Elftes Capitel. - Malimmes, noch immer mit der Binde um die Augen, spürte einen zarten Duft von Rosenwasser, Lavendel und reifen Birnen. ...

Elftes Capitel. - Malimmes, noch immer mit der Binde um die Augen, spürte einen zarten Duft von Rosenwasser, Lavendel und reifen Birnen. „Teufel, da schmeckt’s aber fein. Beim Hallturm hat’s übler gerochen.“

Ein leises Kichern.


Er hob den Kopf. „Ui, jetzt bin ich angeschmiert. Ich hab gemeint, man holt mich zu einer. Da kudern viere. Und eine steht hinter mir, die sich nit zu mucksen traut.“

„Deine Sinne sind scharf!“ sagte ein leises, heiteres Stimmchen. „Wer bist du?“

„Kluge Frauen fragen nit, was sie schon wissen. Warum die Zeit vergeuden?“

Wieder das vierstimmige Kichern. Und das heitere, leise Stimmchen: „Bist du jener Malimmes, der schreien kann wie ein Elefant?“

„Soll ich’s tun, Frau?“

Ein erschrockenes Nein. Dann die flüsternde Frage: „Bist du jener Malimmes, der siebenmal hängen mußte und siebenmal wieder auferstand?“

„Siebenmal? Ganz sicher weiß ich’s nit. Kann auch bloß sechsmal sein. Oder der Hänfene des Fischbauren vom Hintersee müßt gelten als voll!“ Seine Stimme wurde ernst. „Nachher wird’s wohl so sein, daß jetzt der achte kommt, der gefährlich ist.“ Er streckte sich. „So in der Finsternis, das taugt mir nit. Ich muß Licht haben. Frau, ich bin ein Verläßlicher. Ich red nit aus, was ich seh.“ Er nahm die Binde herunter und warf sie fort. Die Magd, die ihn hergeführt hatte, hob das Tuch vom Teppich und verschwand.

Eine große, schöne, matt beleuchtete Stube mit kunstvoll geschnitzem Getäfel, mit wertvollen Bildern auf Goldgrund, mit dem Gefunkel silberner Geräte. Gegen die Gasse lag ein mächtiges Fenster, in dessen bunten Scheiben die Wappen des Bayerlandes einen aufrechten, mit der Tatze schlagenden Löwen umgaben. Eine offene Türe führte zu einer Kammer, in der eine farbige Helle war.

Ein leerer Sessel vor einem kleinen Tisch, auf dem eine Platte mit Früchten, ein schwerer Krug und fünf zierliche Becher standen. Hinter dem Tisch eine geschnitzte Bank mit roten Polstern. Da saßen vier junge schmucke Weiblein, alle gleich gekleidet wie die Dienerinnen einer fürstlichen Frau. Jede von ihnen hatte um den Kopf einen rötlichen Schleierbund, der die Stirn, die Augen und auch das halbe Naschen bedeckte.

Malimmes guckte rasch über die vier Frauen hin, und forschend blieb sein Blick an der einen haften, die zierlicher war als die anderen; sie hatte ein rosiges, heiteres Mädchengesicht; doch die schweren, schwarzen Locken, die wie zwei starre Wände über die nackten Schultern bis zu den halb entblößten Brüsten herunterhingen, machten das kleingesichtige Köpfchen ein bißchen unförmig. Und immer betrachtete sie den Malimmes, immer lächelte sie; er schien ihr zu gefallen.

Der lange Söldner tat einen schwülen Atemzug; dann sagte er ruhig: „Da sieht man so viel schöne Sachen, daß man gar nimmer weiß, wo man hinschauen muß.“ Er sah die Platte mit den Früchten an. „Das tät mir taugen. Am Abend bin ich nit zum Speisen gekommen. Da hab ich nötige Sachen erledigen müssen. Jetzt hungert mich. Darf ich zugreifen?“

Die mit den schwarzen Locken sagte: „Alles darfst du!“ Die drei anderen kicherten.

„Das wär ein lützel zu viel. Man muß genügsam nach dem Besten greifen.“ Er nahm die schönste Birne von der Platte, ließ sich auf den Sessel nieder und biß in die Frucht. Sie schmeckte ihm, und während er wortlos schmauste, guckte er ein bißchen spöttisch die vier jungen Frauen an. Auch gab er sich Mühe, nett und reinlich zu essen. Bevor er nach einer neuen Birne griff, säuberte er an seinem braunen Langhaar die Finger.

Mit vorgestreckten Hälsen sahen ihm die munteren Weibchen in wunderlicher Neugier zu. Immer hatten sie über ihn zu lachen. Halb war’s ein Auslachen, halb ein Gekicher des Wohlgefallens.

„Warum bist du so schweigsam?“

Ohne zu antworten, aß er eine Frucht zu Ende. Dann sagte er: „Man schwätzt nit, derweil man schluckt. Das können die Herren tun, die keiner anraunzt. Ein Knecht muß gute Sitten haben. Jetzt bin ich satt, jetzt kann ich reden. Also, ihr feinen Knösplein? Weswegen bin ich da? Man wird’s mir sagen müssen.“ Er schmunzelte. „Selber komm ich nit drauf.“

„Du sollst uns erzählen, warum man dich siebenmal gehangen hat.“ Immer sprach nur die Schwarzgelockte. „Und wie du siebenmal wieder lebendig wurdest. Willst du?“

„Meintwegen! Aber bloß ein Karren pfeift, wenn er trücken ist. Ein Mensch, der reden soll, muß den Schnabel feuchten.“

Alle viere griffen nach dem Krug. Die mit den schwarzen Locken sagte: „Ich will ihm geben.“ Sie füllte die kleinen Becher.

Als vier Becher gefüllt waren, stülpte Malimmes den fünften um. „Die taugen für eure dünnen Hälslein. Ich hab noch nie aus einem Fingerhütl getrunken. Ich nimm den Krug.“

Ein heiteres Lachen. Und die Schwarze sagte lustig: „Nein, du Genügsamer! Für uns soll auch noch bleiben.“ Sie glitt zur Wand hinüber und streckte sich, um von dem Bord mit dem Silbergerät einen getriebenen Kupf herunterzunehmen. Dabei sah man, wie leicht sie gekleidet war.

Malimmes bekam eine Furche auf der Stirn und schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, versuchte er zu lachen und nahm den großen Becher, den man für ihn gefüllt hatte. Ein leichtes Beben war in seiner Stimme: „Euch zum Wohlsein, ihr feinen Frauen! Auf alles Gute und Schöne der Welt! Dessen ist so viel, daß man nit greifen muß nach dem Schlechten. Wer’s tut, soll hängen.“ Er hielt ihnen mit der eisernen Faust den Becher hin, den sie ein bißchen verwundert und ein bißchen erregt mit den kleinen Kelchen antippten. Zuerst nahm Malimmes nur einen kurzen Schluck, um zu kosten. „Teufel! Ist das einer!“ Er leerte den Becher mit einem flinken Sturz und lachte: „Der kann einen Heiligen um die fromme Seel betrügen und einen Sünder um die letzte Reu.“ Die Hand streckend, fragte er, in der Stimme ein heißes Betteln: „Also, krieg ich noch einen?“

Unter übermütigem Lachen füllte ihm die Schwarzgelockte den Silberkupf; die drei anderen wurden ängstlich, guckten einander an und hätten es gern gehindert.

