Viertes Capitel. - Herren-Chiemsee brannte. Und rings um den See herum stiegen die Feuersäulen der geschatzten Dörfer auf, wie kleine Kerzen einen schimmernden Altar umglänzen...

Viertes Capitel. - Herren-Chiemsee brannte. Und rings um den See herum stiegen die Feuersäulen der geschatzten Dörfer auf, wie kleine Kerzen einen schimmernden Altar umglänzen.

Damit Herrn Heinrichs Schwur – „Gott soll’s wollen!“ – Erfüllung fände, ließ der Seipelstorfer zwei junge Chorherren, die man hinter Aufham gefaßt hatte, in den See stoßen. Drei, die man im Stift gefangen, mußten je tausend Dukaten Lösegeld bezahlen. Jene, die auf guten Gäulen entronnen waren – unter ihnen Bischof Engelmar und der Chorherr Hartneid Aschacher – flüchteten nach Ingolstadt.


Eine lange Reihe von Bauernkarren unter scharfer Bewachung, mit Plündergut aus Stift und Münster, mit Lösegeldsäcken und Sackmacherbinkeln, wurde nach Burghausen geschickt. Dann zog der Seipelstorfer mit dem zusammengeschmolzenen Trupp seiner Harnischer nach der Burg des Kaspar Törring, um den Belagerungshauf seines Herrn zu verstärken. Da kam er gerade noch recht, um das Ende der flinken Arbeit zu sehen, die Herzog Heinrich geleistet hatte.

Tag und Nacht waren die Büchsen und Bliden in ruheloser Tätigkeit gewesen und hatten vierzehnhundert Steinkugeln in die Burg geworfen. Die Antwerke hatten pechgetränkte Strohbauschen und glühende Lumpensäcke geschleudert und alles Brennbare der Burg in Flammen gesteckt. Nur der starke, aus gewaltigen Quadern erbaute Wachturm Hochtörring stand noch – ohne der Besatzung viel Schutz zu bieten; in diesem sicheren Turme hatte Kaspar Törring seine sechzig geliebten und berühmten Leithunde mit ihren Wärtern, mit ihrem Koch und ihrer Küche untergebracht. Schauerlich klang mit dem Gebrüll der Hauptbüchsen das tobende Hundegeheul zusammen, das immerzu aus den Wehrscharten des Hochtörring herausscholl. Neben diesem Turme, der die zentnerschweren Steinkugeln wie dürre Kletten von sich abschüttelte, war alles andere der schönen, stolzen Burg, die vor wenigen Tagen noch als ein steinernes Kleinod hinausgefunkelt hatte über die waldreichen Lande, eine qualmende Brandstätte und ein formloser Schutthaufen geworden.

Dennoch befahl Herr Heinrich den Sturm nicht. Er wollte sein Volk schonen. Durch die Geschütze des Törring und bei den verzweifelten Ausfällen, mit denen die Besatzung den feuerspeienden Ring zu sprengen versuchte, hatte der Herzog schon ein halbes Hundert seiner Leute verloren. Aber auch die Besatzung der Burg hatte sich um mehr als die Hälfte vermindert; ihre Toten schwammen im braungewordenen Wasser des Burggrabens; und siebenunddreißig, die lebendig in die Fäuste der Herzoglichen gefallen waren, hingen an der Eiche, die das Zelt des Burghausener Profosen beschattete – eines Profosen, der seinem Salzburger Amtsbruder an Wohlwollen bedenklich nachstand. Die Äste des Baumes bogen sich unter dem Gewicht der vielen zweibeinigen Früchte. Manche von diesen sanft und schweigsam Schaukelnden hingen so tief herunter, daß die Gehilfen des Profosen, wenn sie aus dem Zelte heraus oder in das Zelt hinein wollten, sich bücken mußten, um nicht an die schwankenden Füße der Gerichteten zu stoßen. Wenn die noch Lebenden der Besatzung das bunt gesprenkelte Grün dieser Eiche sahen, dachten sie: „Die haben’s überstanden!“

Die Übergabe des unhaltbar gewordenen Trümmerhaufens war stündlich zu erwarten. Aus Sorge vor dem Anrücken der Salzburger wollten die Belagerer das Letzte beschleunigen und nützten zu diesem Zweck eine alte Erfindung des Büchsenmeisters Kuen, der jetzt in der Plaienburg unter den heißen Luftwellen brennender Wälder schwitzte. Man nannte das in der Kriegssprache: ›den Dachs ausschwefeln‹. Aller Unrat des Belagerungsheeres, fest und flüssig, dazu noch alle Jauche der benachbarten Bauernhöfe wurde in Fässer geladen und aus den Antwerken in die Höfe der qualmenden Burgruine und in die Turmscharten hineingeschleudert. Das war nicht nur den Leuten des Törring, auch seinen edlen, an Reinlichkeit gewöhnten Hunden zu viel. Sie heulten und winselten, als wären die Steinkammern des Hochtörring die qualvollsten Höllenschlünde.

Es war am Nachmittag. Eine Schönwettersonne begann schon den lieben Weltboden und sein lebendes Gewimmel rot zu vergolden. Da verstummte das Gebrüll der Belagerungsgeschütze.

Herzog Heinrich, der in seinem großen, durch einen Wall geschützten Zelte angekleidet auf dem Feldbett lag, fuhr aus den Kissen auf und kreischte lachend: „Käsperlein? Kommst du?“ Er saß und lauschte mit vorgestrecktem Hals, heißen Glanz in den Augen, die hageren Wangen von einer krankhaften Röte glühend, den kleinen Kopf umstarrt von dem dicken, kräuseligen Schwarzhaar.

