Zehntes Capitel. - Sechs Spießknechte, die der Hauptmann zu Plaien am späten Abend in seine Schlafstube gerufen hatte, verließen nach Einbruch der Nacht die Burg durch eine Schlupftür. ...

Zehntes Capitel. - Sechs Spießknechte, die der Hauptmann zu Plaien am späten Abend in seine Schlafstube gerufen hatte, verließen nach Einbruch der Nacht die Burg durch eine Schlupftür. Es hieß, sie sollten der nahenden Ablösung entgegenziehen und die Straße sichern.

Um die zehnte Stunde war’s ruhig in den Burghöfen. Droben in der Schlafstube des Hauptmanns brannte noch Licht, und von Zeit zu Zeit deckte der schwarze Schatten eines Mannes die rötliche Fensterhelle. Das war, als träte ein Ungeduldiger immer wieder an das Fenster, um in die Nacht hinauszuspähen.


Im inneren Hofe saß ein Schlafloser vor der Türe des kleinen Gästehauses auf der Steinbank, regungslos, mit der Stirne zwischen den Fäusten.

Jul, in einen Mantel gewickelt, trat aus der Tür und legte dem Gebeugten die Hand auf die Schulter: „Geh, tu rasten ein lützel!“

Runotter nickte. „Ich komm schon. Bald.“

Jul ging in das Haus zurück. Und Runotter saß aufrecht gegen die Mauer gelehnt, mit den Fäusten auf den Knien. Seine Augen suchten in der stahlblauen Höhe, in der die ruhigen Sterne funkelten.

Matter Lichtschein fiel aus den kleinen Fensterluken der Ställe. Manchmal hörte man das Schnauben und Wiehern eines Pferdes das Klirren einer Kette, die müde Stimme einer Stallwache. Und wie ein Chorgesang von tausend sanften Murmelklängen war das Rauschen der Saalach in der stillen Nacht.

Die Felswände der Staufen und die Steinzinnen der Lattenberge wurden weiß vom Lichte des steigenden Vollmonds. Doch über Turm und Dächer von Plaien warf der schwarze Untersberg noch seinen finsteren Schatten.

Oder kam auch da droben auf diesen dunklen Gehängen schon der Mond? Eine wunderliche Helle zitterte über die steilen Wälder hinauf, und schwarze Waldmassen begannen sich mit rötlichem Schimmer zu säumen.

Runotter erhob sich, höhlte die Hände um den Mund und rief gegen den Söller des Turmes hinauf: „Höi! Wächter! Siehst du da droben das Feuer nit?“

Aus der schwarzen Höhe klang eine Stimme: „Wohl, ich schau schon allweil und weiß nit, was ich denken soll.“

Da wurde droben am Haus der Burg das erleuchtete Schlafstubenfenster aufgerissen, und der Hauptmann rief zum Turm hinüber: „Was ist denn?“

Während zwischen Haus und Turm die Stimmen hin und her klangen, wurde es in den Höfen lebendig. Die Söldner sprangen aus der Wachtstube und aus ihren Schlafkammern, die Roßbuben aus den Ställen, die Gesindleute aus dem Haus.

Dann kam der Hauptmann scheltend herunter und bestieg den Turm.

Auf dem Gehäng des Untersberges wuchs die Feuerhelle. Da droben lag der Hirschanger mit sieben bayrischen Bauernhöfen. Und man konnte nimmer zweifeln: Dort oben waren wieder ein paar leuchtende Sterne auf die schöne Erde gefallen. Man sah die Züngelflammen von Heustädeln und Hausdächern. Waren Spießknechte des heiligen Peter von Berchtesgaden brandschatzend auf bayrisches Gebiet geraten? Anders konnte man sich die brennenden Feuer da droben nicht erklären. Aber noch immer schüttelte Hauptmann Grans den struwelhaarigen Kopf: „Die Gadnischen müßt ja doch der Teufel reiten bei so einer Frechheit!“

Da hörte man in der Nacht das Geschrei von Menschen, die durch den Wald herunterflüchteten, hörte das Gebrüll von Rindern, das Gerassel ihrer Schellen, und zwischen den schwarzen Bäumen zitterte ein Schein von Fackeln, die der Plaienburg immer näher kamen.

Während der Vollmond über die Höhe des Gadnischen Hallturmes heraufstieg, das Tal der Saalach mit weißer Milch überflutete und neugierig aus dem ewigen Blau herunterguckte auf das sonderbare Treiben der Menschen, erreichte der Schwarm der Flüchtenden vom Hirschanger, an die dreißig Menschen – Männer, Weiber und Kinder, mit sechzig Rindern – das Tor der Plaienburg. Weil die kleine, enge Feste solchen Zulauf nicht fassen konnte, wurde das Vieh der Flüchtigen in den Baracken untergebracht, die man am Abend für die aus Burghausen angesagte ›Ablösungstruppe‹ aufgeschlagen hatte.