Malimmes merkte ihre Sorge. „Um meinetwegen, ihr feinen Knösplein, müssen euch nit die Graushaar wachsen. Mich hat noch kein Roter und kein Weißer umgeschmissen. Meine Seel bleibt hell.“ Er leerte den tiefen Kelch, als wär’s eine Haselnußschale. „Das ist gewesen wie ein Tröpfl auf glühendem Ofen.“ Die Schwarze, deren Lachen einen seltsam gereizten Klang bekam, füllte ihm gleich den Becher wieder. Er sah den dunkel rinnenden Strahl des Weines an. „Den hab ich noch nie gekostet. Wie heißt denn der?“

Sie neigte sich flüsternd zu ihm: „Lacrimae Christi, Tränen des lieben Herrn.“

Die Augen des Malimmes wurden groß. Er hielt den vollen Becher vor sich hin. „So ist’s ein billiger. Weil’s mehr von ihm geben muß als Wasser und Blut. Das ist ein Jahr gewesen, in dem der liebe Herr hat weinen müssen vom ersten Morgen auf dem Hängmoos bis zum heutigen Abend bei der Steinernen Brück.“ Er stand vom Sessel auf, hob den Kelch und sah zur Stubendecke: „Du lieber Herr, schau her, ich trink, daß du bald wieder lachen sollst!“ Er schlürfte den Wein mit ruhigen Zügen. Und stellte den Becher auf den Tisch. Und als die wunderlich erregte Schenkin den Krug wieder heben wollte, sagte Malimmes streng: „Nit schöne Frau! Heut trink ich keinen Tropfen nimmer!“

Sie reichte den Krug den drei anderen hin, trat flink auf den langen Söldner zu, streckte sich, hob den Arm, dessen weiter Ärmel bis zur Schulter fiel, und während in ihrem halbverhüllten Gesicht eine heiße Spannung war – wie im Gesicht eines Kindes, das einen seltenen Schmetterling gefangen – strich sie mit dem Finger langsam und zart über die große Narbe herunter.

Das kitzelte den Malimmes, daß er sich schütteln mußte. Er sagte mit einer tollen Lustigkeit: „Gotts Tod! Wenn die Leut mich hängen das achtemal, und ich bleib im Hanfsamen und rühr mich nimmer, schöne Frau, da müßt Ihr kommen mit Eurem Fingerlein. Und ich steh wieder auf.“ Er strich mit dem Arm über seine Stirn und warf sich lachend in den Sessel. „Guck, ich vergiß ja schier, weswegen ich da bin. Und daß ich erzählen muß! Ich will doch die Tränen des lieben Herrn nit umsonst genossen haben. Also!“ Er zog das rechte Bein übers linke Knie herauf. „Wie ich zum erstenmal hab hängen müssen, das ist im Ungerland gewesen –“ Dieses hänfene Abenteuer berichtete er so ähnlich, wie er’s im Ramsauer Leuthaus erzählt hatte, damals, als er wider Willen die Traudi mit Herz und Leib gewonnen. Doch alles hatte jetzt einen noch heißeren Puls, ein tieferes Grauen, eine wildere Freude. Die zierliche Frau mit den schwarzen Locken bekam schon bei dieser ersten Geschichte vor prickelndem Schauer ein leises Zähneschnattern.

Als Malimmes den zweiten Hänfenen an den Eichbaum im Clevischen knüpfte, wurden die lauschenden Weiblein zappelig vor Neugier nach der bösen Sünde, durch die er des Rappenholzes schuldig geworden. Sie baten, wurden ärgerlich, reizten ihn durch Spott und wollten ihm die Wahrheit abschmeicheln. Er schüttelte lachend den Kopf. „Und nit ums Leben! Ich sag’s nit. Und nit um euren süßen Leib. Das Ding ist grauslich gewesen. Ich tät mir lieber die Hand abhacken, eh daß ich was Schieches hinlegen möcht vor eure lieben, sauberen Füßlein.“ Und während sie noch baten und schmeichelten, erzählte er schon weiter, ließ den Blitz mit Gerassel herunterfahren in den Eichbaum und malte den Heiligenschein, der die Sünde des Malimmes umlodert hatte, mit so schaudervollem Humor, daß die Frauen stumm wurden und sich zitternd aneinanderhuschelten. Dann wandelte die lustige Geschichte vom Ulmer Schragen und vom ungeschickten Freimann ihr abergläubisches Gruseln in heiteres Gelächter. Und als er vom Wolf erzählte, der den mageren Schultheiß zu Landshut fraß, vom empfindsamen Henker, der das Frieren nicht vertrug, und von der Schlittenfahrt auf dem dünnen Hosenboden, spickte er das Bild des kleinen, verdutzten Herzogs mit den Kletten eines so beißenden Spottes, daß die Zierliche vor Freude und Lachen ganz närrisch wurde.

Nun rauschte die Ramsauer Ache. Und es zitterte ein weher Ton durch die übermütige Lustigkeit des Malimmes, als sein Bidenhänder die fliegenden Eier in der Luft zerschnitt und als der schlechte Reusenstrick des Fischbauern vom Hintersee entzweisprang wie eine kraftlose Saite bei verrücktem Spiel.

„Das will ich sehen!“ bettelte die junge Frau wie eine Fiebernde. „Das mußt du mir zeigen. Willst du? Willst du?“

Er lachte rauh. „Einer schmucken Frau tut man alles zulieb.“

Ihr Stimmchen zitterte. „Komm her zu mir! Knie nieder vor meinem Schoß! Ich will die Schlinge machen. Ich lege sie um deinen Hals. Dann mußt du wieder auferstehen. Willst du? Willst du?“

Malimmes nickte und ließ sich niederfallen.

Immer lachte sie, war wie eine hübsch Betrunkene, und während sie die Gürtelschnur an ihrem leichten Kleide löste, wies sie die anderen Frauen mit einem herrischen Wink aus der Stube.

Er hörte die leisen Schritte und das Rauschen der Gewänder. Seine Augen wurden klein. Doch er wandte keinen Blick. Mit einem sonderbar starren Lächeln sah er an der zarten, heiß erregten Frau hinauf. Und als sie ihm mit bebenden Händen die Schlinge der Gürtelschnur um den Hals legte, beugte er den Kopf zurück, wie in Sorge, daß ihre Brüste sein Gesicht berühren könnten.