Erschöpft durch die schweren Strapazen, denen sein zierlicher Körper nicht gewachsen war, litt Herr Heinrich seit dem verwichenen Abend wieder an einem Anfall seines rätselhaften Fiebers, das die Ärzte bald als Folge geistiger Übermüdung, bald als Wirkung eines schleichenden Giftes, bald als welsches Erbgut des Hauses Visconti erklärten, ohne ein Mittel dagegen zu finden. In aufgeregten Zeiten erschien das Fieber. Wurden die Tage ruhig, so verschwand es wieder. Im Volke tuschelte man, das käme von dem Fluch, den die Wittib des an einem Ostertage geköpften Landshuter Ratsherrn Leitgeb über den damals vierundzwanzigjährigen Herzog gesprochen. In jener Osterwoche – während der Herzog zu Regensburg turnierte – wurden vierundfünfzig Landshuter Bürger, weil sie aus der herzoglichen Residenz eine freie Reichsstadt machen wollten, um Haus und Habe gebüßt. Dreißig wurden verbannt, einem Dutzend stach man die Augen aus, ein Dutzend wurde hingerichtet, ihre Witwen und Kinder wurden des Landes verwiesen. Aber das war schon lange her. Genau zwölf Jahre. An dieses Vergangene dachte Herr Heinrich selten. Und was nach seinem Glauben notwendige Gerechtigkeit gewesen, beschwerte ihm die Seele nicht und beschleunigte ihm keinen Pulsschlag seines Blutes. Nur daß er seit damals nicht gerne in Landshut residierte. Er zog das verläßliche Burghausen vor.

Der jüngste Anfall seines rätselhaften Fiebers war so hitzig, daß die Sache dem Leibarzt bedenklich wurde. Herr Heinrich selbst war sorglos. Er hatte das unbequeme Leiden noch immer überstanden. Jetzt spielte zu seiner Beruhigung auch ein bißchen Aberglaube mit: Jener Nürnberger Galgenvogel, der ihm vor Jahren zu Landshut die lustige Botschaft von der Himmelstür gebracht, und dem er in diesen Tagen einen kostbaren Vorsprung gegen die Ingolstädter verdankte, der saß, wenn auch etwas beschädigt, doch ganz lebendig in einer gesunden Stube des Burghausener Schlosses.

Heiter lachte Herr Heinrich vor sich hin, als er die klirrenden Schritte vernahm, die sich dem Zelte näherten. Was da kam, erriet er. „Loys! Denk an den heutigen Tag! Du Starker! Heut hab ich dir deinen Besten auf Mus zerrieben. Gott hat’s wollen.“

Einer von den schwergepanzerten Leibtrabanten trat in das Zelt.

„Das weiße Fähnl?“

„Ja, gnädigster Herr! Auf dem Hochtörring haben sie’s ausgesteckt.“

„Der Dachs will frische Luft haben?“ Ein Lachen. Und während sein Körper im Fieber schauerte, nahm Herr Heinrich den schwarz umstruwwelten Kopf zwischen die glühenden Hände. Nach kurzem Nachdenken rief er ruhig: „Oswald!“

Ein schmucker, dreißigjähriger Mann, der hinter dem Bett gestanden, trat schnell herbei: „Oswald Aheimer, des Herzogs Marschalk.“

„Geh hinauf zu diesem wilden Jäger! Ich möchte wetten, er denkt zuerst an seine berühmten Hunde und dann erst an Weib und Gesind. Ist binnen einer halben Stunde die Übergab vollzogen, so will ich ihm das gewähren –“ Der Herzog schwieg eine Weile. „Seine Leute haben sich rechtschaffen gehalten, sie sollen freien Abzug auf Urfehd haben. Seiner edlen Hausfrau schwör ich Leben und Ehre zu. Dem Kaspar Törring geb ich ritterliche Freiheit nach demütiger Kopfbeugung vor meinem Bett.“ Herrn Heinrichs Stimme wurde langsam: „Und wir wollen ihm gestatten, daß er – seine berühmten Hunde mitnimmt. Alle!“ Er lächelte. „Wiederhole mir das!“

Der Marschalk hatte gut aufgepaßt. Er konnte den Willen seines Herrn wörtlich nachsagen. Der Herzog nickte heiter.

„Die Burg wird geplündert. Das hab ich meinen braven Blutzapfen versprochen. Viel werden sie nimmer finden in dem Mus da droben. Jetzt geh! Wenn’s dem Käsperlein taugt, dann soll er kommen. Mißfällt’s ihm, so wird weitergeschwefelt.“

Als der Marschalk das Zelt verlassen hatte, kam der Leibarzt mit vier Dienern, reichte dem Herzog unter Ruhemahnungen einen Kühltrank, entblößte ihm den Oberkörper bis zum Gürtel und wusch diese zarte Knabenbrust und den schmalen Rücken mit Essig, dessen Sauerduft durch feine Wohlgerüche gemildert war.

Herr Heinrich, sobald er wieder in seinem grauen Kittel stak, legte sich still und geduldig auf die Kissen hin. Immer lächelte er. Und wartete.

Man öffnete die Zelttücher, um die letzte Sonne hereinzulassen. Wie goldroter Sammet lag ihr Glanz auf dem zertretenen Rasen des Zeltbodens. Und der Lärm des Lagers da draußen glich dem Rauschen einer großen Mühle.

Nun ein lustiges Geschrei von vielen Stimmen.

Der Herzog setzte sich auf. Eine dürstende Spannung war in seinem Gesicht. Mit erloschener Stimme befahl er seinem Diener: „Schau, was los ist!“ Dann griff er nach seinem schwarzen Mantel und wollte sich erheben. Der Leibarzt beschwor ihn, seiner Gesundheit zu denken und sich ruhig zu halten. Herr Heinrich nickte und blieb in den Kissen sitzen, den Mantel über dem Schoß. Da kehrte der Diener in das Zelt zurück. „Kommt er?“

„Ja, gnädigster Herr! Und zehn von den Unseren führen die vielen Hund gekoppelt über den Burgberg herunter.“ Man hörte schon das näher kommende Gekläff wie eine fröhliche Jagd.

Heiter stieß der Herzog die kleinen Fäuste vor sich hin. „Gott hat’s wollen!“ Er wurde ernst. „Zehn schwere Parzer mit blankem Eisen zu meinem Bett! Der Kaspar Törring ist einer von den Starken, die gern gewalttätig werden.“ Nun lachte er wieder und streckte dem Leibarzt die Hand hin. „Fühl den Puls! Ich spür, daß mein Fieber minder wird.“

Der Doktor machte ein freudig staunendes Gesicht. „Wahrhaftig, gnädigster Herr, die Krise scheint überstanden zu sein.“

„Scheint mir auch so!“ Herr Heinrich schüttelte das Haar und streckte sich. „Ob’s nicht ein Wechselfieber ist? Mich verläßt es heut. Einen anderen wird es packen. Gott soll’s wollen!“

Die zehn Harnischer traten an, postierten sich zu Füßen und Häupten des Bettes, zogen vom Leder und stellten die blanken Schwerter vor sich hin. Hinter den Gepanzerten war einer mit der Hauptmannsbinde gekommen. Der flüsterte dem Herzog ein paar Worte zu.

