Zehntes Capitel. - In den großen Zelten, die auf der Wiesenhöhe der Nürnberger Straße für das Königspaar und sein Gefolge errichtet standen, hatten ... für den Einzug in Regensburg ...

Zehntes Capitel. - In den großen Zelten, die auf der Wiesenhöhe der Nürnberger Straße für das Königspaar und sein Gefolge errichtet standen, hatten Herr Sigismund und Frau Barbara die verstaubten Reisekleider abgelegt und für den Einzug in Regensburg sich angetan mit dem Schmuck der Herrscherwürde.

Während die Königin, die immer geraumer Zeit bedurfte, um sich schön zu machen, noch vor dem silbernen Reisespiegel saß, hatte der König schon das Zelt verlassen und stand in der milden Sonne. Noch trug er die Krone nicht. Doch seine hohe Gestalt, in der sich Majestät und Anmut paarten, war schon umflossen von den starren Falten des schwer mit Gold bestickten und mit Hermelin verbrämten Purpurmantels. Darunter schimmerte der lange, bis zum Gürtel geschlitzte Reitrock von mattgrüner, mit Perlenblumen benähter Seide. An den Füßen glitzerten die goldgespornten Schnabelschuhe; und die großen, bunten Emailglieder des Gürtels trugen das breite Schwert, an dessen Knauf ein grüner Smaragd von der Größe einer Welschnuß funkelte – ein Stück geschliffenen Glases – den echten kostbaren Schwertstein hatte Herr Sigismund zu Nürnberg verpfänden müssen, um Geld für die Regensburger Reise zu beschaffen. Dieses Geld war auch schon wieder ausgegeben, war auf der langen Reisestrecke in die flehenden Hände des verarmten Volkes geflossen, das überall in hoffendem Glauben die Straße des schönen, hilfreichen Königs belagert hatte. Er kam zu seiner treuen Reichsstadt Regensburg mit einer Tasche, die so leer war wie ein junges Grab, aus dem der Schaufelmann soeben herausgestiegen.


Von den widerlichen Sorgen, die seine häusliche Wirtschaft bedrückten, war in seinen hellen, heiteren Augen kein Schatten zu gewahren. Er schwatzte munter und stand unter dem reinen Himmel wie ein menschgewordener Sonnenstrahl. Das kurzgelockte Braunhaar des Vierundfünfzigjährigen war noch ohne grauen Faden. Ein sorgsam gepflegter, in zwei Spitzen geteilter Vollbart mit lichterem, hübsch geschwungenem Schnauzer umrahmte das längliche, edelgeformte Gesicht, das frische, gesunde Farben hatte. Doch rings um die frohen Augen waren viele feingerissene Faltenzüge; sie erzählten von Blutstürmen und von Dingen, die nach Meinung der Frommen vor Gott kein Wohlgefallen finden. Wer nicht dicht vor dem König stand, sah diese Runenschrift eines wild durchrüttelten Lebens nimmer, sah nur den fürstlichen Kopf, diese herrliche, anmutsvoll bewegte Mannesgestalt, diesen König von unverwüstlicher Jugend und Schönheit, dem die Herzen des Volkes entgegenjubelten, wenn er lächelte und freundlich grüßte.

Neben ihm stand der päpstliche Legat Branda in scharlachfarbener Kardinalstracht mit einem wie aus Marmor geschnittenem Greisenkopf. Den beiden las der junge Kanzler Schlick eine Botschaft vor, die aus München gekommen war. Der Bote, der sie gebracht hatte – Lampert Someiner –, stand bei den Herren des Hofes, grau verstaubt nach einem jagenden Ritt, in den Augen ein ruhiges Leuchten.

Während der Kanzler mit halblauter Stimme las, wurde ein Imbiß eingenommen. Wie beim Mahl auf einer Falkenbeize stand man zwischen angepflöckten Rossen oder saß auf Wiesenbuckeln und aß aus kleinen, billigen Zinnschüsseln. Das goldene Reisegeschirr der Majestät war zu Nürnberg bei dem großen Schwertsmaragd zurückgeblieben.

Der König hörte die Botschaft, die da gelesen wurde, mit Lächeln an. Eine leichte Röte auf seiner Stirn verriet den Zorn, den er stumm bezwang. Der Kardinal erregte sich: „Die Fürsten zu München sind begabt mit versöhnlichen Seelen. Sie verzeihen dem Ingolstädter flink. Rom wird zögern müssen mit seiner Güte.“

„Wie immer!“ Herr Sigismund sah zu einer Herrengruppe hinüber, die den zwerghaften, großköpfigen Narren des Königs umstand und in schallendes Gelächter ausgebrochen war. „Was ist da drüben? Laßt euren sorgenvollen Herrscher mitlachen!“

Einer kam: „Wir sprachen von heißblütigen Frauen. Da sagte der Narr: In den Leib jener Frauen, die als Liebende unersättlich sind, müßte von ungefähr ein Pantherhaar geraten sein, das sich nimmer entfernt und ruhelos kitzelt.“

Die Majestät wurde verdrießlich. „Unser Narr kennt die Frauen, wie der Neid die Freude.“ Und in böhmischer Sprache, die der Kardinal nicht verstand, sagte Sigismund seufzend zum Kanzler: „Wenn der Wirrsinn des Narren Wahrheit wäre, müßte unsere Königin einen ganzen Panther verschluckt haben.“

Da griffen plötzlich viele Herren nach ihren Waffen. Hinter dem Lagerplatz jagte auf der Nürnberger Straße eine dicke Staubwolke heran. Als man die Reiter und zwei braun und weiß gefleckte Hunde erkennen konnte, flüsterte Schlick: „Der Ingolstädter, mit dem Pienzenauer und Törring.“

Stumm, in aufbrennendem Zorne, wandte sich der König und trat so hastig ins Zelt, daß sich der Purpurmantel wie eine schwere Fahne hinter ihm herbauschte. Der Kanzler ihm nach. Im Zelt schrie Herr Sigismund: „Ich will ihn nicht sehen. Er hat wider uns und das Reich gesündigt. Ich muß ihn von der Herrschaft stoßen.“

Da stand der zwerghafte, großköpfige Narr bei ihm, zupfte am Mantel des Königs und pisperte mit seinem Kastratenstimmchen: „Vetter, überschrei dir die Lunge nicht! Sonst wirst du zu Regensburg vor den schönen Frauen husten müssen, statt daß du gewinnend redest.“

Diese Stimme floß wie Öl auf den Zorn des Herrschers. Ratlos sagte er zu Schlick: „Was soll ich tun?“

Lächelnd flüsterte der junge Rat: „Eine gütige Strenge wählen, die für heute zu nichts verpflichtet. Und warten, bis Vetter Heinrich sprach. Der Schatzturm von Burghausen hat eine Stimme, auf die man in knappen Zeitläuften hören muß.“

Alles Redliche in Sigismund wallte auf. „Schlick! Das ist ein Grauenvolles an meinem Leben. Immer will ich das Gute und Gerechte und muß es biegen und beschmutzen –“

„Warum?“ piepste der Zwerg. „Weil wir sonst den Schneid der, Schuster und Bäcker nicht bezahlen können.“

„Schweige, Narr! Deine Spaße lügen. Den König belügen alle. Vor dreißig Jahren hat mir einer, den ich vom Schwert zum Leben begnaden wollte, ins Gesicht gerufen: ›Ich nehme nichts geschenkt von dir, du böhmisches Schwein!‹ Und hat seinen Kopf auf den Block gelegt. Seit damals hat mir keiner mehr die Wahrheit gesagt! – Nur einer. Wo ist er? Narr! Hole mir den Fritz!“

Das großköpfige Männlein zappelte davon. Dann trat mit ihm ein kraftvoller Mann von fünfzig Jahren in das Zelt, schwer und schmucklos gepanzert, ohne Helm, mit dem roten Adler zwischen den schwarzweißen Gevierten des Waffenrockes. Der Kopf hatte in der Art des Braunhaares und des geteilten Vollbartes eine leichte Ähnlichkeit mit der Majestät, doch das sonnverbrannte Gesicht war gröber, fester und ruhiger; dazu ein Mund, der gerne und kräftig lachte, und kluge, graublaue Augen wie blanker Stahl – Friedrich von Zollern, der Burggraf von Nürnberg, der neue Herr der Brandenburger Mark.