„Darf ich?“ fragte sie mit der Ungeduld eines glühenden Kindes und wollte die Schlinge straffen.

Da faßte er die Schnur mit den Fäusten und lachte müd, während ihm das Gesicht wie Feuer brannte. „Ein lützel langsam! Das ist der achte. Der könnt mir gefährlich werden. Da muß ich Fürsicht üben. Und für den Fall, daß der Spaß heut schiefgeht – da möcht ich mich erst noch ledig machen von meiner Pflicht. Ich muß doch erst erzählen vom sechsten und vom siebenten Hänfenen. Nit?“ In seinen Worten war etwas so Unheimliches, daß die junge Frau erschrocken vor ihm zurückwich und schlaffe Hände bekam. „Das sechstemal, das ist zu Berchtesgaden gewesen. Da haben sie mich hängen wollen, weil ich ein Esel war. Und einer hat mich gelöst. Dem hab ich’s teuer bezahlen müssen.“ Seine Stimme zerbrach. „Und das siebentemal, das ist bei Dachau geschehen. Da wär ich von Herzen gern gestorben, schöne Frau!“

Sie fragte leise: „Warum?“

„Weil ich am selbigen Tag so arm geworden bin wie eine Maus, der man die Kirch verbronnen hat. Und da hat mich ein Grausamer wieder herausgerissen ins Leben. Ich hab’s ihm nit gedankt. Aber seit heut am Abend weiß ich, warum es sein hat müssen. Bei allem Harten ist ein Gutes.“ Er machte eine Bewegung, wie um etwas Schweres von sich abzuschütteln. „Und jetzt? Wenn’s dumm geht? Soll ich mich da erwürgen lassen von Eurer spaßigen Lust? Da müßt mir leid sein um Eure weißen Fingerlein! Auch möcht ich noch leben, bis ich auf der Welt ein rechtschaffenes Ding getan.“ Durch eine Drehung der Fäuste sprengte er die feste, mit Silber durchwobene Schnur entzwei, ließ die Stücke auf den Teppich fallen und lachte ein bißchen.

Stumm betrachtete sie den Unbegreiflichen. Seine wunderlichen Worte waren dunkle Rätsel für sie gewesen. Doch im Klang seiner Stimme war eine Macht, die sie empfand. Und ganz verstand sie die brennende Marter in seinen Augen. Rasch sich vorbeugend, nahm sie seine Gesicht zwischen ihre Hände und wollte ihn küssen. Er faßte ihre Handgelenke und schob sie zurück. „Nit, schöne Frau! Auf die Letzt ist jeder ein schwacher Mensch. Auch der Stärkste.“ Schwül atmend erhob er sich und gab ihre Hände frei.

Seinen Kampf erkennend, fragte sie lächelnd: „Mißfall ich dir?“

Er schüttelte den Kopf. „So ein feines Weibl hab ich im Leben nit oft gesehen.“ Und ganz leise: „Nur ein einziges Mal.“

„Heute?“ Weil er nicht antwortete, streckte sie die Hand zu seiner Schulter hinauf und schmiegte sich an ihn. Und als er so unbeweglich blieb wie ein hölzerner Pfahl, griff sie nach seinem ergrauenden Bart, zupfte ein bißchen und fragte scherzend: „Du? Bist du kein Mann?“

„Das bin ich mehr, als mir lieb ist. Ein Jahr lang hab ich hart gehungert. Jetzt ist alles in mir wie ein böses Feuer. Vom Hirn bis hinunter zu meinen Sohlen brennt ein siedender Durst nach Eurem Leib.“

Sie fragte gleich einem verwunderten Kinde: „Warum nimmst du mich nicht?“

„Weil ein Mannsbild, das sein Blut nit in der Faust hat, minder ist als ein Vieh.“ Seine Augen wurden ruhig. „Und weil ein deutscher Bauer seinen König nit verschimpft.“

Erschrocken fuhr sie zurück und knirschte: „Wer hat dir verraten, wo du bist?“

Malimmes lachte leis. „Ui, mein, Frau Königin! Ich bin doch kein heuriger Has nit. Ein Tüchl macht zwei gute Augen nit blind. Und Ohren hat man doch auch. Und man weiß, was echt und was falsch ist. Möget Ihr nit die fremden, wüsten Haar ein lützel heruntertun? Bitt schön, Frau Königin, lasset einen armen Teufel anschaun, wie schön Ihr seid!“

Schweigend streifte sie den Schleierbund und die schwarze Perücke fort. Das kupferrote Geringel fiel ihr um das heiße Gesicht. Und als sie die Freude in seinen Augen sah, wurde sie verdrießlich und klagte in Zorn: „Du bist ein Narr! Soll ich dir sagen, wo mein Gemahl sich belustigt? In dieser Nacht?“

Gleich verstand er. „Das müßt Ihr ihm abgewöhnen, Frau Königin! So was ist nit gesund. Und tut man’s in der Nacht mit Lachen, so kommt am Morgen das Grausen.“ Eine Weile standen die beiden stumm voreinander, bis Malimmes in Unbehagen sagte: „Jetzt darf ich wohl gehen? Nit?“ Er schritt zur Türe.

Rasch vertrat ihm Frau Barbara den Weg und sah ihn mit glänzenden Augen an. „Ich bin ein verdorbenes Geschöpf. Wären die Männer wie du, wir Frauen wären Heilige.“

Sie hatte das so ernst gesagt, daß er lachen mußte. „Frau Königin, das glaub ich nit recht.“

Heiß fragte sie: „Willst du mir dienen?“

Malimmes schüttelte den Kopf und sagte heiter: „Nit ums Leben! Da könnt’s noch schieche Sachen absetzen.“ Er wurde ernst. „Ich bin schlechter dran als wie die andern. Jedweder Mensch hat einen doppelten Weg zur Wahl. Der eine geht zur Sonn und der ander zum Unrat. Ich hab bloß einen. Der Weg zur Sonn ist mir vermauert. Und im Unsauberen leidt’s mich nit. Muß ich halt zwischendurch.“

Nun hatte die Königin wieder ganz die Augen eines verwunderten Kindes, das ratlos ein unbegreifliches Ding betrachtet. Und schweigend und traurig stand sie, während Malimmes den Saum ihres seidenen Ärmels küßte und zur Türe ging. Bevor er die Klinke niederdrückte, sah er die kleine, zierliche Frau noch einmal an. Er hörte sie noch leise sagen: „Wir sehen uns wieder!“ Dann verließ er die reiche Stube.

Draußen beugte er tief den Kopf herunter, um das Knüpfen der Tuchbinde zu erleichtern. „So! Jetzt bin ich wieder ein blinder Ochs!“

Die Magd verließ mit ihm das Haus. Auf dem Haidplatz hörte Malimmes einem Arbeitslärm von vielen Menschen, das Hämmern, Sägen und Hobeln der Handwerksleute, die für das feierliche Friedensfest den Thronhimmel des Königs bauten, die Hochsitze für die Fürsten und die Schranken für das Volk.