„Oh? Guck! Die Salzburger!“ Herr Heinrich hatte vergnügte Augen. „Daß die Freunde des Loys doch immer zu spät kommen! Du sagst, sie stehen beim Waginger See? Da brauchen sie noch zwei Stunden.“ Wieder nahm er den Kopf zwischen die Hände. „Eine halbe Stunde für die Plünderung. Sag meinen braven Blutzapfen, sie sollen sich eilen. Dann laß Alarm blasen. Das Fußvolk mit Troß und Geschütz voraus im Flinkmarsch. Mich soll man in einem Stangensessel tragen. Mein Roß bleibt neben mir. Der Seipelstorfer mit der ganzen Reiterei deckt mir den Rücken. Weiter!“ Der mit der Hauptmannsbinde sprang davon, während man das Kläffen und Winseln der vielen Jagdhunde schon nahe vor dem Zelt vernahm. Lachend faßte der Herzog einen Diener an der Kittelfalte, zog ihn zu sich her und tuschelte ihm ein paar flinke Worte ins Ohr. Erschrocken sah der Diener seinen Herrn an, wagte aber keinen Widerspruch und ging mit verstörtem Gesicht davon.

Unter dem Lärm, den die vielen Hunde aufschlugen, hörte man weit und verschwommen vom Burgberg her das Toben und lustige Schreien der Sackmacher und das angstvolle Kreischen weiblicher Stimmen.

Mit vorgebeugtem Kopfe lauschend, regungslos, die Fäuste in den schwarzen Mantel geklammert, saß Herr Heinrich auf dem Feldbett.

Der Marschalk Oswald Aheimer, von draußen erscheinend, schob das Tuch des Zeltspaltes noch weiter auseinander. In der dunkelroten Sonne vor dem Zelte sah man ein Gewühl von rostbraunen, von schwarz und weiß, von weiß und braun gefleckten Jagdhunden. Die vielen, aufgestarrten und hurtig wedelnden Schwänze gaben dem Gewühl der kläffenden Bracken das Bild eines wunderlich bewegten Ährenfeldes. In diesem Gekläff war eine rauhe, von Zorn bebende Stimme zu hören: „Eures Herrn Wort ist Bürge. Wer meine Hunde nicht redlich betreut, versündigt sich wider seines Fürsten heilig Wort.“

Herr Heinrich lächelte. „So? Meinst du?“

Da trat in die purpurne Sonne des Zeltspaltes ein hochgewachsener, sehniger Mann mit sonngebräuntem, verwittertem Gesicht und grauem Knebelbart, ohne Hut und ohne Waffen. Er war wie ein alter Jäger, aus einem Forsthaus der Berge hausgeholt. Nur kostbarer gekleidet. Doch diese grüne Seide war nicht reinlich und verbreitete einen schlechten Geruch. Der sie tragen mußte, war der ›ausgeschwefelte Dachs‹, der Oberstjägermeister der bayerischen Herzöge, Herr Kaspar Törring, den der Volksmund den ›Teufel von Jettenbach‹ nannte. Man verstand dieses Volkswort, wenn man des Törring kühne Adlernase und seine funkelnden Augen sah.

Als er stumm, mit übereinandergebissenen Zähnen und geballten Fäusten auf das Feldbett des Herzogs zuging, ließ Oswald Ahaimer das Tuch der Zeltspalte fallen. Eine violette Dämmerung war in der großen Leinwandstube, deren Ritzen wie feurige Linien schimmerten.

Törring wollte sich neigen. Herr Heinrich winkte ab und sagte freundlich: „Laß die Förmlichkeit, mein guter Kaspar! Unter uns Jägern ist das entbehrlich. Wir wollen uns daran genügen, daß du gekommen bist. Wie geht’s dir? Wir haben uns lange nicht gesehen. Seit dem Scharmützel bei Piding nimmer.“

„Ja, Herr Herzog!“ murrte Törring. „Bei Piding hab ich Buch gesehen. Ein lützel weit. Einer mit minder scharfen Augen, als ich sie hab, hätt Euch schwerlich erkannt. So ferne habt Ihr Euch gehalten.“

„Du Närrlein!“ Herr Heinrich schmunzelte. „Ich werde doch mit dir nicht fechten! Ich, ein Zwerg. Mit einem Riesen und Teufel! Aber sag, was macht dein edles Weidwerk? Haben die guten Hirsche in meinen Wäldern schon verfegt? In meinen Wäldern bist du ja mit deinen berühmten Bracken viel mehr zu, Hause als wir selbst.“

In Zorn machte Kaspar Törring einen Schritt und wollte sprechen.

Flink erhob der Herzog die schlanke Hand. „Nicht so nahe, mein lieber Kaspar! Du riechst nicht gut.“

Der andere in heißem Grimm: „Wer hat mich denn so verstunken?“

„Ich glaube, das war dein seltsamer Einfall, nach Piding zu reiten. Aber ehrlich, guter Kaspar, mir ist leid um dein kostbares Kleid. Seidene Strümpfe? Oooh! Hat dir die dein gnädiger Loys geschenkt? Oder hast du sie bezahlen müssen nach Pariser Preis? Ihr Lebensfrohen, ihr tut euch leichter als ich in meinem Bauernkittel. Seidene Strümpfe! Wenn ich so verschwenden wollte, wohin kam ich? – Oswald! Geh mit diesem kostbar Gekleideten in die Zeltkammer und laß ihn bürsten. Jäger pflegen auf Reinlichkeit zu halten.“

„Herzog Heinrich“, sagte Törring mit erdrosselter Stimme, „spart mir den Hohn! Eure empfindsame Nase werde ich nicht lang belästigen. Da mir die Nackenbeugung gnädig erlassen wurde, ist mein Geschäft zu Ende. Laßt mich nach Eurem fürstlichen Wort mit meinen Hunden –“

Seine rauhe Stimme erlosch in dem aufgeregten Geschrei, das sich vor dem Zelt mit dem Gekläff und Gewinsel der Bracken mischte. Eine schrillende Frauenstimme. Die Türbehänge wurden auseinandergerissen. Vom Purpur der Sonne umschimmert, taumelte eine hohe, blonde Frau in das Zelt herein, noch schön bei vierzig Jahren, mit Strümpfen und zierlichen Schuhen ah den Füßen, doch nur bekleidet mit einem langen Hemd, dessen dünne Leinwand vor dem Sonnenpurpur einen blauen Schattenriß des Körpers gewahren ließ – die Hausfrau des Kaspar Törring. Während sie zitternd den Hals ihres Mannes umklammerte und das Gesicht an seiner Brust verbarg, schrie Törring in Wut gegen den Herzog hin: „Du Wortbrüchiger! Du schnöder Frauenschänder!“ Seine funkelnden Augen sahen die Fäuste der zehn Gepanzerten an.