In Erregung fragte der König: „Weißt du, wer kommt?“

„Er ist schon da.“ Der Markgraf lachte. Er redete laut und rasch. „Rom setzt ihn bereits auf glühende Kohlen und röstet ihm das christliche Fundament. Ich besorge, man wird ihn um mancher Sünde willen brennen, die er nicht beging.“

„Hinter deinen Worten ist Erbarmen. Bist du nicht sein Feind?“

„Ich? Nein! Ich keines Mannes Feind. Schlägt einer her, so schlag ich hin, um ein gut Teil gröber als der andere. Kann er sich vertragen, so bin ich friedsam. Oheim Ludwig ist ein Baum mit Ästen, die gut sind. Die maßlos aufgeschossenen sind ihm gestutzt worden. Jetzt mögen die gesunden treiben. Das sollte die Majestät in Güte fördern.“

„Du weißt nicht, was bei München geschehen ist. Schlick! Gib ihm das Blatt zu lesen!“

Der Markgraf nahm das Pergament. Als er las, bedeckte sich seine Stirn mit harten Falten. „Ein garstiges Ding! Macht Waffenruhe mit mir, vertrödelt den wohlgemeinten Friedenshandel mit Landshut und nützt die unbedrängten Ellenbogen, um ruhige Leute zu puffen. Die gesunden Hiebe von Alling vergönn ich ihm. Das Leben hat heitere Gerechtigkeiten. Ich merke, daß er mich täuschte. Aber das haben die Münchener wettgemacht. Das friedsame Wort, das ich ihm sagte, soll gelten.“

„Lies weiter! Da wirst du von deinem Schwager Heinrich hören. Der Kleine hat wieder flinke Arbeit getan. Und sein treues Glück ist mit ihm gelaufen.“

„So?“ Der Markgraf schien das gerne zu vernehmen. Doch als er weiterlas, fuhr ihm eine dunkle Blutwelle ins Gesicht. Die Lippen vorschiebend, faltete er das Pergament zusammen, bot es dem Kanzler hin und schwieg.

„Rede!“ mahnte der König ungeduldig.

„Das fällt mir schwer. Der eine täuschte mich, der andere tat’s noch übler. Man muß da immer wieder lernen, von neuem zu glauben. Die Majestät möchte mich eines Ratschlages entbinden! Den einen will ich nicht tiefer hinunterstoßen, als er fiel. Und ich kann nicht reden wider den Bruder meines Weibes, das mir eine tapfere Hausfrau ist und mich beschenkte mit dem Besten des Lebens, mit gesunden Jungen.“

Sigismund, der ohne Sohn war und dieses Wort mit Mißvergnügen gehört hatte, rief ärgerlich: „Versagst du auch? Was soll ich tun?“

Hinter dem Rücken der Majestät guckte der Kanzler mit verständlicher Trauer in seine Gürteltasche.

„Ach so?“ Für den Markgrafen schien die Stunde plötzlich an Ernst verloren zu haben. Er nickte. „Freilich, der Fink muß Hanf haben, wenn er nicht unschön pfeifen soll. An schöne Lieder bei Darbenden glaub ich nicht.“

„Was soll ich tun?“ wiederholte der König gereizt, während man vor dem Zelt einen heftigen Wortwechsel zwischen dem Kardinal Branda und Herzog Ludwig vernahm. „Was soll ich tun?“

„Was kein Verständiger schelten darf. Geld kann man von den Juden borgen. Wenn’s nicht billiger geht, um hohen Zins. Man braucht sie drum nicht zu verbrennen. Man kann sie auch bezahlen. Das ist minder schmerzhaft. Ich will gutstehen. Und der Fink kann pfeifen, wie er soll.“

„Gutstehen?“ fragte Sigismund freundlicher. „Selber geben kannst du nicht?“

„Nicht jetzt. Die Majestät möge verzeihen. Ich bin erschöpft.“

„Du schüttest zu viel in den Sand deiner Mark.“

„Ohne Samen kein Weizen.“

Der König lächelte auf eine Art, die dem Markgrafen zu mißfallen schien. „So muß ich schauen, wo Samen sich findet.“

Vor dem Zelt die erregte Stimme des Kardinals: „Um Euretwillen wurde Glockenläuten, Gesang und Gottesdienst zerschlagen.“

Dann die zornbebende Stimme des Ingolstädters: „Warum sperrt Ihr um meinetwillen die Kirchen? Laßt sie offen für die anderen! Dann könnt Ihr läuten, singen und Messe lesen nach Herzenslust. Belagert nicht meinen Weg! Ich will zum König. Wozu das Reich, wozu der Herrscher, wenn die beiden sich verschließen vor der Not eines Deutschen?“

Im Zelt sagte Sigismund heiter: „Oh? Wo bleibt Paris? Mein Land ist reicher geworden um einen deutschen Mann.“

Da stürmte Herzog Ludwig in das Zelt, mit Staub bedeckt, das Gesicht von Gram zerstört, in den Augen den zerbrochenen Stolz. Schweigend biß er die Zähne übereinander und beugte das Knie.

Die Majestät trat zurück, blieb stumm und streckte abwehrend, mit einer anmutsvollen Geste, die schönen Hände vor sich hin.

Herzog Ludwig drückte den starren Nacken noch tiefer hinunter und harrte zitternd auf ein gütiges Wort. Weil es nicht kommen wollte, erbarmte sich der Markgraf dieses Gebeugten, wollte ihm mit einem freundlichen Scherz über den bösen Augenblick hinüberhelfen und sagte freundlich: „Oheim? Ihr habt keine gute Farbe. Seid Ihr ein so strenger Christ, daß Ihr im Übermaße fastet?“

Die gute Absicht dieses Scherzes mißverstehend, fuhr Herzog Ludwig vom Boden auf, mit brennender Stirne, mit Trauer und erneutem Haß in den Augen. „Willst du mich höhnen? Du? Der verschlang, was in meines großen Ahnherren goldenem Kessel gekocht wurde für Witteisbach?“

„So ist es nicht. Aber wenn es so wäre, könnt ich nicht leugnen, daß es mir mundet.“

Noch heißer gereizt durch diese lächelnde Ruhe, wandte sich der Herzog an die Majestät. „König! Leidende haben ein helles Gesicht. Laß dich warnen vor diesem allzu Gesunden. Er wird dir die deutsche Krone nehmen, wie er meinem Hause die Mark genommen.“

„Die gab ich ihm doch. Als Dank für redliche Dienste.“

„Laß dich warnen!“ Die Stimme des Herzogs war rauh von Zorn. „Seine Federn sind schwarz und weiß wie die der Elster. Was eine richtige Elster ist, die läßt ihr Hüpfen nicht.“

Herr Sigismund lachte heiter. Dennoch war es ihm anzumerken, daß diese Warnung bei seinem leicht erregbaren Mißtrauen ihr Ziel nicht völlig verfehlt hatte.

Des Königs achtete der Markgraf in diesem Augenblick nicht. Er sah nur den von Zorn und Leid durchwühlten Herzog an und sagte ernst: „Leidende haben kein helles Gesicht, sie haben verschleierte Sinne. Dieses Wissen versöhnt mit ihnen. Ihr seid ein vergrämter Vogel, Oheim! Man merkt es an Eurem verstimmten Gesang. Ich habe schon bessere Lieder von Euch vernommen. Seht zu, daß Eure Kehle sich bald wieder bessern möge.“ Er neigte sich vor der Majestät und ging im Geklirr seines schweren Panzers aus dem Zelt.