Man schanzte und schaffte da die ganze Nacht. Das Brettergerüst wurde beim Flackerschein der Fackeln mit rotem und gelbem Tuch beschlagen. Die Arbeitsleute, die ihren Bürgerschlaf für eine prunkvolle Bekundung des Friedens opferten, bekamen Freiwein und gerieten in schwatzlustige Stimmung. Sie machten unziemliche Scherze, als bei grauendem Morgen ein Häuflein lärmender Nachtschwärmer von Flötenbläsern und Lautenschlägern heimbegleitet wurde. Daß ein hochgewachsener Mann und eine taumelnde Zwergengestalt beim Gumbrechtischen Hause verschwanden, bemerkte niemand. Doch einen unfreundlichen Zusammenlauf der Arbeitsleute gab es beim hochtürmigen Hause der Weltenburger, wo man einen Mißgestalteten, der ein von Rotweinflecken verwüstetes Hofkleid trug und schwer betrunken war, gewaltsam zur Ruhe bringen mußte. Er hatte einen Anfall von Krämpfen, schlug mit den Fäusten um sich, und immer schrillte seine dünne Stimme: „Wenn ich Herzog bin – wenn ich Herzog bin –“

Im ersten Weiß des Morgens bekamen die Gerüste, die man auf dem Haidplatz aufgeschlagen hatte, ein festliches Ansehen. Der Thron des Königs und die Hochsitze der Fürsten wurden mit Wappen behangen, mit Standarten und Laubgewinden geschmückt.

Bei Aufgang der Sonne bezogen zwölf junge Ritter im Gumbrechtischen Hause die Ehrenwache vor den Zimmern des Königs und der Königin und vor der unruhigen Amtsstube des Kanzlers Schlick. Weil die zwölf aus dem Geleit aller Fürsten und Prälaten gewählt waren, die einander bekriegt hatten und sich heute versöhnen sollten, fanden sie für sich selbst den scherzhaften Namen: die zwölf Friedensengel.

Für den heiligen Peter von Berchtesgaden war Lampert Someiner da. Er stand mit drei anderen bei der Türe des Königs, mit dem Ellbogen auf den Knauf des blanken Eisens gestützt. Für das leise Geplauder seiner Gesellen hatte er kein Ohr. Immer sah er in das flimmernde Sonnenband, das durch ein hohes Spitzbogenfenster in den gewölbten Treppengang hereinfiel. Draußen kam ein schöner und reiner Tag. Da funkelte wohl heut die gleiche milde Herbstsonne auch über den blauen Bergen seiner Heimat? Und über der Straße von Salzburg nach Berchtesgaden? Während Lampert in die Sonne guckte, sah er immer diese Straße und einen kleinen, eilig trabenden Reisezug von vierzehn Gäulen.

Am verwichenen Abend mußte Jula zu Salzburg eingetroffen sein, auf ihrem Falben, mit dem Knechte, der den zärtlichen Ingolstädter ritt, und mit den zwölf Geleitsreitern, die Lampert zu München angeworben hatte. Durch das schwarze, kahlgebrannte Land von Plaien und über den Trümmerhaufen des Hallturms hatte er seine Jula nicht reisen lassen. Um dieses Grauenvolle nicht zu sehen, mußte sie den Umweg über Salzburg nehmen. Und weil der Morgen so klar und sonnig wurde, war sie wohl schon vor Tag von Salzburg aufgebrochen? Da mußte sie um die siebente Morgenstunde nach Berchtesgaden kommen – um diese siebente Morgenstunde, vor der die abergläubisch gewordene Frau Marianne bei jedem Tageserwachen aufs neue zitterte.

Lampert lachte vor sich hin. Die anderen, die mit ihm die Wache hielten, guckten ihn verwundert an.

Das merkte er nicht. Immer sah er nur die schöne, von der Morgensonne umglänzte Straße zwischen der Gadnischen Ache und dem Untersberg. Sah diese schlanke Reiterin im graugrünen Reisemantel auf dem rasch und zierlich trabenden Falben. Sah die Türme und Firste von Berchtesgaden, sah den Marktplatz, auf dem viel weniger Menschen als im Sommer vor einem Jahr zur Messe gingen, und sah das stillgewordene Amtmannshaus mit den in der ersten Sonne blinkenden Erkerscheiben.

Die Mutter ist schon wach. Frau Marianne ist eine fleißige Frühaufsteherin. Noch immer, obwohl das Trauerjahr schon zu Ende gegangen, ist sie schwarz gekleidet. Aber Glockenschürze, Ärmelschoner und Morgenhäubchen machen sie ganz weiß. Wie an jedem Tage, so denkt sie auch heute, seit sie die Augen aufgetan, immer und immer an ihren Buben. Und bei der Frühsuppe, die sie einsam löffelt, guckt sie immer wieder mit ihrem Sorgenblick zu dieser schrecklichen Uhr hinauf, die sie lieb hat und hassen muß. Im alten, hohen Pendelkasten immer die gleiche Stimme: „Bau! Bau! Bau!“ Und gleich wird der Hammer schlagen, siebenmal. Und wie an jedem Morgen so denkt Frau Marianne auch jetzt in Zittern: ›Ob heut das Unglück kommen wird? Um die siebente Morgenstund?‹

Vom groben Pflaster des Marktplatzes klingt das Gehämmer vieler Hufe herauf. Die Rosse halten vor des seligen Amtmanns Haus. Erschrocken springt Frau Marianne zum Erker, stößt das Schubfensterchen in die Höhe, fährt mit dem Kopf in die Morgensonne hinaus und schreit beklommen: „Jesus! Was ist denn?“

Da drunten beugt eine Reiterin in graugrünem Mantel den Kopf zurück. Dichtes Haar quillt aus der dunklen Gugel heraus. Und zwischen den schwarzen Strähnen sieht Frau Marianne ein schmales, sonnverbranntes Mädchengesicht mit der Leidensschrift eines bösen Jahres in den strengen Zügen, mit scheuer Freude im Blau der großen Augen. Und eine linde, von der Aufregung ein bißchen zugeschnürte Stimme ruft von da drunten zum Erker herauf: „Gute Botschaft von Eurem Sohn!“

„Jesus!“

Das gleiche Wort, das vor wenigen Sekunden ein Laut des Schreckens war, ist jetzt der Schrei eines heißen Jubels. Und Frau Marianne – obwohl ihr das vergangene Jahr ein Bleigewicht auf alle Gelenke legte, fährt wie ein junges Mädel zur Stube hinaus und über die Treppe hinunter. Und drunten im Hausflur steht sie ratlos und starrt betroffen auf das schlanke Mädchen, das die Gugel des Reisemantels zurückstreift in den Nacken und leise sagt: „Kennet Ihr mich nimmer, Frau? Ich bin der Bub gewesen, dem Ihr das Eisenhütl gegeben habt. Jetzt soll ich die Ehfrau Eures lieben Sohnes werden.“

Frau Marianne steht noch immer stumm. Nun fängt sie zu lachen an. Und mit beiden Händen muß sie nach ihren Knien greifen, die befallen sind von einem heftigen Zittern. „Ich muß mich niederhocken ein lützel.“ Sie taumelt zur Steinbank im Hausflur und wird umschlungen von einem jungen Arm, der zärtlich und stark ist. –

– Klirrende Schritte im Treppenflur des Gumbrechtischen Hauses und zwei erregte Stimmen. Lampert Someiner war aufgerüttelt aus seinem Sonnentraum. Er straffte sich und machte mit dem blanken Eisen die höfische Reverenz vor dem Markgrafen von Brandenburg und dem Kanzler Schlick.