Herr Heinrich hatte sich vom Feldbett erhoben. „Ich hoffe nicht, daß unser fürstliches Wort mißachtet wurde! Edle Frau? Ist Euch ein ernstliches Leid geschehen?“

Sie schüttelte an der Brust ihres Mannes den Kopf.

„Also, Kaspar? Wozu dein Zorn? Meine Blutzapfen waren in beklagenswertem Grade unhöflich und haben deiner Gemahlin den Schmuck und das Seidenkleid mit den goldenen Tressen genommen. Alles andere hat sie noch. Sieh nach!“ Während Herr Heinrich so sprach und seinen schwarzen Mantel vom Feldbett nahm, verwandelte sich draußen das Gekläff und Gewinsel in ein grauenvolles Geheul. Dazu hörte man dumpfe Schläge und ein Knirschen wie von brechenden Knochen. „Edle Frau!“ sagte der Herzog mit sehr lauter Stimme. „Wollet Euch meines Mantels bedienen!“ Und während der kleine zierliche Herr sich streckte, um ihr den schwarzen Mantel über die Schultern zu hängen, sagte er liebenswürdig: „Wie strack und hoch – und wie schön rund Ihr seid! Ihr solltet einen Mann haben, der zuerst an Euch denkt. Und dann erst an seine berühmten Hunde.“

Kaspar Törring schien nicht zu hören, was der Herzog redete. Den Arm um seine Hausfrau geschlungen, streckte er sich in lauschendem Schreck. Nun sprang er keuchend zur Zelttüre, riß den Vorhang weg und sah da draußen einen Haufen erschlagener und noch zuckender Hunde liegen, mit wirr durcheinander gekrampften Beinen, umronnen von einer grauenvollen Blutlache – und sah, wie die Lagerknechte mit Knüppeln auf die noch lebenden losschlugen, welche keuchten und heulten. Törring deutete da hinaus und schrie wie ein Irrsinniger: „Herzog! Dein Wort? Dein Wort?“

Ruhig sagte Herr Heinrich: „Ich versprach dir ritterliche Freiheit. Und daß du deine berühmten Bracken mitnehmen kannst. Man kann auch tote Hunde mitnehmen. Nicht?“ Er wandte sich zum Marschalk Ahaimer. „Oswald? Hast du ihm was anderes gesagt?“

Erschrocken fing Ahaimer zu stammeln an. Und Törring, wie ein Tobsüchtiger, sprang auf einen der Gepanzerten zu und riß ihm das blanke Langschwert aus den Fäusten.

Die Fieberröte im Gesicht des Herzogs verwandelte sich jäh in aschige Blässe.

Ehe die Harnischer zuspringen konnten, sauste die schwere Klinge schon. Und Marschalk Ahaimer, der keinen Kopf mehr hatte, setzte sich rot auf den Boden hin.

Die Harnischer wanden dem Törring das Eisen aus den Händen und hielten seine Arme gefesselt. Einer fragte: „Herr? Was soll geschehen mit ihm?“

In seiner kalkigen Blässe sah der Herzog die Gemahlin des Törring an, die den schwarzen Mantel um das Gesicht gewunden hielt. Dann sagte er ruhig: „Ihm soll geschehen, was ich versprach. Man soll ihm die ritterliche Freiheit geben.“

Törring keuchte: „O du Laus du! Recht hat der Loys!“

„Mein guter Kaspar!“ Herr Heinrich lächelte. „Heut hast du mich enttäuscht. Ich habe dich immer für einen großen Jäger gehalten. Der bist du nicht. Ein ganz kleiner bist du. Hättest einen edlen Hirsch erlegen können. Mich! Und hast dich mit einem armen Hasen begnügt. Mit dem Oswald! Und wie dir heute nicht klargeworden, was du tun sollst, so hast du auch nicht gewußt, warum du neulich nach Piding rittest. Ich verzeihe dir.“ Der Herzog verneigte sich: „Edle Frau! Behaltet, meinen Mantel und führt Euren kleinen Jäger, wohin Euch, beliebt.“ Er ging zur Zeltkammer. Unter dem Vorhang sagte, er: „Man soll den Oswald mit Ehren bestatten. Er hatte ein schlechtes Gedächtnis. Das ist eine Krankheit, an der man sterben kann.“ Herr Heinrich verschwand.

Während man Leib und Kopf des Oswald Ahaimer davontrug, sah Kaspar Törring wie ein Erwachender den stillen, rostfarbenen, schwarz und weiß, und Weiß und braun gefleckten Hügel der erschlagenen Bracken an und begann zu weinen wie ein Kind.

Da nahm ihn seine Frau am Arm. „Komm, Kaspar! Laß dich führen! Vielleicht merkst du dabei, daß deine Frau noch lebt. Hunde kannst du ja wieder züchten.“

Er klagte: „Ach, was versteht denn ein Weib! Gibt’s nicht! Weiber zu Hunderttausenden? Solche Bracken hat’s nur sechzig auf Erden gegeben.“

Die zehn Harnischer geleiteten das Ehepaar durch die Lagergasse, in der man mit heiterem Lärm das schwere Plündergut auf die Troßkarren lud und zum Abmarsch rüstete.

Bei dämmerndem Abend ließ sich Herzog Heinrich im Stangensessel hinter Geschütz und Fußvolk hertragen, das im Flinkmarsch über Kay und Tittmoning gegen Raitenhaslach zog. Seipelstorfer mit den Harnischern deckte den Herzog gegen einen Überfall der Salzburger, die ›zum Entsatz des Törring‹ heranrückten.

Während des ganzen Nachtweges von Törring bis Burghausen plauderte Herr Heinrich leutselig mit den Sesselträgern. Als er einmal eine kleine Weile geschwiegen hatte, lachte er lustig auf; er hatte in diesem Schweigen beschlossen, den Turm Hochtörring abbrechen und die mächtigen Quadern nach Burghausen führen zu lassen, um dort einen Turm ›Hunds-Törring‹ zu erbauen – –

– Um die elfte Nachtstunde traf der Salzburger Entsatzhaufe bei der Törringer Trümmerstätte ein, wo es unter den funkelnden Sternen noch übler duftete, als es beim Hallturm in der Sonne gerochen hatte.