Die Augen des Königs, die ihm folgten, hatten eine unmutigen Blick. Dann sagte er zu Herzog Ludwig mit jener gütigen Strenge, deren Ton er glücklich zu treffen wußte: „Oheim, du bist ein männlicher Fürst. Auch warst du ein Mächtiger an Barschaft. Das haben Wir zu Unseren Gunsten oft erfahren. Wir schulden dir viel. Des wollen Wir gedenk bleiben. Aber dir ist es ergangen, wie es allen ergeht, die mehr Vertrauen in sich selbst haben als in Gott.“

Während immer das ferne Glockenläuten summte und das Zinkengeschmetter des festlichen Zuges näher und näher tönte, zwang Herr Ludwig die Worte heraus: „Was ich habe, will ich geben. Jetzt bin ich arm. Reichtum wird wiederkommen. Die Majestät verspreche mir nur, mich ungeschädigt bei meiner ererbten Herrschaft zu halten. Was ich erbitte, ist mein fürstliches Recht.“

„Der Schuldige muß empfangen, was ihm zugesprochen wird, um christlicher Güte willen. Du bist besiegt durch die Kraft der anderen und durch die eigene Torheit.“

Das Gesicht des Herzogs entstellte sich. „Mich besiegte einer, den ich nicht nenne. Man kann einen Menschen beugen. Sein Recht bleibt stehen. Ich fordere mein Recht.“

„Wer fordert und nicht die Macht hat, seinen Willen durchzusetzen, ist ein Narr.“ Bei diesem Worte nahm die heiter gewordene Majestät dem Herzog die pelzverbrämte Mütze vom Kopf und setzte ihm die Schellenkappe der Narren auf.

Herr Ludwig stand unbeweglich.

Draußen erscholl ein süßer, lieblicher Gesang von tausend Kinderstimmen.

„Wir werden entscheiden im Rat der Fürsten!“ sagte Sigismund. „Unsere treuen Regensburger kommen.“ Er wandte sich. „Meine Krone?“

Unter spöttischem Grinsen brachte der Zwerg das von edlen Steinen funkelnde Königsgeschmeid: „Nimm, barmherziger Vetter, das ist deine Narrenkappe!“

„Meinst du, Wir hätten nicht den klugen Kopf, den sie verlangt?“

„Den hast du, leider! Du versäuerst mir mein hartes Brot, das wir zuweilen schuldig bleiben. Oft bist du witziger als ich.“ Der Narr hörte das Rauschen eines seidenen Kleides und schmunzelte. „Die Funken deines Witzes erlöschen nur, wenn du Ehemann wirst. Und da kann ich meinen Witz nicht zeigen. Weil ich außerhalb des Türchens bleibe, hinter dem du klein und töricht wirst.“

Königin Barbara, die zweite Gemahlin der Majestät, trat aus der Zeltkammer, in milchblaue Seide gekleidet, die jede Form des schönen Körpers nachzeichnete. Funkelnd thronte das Krönlein über dem kupferroten Haar, und wie ein Glitzerhauch umfloß der silberne Schleier die reizvolle Gestalt. Eine Dreißigjährige, die einem jungfräulichen Mädchen glich, mit rosigen Wangen, mit schwellendem Mund und mit suchenden Schwarzaugen voll kindlicher Neugier.

Sigismund küßte sein Ehgemahl vorsichtig auf die Wange und sagte scherzend: „So schnell bereit?“

Die Narrenkappe fortschiebend, beugte Herzog Ludwig sich nieder. „Vor der Schönheit kniet man leichter als vor der Würde.“ Freundlich hob ihn Frau Barbara auf und fing munter zu schwatzen an. Der Ingolstädter plauderte mit ihr, ritterlich und bilderreich, während sein entstelltes Gesicht wie Asche war.

Die Majestäten traten Hand in Hand aus dem Zelte. Brausender Jubel verschlang das Lied der Kinder, deren Schar mit den gelbgeblätterten Birkenzweigen in der Sonne wie ein goldenes Wäldchen war. Der König sah freundlich die vielen Kinder an und sagte: „Da wächst uns eine neue Welt.“

In weitem Ringe standen die Hochwürdigen, die Edelfesten und Ehrbaren der freien Stadt, die Zünfte mit ihren Fahnen, hinter ihnen die berittenen Söldner, die Fußknechte und Schützen, und dann das graue Volk.

Herzlich begrüßte der König den Fürstpropst Pienzenauer und den Kaspar Törring, die nicht sonderlich festlich aussahen.

Trompeten schmetterten, eine schwer atmende Stille lagerte sich in der Sonne, und während von der Stadt das Geläut der Glocken scholl, fing der Bürgermeister in Ehrfurcht zu reden an. Der König lauschte wohlwollend. Minder aufmerksam war die Königin, die in lächelnder Neugier die schmucken Geschlechtersöhne musterte. Zum Willkomm verehrte die Stadt der Majestät einen großen goldenen Kupf, der bis zum Rande gefüllt war mit rheinischen Dukaten; auch Frau Barbara, der Kanzler und der Narr bekamen Becher mit Geldgeschenken.

Nun bewegte sich der Zug mit Sang und Klang der Stadt entgegen. Immer segnete der päpstliche Legat das Volk; er ritt unter dem ersten Purpurhimmel.

Auf einem ungrischen Goldfuchs, dessen seidene Schabracke den Boden berührte, ritt die deutsche Majestät unter dem zweiten, kleineren Traghimmel; voraus schritten vier Edelknaben mit großen Gürteltaschen, aus denen sie neugeprägte Silberpfennige mit dem Bild des Königs in die Massen des jubelnden Volkes warfen. Hinter dem Herrscher, unter einem Pfauenfächer, ritt Königin Barbara auf einem Berberschimmel, der so zierlich war wie die schöne Frau in seinem Sattel. Dann kam die Schar der Fürsten und Herren, unter ihnen Herzog Ludwig mit entblößtem Haupt, zu jeder Seite seines abgehetzten Pferdes einer von den ruhig schreitenden Hunden; mit den lang herabhängenden Zungen und den mager gewordenen Leibern sahen sie aus wie lebendige Wappentiere. Und außerhalb der von Waffen starrenden Spaliere drängte sich eine graue, jubelnde Menschenmenge und raufte sich auf dem Boden um die Silberpfennige, die unter dem Purpurhimmel der Majestät herausflatterten.

Jetzt kam der Königszug zu dem Märchenbau der Steinernen Brücke. Ein wundervolles Bild: der mächtige, rauschende Strom und diese hochgeschwungenen, steinernen Bogen mit Toren und Türmchen, mit Fahnen, Kränzen und wirbelndem Bänderwerk; und drüben die feste, schöne Stadt, umflossen von goldener Sonne, mit den langen Mauerzügen, mit den von Menschen wimmelnden Wehrgängen und Basteien, mit den eng zusammengehuschelten Firsten und Türmen, die von bunten Tüchern umflattert, von Scharen der aufgescheuchten Dohlen und Tauben umflogen waren. Ein Dröhnen und Hallen, als wäre der ganze Himmel eine schwingende Glocke. Und jetzt – als der König auf der Höhe der Brücke für die da drüben sichtbar wurde – jetzt übertönte den klangvollen Lärm ein dumpfer, schwerer, den Himmel und die Erde erfüllender Laut wie der Ton einer Riesenorgel, wie das grauenvolle Stöhnen eines leidenden Ungeheuers: das sehnsüchtige Gebrüll der vierzigtausend Zugewanderten, die eng gepfercht zwischen Wasser und Mauer standen, in gläubiger Hoffnung immer „Kaiser! Kaiser! Kaiser!“ schrien und die braunen, von grauen Lumpen umhangenen Hände hinauf streckten zum erwarteten Retter.