Die Bauern berichteten: Von der Gadnischen Seite wären Spießknechte brandschatzend eingefallen; weil sie zuerst die auf den höheren Wiesen stehenden Heustädel niederbrannten, hätte sich alles Lebendige aus den Bauernhöfen noch rechtzeitig flüchten können, bevor das Feuer in die Häuser geworfen wurde.

Hauptmann Grans brüllte vor Zorn über diesen gottsträflichen Friedensbruch. Und dennoch schien seine tobende Wut eine kühle Sache zu sein, die ihm den Herzfleck nicht heiß machte. Nur die obdachlos gewordenen Bauern hatten das richtige Zornfeuer in ihren Seelen, die Weiber weinten oder schimpften, die Kinder zitterten stumm oder heulten. Und die Söldner, weil sie Arbeit und Beute witterten, schlugen einen Spektakel auf, daß alles Gemäuer der Burg widerhallte von ihrem Geschrei.

Es blieb dem Hauptmann Grans nach Brauch und Gesetz nichts andres übrig, als vier Reiter mit einem scharfzüngigen Sergeanten zum Berchtesgadnischen Hallturm hinaufzuschicken und in Herzog Heinrichs Namen strenge Sühne wegen dieser friedensbrecherischen Brandschatzung zu fordern.

Nach blassen Mondscheinstunden begann der Morgen eines schönen Tages sich rosig zu erhellen.

Die fünf Abgesandten brachten die Meldung: Der Hallturmer schwöre die heiligsten Eide, daß er von der Brandschatzung nichts wüßte und wider Herzog Heinrich schuldlos wäre; keine Seele der Gadnischen Besatzung hatte während der Nacht den Burgfried und die Schanzen verlassen; er müsse nach üblichen Rechten jede Sühne verweigern; diesen brennenden Unfried hätte wohl der heilige Zeno in Falschheit angezunden, um den heiligen Peter von Berchtesgaden bei Herzog Heinrich schlecht zu machen.

Die Antwort wurde von der Plaienschen Besatzung mit Hohn und schreiendem Lärm empfangen. Und während die Söldner und Bauern einen wilden Rumor erhoben und den Hauptmann hetzten, der unentschlossen und schweigsam war, schmetterte plötzlich auf der Turmhöhe der Ruf eines Hornes.

Herr Martin Grans tat einen Atemzug der Erleichterung, sprang zum Turin hinüber und eilte hinauf zum Söller.

Der Hornbläser empfing den Hauptmann mit den drei vergnügten Worten: „Sie kommen, Herr!“

Es ging schon auf die sechste Morgenstunde. Die Höhen der Berge glühten im jungen Sonnenschein, und die Farben der Täler waren hell und leuchtend, obwohl sie noch vom zarten Blauschatten des Morgens umschleiert lagen. In der nördlichen Ferne draußen war das hügelige Land der Tiefe schon eine goldig schimmernde Schönheit. Inmitten dieses friedsamen Erdenleuchtens sah man etwas wunderlich Dunkles. Auf der Pidinger Straße kam’s heran. Und war wie eine lange, lange, bräunliche Schlange, die sich trag bewegte – war wie ein riesenhafter Tausendfüßler, stachlig und borstig – war wie ein rätselhaftes Untier, das sich in Windungen vorwärts schob, einen dicken staubgrauen Dampf aus seinen Ringen und Gliedern ausstieß und unter diesem wehenden Qualm ein Blitzen sehen ließ wie von metallenen Schuppen.

Lachend rief der Hauptmann: „Jetzt bin ich erlöst! Jetzt sollen die Berchtesgadner einen Dampf unter der Nase merken.“ Er eilte hinunter in den Hof und schrie den Sergeanten an: „Was sagt der heilige Peter?“

„Daß er schuldlos wär und daß er –“

Weiter ließ Herr Grans den Sergeanten nicht reden. „Reit hinauf! Und sag, daß mein gnädigster Herr sich nit abspeisen läßt mit Lügen und Ausflüchten. Meine geschädigten Bauren schwören: Das sind Gadnische Brandschatzer gewesen, zehn oder zwölf oder mehr. Ich will sagen, es sind bloß acht gewesen. Die hat der heilige Peter bis zur neunten Morgenstund gebunden, barhäuptig und barfüßig vor mein Gericht zu schicken. Und bis zur gleichen Stund hat der heilige Peter für den angestifteten Schaden gerechte Buß zu geben: zehn Pfund Pfennig für jeden niedergebronnenen Heustadel, vierzig Pfund Pfennig für jedes gebrandschatzte Bauernhaus. Ist binnen drei Stunden nit glatte Rechnung gemacht, so steht Glock zehne mein gnädigster Fürst, Herr Herzog Heinrich, in gerechter Fehd wider Land und Volk und Hab und Gut des heiligen Peter!“