Herr Kaspar, in einer Mischung von wehmutsvollem Jägergram und schäumendem Ritterzorn, nahm mit der Salzburger Reiterei die Verfolgung des Herzogs auf. Er kam bis Raitenhaslach. Hier mußte er in der Morgendämmerung umkehren, wenn er nicht in das Geschützfeuer der herzoglichen Burg geraten wollte. Während des Heimrittes erzählte er dem Salzburger Hauptmann von jedem der sechzig seligen Hunde eine lange, wundersame Geschichte, welche bewies, daß auch der dümmste von ihnen noch immer klüger war, als Aristoteles gewesen. –

Der Salzburger Heerhaufe rückte wieder in die heimatliche Stadt, ohne einen Toten zu beklagen oder einen Verwundeten mitzubringen. Die erzbischöflichen Wundärzte hatten schon reichlich mit jenen zu schaffen, die ein Karrenwurm von der Saalach und von Marzoll gebracht hatte.

Einer von diesen Leidenden, dem der linke Schenkel mit Lehm geschindelt war, machte zur Nachtzeit eine beschwerliche Reise nach Berchtesgaden. Er tat es gegen den Willen der Ärzte, weil ihm seine Mutter die verzweifelte Botschaft geschickt hatte: „Komm! Dein Vater muß sterben!“ Die flämische Rüstung, der Helm mit den Fasanenflügeln, die Waffen und zwei Krücken wurden dem Pongauer Rappen auf den Sattel gebunden. In einer Bettlade, an die man zwei feste Stangen genagelt hatte, trugen acht Männer den Verwundeten. Immer ging ihm die Reise zu langsam, immer bat er die Träger um Eile. Seine Stimme hatte einen Schleier, den sie im Leben niemals wieder verlieren sollte.

Wenn Lampert bei dem flinken Gehops der Träger stumm in den Kissen lag, sah er hinauf zu den funkelnden Sternen der Sommernacht und suchte das Antlitz Gottes, an den er glaubte. Gottes Gesicht sah aus wie die unbegrenzte Nacht, wie ein riesenhafter Panzer aus blauem Stahl und hatte unzählbar viele Augen, solche, die groß und klar und herrlich, und solche, die winzig und geheimnisvoll waren.

„Gott hat Augen nur für den Sehenden. Gott ist augenlos für die Blinden.“

In den stillen, dunklen Dörfern brannte kein Feuer, nirgends sah man den Qualm einer Brandstätte, und dennoch war ein scharfer Rauchgeruch in der Luft. Er kam mit den Windstößen, die über den Untersberg herunterwehten, schwül wie ein Frühlingsföhn; sie bliesen über den Kamm der Felswände die heiße Luft herüber, die hinter dem Untersberg von den brennenden Wäldern gekocht wurde.

Je näher der kleine Trupp dem Tal von Berchtesgaden kam, um so nebliger wurde die Nachtluft. Und als es von der Ache hinaufging zum Stift des heiligen Peter, sah man in dem weißlichen Dunst auf keine hundert Schritte mehr. Die grauen, treibenden Schwaden, die wie der Dampf einer großen Badestube waren, rochen jetzt nach Harz, Wacholder und Fichtennadeln. Einer von den Trägern sagte: „Tät man den Husten haben, so wär’s gesund.“

Eine Glocke schlug die dritte Morgenstunde, als die Reisenden durch den Stiftshof kamen. Der war wie ausgestorben. Kein Eisen klirrte, keine Wache rief. Die ganze, noch übrige Wehrmacht des verwaisten Ländleins war in der Ramsau, die man wieder sanktpetrisch machte, war im Schwarzbachtal und beim heiligen Zeno, dessen herzogliche Hilfstruppe sich fast ohne Schwertstreich den Gadnischen ergeben hatte. Und da wurde der heilige Zeno so schwer um Gut und Besitz gebüßt, daß er für alle Zeiten aufhörte, eine politische Person zu sein und daß den geweihten Söhnen seiner Kirche aus Mangel an Beschäftigung nichts andres übrigblieb, als ihrem geistlichen Amt zu dienen und gute Priester zu werden. Herr Konrad Otmar Scherchofer tröstete sich als lächelnder Philosoph, der innerlich dem Besseren immer gewogen war. Doch sein sauerriechender Kaplan, Herr Franzikopus Weiß, der mit schweren Beulen und blauen Malen aus der Ramsau entronnen, konnte es nicht ertragen, daß seiner staatsmännischen Begabung der große Wirkungskreis entzogen werden sollte. Er konspirierte hinter dem Rücken seines Propstes und schrieb geheime Briefe.

– In dem dichten Dunste, der über dem Marktplatz von Berchtesgaden lag, waren die Häuser still und dunkel. Nur ein einziges war wach. Gleich großen, trüb verschwommenen Laternen hingen die erleuchteten Fenster des Someinerschen Hauses im grauen Nebel. Überall war Licht, vom Erdgeschoß bis hinauf zur Dachstube der alten Magd. Als Lampert die hellen Fenster sah, fiel ihm ein weher Schreck in das Herz. Bevor noch seine Träger die Bettlade auf das Pflaster niederstellten, streckte er die Hände und stammelte: „Meine Krücken – meine Krücken –“ Da fing der Moorle zu wiehern an. Droben am Erker klirrte das Schubfenster. Ein Schrei. Der Schlag einer Türe. Im Haus ein Geraschel. Schwere Riegel klirrten, das Tor wurde aufgerissen, und aus dem Hausflur quoll der Geruch von starkem Räucherwerk. Bei trübem Lichtschein taumelte die schwarze Frau Marianne auf die Gasse heraus. „Bub, mein Bub –“ Zitternd hing sie in den Armen des Sohnes, ließ sich hinfallen auf die Kante des Bettes und wußte nicht, was in ihr das Größere war, der Jammer und Gram dieser Nacht oder die Freude dieses Augenblicks.

„Mutter? Er lebt doch?“

Sie konnte nicht reden, konnte nur schluchzen an Lamperts Hals. Und als ihr nach Tränen die Sprache kam, fand sie nur zwei gallige Worte: „Siebzehn Ochsen!“ Die acht Träger, als sie die zwei unbegreiflichen Worte der Amtmännin hörten, hielten die Frau für irrsinnig.