Die beiden hatten gut ausgeschlafene Gesichter, doch Augen voll Sorge. Mit dem Morgen war böse Zeitung gekommen. Draußen vor dem Ostentor geschah, was die Stadtväter vor dem Kanzler nicht länger zu verschweigen wagten: Im Geläger der vierzigtausend, die trunken waren vom Freiwein des gütigen Königs, fielen die pestkranken Menschen um wie Fliegen nach einer kalten Nacht. Doch an solche Dinge war man gewöhnt seit vielen Jahrzehnten, seit der schwarze Tod ein seßhafter Bürger im Reich geworden. Das war die mindere Sorge. Was den Kanzler bewogen hatte, den Markgrafen aus der Morgenruhe aufzustören und zum König zu rufen, war eine schwere Kunde, die aus weiter Ferne gekommen – Botschaft von gewaltigen Rüstungen des türkischen Sultans Murad wider Siebenbürgen und Ungarn – und die Botschaft, daß die Hussiten mit zahllosen Heerschwärmen verwüstend aus den böhmischen Wäldern herausbrachen in die oberpfälzischen Lande. Sie äscherten Städte und Dörfer nieder, zerstörten Kirchen und Klöster, verbrannten die Priester, die sie fingen, erwürgten die Herren, die in ihre Hände fielen, predigten dem Volk alle Freiheit und sprachen es los von der Pflicht des Gehorsams gegen Papst und Fürsten. Friedrich von Zollern und der Kanzler betraten die königlichen Gemächer. Durch einen prunkvollen Raum, in dem der Haarkräusler des Königs seine wohlriechenden Siebensachen aus einer Tasche kramte, kamen die beiden in die große Schlafstube. Hier stand eine neue, kupferne Badewanne, in der das heiße Wasser qualmte. Das große Himmelbett war in die Mitte der Stube gerückt, und auf den roten Seidenkissen lag entblößt der König, dem zwei weißgekleidete Badmägde die Gelenke kneteten. Um das mit Salbe belegte Gesicht war ein dicker Bausch von heißer, dampfender Leinwand herumgebunden. Unter diesen Tüchern fragte Sigismund mit erloschener Stimme: „Schlick? Bringst du ihn?“

Statt des Kanzlers antwortete Fritz von Zollern: „Ich stehe vor der Majestät.“

„Was sagst du zur üblen Zeitung dieses Morgens?“

„Man hat gesät. Da müssen die Ähren kommen, wie der Same war.“

Der König machte eine mißmutige Bewegung. Dann befahl er den Mägden: „Hebt Uns in die Wanne! Und verlaßt Uns!“

Die Mägde schoben ihm ihre roten Arme unter Rücken und Knie, trugen die Majestät zur Wanne, hoben sie vorsichtig in das duftende, mit Rosenessenz gefärbte Wasser und erneuerten noch den Dunstumschlag auf dem Gesicht; dann verschwanden sie.

Die Haltung des Badenden war sehr anmutsvoll. Doch weil das Wasser immer schwankte, schien der schöne Mannskörper, der nur wenige Spuren des beginnenden Alters zeigte, unablässig in weiße, rotgeränderte Stücke zerrissen zu werden. Und der gesichtslose Kopf, um dessen dampfenden Leinwandbausch die verwüsteten Braunlocken wirr herumhingen, hatte etwas Unheimliches.

Fritz von Zollern betrachtete in stummer Trauer den Beherrscher des Heiligen Römischen Reichs.

„Unsere Geduld ist erschöpft“, sagte der König unter den dunstenden Tüchern. „Wir gedenken dieser böhmischen Tollheit ein rasches Ende zu bereiten.“

„Wenn das so schnell geschehen könnte, wie es gesagt wird!“

„Wir mußten Lehrgeld bezahlen.“ Sigismund lachte. „Jetzt kennt man ihre neue Art, zu fechten.“ Während er so redete, spielten seine schönen Hände mit dem rosigen Wasser. „Wir stellen hundertzwanzigtausend Helme ins Feld, die Wir deiner bewährten Führung anvertrauen.“

Der Markgraf schob die Lippen vor und schwieg.

Unwillig fragte die Majestät: „Besinnst du dich?“

„Ein wenig, ja. Sichere Hiebe sind kein erquicklich Ding.“

Da hob der König rasch den Kopf mit der augenlosen Leinwand. „Du? Der immer Starke, immer Gläubige? Seit wann bist du ein Ängstlicher geworden?“

„Das bin ich nicht. Aber eh zwei Kräfte sich messen sollen, muß man sie wägen. Die Schalen stehen ungleich. Bei uns ist Zerwürfnis, Hader und Widerspruch, ein zerrissener Leib und eine versumpfte Seele. Die Gegner haben ein Ziel, nach dem sie brennen, einen führenden Gedanken und einen reinen, unerschütterlichen Glauben, der ihre Kräfte in Stahl verwandelt.“

„Fritz!“ Die augenlose Majestät tauchte bis über die halbe Brust aus dem rosigen Wasser. „Bist du ketzerisch angekränkelt von der böhmischen Luft?“

„Ich? Nein. Oder jedes aufrichtige Wort ist Ketzerei. Man braucht kein Gärtner zu sein, um zu wissen, was gesunder Kohl ist. Und man kann auch ein Christ bleiben und dennoch der Meinung sein, daß im Garten Petri viel übles Unkraut wuchert. Man liebt es, die Böhmen kranke Köpfe zu nennen. Aber Fieber ist keine Krankheit, nur Wirkung einer Ursach. Die müßte man heilen. Die Hussiten bekehrt man nimmer. Will man sie nicht zu verstehen suchen, so muß man sie alle totschlagen. Und schlägt man sie alle tot, so wachsen neue nach, mit anderen Worten und mit frischen Zungen, die gegen die kranke Ursach reden.“