Das Gesicht des Königs entfärbte sich in tiefer Erschütterung. Er stammelte einen Namen; zwei von den Ordnern des Zuges liefen nach rückwärts und brachten den Fürstpropst Peter Pienzenauer. Herr Sigismund umklammerte den Arm des Propstes: „Siehst du das? Da drunten? Das arme Volk! Und ich kann nicht helfen. Rom und die Fürsten machen mich zu einer Puppe, die an Drähten zuckt. Ich möchte das Gute und Rechte. Doch die Kleinen sträuben sich. Sie sind wie Mäuse, die sich in der Falle sicher vor der Katze glauben.“ Zorn und Erregung zerdrückten ihm die Stimme. „Peter! Reite heim nach Berchtesgaden! Und rüttle in deinem Untersberg den alten, schlafenden Kaiser wach!“

Die Wirkung des Bildes, das er gesehen hatte, blieb in ihm, als er durch das Brückentor zu Regensburg einritt und umjubelt wurde von der Bürgerschaft. Er hörte nicht das Freudengeschrei und sah nicht die mit weißen Tüchern aus allen Fenstern winkenden Frauen. Zerstreut betrachtete er, was er sonst sehr gerne zu sehen liebte: den Flötenreigen der in durchsichtige Schleier gekleideten Hübschlerinnen und geschuhten Wachteln, die man zu Regensburg ›die armen Töchter‹ nannte. Die schmucken Weibchen, die sehr heiter waren, sperrten mit einem Seil aus roter Seide und mit Rosengewinde die Straßen und luden den König in galanten Versen zu einem Fest in ihrer süßen Herberg. Immer nickte, dankte und lächelte er. Doch etwas Müdes und Steinernes war in der heiteren Schönheit seines Gesichtes. Immer schienen seine Augen nach einwärts zu schauen in die trauernde Herrscherseele.

Als er in der gewölbten Halle des Stadthauses von den zu Regensburg eingetroffenen Fürsten empfangen wurde, eilte er, alle höfische Regel mißachtend, auf den kleinen Herzog Heinrich zu, nahm ihn beiseite und flüsterte ihm heiß ins Ohr: „Oheim Landshut! Wir wollen dir alles verzeihen! Alles! Kannst du uns Geld geben? Viel Geld?“ Seine Augen wurden fröhlich, als er von den dreißigtausend Dukaten hörte, die Herzog Heinrich schon in das Quartier der Majestät, in das alte Patrizierhaus der Gumprecht, hatte schaffen lassen. „Lieber Oheim!“ Der König lachte. „Wir wollen dir danken. Morgen. Was Wir tun, ist verwerflich. Aber helfen ist von den Freuden des Lebens die schönste.“

Er befahl den Bürgermeister und die drei Almosenherren der Stadt zu sich. Noch in der gleichen Stunde sollte man aufkaufen, was in der Stadt an Zelten, Kleidern, Mänteln, Zehrung und Trank für das zugewanderte Volk zu erschwingen war. Auf vielen Wagen sollte man alles hinausfahren zum Anger vor dem Ostentor. Jede arme, leere Hand, die sich da draußen verlangend streckte, sollte empfangen von der Güte des deutschen Königs. Der Bürgermeister neigte sich dankbar vor dem Herrscher; doch der Auftrag, den er übernommen, machte ihm Sorge; er hatte Ursach, alle Tore fest verschlossen zu halten. Von da draußen war eine Meldung in die Stadt gedrungen, die man verschweigen mußte – eine Meldung, vor der auch Tapfere erzitterten bis ins Blut. Da draußen, unter den vierzig Tausenden, war einer zugewandert. Der hatte leere Augenhöhlen und schlug mit der Knochenfaust an das Ostentor. Von allen Siegern der gewaltigste!

In der gewölbten, reich gezierten Halle des Stadthauses brannte, obwohl der Abend noch nicht dämmerte, schon die Fülle der Wachsfackeln und Kerzen. Um die schönen, freundlichen Majestäten bewegte sich ein funkelndes Gewirre von Fürsten und edlen Frauen, von geistlichen Würdenträgern, von ritterlichen Herren und wappenfähigen Bürgern.

Ein bißchen außerhalb des funkelnden Gewimmels stand in kostbarem Hofkleid der kleine Herzog Heinrich an eine Säule gelehnt, völlig genesen, belustigt und zufrieden. Seine blitzenden Schwarzaugen gingen suchend über das Gewühl der Gesichter hin, und ein feines Schmunzeln huschte um seine schmalen Lippen, sooft im Gewirr das unbedeckte Haupt und die grau bestäubten Schultern des Ingolstädters erschienen.

Da trat im schweren Panzer sein Schwager Zollern vor ihn hin, sah ihn an, nickte, schob die Lippen vor und schwieg.

Mit lebhafter Herzlichkeit sagte der Kleine: „Gott grüß dich, Schwager! Wir haben uns lange nicht gesehen. Jetzt geschieht es zu guter Stunde. Wir hatten Glück, wir beide.“

„Jeder auf seine Weise. Um das recht zu sehen, mußt du mein Gedächtnis auffrischen. Wie lautete, was du mir nach Nüremberg geschrieben?“

„Daß du tun möchtest in meinem Namen, was ich als notwendig, hilfreich und redlich erkenne. Als redlich hab ich erkannt, was du tatest. Notwendig und hilfreich erschien es mir nicht. Drum hab ich es anders gemacht.“ Herr Heinrich schmunzelte. „Mißfällt es dir?“

Zollern bekam die harten Furchen auf der Stirn. Dann lachte er plötzlich, laut und kräftig. „Schwager! Man kann dir im Ernst nicht grollen. Das ist manchmal ein schwierig Ding, zu wissen, was gut oder böse ist. An den sieben Häuten deiner Seele ist kein klarer Fleck. Aber dein Land und Volk wird gewinnen dabei. Das läßt milder über dich denken.“ Er wollte gehen. Und sah neben der Säule den barhäuptigen Herzog Ludwig stehen mit aschfarbenem Gesicht und brennenden Augen. „Nur näher, Oheim! Hier findet Ihr, einen klugen und heiteren Mann. Jetzt, vermute ich, wird er redlich mit Euch unterhandeln.“ Klirrend schritt er davon.

Herr Heinrich verlor ein wenig an fröhlicher Farbe, als der hochgewachsene Ingolstädter in seiner gewalttätigen Art so dicht vor ihn hintrat.

„Wir sahen uns zum letztenmal in Konstanz. Nicht? Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Gute Vettern sollten sich zuweilen besuchen. Um sich auszusprechen. Damals in Konstanz wurdest du am Reden behindert. Nicht? Es war sehr finster. Damals. Heut ist es hell. Warum zitterst du? Die Stunde ist höfisch. Die Nähe des schönen Königs umschleiert die häßlichen Dinge. Da muß man zierliche Worte finden. Muß Brücken über alles Dunkle schlagen. Ich schaue nicht hinunter. Nein!“ Herzog Ludwig sah die Narben an seinen Händen an. „Ich will dich nur etwas fragen. Eine kleine Sache. Das mußt du mir sagen.“

„Was, du Großer und Starker?“ Herr Heinrich war wieder heiter geworden und streckte sich, weil er merkte, wie viele Augen in Neugier auf ihn und den anderen hersahen.

„Hast du in deinem Lebern schon einmal die Wahrheit gesagt?“

Herzog Heinrich schien sich zu besinnen und nickte. „Doch. Manchmal. Wenn es nützlich war.“

„Dann sage sie mir jetzt!“ Der Ingolstädter beugte sich langsam zu dem kleinen Vetter hinunter. Er lachte, wie man zu lustigen Dingen lacht. Doch seine Stimme keuchte: „Wer verriet mich?“

In Heinrichs schwarzen Augen blitzte es wie eine geschliffene Klinge. Seine Seele war durchwühlt von dem gierigen Wunsch, diesem Starken, noch immer nicht völlig Gebeugten den letzten Stoß in das Herz zu bohren. Seine Klugheit widerriet es ihm. Er sagte: „Niemand!“ Schmetternde Trompetenstöße klangen vom Saal herunter, und die Majestäten stiegen auf lindem Teppich über die steinerne Treppe hinauf. „Das Mahl beginnt. Es möge dir schmecken, Vetter!“ Herzog Heinrich ging rasch davon und wollte sich in das glitzernde Gewühl verlieren.

Da sprang ihm der. Ingolstädter nach, faßte ihn mit eisernem Griff am Handgelenk, zerrte ihn hinter sich her zu einem Winkel in der Halle hin und deutete auf eine mit kostbarem Hofkleid geschmückte Mißform. „Vetter? Kennst du den da? Ist das jemand? Oder niemand? Wer ist das?“

Prinz Höckerlein hatte ein weißes Gesicht, doch ein verwundertes Lächeln und einen sanften Knabenblick.