Lampert nahm den Kopf der Schluchzenden zwischen seine Hände. „Komm, Mutter! Sei ruhig! Komm, ich führ dich hinauf!“ Mit beiden Beinen stieg er aus der Bettlade, biß die Zähne übereinander und knirschte: „Die zwei Stecken her!“

Beim Anblick der Krücken schrie Frau Marianne den Namen des Heilands in die Nacht hinaus.

„Nein, Mutter! Hab keine Sorg! Das ist nur jetzt – weil ich den Knochen geschindelt hab und das Knie nicht biegen kann. Das wird schon wieder.“

Jetzt war Frau Marianne keine schluchzende Witib mehr – war nur die Mutter noch, die ihrem Sohne helfen muß. Zu den Schwachen hatte sie nie gezählt. Der alten Magd, die mit einem Windlicht auf der Hausschwelle stand, befahl sie: „Flink! Tu besser leuchten!“ Die Schulter unter dem Arm des Sohnes schiebend, faßte sie ihn fest um den Rücken. Und den stärksten der acht Träger schrie sie zornig an: „Du Muckenfanger, so komm doch und hilf!“

Die beiden trugen den Wunden über die steile Treppe hinauf. Als sie ihn bei der Stubentür vorbeibringen wollten, bat er: „Mutter! Ich will ihn sehen!“

„Morgen, Bub! Heut nimmer! Du mußt ins Bett. Und mußt dich ausrasten und mußt deine Ruh haben.“

„Ich will, Mutter –“

„Morgen, morgen!“

Frau Marianne log. Schon seit dem Abend war der selige Amtmann Someiner nimmer im Hause. Kaum daß er kalt geworden, hatte man ihn hinuntergelegt in geweihten Boden und hatte Sarg und Grube zugeschüttet mit gelöschtem Kalk. In der Marktgasse waren schon sieben Leute von dem gleichen, bösen Leiden befallen. Um das Gift der Krankheit im Hause zu zerstören, brannten in allen Räumen die Wacholderkerzen und das beizende Räucherwerk. Bei Anbruch der Nacht hatte ein Siechenwärter das Bettzeug und die Wäsche des Entschlafenen geholt, um alles in einen glühenden Ziegelofen zu werfen.

Der Morgen fing matt zu grauen an, als Lampert in seiner kleinen, weißen Stube gebettet lag, in der so viele Wacholderkerzen brannten, daß der Raum sich ansah wie eine Weihnachtsstube. Der gleißende Schein, der in das erste trübe Grau des Tages hinausstrahlte, lockte die Dämmerungsfalter so zahlreich an, daß man meinen konnte, da draußen wären zwei unsichtbare Hände, die rastlos mit den Fingernägeln gegen die Fensterscheiben trommelten. Eine Werbetrommel des Todes! Jeder klirrende Laut am Fenster rührte von einem kleinen Leben her, das sich in Lichtsehnsucht und Eigensinn am harten Glase den Kopf zerschlug. Erst bei wachsendem Morgen, dessen Helle stärker wurde als der Kerzenschimmer, endete der ruhelose Todesflug der Schmetterlinge. Nach diesem Kriege zwischen Nacht und Helle sah es da draußen auf dem steinernen Fenstergesims wie bei der Hallturmer Mauer aus: Viele Leichname lagen in der Sonne. Nur ein bißchen kleiner waren sie als jene Zweibeinigen; und der Sieger plünderte ihnen nicht den glänzenden Schuppenpanzer vom toten Leib herunter.

Frau Marianne hatte den Medikus holen lassen, der den locker gewordenen Verband erneuerte und die Sorge dieser verstörten Mutterseele durch die heiligsten Schwüre beruhigte.

Als die Frühsonne in die weiße Stube hereinglänzte, saß die Amtmännin neben dem Bett ihres Sohnes, liebkoste seine schlaffe Hand und erzählte vom letzten Leiden des armen Ruppert. „Schon gestern in der Früh, wie’s auf die siebente Morgenstund gegangen, hab ich gemeint, er muß verscheiden. So schwach ist er gewesen, so ganz von Kräften gefallen. Und da ist das Ärgste noch erst gekommen.“

„Mutter?“

„Er hat mich schon nimmer kennen mögen, den geistlichen Herren nimmer, den Pießböcker nimmer, keinen Menschen mehr. Und derweil ihm die kalten Tropfen über das magere Gesicht heruntergelaufen sind, hat er allweil angstvoll auf das gleiche Fleckl in der Luft geschaut, hat geredet mit einem Unsichtbaren und hat gerungen mit ihm. Ach, Bub, wie grausam ist das gewesen! Sechs Stund lang hat der Vater kämpfen müssen wider den Teufel. Und allweil das gleiche Wörtl: ›Siebzehn! Siebzehn!‹ Und noch ein anders hat er allweil gesagt: ›Nicht schlagen!‹ Mir ist das Herz schier auseinandergebrochen.“ Tränen erstickten die Stimme der Amtmännin.

In tiefer Erschütterung bedeckte Lampert das Gesicht mit den Händen. „Nicht schlagen! Denken!“

„Verstehst du, was er sagen hat wollen?“

Lampert nickte.

„Und allweil, allweil, allweil so! Sechs Stund lang. Bis zum Nachmittag um die zweite Stund. Da hat ihm der gütige Herrgott beigestanden im Krieg wider den bösen Feind. Und da ist er ruhig geworden. Und ist so dagelegen und hat ein lützel leichter geschnauft. Und jählings tut er sich in den Kissen aufsetzen. Erst hatt’ ich gemeint, er kennt mich, weil er allweil gesucht hat nach meiner Hand. Aber mit den Augen ist er im Leeren gewesen. Und ich sag dir, Bub, was Heiliges ist ihm ins magere Gesicht gekommen. In seinen Augen ist ein Glanz gewesen, daß ich gemeint hab, es sitzt ein biblischer Erzvater in dem schiechen Bett. Und da tut er die Hand strecken – grad so, wie’s im Krieg die Hauptleut machen – und sagt mit einer festen Stimm: ›Jetzt weiß er’s! Jetzt hab ich’s ihm bewiesen nach Brief und Siegel. Daß keiner schlagen darf! Auch der nicht. Gottes Recht verbietet’s.‹ So hat er geredet, Bub! Und hat sich hinfallen lassen auf meinen Arm. Es ist sein letztes Wörtl gewesen. Um die vierte Stund ist er schön und ruhig eingeschlafen.“