Der König, mit einer völlig veränderten Stimme, sagte heiter: „Wir waren töricht in dieser Nacht. Ein schwerer Kopf ist undankbar für große Weisheiten. Wir verstehen nicht, was du meinst.“

„Das läßt sich sagen mit einem kurzen Wort. Ich will die Fahne wider die Böhmen führen, wenn ich nur zu schlagen brauche im Notfall und unbeschränkte Vollmacht habe, mit den Hussiten zu verhandeln.“

„Verhandeln?“ Sigismund schien nachdenklich zu werden. „Was soll bei solchem Handel zutage kommen?“

Mit schwerem Ernst beugte sich der Markgraf gegen das blinde Gesicht des Königs: „Vielleicht ein Weg, auf dem wir in Deutschland die Kirche deutsch und einig machen.“

Ein langes Schweigen. Nun ein leichtes Geplätscher in der Wanne. Und belustigt sagte Sigismund: „Mancher wird heute Ursach haben, saure Fische zu essen. Du wirst beichten müssen.“

Dem Markgrafen ging es heiß über die Stirne. Doch ruhig sagte er: „Ich fühle mein Gewissen nicht beschwert. Die Majestät möge meinen Rat bedenken. Jetzt kommen die Böhmen. Hinter ihnen die Türken und Heiden. Sie niederzuwerfen, wäre für die eingeborene Kraft des Reiches ein Kinderspiel. Aber der deutsche Riese hat viele Nächte voll ungesunder Torheit hinter sich. Saure Fische helfen ihm nimmer. Soll er vor den Dingen, die kommen, nicht in Schwäche zittern, so muß man ihm die Stirn mit Feuer salben, die Augen sehend machen und den erschöpften Leib in erfrischenden Gedanken baden.“

Nach kurzem Schweigen schob der König mit einer anmutsvollen Armbewegung den Leinenbausch über die Stirne hinauf. Sein edles Gesicht war ohne Runzeln und hatte rosige Farben. „Hochgeborener Herr Markgraf!“ Er lächelte. „Euch verdanken Wir viel. Unser Dank hat Euch emporgehoben zum Mut dieser Stunde. Manches mögen wir Euch gestatten. Nicht alles!“ Mit beiden Händen faßte Sigismund die Kanten der Kupferwanne. „Wo sind die Mägde? Unser Bad ist kühl geworden.“

Fritz von Zollern öffnete die Tür und rief in den anstoßenden Raum hinaus: „Ihr! Heda! Flink! Die Majestät muß frieren.“

Die zwei Mägde und der Haarkräusler waren rasch zur Hand, sorgten für neue Wärme und wuschen dem König die von einer törichten Nacht verwüsteten Locken. –

Gegen die neunte Morgenstunde begannen alle Glocken der Stadt zu läuten, um den jungen Frieden der bayerischen Lande zu grüßen, den diese Stunde gebären sollte. Die Fürsten und Prälaten, mit ihnen die Bürgermeister der freien Städte und der herzoglichen Residenzen, kamen zum Gumbrechtischen Hause, um die Majestät in feierlichem Zuge nach dem Stadthaus zu geleiten. Mancher von den edlen Herren sah sehr ungemütlich drein, nicht aus politischen Gründen. Der kleine Herzog von Bayern-Landshut hatte ein Gesicht, das einer grünen Olive glich; er litt, obwohl er nicht unmäßig getrunken hatte, an einem Katzenjammer, bei dem er jedes Haar auf seinem gesalbten Haupte wie einen giftigen Nadelstich empfand.

Der Haidpiatz war erfüllt von einer drängenden Volksmenge, die den freundlich grüßenden König mit stürmischer Zärtlichkeit umjubelte.

Und immer war das Stadthaus von Stimmengewirr umgeben, während im großen Ratszimmer hinter verschlossenen Türen um den Frieden gehandelt wurde. Es ging da drinnen sehr lärmvoll zu, und die erregten Stimmen wuchsen immer kräftiger, während im Vorraum die Tische zu einem Erquickungsmahl gedeckt und mit leichten Weinen, mit gesäuerten Getränken, geräucherten Saiblingen, gesulzten Renken und mit Bratwürstchen auf Sauerkraut bestellt wurden. Das alles duftete sehr einladend, und mancher von den edlen Herren kam schon aus dem Ratszimmer heraus, noch ehe der erste Teil der Verhandlung erledigt war: die Schlichtung des persönlichen Streites zwischen den Herzögen Heinrich und Ludwig wegen des Konstanzer Überfalles.

Der Ingolstädter war im Zorn der Stunde wie ein gereizter Tiger und stellte maßloße Forderungen: „Man soll den fahrigen Mörder Heinrich aller Ehren und Würden entkleiden und soll ihn richten nach dem Spruche: Aug um Auge, Zahn um Zahn! Man soll ihm sieben Wunden an seinen Leib machen, darunter zwei auf den Tod. Und man soll ihm die Hand abhacken, mit der er nach unserem fürstlichen Leib gestochen.“

Herr Heinrich, in der Bitterkeit seines hämmernden Katzenjammers, antwortete klagend: „Unser edler Vetter Loys verlangt der gerechten Dinge so viel, daß wir in Sorge um sein kostbares Dasein geraten. Menschen, die des Guten auf Erden zu viel begehren, leben nicht lange.“ Mit diesen Worten brachte er die Lacher auf seine Seite, nachdem der Ingolstädter durch das Übermaß seiner Forderungen die Herren gröblich verstimmt hatte.

Der König entschied unter dem Beifall des Fürstenrates: Herzog Heinrich soll zur Sühne seiner unvetterlichen Tat sechshundert Helme wider die Hussiten stellen, einen Kriegszug gegen die Heiden unternehmen, eine bußfertige Wallfahrt nach Rom machen, drei ewige Messen stiften, dem Vetter Loys alle Kurkosten ersetzen und ihn vor König, Fürsten und Volk um Gottes und unserer lieben Gottesmutter willen demütig um Verzeihung bitten. Der kleine Herzog beeilte sich, zu erklären: „Wir beugen uns dem Urteil der weisen Majestät.“

Herzog Ludwig schrie mit einem Auflachen seines Hohnes in den Saal: „Man ehrt mich über Gebühr und hält mich für kostbarer als unseren Herren Christum. Der ward um dreißig Silberlinge verraten. Mich verkauft man um dreißigtausend Dukaten.“

Bei dem Lärm, den der Aufbruch zum Frühstück verursachte, schien niemand diesen Zornschrei zu hören. Alle schwere Stimmung war plötzlich verwandelt in schwatzende Heiterkeit. Während im Vorraum die Tische sich füllten, standen die Herzöge von München mit dem Brandenburger abseits in ernstem Gespräch. Im Ratszimmer war nur Herzog Ludwig mit seinem getreuen Kaspar Törring zurückgeblieben, der in Zorn die irdische Gerechtigkeit eine feile Metze schalt und die Welt als würdig eines baldigen Untergangs erklärte.