„Wer ist das?“ schrie Herzog Ludwig so laut, daß die über die Treppe hinaufsteigenden Mahlgäste erstaunt die Köpfe drehten.

In Zorn hatte Heinrich seine Hand befreit. Nun sah er den Buckligen kalt und gleichgültig an und antwortete ruhig: „Die Ähnlichkeit versagt. Aber man weiß: Es ist dein Sohn.“ Er ging zur Treppe hinüber.

Gebeugt stand Herzog Ludwig vor dem Prinzen, dem eine zarte Röte die Blässe vertrieben hatte. „Wann kamst du?“

„Jetzt eben, Vater!“

„Wo warst du seit deiner Heldentat von Alling?“

Mit dem Gesicht eines hilflos Bekümmerten klagte der Prinz: „Daß der große Feldherr, der mein Vater ist, in die Sümpfe reitet, konnte ich bei der Jugend meiner Kriegserfahrungen nicht vermuten. Als deine treulosen Einrösser meine Tapferkeit behinderten, nahm ich eine Straße, die mir fest erschien.“

„Ja, mein Würmchen, reite auf dieser Straße!“ Herzog Ludwig, unter heiserem Lachen, klopfte dem Buckligen auf die Schulter. „Reite! Reite! Nur immer zu! Da wirst du weit kommen.“ Er wollte gehen, wandte sich wieder und sagte rauh: „Weißt du, daß man mich zu Alling in meinem Zelt bestahl?“

Erschrocken fragte Prinz Höckerlein: „Um viel?“

Bei aller Qual belustigt, brach Herr Ludwig in Gelächter aus. „Um viel? Ach nein! Nur um Kornreif, Siegel und Stab. Das bißchen Bargeld soll außer Rechnung bleiben.“

„Die Diebe muß man ausforschen. Willst du mir das überlassen, Vater? Ich finde sie.“ Die Augen des Buckligen erweiterten sich. „Solltest du verhindert werden, nach Ingolstadt heimzureiten, so will ich sie hängen lassen, diese bösen Diebe. Wie alle, die meinem Vater treulos waren.“

Im Gesicht des Herzogs eine jähe, grauenvolle Veränderung. Und mit schwerer, dumpfer Trauer sagte er leis: „Einen wirst du begnadigen müssen! Wenn du leben willst.“ Er wandte sich und stieg über die festliche Treppe hinauf. Der mißgestaltete Knabe, in der schimmernden Seide seines reichen Hofkleides und mit seinem wippenden Spinnenschritt, ging lächelnd hinter ihm her.

Draußen auf der Straße eine brausende Woge des Jubels. Vom kleinen Erker des großen Rathaussaales hatte sich das Königspaar der Bürgerschaft gezeigt, die im Glänze des nahenden Abends Kopf an Kopf den Platz und die abziehenden Gassen füllte. Als die Majestäten vom Fenster verschwanden und droben im Saal die schmetternde Bankettmusik begann, entstand auf dem Platz ein schiebendes Gewühl unter Kreischen und lustigem Gelächter. Auch Streitreden und Händel gab’s. Die jungen Bürgersöhne vermerkten es übel, daß ihren Schwestern und Bäschen die fremden Fürstenknechte so gut gefielen.

Ein Burghausener Harnischer hatte ein blondes Mädel gefischt und zog es hinüber zum Wadmarkt. Der war abgesperrt. Vor dem Mallerschen Patrizierhause, wo Herzog Heinrich Quartier genommen, standen die Zelte seiner Söldner und die angepflöckten Rosse. Als der Harnischer das blonde Mädel durch die Wache schmuggelte, fragte ein Stadtknecht nach dem Malimmes vom Taubensee. Man wies den Knecht zu einem Zelt, in dem ein schmuck gekleideter Söldner auf den Pferdedecken lag. „Du? Bist du der Malimmes vom Taubensee?“

Ein Müder richtete sich auf. „Ich bin’s gewesen einmal. Was ich jetzt bin, weiß ich nimmer. Der Krieg macht böses Vieh aus den Leuten. Was willst du?“

„Beim Ostentor ist einer festgenommen worden, der die Mauer hat übersteigen wollen. Der sagt, er müßt mit dem deutschen König reden und wär aus der Ramsau. Du tatst ihn kennen, sagt er.“

Verdrießlich murrte Malimmes: „Was geht mich die Ramsau an? Ruh will ich haben.“ Doch er nahm seinen Hut und das Eisen. „Komm! Das Gewesene laßt einen nimmer aus.“

Als sie den Zaun der Wache durchschritten hatten und hineintauchen wollten in das heitere Menschengewühl, blieb Malimmes stehen und musterte ein geputztes Weib, das einen grünen Schleier um Haar und Gesicht gewickelt trug und wie wartend dastand. „Ist die schon wieder um den Weg?“ Seit er zu Regensburg eingeritten, hatte er diesen grünen Schleier schon viermal gesehen. „So eine geschuhte Wachtel! Was die nur will von mir? Komm!“

Es war eine harte Mühe, in diesem Gedräng das Ostentor zu erreichen. Hier ging es lärmend zu. Hochbeladene Karren wurden in langer Reihe zum Tor hinausgefahren, ein dumpfes Brausen scholl herein, und Stadtknechte mit gefällten Piken verteidigten die Torlücken, um die von draußen andrängenden Menschen abzuwehren.

In einer kleinen, schon vom Abend durchschleierten Kammer neben der Wachtstube fand Malimmes den Hinterseer Fischbauer, der die Würde und das Wort des Seppi Ruechsam geerbt hatte. In der braunen Faust umklammerte der Bauer eine blecherne Pergamentkapsel. Sonst war er splitternackt. Ein Medikus untersuchte ihn und sagte: „Redet sonst nichts wider ihn, so kann man ihm Einlaß gönnen. Der Mann ist gesund.“

„Was denn sonst?“

Malimmes mußte für den Verdächtigen zeugen. Er nickte. „Das ist ein guter Mensch. Der hat mit dem Vieh zu tun. Das Vieh verdirbt einen Menschen nit.“ Und während der Fischbauer in das Hemd fuhr, fragte der Söldner zögernd: „Wie geht’s denn allweil? Daheim?“

„Recht muß Recht sein. Sonst geht’s nit schlecht. Langsam macht sich schon alles wieder. Drei von meinen Buben hat man totgeschlagen. Aber von den fünfen, die noch übrig sind, hat jeder ein Gütl gekriegt, das leer geworden ist.“

„So so? – Und der Mareiner?“

Der Albmeister lachte. „Dein Bruder ist angerumpelt und muß das Maul wieder halten. Sein Zenonisches Erbrecht hat man nit gelten lassen. Jetzt ist er wieder Sanktpetrischer Frongütler. Aber sonst ist Segen in seinem Haus. An Ostern hat seine Bäurin Drilling gekriegt. Drei Buben.“

„Nit mehr?“ Auch Malimmes wurde heiter.

„Gelt, ja! Heuer ist in der Ramsau ein gutes Kinderjahr. Jedes Weibl und Maidl tragt in der Sonn was Lebendiges umeinander.“

„Wo man viel totgeschlagen hat, müssen viel wieder herwachsen. Geh’s wie’s mag!“

„Was denn sonst?“ Der Fischbauer bändelte die zwei Schäfte seiner grauen Hose zusammen.

