ Da merkte Malimmes, daß Jul den Falben verhalten wollte. Ein knirschender Fluch. „Gotts Teufel, Bub, du bist wahrhaftig so dumm wie ein Weibsbild!“ Er riß den Ingolstädter wie einen Kreisel herum, fuhr dabei mit dem Gesicht in einen Wust von dürren Ästen und haschte den Zügel des Falben. „Fürwärts!“ In der engen Gasse zwischen den Bäumen legte sich der Falbe an den Ingolstädter hin. „Schlecht? So? Aber vergessen, was man gelobt hat, das ist redlich!“ Ein jähes Anhalten. Ganz nah bei der Straße war’s. Im Blut des Abends schien alles rot zu sein, die polternde Kammerbüchse da draußen, die Pulverkarren und Kugelwagen. Nur Fußknechte waren dabei. Die Geleitsreiter waren vorausgesprengt – dorthin, wo die Mäuse den Speck fraßen. „Bub!“ Die Stimme des Malimmes klang wie erwürgt: „Da müssen wir durch, eh die Nachhut kommt. Laß dein Eisen hängen! Das meinige reicht. Pack den Gaul an der Mahn! Und los!“

Ein wildes Geschrei erhob sich auf der Straße, als hinter der Kammerbüchse die beiden Gäule mit den geduckten Reitern gleich gehetzten Hirschen über den Weg hinüberstoben. Drei Spieße fielen gegen die Rosse vor – ein Streich des Bidenhänders machte die Hölzer splittern, riß von einem Chiemseer noch ein Stück gepanzerten Lebens mit davon – und bevor noch ein Schwarm des Fußvolks zusammenspringen konnte, waren die beiden in eine enge, von der Straße nordwärts führende Bachschlucht hineingetaucht.

Bei diesem rasenden Jagen – über steinigen Waldboden und durch das Bett des Baches – blieben die zwei Gäule Hals an Hals, und Malimmes drückte sich über den gebeugten Rücken des Buben hin. Jul wollte sich aufrichten, doch Malimmes preßte ihn mit grober Faust wieder auf die Mähne des Gaules. Ein Klatschen ging durch das Buchenlaub – wie von schweren Hagelkörnern, die nicht senkrecht vom Himmel fielen, sondern quer hinausfuhren durch das Gezweig der Bäume. Nun ein kurzes, rasseliges Klingen. Es war wie ein Hammerschlag auf eine schlechte Glocke. „Ja! Schnecken!“ lachte Malimmes. „Nit auf den Küraß kommt’s an. Auf den Mann, der drinsteckt.“

Da machte der Falbe schnaubend einen wilden Ruck. Jul stöhnte: „Mein Gaul –“

„Fürwärts!“ Malimmes riß den klunkernden Bolzenschaft aus dem Backenfleisch des Gaules. „Das tut ihm nichts! Ein lützel Pfeffer im Blut – da springt er besser.“ Wieder so ein klirrender Hammerschlag. Malimmes machte mit dem Oberleib einen schweren Tunker auf den Buben hin. „So! Nit schlecht! Wenn sie mir noch viere, fünfe auf den Küraß pelzen, ist mein Buckel eine Leiter. Da kannst über mich in den Himmel steigen.“ Im aufspritzenden Wasser des Baches tauchten die beiden Gäule um die Deckung eines Hügels. Und Malimmes schrie wie ein froh Betrunkener: „Bub, schnauf auf!“ Er saß wieder grad im Sattel, und seine Augen spähten im schwindenden Glanz des Abends nach einem besseren Weg. Von dem fahrigen Ritt geschüttelt und geworfen, richtete Jul sich auf, wie einer, den alle Glieder schmerzten. Erschrocken fragte Malimmes: „Hab ich dir weh getan?“

Jul schüttelte den Kopf.

„Ein lützel doch! Gelt ja? Und da bin ich noch einer von den Leichten. Ach, du Weible! Das wirst du noch merken müssen, wie schwer so ein Mannsbild werden kann!“ Während Malimmes schwatzte, war er mit Ohr und Auge über der Schulter. Und sooft er den Hals bewegte, ging es wie Schmerz über sein blutiges, von Ästen zerkratztes Gesicht. Nun fand er einen freien Weg zwischen hohen, dunklen Waldmauern, über denen die gelbe Flamme des Abendhimmels brannte. Seite an Seite galoppierten die beiden Gäule, der starkblutende Falbe immer um eine halbe Kopflänge voraus.