Um alle Folgen der törichten Nacht zu dämpfen, frühstückte die Majestät sehr reichlich. Herzog Heinrich, der außerhalb seines Schlosses zu Burghausen niemals ohne Vorkoster speiste, berührte den Imbiß nicht, obwohl eine heftige Sehnsucht nach sauren Dingen in seinen Augen war. Sehr aufmerksam betrachtete er den König, dem die duftenden Würstchen trefflich zu munden schienen. Und leise fragte der kleine Herzog: „Fürchtet die Majestät nicht, vergiftet zu werden?“

„Nein! Unsere Brüder sind tot.“ Der König lachte. „Auch sind Wir unempfindlich gegen Gift geworden. Übung gewöhnt den Körper an alle Dinge.“ Heiter erzählte er von mannigfachen Giften, die man ihm schon verabreicht hatte, und von der scharfsinnigen Kur eines schwäbischen Arztes. Der hatte den im Lager vor Znaym vergifteten König durch vierundzwanzig Stunden bei den Füßen aufhängen lassen, bis das genossene Gift durch Mund und Nase völlig abfließen konnte! „Das war nicht lieblich. Aber hilfreich.“ Nach dieser Erzählung sprach die Majestät sehr fleißig wieder dem Sauerkraut und den Würstchen zu. Aber vielen an des Königs Tafel war die Lust zum Essen vergangen.

Unter dem betretenen Schweigen, das am Tische herrschte, sagte plötzlich ein Regensburger Ratsherr: „Eure Majestät schneiden die Würstlein in die Quere. Das ist nicht empfehlenswert. Ist das Würstlein in die Quer gebröckelt, so beißt man beim Speisen auf die Haut und hat den minderen Geschmack. Man muß es nach der Länge schneiden und mit dem Fleisch auf die Zunge legen.“

Am Tisch erwachte ein heiteres Lachen. Alle griffen von neuem zu, versuchten die ratsame Sache, nickten zustimmend mit den Köpfen, und die Majestät sagte freundlich: „Wir danken Euch, Ehrenfester! Unser Dasein ist um eine köstliche Weisheit bereichert. Ihr seid ein Meister in der Kunst zu leben.“

Während dieses Frühmahls erfuhr der Propst des heiligen Zeno, Herr Konrad Otmar Scherchofer, eine kleine Überraschung. Der Kanzler Schlick beschenkte ihn mit einem schön und zierlich beschriebenen Pergament. Es war ein Brief, in dem sich Franzikopus Weiß bei Sigismund um einen Bischofsstab bewarb und sich erbötig machte, das Zenonische Land und Volk der Hausmacht des Königs anzugliedern. „Das wäre ein schlechter Handel“, sagte Herr Konrad Otmar, „von meinem Volk und Land ist weniger übrig geblieben, als von aufgespeisten Fischen zu bleiben pflegt.“ Er besah den Brief und wurde heiter. „Dieser Heilige riecht nicht gut. Ich will ihn mit Wohlgerüchen waschen lassen.“

Die Majestät erhob sich und gab das Zeichen zum Neubeginn des Fürstenrates.

Während die edlen Herren sich schon im Ratszimmer zu sammeln begannen, trat der schwere Bürgermeister von Landshut auf den kleinen Herzog Heinrich zu, und um die Treue der guten Stadt zu erweisen, erbot er sich, dem gnädigen Herrn die Wallfahrt nach Rom abzunehmen, mit zwölf angesehenen Bürgern durch Italien bis zur Peterskirche zu reiten, dort inbrünstig zu beten und kostbare Spenden zu Füßen des heiligen Apostels niederzulegen.

„Nein!“ Herr Heinrich preßte die Hand an den schmerzenden Hinterkopf. „Das kostet schweres Geld. Laßt unser Geld im Lande bleiben! Warum wollt ihr’s nach Rom tragen? Beten kann man in Landshut auch. Die Wallfahrt nach Rom – weil es schon sein muß – soll einer machen. Einer, der nichts versäumt. Der muß sich durchbetteln. Sonst wäre das kein frommes Werk, das wohlgefällig vor Gottes Augen ist. Stiftungen macht man vor dem Gelingen. Nach dem Gelingen behält man, was Gott so wollen hat.“

Im Fürstenzimmer begann schon wieder der gleiche aufgeregte Lärm, wie er vor dem Imbiß geherrscht hatte. Kaspar Törring wollte bei König und Reich um seiner erschlagenen Hunde willen Klage führen. Man mußte dem Erbitterten bedeuten, daß die Sache der erschlagenen Menschen den Vorrang hätte und daß man die noch Lebenden durch einen raschen Frieden beglücken müßte.

Nach gereizten Reden und Gegenreden entschied die Majestät, es solle Friede sein; die Not der Zeit verlange, daß man sich gegen die äußeren Feinde wende, statt sich selbst zu zerfleischen; dem lieben Oheim zu Ingolstadt wäre der Vorwurf nicht zu ersparen, daß er wider Gott, König und Reich gesündigt und vor bayerischen Bäumen den deutschen Wald nicht mehr gesehen hätte; Bayern, das Herz der deutschen Lande, müsse deutscher sein als deutsch; des lieben Oheims großer Ahnherr Ludwig hätte die richtige Glocke aufgehangen; doch sein Enkel hätte ihr mit Hader und Zwist wider die friedlichen Vettern den hallenden Schwengel ausgerissen, daß sie zu einer tauben Schelle wurde; der frevelhaft begonnene Krieg müßte gesühnt werden nach irdischer Gerechtigkeit und nach billigem Anspruch der Sieger; wer sich dem Spruch der Majestät und den Bedingungen des von ihr gebotenen Friedens widersetze, bliebe dem Kirchenbann und der Acht des Reiches verfallen.

Sehr feierlich bekräftigte der päpstliche Legat die Worte des Königs.

Dann verlas der Kanzler Schlick die Bedingungen des Friedens: „Alle Gegner sollen sich vor König und Volk zu christlicher Versöhnung umarmen. Die Gefangenen werden ausgelöst, die noch nicht bezahlten Lösegelder von beiden Seiten erlassen. Was Herzog Ludwig im Kampfe verlor – sechs Städte, achtzehn Burgen, sieben Marktflecken und hundertzweiunddreißig Dörfer – soll im Besitz der siegreichen Gegner bleiben. Alles übrige Land von Bayern-Ingolstadt soll an den König übergeben werden. Herzog Ludwig soll als Fürst ohne Land und Diener dem König nach Ungarn folgen und unter den Augen der Majestät wider Ketzer und Heiden fechten. Als Verweser des fürstenlos gewordenen Landes bestellt die Majestät den Prinzen Ludwig unter Aufsicht des Ingolstädtischen Hofmeisters Brunorio von der Leiter.“

Die Augen der Herren suchten bei diesem Spruch den mißgestalteten Knaben, der zum Hüter über die Lande seines Vaters gesetzt wurde. Er war nicht im Saal.