„Und außer den drei Buben?“ Das Gesicht des Malimmes, das eben noch überleuchtet war von einer wilden Fröhlichkeit, wurde hart und ernst. „Ist da sonst noch ein Kindl im Haus? Beim Bruder?“

„Geh, du Narr!“ Der Albmeister schlüpfte in die genagelten Schuhe. „Meinst, deine Schwägerin kann hexen? Freilich, ein lützel was lernt man im Krieg. Die Mareinerin hat allweil gezittert vor Angst, wenn ein Herrenknecht in der Näh gewesen. Jetzt lacht das tapfere Weibl, so oft einer kommt. Was denn sonst?“

„So so?“ Nach langem Schweigen, während der Albmeister die Riemen seiner Schuhe knüpfte, fragte Malimmes rauh: „Wie geht’s meiner Mutter?“

„Jeh, du, die ist doch gestorben, selbigsmal, wie der Marimpfel bei Piding hat bleiben müssen. Den besten von ihren Buben verliert eine Mutter hart.“

Diesen Erfahrungssatz des Albmeisters hörte Malimmes nimmer. Der Strich seiner großen Narbe war so bleich geworden, als hinge ein weißer Zwirnfaden über das braune Gesicht herunter. So ging er stumm und mit schwerem Schritt aus der Kammer.

Draußen in der Glut des schönen Abends ließ er sich einkeilen in das Gewühl der Menschen und ließ sich schieben, stoßen und treiben von der Menge – er wußte nicht, wohin. Und wo dieser bunte, frohe, rauschende, vom Blut des Abends überleuchtete Lebensstrom den Malimmes hinschwemmte, in jeder Gasse, überall und immer war jener grüne Wachtelschleier in seiner Nähe. Jetzt wieder. In der engen Brückengasse. Und da wühlte sich Malimmes plötzlich zu dem Frauenzimmer hin und griff nach dem grünen Schleier. Das Weib wehrte sich schweigend und wollte entrinnen. Aber Malimmes hatte den Schleier schon in der Faust und riß ihn herunter.

Blonde Zöpfe, große, angstvolle Augen und ein geschminktes Gesicht, das nicht erblassen konnte. Die Traudi war’s. Stumm und zitternd stand sie vor ihm, Furcht, Liebe, Gram und Freude im nassen Blick.

Beim ersten Erkennen leuchtete in Malimmes etwas auf, als wäre in seine frierende Einsamkeit ein bißchen Wärme gekommen. Doch beim ersten Blick gewahrte er auch das Fürchterliche im Gesicht dieser armen Tochter: die französischen Krankheitsflecken unter der weißen und roten Schminke. Wortlos, die Zähne übereinander knirschend, faßte er die Traudi am Arm.

Sie entzog sich ihm und sagte traurig: „Du sollst mich nimmer anrühren! Du nit. Die Kriegsleut haben mich versaut.“

Er brauchte lang, bis er fragen konnte: „Warum bist du fort von daheim?“

„Wie die Mutter tot war, hat’s mich nimmer gelitten. Weil du nit kommen bist, hab ich dich suchen müssen. So bin ich auf Wasserburg gekommen, das man beschossen hat. Jeden hab ich gefragt nach dir. Und einer –“ Sie konnte nimmer weiterreden.

Er sagte heiser: „Wasserburg? Das ist im vorigen Herbst gewesen.“ Sein Gesicht entstellte sich. „Wann hast du dein Kind geboren?“

„Wie man Friedberg verwüstet hat, heuer in der Osterwoch.“

Die Augen des Malimmes irrten flackernd über das vergnügte Gewühl der Menschen hin. „Gott wird wollen haben, daß dein Kindl tot ist?“

Sie schüttelte den Kopf.

Da schrie er wild: „Es lebt?“

Sie nickte.

Den Kopf beugend, keuchte er: „Wo hast du’s?“

„Drunten, im Holzländgässel, bei meiner Herbergsmutter.“

Schweigend stand er vor ihr, wie mit gebrochenem Nacken. Dann sagte er müde: „Komm!“

Sie rührte sich nicht und sah ihn verzweifelt an.

„Hörst nit? Komm!“ Er wühlte einen Weg durch das Menschengedräng. Und die Traudi schmiegte sich hinter ihm her; heimlich berührte sie mit den Fingerspitzen seine Arme, seinen Rücken, seine Schultern; dabei war in ihren klagenden Augen ein kleines, armes Glück.

Zwischen hohen Häusern mit feuchten, muffigen Mauern lag eine enge, lange Gasse, in die vom leuchtenden Abendhimmel noch ein matter Glanz herunterfiel. Nur wenig Leute liefen da hin und her. Immer jagender wurde der Schritt des Malimmes. Schwer atmend täppelte die Traudi neben ihm her. Ein paarmal versuchte sie zu reden. Immer schwieg er. Da sagte sie leise: „Deinen Goldpfennig hat mir einer vom Hals gerissen. Das ist mir das Ärgste gewesen.“

Er schwieg.

„Aber ein lützel was hab ich schon noch von dir.“ Sie wartete, ob er fragen würde.

Er schwieg.

„Das Hemmed, das du mir beim Hallturm in den Binkel geschoben hast. Das hab ich noch. Ich hab’s gewaschen und gut geflickt. An jedem Sonntag, wenn die anderen in der Kirche sind, schlupf ich allweil ein lützel hinein und geh mit dem Kind in meiner Stub herum. Da bet ich.“

Schweigend nahm er ihre Hand und machte kürzere Schritte, damit sie nicht so schnaufen müßte.

Unter einem verträumten Lächeln fragte sie: „Ist der Heiner auch bei dir?“

„Der ist tot.“

„Jesus! Aber der Altknecht, gelt?“

„Der ist tot.“

„Herr Jesus! Und der Bauer?“

„Der ist tot.“

„Allmächtiger! Muß denn alles –“ Die Stimme zerbrach ihr. „Und –“

Er senkte schweigend den Kopf.

Da fragte sie scheu: „Wo ist denn der Bub?“ Erschrocken umklammerte sie seinen Arm; denn sie sah ein Gesicht, als wäre das nicht der Malimmes, sondern ein Fremder, den sie nie im Leben gesehen hatte.

Ruhig befreite er seinen Arm und sagte mit Worten, die wie Eisen waren: „Wer fragt, geht irr. Krieg ist Krieg. Die Lieb macht lebendig, der Krieg macht tot. Frag nit um die andern! Dein Kind lebt.“ Er lachte.

Die Traudi verstand den Malimmes nimmer. Hilflos sah sie zu ihm auf. „Tust du denn nit trauern?“

„Die Zeit ist so. Da muß man sein Herz an die Wand werfen können, daß es hängen bleibt.“

Sie wagte kein Wort mehr zu reden. Ganz am Ende der Gasse blieb sie vor einem schlechten Hause stehen, über dessen Tür, obwohl es noch nicht dunkelte, eine rote Laterne brannte.

„Kommst du mit herauf?“

Er schüttelte den Kopf.

„So wart ein lützel, ich bring’s.“ Sie wollte ins Haus treten, blieb stehen, sah ihn glücklich an und machte eine Bewegung, als möchte sie mit dem Finger an seine große Narbe rühren. „Schier gar nimmer sieht man’s.“

Malimmes nickte. Und als sie im Haus verschwunden war, setzte er sich auf die Bank neben der Türe.

Über der Mauer draußen rauschte die Donau. Der Lärm der Menschen hing über der Stadt wie das Summen eines riesigen Bienenschwarmes, vom Stadthaus klang die Bankettmusik gleich einem feintönenden Gezirpe, und der lange Strich des abendroten Himmels über den Dächern der schmalen Gasse war wie eine große, blutende Wunde, die man mit einem schartigen Schwert in Gottes Gesicht geschlagen hatte.

Langsam kam die Traudi aus dem dunklen Türloch heraus, an der Brust ein kleines, rotes, blaues und grünes Binkelchen, mit einem weißen Schleierlappen.

Er streckte sich und nahm das von Bändern umwickelte Kissen auf seine Arme.

Die Traudi sagte: „Ist ein Büblein. Und heißt Maria Lichtmeß. Wie du.“ Als er den Schleier wegzog, war eine flehende Angst in ihrem Blick. „Jetzt schaut es ein lützel ungut aus. Ist allweil wie ein Röslein gewesen. Jetzt hat es – ich weiß nit, was – aber das vergeht schon wieder. Gelt, ja?“

Das Gesicht des Malimmes versteinte, während er dieses kleine, wunde, rettungslose Leiden betrachtete, aus dem zwei klagende Lichterchen hervorguckten wie die Augen eines jungen, sterbenden Tierchens.