Eine erstickte Stimme: „Malimmes! Die Unseren?“

„Da mußt nit Sorge haben. Die sind ausgerissen wie schlechte Knopflöcher und sind vor der Nacht daheim.“ Das sagte er ruhig. „Komm! Jetzt denk nit rückwärts, Bub! Denk fürwärts. Und daß du auch weißt, warum –“ Nun sagte er die halbe Wahrheit. Zur Hälfte verschwieg er sie noch. Weil die Gefahr noch nicht überstanden war. Vom Rücken her durfte er sich sicher fühlen. Bis das Geschrei der Fußknechte die Reiter herbeigerufen hatte, war’s zu spät geworden, um den Flüchtigen ins Blinde des dämmernden Waldes nachzujagen. Doch hinter den Wiesen da draußen, die noch hell im Glanz des Abends schimmerten, mußte Malimmes auf weitem Umweg das Uferinger Moor umreiten, während von der Nachhut der Chiemseer eine feste, gerade Straße zum See von Waging lief. Und daß hier eine Botschaft zu Herzog Heinrich ging, die am Waginger See vorbei mußte, auf schmalem Gelände zwischen Moor und Wasser – um das zu erraten, brauchten die Chiemseer das Gras nicht wachsen zu hören. Ob da nicht schon ein Dutzend losgeritten waren? Oder hatten sie auf gutem Boden den Wald umsprungen? Und lauerten da draußen, wo es noch hell war?

Während diese flinken Gedanken durch das Hirn des Malimmes zuckten, fühlte er plötzlich den Arm des Buben um seinen Hals. Mürrisch entzog er sich dieser dankenden Zärtlichkeit, bei der unter dem Gehops des Rittes die stählernen Schienen klapperten.

Nahe dem Waldsaum verhielt Malimmes die Gäule. Jul, in seiner Sorge um jene, die beim Seipelstorfer in der Falle saßen, bettelte heiß: „Tu reiten! Jesus, Mensch, so tu doch reiten!“

Der Söldner lachte ein bißchen. „Dir wird das Reiten heut noch genug werden!“ Er sprang aus dem Sattel. „Da bleib! Und tu die Gäul halten! Wenn du mich pfeifen hörst, so komm!“ Mit der Hand strich er über die Wunde des Falben hin; der zückte kaum merklich; also war’s nicht schlimm. Dann sprang Malimmes davon, mit einer sonderbar steifen Kopfhaltung, Im Springen riß er am Küraß die Schnallen auf und schälte den Rückenteil herunter. Der eine Bolz hatte nur eine Dulle geschlagen, der andere war durchs Eisen gegangen und saß wie festgeschmiedet. „Du Luder! Einen Zoll tiefer – und wo läg der Bub?“ Der Bolz war nicht herauszuziehen. Mit einem Stein mußte Malimmes außen den gefiederten Schaft und innen die birkenblattförmige Klinge vom Küraß schlagen. Er griff am Rücken unter das Wams hinauf. „Teufel, da nässelet’s ein lützel!“ Im Weiterspringen schnallte er sich den Stahl wieder um den Buckel. Am Waldsaum blieb er stehen und spähte. Ebene Wiesen bis zum Uferinger Moor hin. Nur kleine Stauden, hinter denen kein Kind sich hätte verstecken können. Malimmes pfiff. Als Jul mit den Gäulen aus dem Walde kam, bot ihm der Söldner die mit Wasser gefüllte Eisenschaller hinauf. „So, Bub, trink!“

Jul beugte sich herunter. „Vergelt’s Gott!“

Dann soff Malimmes. Von dem, was in der Schaller blieb, spritzte er dem Buben eine Handvoll ins Gesicht, den Rest goß er sich über Kopf und Nacken hinunter. Und wieder hinauf in den Sattel. Nun tranken die Gäule. Gierig schlürften sie von dem Grabenwasser, in dem sich der gelbe Himmel spiegelte.

„Los! Jetzt allweil hinter mir!“

Die zwei dunklen Reitergestalten jagten über die feuchten, fein dampfenden Wiesen hin. Im Uferinger Moor, das sie umreiten mußten, sangen die Frösche den wundervollen Abend an. Bei diesem Lied der Dämmerstunde wurde Jul von einer quälenden Erinnerung befallen. Die nassen Tropfen, die von seinem vorgebeugten Gesicht über den Hals des Falben rollten – das waren nicht nur die Tropfen des Reiterschweißes.