Durch den Stimmenlärm, der sich zu erheben begann, schrillten die wütenden Worte des Kaspar Törring: „Ei, wie klug! Ei, wie klug! Meine totgeschlagenen Hunde, wenn sie noch lebendig wären, hätten es klüger gemacht.“

Herzog Heinrich, dessen Katzenjammer sich zu mildern schien, sagte lachend zu dem Erbitterten: „Mein guter Kaspar! Es ist von aller Klugheit die beste: Glück haben! Deine gescheiten Hunde litten unter einem unverständlichen Mißerfolg.“

Während Törring allen Zorn seiner ehrlichen Jägerseele über den kleinen Herzog ausschüttete, stand Herr Ludwig stumm und bleich inmitten der erregten Fürsten. Langsam streckte sich sein stolzer Körper. Eine wunderliche Heiterkeit erwachte in seinen heißen Augen. Und plötzlich rief er lachend über alle Köpfe hin: „Ihr lieben Kinder! Gehabt euch wohl!“ Er wandte sich und verließ den Saal.

Drunten auf der Gasse mußte er sich durch ein dickes Gedräng des Volkes wühlen, um sein Quartier, das Haus der Weltenburger auf dem Haidplatz zu erreichen.

In der großen, fremden Stube, die er betrat, sprangen ihm die zwei braun und weiß gefleckten Törringer Bracken entgegen und hoben sich unter täppischen Zärtlichkeiten zu seiner Brust hinauf. Mit den Armen umschlang er ihre Köpfe und preßte sie an sich: „Ihr Treuen! Wir bleiben beisammen.“ Er setzte sich auf das Bett. Die Hunde sprangen an seine Seite und schmiegten sich unter seine Arme.

So saß Herr Ludwig unbeweglich fast eine Stunde. Unter den Fenstern wogte das Gesumm des Volkes. Und die sonnige Luft war erfüllt vom Geläut der Glocken. Es klangen alle Türme der Stadt. Nur der neue Dom, der noch keinen Turm und keine Glocke hatte, konnte nach außen hin den feierlichen Vorgang nicht verkünden, der sich unter den Spitzgewölben seiner steinernen Riesenhalle vollzog. Hier zelebrierte Kardinal Branda, der päpstliche Legat, vor dem Königspaar und den Fürsten das festliche Hochamt, stimmte zum Danke für den vom Himmel niedergesunkenen Frieden das Tedeum an und predigte nach dem Sanktus wider die böhmischen Ketzer und die mosleminischen Heiden. Während er den begeisterten Gottesstreitern, die für den Feldzug gegen die Hussiten nur sehr bescheidene Hilfstruppen bewilligt hatten, die geweihten Kreuze aus weißer Seide an die Stelle des Herzens heftete, übergab die Majestät das Reichsbanner dem Markgrafen von Brandenburg. Der nahm es, sah den schönen, lächelnden König mit ernsten Augen an und sprach: „Vor Gottes Gesicht muß ein kleiner Mensch sich des eigenen Willens begeben.“

Als der Zug der Fürsten unter Glockengeläut und Bumbardenschüssen den Dom verließ, saß Herzog Ludwig im Haus der Weltenburger noch immer auf dem Bett, mit den Köpfen der Bärenfinder an seiner Brust.

Er hörte nicht, daß die Tür der Stube leise geöffnet wurde. Nur weil die Hunde zu murren begannen, sah er auf. Sein Gesicht entstellte sich. Doch unbeweglich blieb er sitzen und betrachtete den mißgestalteten Landverweser, der in seinem reichen Hofkleid ein Gesicht von sehr üblem Ansehen hatte.

Den Blick des Vaters vermeidend, immer irgendwo in eine dunkle Ecke guckend, fing Ludwig Höckerlein zu reden an, nicht mehr so sanft, kindlich und demütig wie sonst, doch immer noch mit redlicher Herzlichkeit. In Trauer beklagte er das ungerechte Los des teuren, geliebten Vaters und erbat sich Ratschläge für sein ernstes, schwieriges Amt der Landverwesung.

Herr Ludwig blieb stumm. Er lachte nur.

Der Prinz wurde drängender, sprach von dürren Zeiten, von nötigem Gelde, verglich das verwüstete Land mit einem abgebrannten Acker, der reichlich des frischen Samens bedürftig wäre, und bat den geliebten Vater um Aufklärung über verpfändete Kostbarkeiten und verstecktes Gold.

Da sprang der Herzog auf. Und während er die Hunde, die gegen den Buckligen kläfften, an den Halsbändern festhielt, schrie er dem Sohn ins Gesicht: „Nimm ein Schwert und stich es in mich und sprich, du wolltest Geld haben! So lang, bis die Seele mir entfährt, will ich dir antworten: Nichts sollst du haben! Nichts! Nichts!“

Draußen vor der Türe war ein Lärm als möchte einer den Eintritt erzwingen, den die Diener ihm verwehrten.

Lauschend streckte sich der Herzog. Er schien die Stimme zu erkennen. Freude war in seinen Augen. Und plötzlich schrie er mit aller Kraft seiner Kehle: „Den Treuen steht jede Schwelle offen. Der da kam zu mir, soll eintreten.“

Unter der Tür erschien ein schlanker Jüngling in schwarzem Studentenkleid, das Gewand von einem weiten Ritt verstaubt, mit blassem Gesicht, mit heißer Sorge im Blick. Als er sich vor dem Herzog beugen wollte, faßte ihn Herr Ludwig an den Armen, hielt ihn aufrecht und sah ihn an. „Nicht reden, Liebling! Ein ungeschicktes Wort könnte mir einen wundervollen Augenblick verderben. Weshalb du gekommen bist, das weiß ich. Nur eines sag mir! Ich muß als Fürst ohne Land und Diener dem König nach Ungarn folgen.“ Seine Augen dürsteten. „Gehst du mit mir?“ Er brauchte nicht auf Worte zu harren, las die Antwort in Wieland Swelhers glänzenden Augen, riß ihn an sich, und während er ihn umklammerte, sagte er ruhig und froh: „Ich hab einen Sohn.“

Stumm, das verzerrte Gesicht wie von Asche überschüttet, ging der Landverweser von Bayern-Ingolstadt mit seinem wippenden Spinnenschritt zur Tür hinaus.

Drunten auf dem Haidplatz klangen die brausenden, alles Glockengeläut übertönenden Jubelstimmen des Volkes, das den funkelnden Zug des Königspaares und der Fürsten unter Zinkenklang und Pfeifengetriller feierlich herankommen sah zum festlich gezierten, von schöner Sonne umwobenen Friedensthron.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Ochsenkrieg. Zweites Buch.