„Gelt, ja? Gelt, ja? Das wird schon wieder gut? Das ist halt so, wie’s die Kinder oft haben.“

Er nickte und schloß die Augen. Und so, mit geschlossenen Augen, sagte er ruhig: „Da tu dich nit sorgen, gutes Maidl! Das ist, was die Leut den Dreißiger heißen. Da gibt’s ein Mittel dafür.“

„Gelt, ja?“

„Da hilf ich, Maidl, jetzt gleich.“

„Jesus!“

„Und vergelt’s Gott für das liebe Kind! Dem will ich ein guter Vater sein.“

Die Traudi lachte, als wäre ihr der leuchtende Himmel ins Herz gefallen.

„Hast du einen Mantel?“

Sie sprang ins Haus.

Malimmes öffnete die Augen. Er sah das wunde Gesichtchen des Kindes an. Und sah wie ein Irrsinniger die Gasse hinauf. Und sah zur Mauer hinunter. War da drunten nicht ein Törlein, das zur Holzländ führte? War da draußen nicht die rauschende, reißende Donau?

Nun strich er mit der Hand über die dünnen Härchen des Kindes hin, hüllte den kleinen Schleier drüber und sagte leis und zärtlich: „Paß auf, Kindl, was du für einen guten Vater hast! Was ich für dich tu, das bringen die besten nit fertig.“ Die Augen schließend, spannte er seine stählerne Faust um die Schläfe dieses kleinen, vergifteten Lebens.

Da kam die Traudi mit einem grünen Mantel.

„Recht so, Maidl! Auf dich ist Verlaß! Bist noch allweil die Richtige.“ Er hüllte den Mantel um das Kissen und ging der Mauer zu. „Jetzt komm!“

Sie lief neben ihm her wie ein treues, gläubiges Tier neben seinem Herrn. Und da fing er ruhig und heiter zu reden an. „So ein Dreißiger bei einem Kind, das ist nur wie bei einem großen Menschen ein Schnitt in den Finger. Man taucht das kranke Kind in fließendes Wasser. Dreimal. Und in drei Wochen ist das Kind wieder heil, ist gesünder und schöner als je. Dann reitet man in die Ramsau, selbdritt auf einem guten und festen Gaul. Da kauft man sich in ein Gütl hinein, das leer geworden. Und da schafft man und ist zufrieden. Und da ist man beisammen und lebt, wird alt und stirbt, und Kreuz darüber, und aus und gar ist’s, und schöner hätt’s nit sein können!“

Traudi, ein bißchen zweifelnd, fragte in ihrer bangen Freude: „Tust dich nit scheuen vor mir?“

Er schüttelte den Kopf. „Der Krieg ist schuld. Du bist die Beste gewesen. Und bist’s noch allweil. Gott will nit, daß eins büßen muß durch ein langes Leben, was andere verschuldet haben.“

Die Traudi bekam Augen, als hätte sie schweren, süßen Wein getrunken.

Malimmes ging auf den Wärter des kleinen Tores zu und flüsterte die Losung des Tages: „König und Reich!“ Und sagte laut: „Befehl meines Fürsten. Ich muß eine gute Mutter und ihr liebes Kind geleiten. Nachher komm ich wieder.“

Der Strom und drüben die Insel Wöhrd und die Bogen der Steinernen Brücke, alles war schon von den grauen Schleiern der Dämmerung umhangen. Das starke Rauschen des nahen Wassers verschlang jedes andere Geräusch.

Die schmale Holzländ zwischen Mauer und Strom, wo in der Mittagsstunde viele Tausende ihr „Kaiser! Kaiser! Kaiser!“ geschrien hatten, war öde geworden. Nicht völlig. Ein paar graue Menschen saßen wie schlafend gegen die Mauer gelehnt. Sie gaben keine Antwort, als Malimmes grüßte: „Guten Abend, Leut!“ Und einer lag ausgestreckt auf der Erde, mit dem Gesicht nach unten. „Maidl, da mußt du ausweichen! Wird wohl ein Rauschiger sein.“ Er stieg zu einem Floß hinunter. Den Mantel knüpfte er wie ein Bündel um das Kissen herum. „So, Majdl! Jetzt beten wir. Alles Hilfreiche muß mit Gott geschehen.“ Auf den Knien liegend, betete er mit hochgefalteten Händen, wie die Kriegsknechte beten, bevor sie morden müssen.

Die Traudi betete froh und gläubig, mit heller Stimme.

„Also, Maidl! Jetzt nimm den Mantelknoten um den Hals herum. Da hebst du das gute Kindl leichter. Und dreimal eintauchen, flink und fest. Und jedesmal mußt du sagen: ›Gott soll uns gnädig sein!‹“

Malimmes erhob sich, während Traudi auf den Knien blieb. Sie hatte ein bißchen Angst vor dem starken Rauschen des Wassers. Aber was der Malimmes will, das tut man, weil es das Gute und Rechte ist. Gehorsam schob sie den Kopf unter den Kreuzknoten des Mantels. „Gott soll uns gnädig sein!“ Sie ließ den dunklen Binkel hurtig hinuntertauchen. Das reißende Wasser schoß in den Mantelsack und zog wie ein Riese. Die Traudi kreischte noch: „Hilf, Malimmes!“ Und verschwand im jagenden Schuß der Wellen.

„Ist schon geholfen, du arme Tochter!“ Malimmes bekreuzte sich. „Gott soll mir gnädig sein! Die Menschen täten mich verdammen.“

Lange stand er unbeweglich und sah dem Gewirbel der rauschenden Wellen nach, bis der Abend ihn umhüllte mit dunklem Grau.

Als er langsam zurückging zu der Mauerpforte, brannten auf den Türmen und Basteien unter Glockengeläut die Pfannenfeuer und Ehrenflammen auf.

Über allen Dächern glomm ein strahlendes Leuchten, vor allen Fenstern flackerten die Lichterschnüre auf den Gesimsen. Griechische Feuer wechselten in weißen, roten und grünen Farben.

Ein jubelnder Lärm in allen Gassen. Und auf dem Platz vor dem Stadthaus ein wogendes Stimmengebrause.

So dick standen da die Menschen, daß Malimmes den Weg zum Wadmarkte nur mühsam erzwang. Er sah noch, wie auf dem kleinen Erker des großen Ratssaales der König und die Königin mit den Herzögen von München und Landshut im strahlenden Glanz der tausend Lichter erschienen. Und da begann im Jubel der anderen auch Malimmes zu schreien: „Kaiser! Kaiser! Kaiser!“ Seine Stimme war wie eine Trompete und schmetterte, daß alle Leute, die um ihn her waren, zu lachen anfingen.

Wie betrunken war er. Und immer wieder schrie er: „Kaiser! Kaiser! Kaiser!“

Die grelle Stimme flog so scharf über das brausende Jubelgewoge hinaus, daß sie auf dem Erker der Fürstlichkeiten deutlich zu hören war. Die schöne Königin lachte belustigt auf. „So hört doch! Hört! Da drunten wiehert ein Elefant!“

„Die Stimme kenn ich“, sagte Herr Heinrich, dem das braune Gesicht vom genossenen Weine brannte, „das ist einer von den meinen, mein Bester, mein Galgenvogel Malimmes. So hab ich ihn schreien hören einmal in hartem Gefecht, wie er in Sorg um einen jungen Buben war. Der hat eine Gurgel wie keiner mehr. Und alles kann er besser als andere.“

„Alles?“ Frau Barbara kicherte, und neugierig suchten ihre Augen in dem von Lichterschein beglänzten Gewühl des Volkes.

„Alles?“ wiederholte der kleine Herzog. Er lachte. „Da bin ich überfragt. Aber was ich weiß von ihm, reicht aus. Das ist das mannhafteste Mannsbild, das ich je gesehen hab auf der Welt. Ist schlechter als schlecht und besser als gut.“

Die wunderliche Neugier der Königin wuchs.