Lampert umklammerte die Hand der Mutter. Und nach einer Weile fragte er mit zerdrückter Stimme: „Hat er nimmer geredet – von mir?“

Die Amtmännin stammelte hastig: „Wohl, Bub! Freilich!“ Eine heiße Röte schlug ihr über das vergrämte Gesicht. „Fürgestern Abend oder gestern in der Früh – recht weiß ich’s nimmer – da hat er mich bei der Hand genommen und hat gesagt: ›An unserem Buben wird der Fürst einen guten Amtmann haben.‹“

Ernst sah Lampert die Mutter an, behielt ihre Hand in der seinen und drehte schweigend das Gesicht gegen die weiße Mauer:

Frau Marianne atmete schwer. Sie hörte keinen Laut ihres Sohnes. Aber sie merkte es an seinen zuckenden Schultern und konnte es fühlen an seiner Hand, wie der Schmerz in ihm wühlte.

„Ach, Bub, was soll ich noch sagen? Sie haben mich wegtun wollen vom Bett, aber ich hab’s nicht gelitten und hab ihm selber die letzte Pfleg gereicht. Ohne Beistand hab ich ihn lupfen können. So ein stattliches Mannsbild ist er gewesen, einmal. Und ist auf dem letzten Brett gelegen wie ein Hehndl, so klein und mager.“ Unter fließenden Zähren sah die Amtmännin ins Leere. „Dann hat der Pießböcker die Tür versiegelt. Und in der lieben Stub, wo ich sechsundzwanzig Jahr lang mit meinem guten Ruppert gelegen hab in Glück und Sorgen – da brennt der Schwefel, und Stank und Gift ist drin –“

Lampert hob sich erschrocken aus den Kissen. „Mutter?“ Er hatte verstanden.

Sie sah ihn hilflos an. „Muß ich’s halt sagen. Der Vater ist seit dem Abend nimmer im Haus.“

Die Sonne strahlte durch das verbleite Glas und spannte schimmernde Stege über den herbduftenden Rauch der Wacholderkerzen.

Nach einer Weile schob die alte Magd das scheue Gesicht durch einen Spalt der Tür herein. „Im Stall beim Moorle ist ein fremder Mensch. Der geht nimmer fort. Will Essen und Trinken haben und ein Bett.“

„Bub? Wer ist das?“

„Mein neuer Knecht.“ –

Man reichte dem Manne Trank und Speise und gab ihm die Stube des früheren Knechtes, der nimmer kam. Das war ein froher, lustiger Bursch gewesen, der gerne sang und lachte. Dieser Neue war schweigsam und ängstlich.

Graue, dumpfe, sorgenvolle Tage.

In vielen Häusern mußten die Wacholderkerzen und der Schwefel brennen.

Die schwüle, giftige Luft, die über Berchtesgaden dunstete, wurde besser, als ein schwerer Gewitterregen den Brand der Wälder bei der bayerischen Plaienburg erstickte.

Nun konnte man in der Krankenstube des Someinerschen Hauses an jenem schönen Morgen das Fenster öffnen, um die Sonne und den Duft der Gartenblumen hereinzulassen.

Als das Wundfieber überstanden war, begann sich Lamperts Befinden langsam zu bessern.

Um sein Bett frisch überziehen zu können, hob man ihn eines Morgens vom Lager auf eine Matratze, die man auf den Fußboden der Stube gelegt hatte. Und während Frau Marianne den Schilfsack des Bettes wendete und die zerlegenen Binsen locker machte, fiel etwas Schweres auf den Boden, kollerte unter der Bettlade heraus und blieb neben Lamperts Matratze liegen. Er streckte die Hand und griff nach dem kleinen, wunderlichen Ding, das zu ihm gekommen war. Ein Brocken Blei. Wie eine zerquetschte Nuß.

„Schau, Mutter! Eine Büchsenkugel. Die muß man am Hallturmer Elendstag in meine Stube hereingeschossen haben.“

„Ich glaub, das muß anders sein. Selbigsmal ist zu Berchtesgaden nicht viel geschossen worden. Und am Fenster ist nie ein Loch gewesen.“

„Ich hab sie nicht mitgebracht. Wie kommt die Kugel in meine Stub?“ Lampert betrachtete das zerdrückte Klümplein Blei, das auf seiner flachen Hand lag. „Die Kugel sieht aus, als war sie durch einen Harnisch geflogen. Aber es ist an dem Blei kein trockenes Blut.“

Frau Marianne setzte sich neben Lampert auf die Matratze hin und beguckte das rätselhafte Ding. Eine Erinnerung wurde in ihr wach. „Ob die Kugel nicht von dem Buben ist?“

Rasch fragte Lampert. „Der in meinem Bett geschlafen hat?“

„Zwei Nächte lang. Ja! Und ich besinn mich. Der Bub ist heil gewesen. Aber ich hab auf seinem Küraßbrüstling eine Dull gesehen.“

Lamperts Augen wurden groß. Und sein erregtes Gesicht fing zu brennen an, als käme ein Rückfall seines Wundfiebers.

„Die Kugel“, sagte Frau Marianne, „muß dem guten Buben zwischen Küraß und Leib gehangen haben. Und wie er sich in seiner Müdigkeit zum Schlaf in das Bett gelegt hat, muß sich das Blei in die Binsen verschloffen haben.“ Sie erhob sich und breitete das frische Linnen über das Lager ihres Sohnes.

Von dem jungen Harnischer, der dem Someinerschen Haus ein Schutzengel wider die Sackmacher geworden war, hatte die Amtmännin schon viel erzählen müssen. Und immer hatte Lampert so seltsam gefragt, daß ihn die Mutter manchmal verwundert ansah. Jetzt, da sie wieder von dem Buben redete, den sie immer den ›guten‹ nannte, geschah es zum erstenmal, daß Lampert keine Frage stellte. Schweigend, mit Sorge und Sehnsucht in den Augen, betrachtete er das zerquetschte Ding auf seiner Hand. Und während die Amtmännin die Kissen des Bettes aufschüttelte, preßte Lampert plötzlich die Lippen in heißer Zärtlichkeit auf das graue Blei.