Nun eine gute Straße. Sanft wogende Ährenfelder in der letzten Farbe des Lichtes. Einzelne Hütten, kleine, friedsame Dörfer. Manchmal ein zärtliches Paar, das sich hinter Stauden verlor. Und vor den Haustüren heiterschwatzende Menschen, die stumm wurden, wenn die Reiter kamen.

Der Himmel hatte noch milde Helle. Über der Erde lag schon ein stilles Grau, als die beiden den See von Waging gleich einem großen, weißen Schneefleck in der Dämmerung liegen sahen.

Es kam ein dunkler Wald, in den der Straßenboden wie ein mattgrauer Strich hineinlief. „Bub! Voraus!“ Malimmes hatte eine so heisere Stimme wie der Jungherr Someiner. „Und nimm das Eisen!“ Stumm gehorchte Jul. Und als er den Falben voraustrieb, blieb der Ingolstädter für einige Sprünge an seiner Seite. Die von Erregung gewürgte Stimme des Söldners raunte: „Vergiß nit, was du gelobt hast! Wenn ich ›Fürwärts!‹ schrei, so schau dich nimmer um. Da reit, reit, reit! Allweil der guten Straß nach. Und kommst du nach Burghausen, so mußt du dem Herzog melden –“

Jetzt wollte Malimmes die Wahrheit sagen, die ganze. Aber da reichte die Zeit nimmer. In der Finsternis des Waldes war’s lebendig geworden. Von beiden Seiten rasselten die schwarzen Klumpen der Chiemseer gegen die Straße her. Wie ein Irrsinniger fing Malimmes zu brüllen an: „Bub, fürwärts! Fürwärts! Fürwärts!“ Er riß den Ingolstädter herum und versetzte dem Falben noch einen wütenden Fußtritt. Schnaubend raste der schlanke Gaul des Buben davon. Und Malimmes sperrte mit dem kreisenden Bidenhänder die Straße. Geschrei und Flüche, das Stampfen und Keuchen der auf einen Haufen zusammengedrängten Gäule, klirrendes Eisen, das Gerassel der Platten und Schienen. In der Dunkelheit ein Funkensprühen wie vom Amboß eines Schmiedes. Ein schwarzer Eisenbrocken kollerte über den Wegrain – Malimmes hatte einen der Angreifer aus dem Sattel gestochen. Der reiterlos gewordene Gaul, der immer nach hinten ausschlug, raste durch die Finsternis davon. Und im Straßengraben gurgelte der schwer Verwundete mit junger Stimme: „Aschacher, hilf mir – Aschacher – Aschacher –“

Da jagte Jul gegen diesen tobenden Knäuel her. Nicht nur die zerrenden Fäuste des Buben, der dem Malimmes beispringen wollte, hatten den Gaul gewendet. Der Falbe war selber umgekehrt, weil er als guter Kamerad den Ingolstädter suchte. In Gaul und Reiter war der gleiche Wille. Die Stimme des Buben schrillte: „Gesell, ich komm!“ Er hörte noch den wütenden Schrei des Malimmes, dieses zornig keuchende „Fürwärts! Fürwärts!“ Aber da schlug er schon mit dem Eisen drein, zum erstenmal erfüllt von einem Wunsch, der töten mußte, weil er helfen wollte. Ein gellender Laut – ein stürzender Mensch, ein Roß, das sich überschlug – dann war es dem Buben, als fiele plötzlich etwas Fürchterliches über seinen Kopf, so schwer wie ein Berg. Unter dem Schwinden seiner Sinne fühlte er noch, daß er den Sattel verlor und im Sturz von einer starken Faust hinübergerissen wurde auf einen anderen Gaul. Dann war vor seinen Augen eine farbige Nacht. Und jene schmerzvolle Stimme, die im Straßengraben stöhnte: „Aschacher, hilf mir, Aschacher, Aschacher!“ – diese Stimme blieb in dunkler Ferne zurück und erlosch wie ein starkes Kinderwimmern in der Finsternis.

Verfolgt von schreienden Reitern, an seiner Brust den ohnmächtigen Buben umklammernd, jagte Malimmes auf keuchendem Roß in den schütteren Wald hinein, dem matten Schimmer entgegen, mit dem der Waginger See hinter schwarzen Bäumen blinkte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Ochsenkrieg. Zweites Buch.