„Der beweist das Leben und widerlegt den Tod. Schon siebenmal hat er im hänfenen Strick gehangen und ist jedesmal aus der Schling lebendig wieder herausgesprungen ins unsterbliche Lachen.“

„Siebenmal gehangen? Und siebenmal wieder auferstanden?“ Die Königin hatte die glänzenden Augen eines staunenden und begehrlichen Kindes. „Den will ich sehen.“

Der Herzog sagte scherzend: „Aber da müßt Ihr Eure Zofen ermahnen, daß sich keine in ihn verliebt. Der Mann ist so keusch wie ein steinernes Heiligenbild.“

„Gibt es solche?“

„Der ist einer.“

„Das glaub ich nicht.“ Belustigt schüttelte die schöne Frau das von kupferroten Locken umzitterte Köpfchen, das die zierliche Krone trug. „Heilige gibt es nur im Himmel. Auf Erden sind auch die Männer selten.“

Als der König mit anmutsvollen Handbewegungen das jubelnde Volk zum Abschied grüßte und dem Hochsitz der Fürstentafel zuging, hängte sich Königin Barbara an den Arm des kleinen Herzogs.

Über dem bunten Farbengewirr der sieben lärmvollen Tafeln schimmerte der große, schöne Saal von strahlendem Licht. Der Wein begann schon die Stimmen rauh und laut zu machen. Das Schwatzen wurde zum Geschrei, die Heiterkeit zum Gebrüll. Der König, der die Ausbrüche trunkener Stunden kannte, hatte seiner Gemahlin schon einen Wink zum Aufbruch der Frauen gegeben. Das wollte die Königin nicht bemerken; in Eifer und mit schimmernden Augen lauschte sie den seltsamen Dingen, die Herzog Heinrich von seinem Galgenvogel Malimmes berichtete.

Zwei Ratsherren kamen mit dem Goldenen Buche der Stadt zur Fürstentafel, damit der Herrscher und die Herzöge den festlichen Tag durch weise Worte verewigen möchten. Freundlich plauderte der König mit den beiden Bürgern über die Not der Zeit und schrieb in das Buch: „Streitigkeiten sollte man mit guten Worten schlichten, nicht aber mit bösen Streichen.“ Diesen Weisheitsspruch der Majestät glossierte der Narr durch die Anmerkung: „Könige wissen immer das Rechte. Aber sie tun es nie.“

Darunter schrieb Herzog Ernst von Bayern-München: „Gott hat den Frieden erfunden, der Teufel erfand den Krieg.“

Friedrich von Zollern schrieb: „Wird ein Bauer erschlagen, so zittert die Krone seines Fürsten; wird ein Bauer geboren, so wächst das Reich. Das Volk ist Volk auch ohne uns Fürsten, wir sind nicht Fürsten ohne das Volk.“

Als Herzog Heinrich diese Worte las, nickte er seinem Schwager lächelnd zu und schrieb mit seinen flinken, kritzeligen Buchstäbchen darunter: „Leichter als den Verlust eines Dukaten verschmerzt die Welt den Totschlag von tausend Menschen. Wo Menschen sterben, gewinnt das bleibende Leben. Da werden die Leute tüchtiger, weil vier Fleißige leisten müssen, was früher zehn Faule nicht zustande brachten.“

Herzog Wilhelm von München, der nicht las, was die anderen geschrieben hatten, bereicherte das Goldene Buch durch den alten Vers:

„Was du weißt, verschweig,
Wo dir wohl ist, bleib,
Was du hast, behalt,
Werd mit Lachen alt!“

Kardinal Branda schrieb lateinisch: „Gott und Petrus. Dann das andere.“

Der Ingolstädter, als man das Buch vor ihn hinlegte, lachte heiser, tat aus seinem Becher einen schweren Trank, sah zum Ende der Tafel hinunter, wo der Bucklige in guter Laune zwei junge Damen der Königin zu verlegenem Gelächter brachte – und schrieb:

„Ich hab an einer Gewohnheit gelitten:
So oft ich bin von Haus geritten,
Tat ich zu Gott ein heiß Gebet,
Daß ich bald wieder heimkommen tat.
Jetzt bitt ich meinen Herrgott sehr,
Daß ich heimkomm nimmermehr.“

Als das Goldene Buch nach langem Wandern zum Ende der Tafel kam, schrieb Ludwig Höckerlein mit zierlicher Klosterschrift ein einziges Wort unter die Verse seines Vaters:

„Amen!“

Während er neben dieses Wort ein gekröntes Kreuzlein malte, gab es im Saal einen scharrenden Lärm. Frau Barbara hatte sich erhoben. Der König küßte seine schöne Gemahlin vorsichtig auf beide Wangen. Geführt von Edelknaben mit Windlichtern, unter einem Schmettertusch der Musikanten und unter den jubelnden Zurufen der Fürsten, Ritter und Ratsherren verließ die Königin mit allen Frauen den Saal.

Ihrer Sänfte gingen die städtischen Pfeifer voran, und in den lichtschimmernden Gassen begleitete sie der fröhliche Jubel des Volkes bis zur Türe des Gumbrechtischen Hauses.

Eine Stunde später, als die strenge Bierglocke der Stadtpolizei schon geläutet hatte und die dunkelgewordenen Gassen zu veröden begannen, huschte eine verhüllte Magd durch ein enges Gäßlein. Sie lief zum Platze vor dem Stadthaus und blieb da wartend in einem Winkel stehen.

Droben im Saal war die Bankettmusik verstummt. Doch hinter den erleuchteten Fenstern tobte noch immer der heitere Lärm der betrunkenen Herren.

Vornehmen Gästen, die den Saal verließen, wurde mit Wachsfackeln heimgeleuchtet. Mancher ging aufrecht, mancher taumelte.

Den Herzog Heinrich, dem sehr übel geworden war, trug man zum Mallerschen Hause auf den Wadmarkt.

Dann kam eine kleine Schar junger Hofleute. Bei ihnen war der Narr des Königs und ein Mißgestalteter in schimmerndem Festkleid. Er benahm sich sehr übermütig und machte Scherze, die seine Begleiter bei stetem Gelächter erhielten. Inmitten dieser Überfröhlichen ging ein hochgewachsener Mann mit anmutigem Schritt, schweigsam, über dem Kopf einen schwarzen Ratsherrenmantel. Die Nachtschwärmer zogen hinunter zum Latron. Hier lag, der alten Kapelle gegenüber, das von einem Gärtlein umzogene Frauenhaus, der armen Töchter süße Herberg, in der die Stadt auf ihre Kosten ein heiteres Nachtfest bestellt hatte.

Dem lärmenden Häuflein war die verhüllte Magd bis zum Latron nachgegangen. Als sie den Mann mit dem schwarzen Ratsherrenmantel im Gärtlein des Frauenhauses verschwinden sah, lief sie schnell durch die stillen Gassen zurück.

Das Rauschen der Donau schwamm in der kühlen, sternhellen Herbstnacht. Aus der Richtung des Ostentores klang ruhelos ein dumpfes Summen. Und vom Tiergarten dröhnten die Orgeltöne brünstiger Hirsche.

Auf dem Wadmarkt, in einem Zelte vor dem Haus der Maller, wurde ein Schläfer geweckt, der in den Kleidern auf den Pferdedecken lag. „Komm!“ flüsterte der Hämischer, der ihn aufgerüttelt hatte.

Eine ruhige Stimme: „Was ist denn?“

„Komm nur!“

Als Malimmes vor das Zelt hinaustrat, wurde ihm rasch eine dicke Binde um die Augen geknüpft. „So so?“ Er lachte ein bißchen. „Jetzt weiß ich nit, holt mich der Henker, oder ist was anderes los?“ Eine linde Hand umfaßte seine knöcherne Faust. Er sagte verdrießlich: „Höia, jetzt weiß ich, wie ich dran bin. Die Menschen leben in harter Zeit. Da muß man so einer armen Seel einen Spaß vergönnen.“

Es ging sehr flink durch die stillen Gassen. Neben dem festen Schritt des Söldners rauschte immer das Kleid der Magd.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Ochsenkrieg. Zweites Buch.