„Ach, was für Zeiten das sind!“ seufzte Frau Marianne bei ihrem fürsorglichen Mutterwerke. „Es wird doch der gute Bub nicht auch in der Saalach liegen?“

„Nein, Mutter! Der war beim Fechten neben dem Runotter gewesen. Meinen Helm mit den Reihergranen hätt ich sehen müssen. Der Bub hat bei Marzoll und Piding nicht mitgefochten. Auch der ander ist nicht dabeigewesen.“

„Wer?“

„Der mit der schweren Narb.“ Der Jungherr schwieg. Und nach einer Weile sagte er leise: „Der so viel von dem Buben weiß.“ Er lächelte wie ein Träumender. „Auf dem Boden ist ein schlechtes Liegen, Mutter! Laß mich wieder in das Bett heben!“

Der neue Knecht und die alte Magd mußten helfen, um ihn auf das frisch gerichtete Lager hinaufzulupfen, für das dieser zweifellos tapfere Kriegsmann, der sich bei Marzoll wie ein Held für seinen Fürsten geschlagen hatte, eine höchst unkriegerische Vorliebe zu empfinden schien. Er drückte wohlig das Gesicht ins linde Kissen.

Im Verlaufe des Tages mußte Frau Marianne sich darüber wundern, daß ein erwachsenes, leidendes Mannsbild stundenlang gleich einem heiteren Jungen spielen konnte mit einem Stücklein Blei. Oder war diese Kugel, die nahe zum Herzen eines jungen Lebens gedrungen, ein Amulett mit geheimnisvollen Kräften? Denn Lamperts Besserung machte seit diesem Tag so flinke Fortschritte, daß in Frau Marianne die gläubige, hoffnungsvolle Mutterfreude sich in einem steten Kriege gegen ihre Witibstrauer um den seligen Ruppert befand. Neben dieser Trauer hatte die Amtmännin auch beklommene Zeitsorgen. Sie erzitterte bei jeder bösen Botschaft, die von der entfesselten Kriegsfurie der bayerischen Vettern nach Berchtesgaden drang. Vor Schreck wurde sie kreidebleich als sie vernahm, daß Fürst Pienzenauer im Stifte eingetroffen wäre, um für seinen herzoglichen Freund zu Ingolstadt eine Hilfstruppe von vierzig Harnischreitern, achtzig Spießknechten und zehn Faustschützen auszurüsten. Auch war am Münstertor zu Berchtesgaden einer von den vielen Werbebriefen angeschlagen, die Herzog Ludwig in alle Welt entsandt hatte.

Da stand zu lesen: „Wer zu Uns reiten will um Gewinn, dem wollen Wir Unsere Burg öffnen und für Rechnung Proviant auf einen Monat liefern. Wer zu Uns reiten will um Geld und Sold, dem bieten wir auf drei Gewappnete und drei Pferde monatlich fünfzehn Rheinische Gulden und Ersatz des Pferdeschadens im Gefecht nebst Anteil an der Beute. Wer aber soldlos zu Uns reiten will, um Ritterschaft zu suchen, dem versprechen Wir Stechen, Rennen, Tanz und Spiel mit schönen Frauen, Sturm und Scharmützel nach Herzenslust.“

Zwei Gadnische Herren, der junge Hundswieben und der Dichter Jettenrösch verließen die erfolgreiche Pflege der frummen Pfennigweiblein im Badhaus zu Berchtesgaden und zogen gen Ingolstadt – um ›Ritterschaft‹ zu suchen.

Darüber wurde in der Marktgasse viel, doch sehr verschieden geredet. Im Someinerschen Hause sprach man von solchen Dingen kein Wort. Frau Marianne war, soweit es den Krieg betraf, eine heroische Schweigerin geworden; und die alte Magd wie der neue Knecht hatten heilige Eide schwören müssen, den Schnabel zu halten. Unter dem gleichen Schwure stand auch der Medikus. Sooft er bei Lampert eine erfreuliche Besserung wahrnahm, zog die Amtmännin erschrocken die beiden Daumen ein. Und wenn Fürst Pienzenauer sich nach Lamperts Befinden erkundigen ließ, schickte sie sehr schlechte Nachrichten in das Stift hinüber. Sie sagte zur Magd, das täte sie, weil sie abergläubisch wäre. Und in den immer länger werdenden Nächten betete sie um ein Wunder, das der Allmächtige beim besten Willen nicht wirken konnte: Ihr Lampert sollte flink so gesund werden, wie eine Forelle im Bergbach ist und sollte dabei für den Propst so leidend erscheinen, daß er als Invalide dem grauenvollen Morden und Brennen entzogen blieb, zu dem der Krieg der bayerischen Herzöge sich aus wuchs.

Immer schrecklicher lauteten die Botschaften, die von gebrochenen Burgen, geplünderten Städten, gebrandschatzten Dörfern, erschlagenen, gehenkten, erstochenen, verbrannten und ersäuften Menschen aus dem ebenen Lande hereindrangen in das wieder friedsam gewordene Bergtal, wo man keine toten Kriegshelden mehr zu begraben hatte, nur noch mager gewordene Lazarusse, die gleich dem Amtmann Someiner an der roten Ruhr das Zeitliche ›gesegnet‹ hatten.

Nach der zweiten Augustwoche, an einem Berglandsmorgen von wundersamer Schönheit wanderte die vom heiligen Peter für Herzog Ludwig ausgerüstete Hilfstruppe mit fröhlichem Pfeifenklang gegen Salzburg davon.

Lampert, in seiner weißen Genesungsstube, hörte von der kriegerischen Musik und dem Lärm der Menschen noch einen verworrenen Schall. Er hob sich aus den Kissen. Seine tiefliegenden Augen fingen zu glänzen an. „Mutter? Marschieren da nicht Kriegsleut aus?“

„Was dir einfallt!“ Mutter Marianne log mit geschulter Seelenruhe. „Heut ist Hochzeit. Einer von den Burghausener Kriegsgefangenen heiratet eine Gadnische Hofmannstochter. Da gönnen ihm die Hofleut ein lützel Kriegsmannsehr und spielen einen Lustigen auf.“

Ernst sah Lampert die lächelnde Mutter an und ließ sich stumm auf das Kissen zurückfallen. Dann sprach er ruhig vor sich hin: „Jetzt kann ich auch bald wieder reiten.“

Frau Marianne erschrak, daß ihr der Herzschlag zu stocken drohte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Ochsenkrieg. Zweites Buch.