Beim Austritt des Sergeanten und der vier Geleitsknechte erfüllte ein jubelnder Lärm den Hof der Bürg. Die Söldner schienen verwandelt in einen Schwarm von Betrunkenen. Sie wußten: Für den Hallturmer war’s ein unmögliches Ding, die Forderungen des Hauptmanns von Plaien zu erfüllen; dann würde Glock zehn das Klopfen mit dem Eisen beginnen; lang konnte sich der Gadnische Grenzwall wider einen festen Sturm nicht halten; und vielleicht am Abend schon, doch sicher am kommenden Morgen, gab es ein lustiges Hetzen hinter den Fliehenden, und zu Berchtesgaden gab es Raub und Beute, Wein und Weiber. Freilich, Verwundete und Tote gab es wohl auch! Doch jeder von diesen Hoffnungsvollen dachte: ›Das trifft den andern! Ich leb und raub und sauf und lach und freu mich!‹

Neben dem lärmenden Jubel, der den Burghof erfüllte, stand das Häuflein der sieben Ramsauer stumm beisammen. Sechse hatten ernste Gesichter. Nur einer von ihnen blieb heiter, guckte lachend hinein in das rumorende Gewirr und sagte leise: „Wenn die Herren raufen, muß der Bauer Haar lassen.“

Ein warmer Strahl der Sonne, die ihren Weg zur Höhe nahm, glitt über die Mauerkante in den Hof herunter.

Da klammerte Runotter die Faust um das Handgelenk des Malimmes: „Tu nit lachen, Mensch!“

„Warum denn nit? Narretei macht allweil lustig.“

„Narretei? Sag: Schlechtigkeit und Unrecht!“

„So?“ Malimmes lachte. „Merkst, wie der Schneider den Kittel flickt, wenn das Tuch nit reicht?“

„Ich merk: Vor einem schiechen Ding bin ich davongelaufen, in ein schieches Ding bin ich hineingerumpelt.“ Mit brennenden Augen sah Runotter den Söldner an. „Mensch? Wo ist denn ein Sträßl, auf dem das Gute lauft?“

„Das ist allweil hinter dem Berg“, Malimmes schmunzelte, „und da muß man halt hinüber.“ Ernst werdend, legte er die Hand auf den Arm des Bauern. „Sei gescheit! Nit sinnieren! Tu lieber einen kühlen Trunk! Und bleib das feste Mannsbild, das du gewesen! Bloß für den, der sich selber verliert, ist alles hin.“

Runotter wollte antworten. Aber da trat Herr Martin Grans auf ihn zu, mit verdrießlichem Gesicht, und sagte: „Wie ist das jetzt? Wenn wir losschlagen Glock zehn? Willst du ein verläßlicher Fehdgenoß meines Herrn sein?“

Der Bauer hob den Kopf. In seinem steinernen Gesicht bewegte sich kein Zug. Und seine Augen irrten ins Leere, während er dem Hauptmann die Hand hinstreckte. „Ich muß. Und will. Und mich und die Meinigen darf man hinstellen, wo’s am härtesten ist.“

Da wurde der Hauptmann freundlich und sagte lächelnd: „Gut! So tu dich rüsten!“

Schweigend nickte Runotter und ging zur Türe des Gastbaues.

„Komm, Jul!“ Malimmes legte den Arm um den stummen, blassen Buben, dessen Augen seltsam glänzten. Dann sagte er den Knechten, was sie tun müßten. Und während die drei zum Stall hinüberliefen, zog Malimmes den Buben zur Türe. Das blonde Mädel ging hinter den beiden her. Auf der Schwelle drehte Malimmes das Gesicht: „Willst du was helfen, Traudi?“

Das Mädel nickte froh.

„So näh für den Heiner aus lindem Tuch eine Kapp! Daß ihm der Eisenhut die frische Mordauer Narb nit aufdruckt. Geh! Mach flink! Bist ein gutes Maidl!“

Unbeweglich blieb Traudi stehen. Ein jähes Erblassen rann ihr über das müde Gesicht. Langsam glitt ihr Blick von Malimmes zu diesem andern, von dem sie nur wissen durfte, daß er ein Vetter des Runotter war. Und während sie dem schlanken Buben nachsah, der da so fürsorglich in das Dunkel der Türe geleitet wurde, blitzten ihre Augen in Haß und Eifersucht.

Aus der Türe klang es noch heraus: „Hast du das Kappel fertig, so ruf die Unsrigen zusammen und bring uns Trunk und Speis!“

Jul und Malimmes traten in eine kleine, niedere Stube, durch deren Fenster die Sonne mit goldenen Augen hereinblinzelte. Ein Strahl fiel über den Runotter hin, der auf der Wandbank saß und mit dem Wetzstein sein Eisen schärfte, wie er einst bei trockener Mahd die Sense zu schärfen pflegte.

„Mach die Schneid nit gar zu fein!“ mahnte Malimmes. „Wie gröber, so besser geht sie durch Hauben und Platten.“

Der Bauer nickte. „Ich nimm schon den Faden mit dem Stein wieder weg.“ Er tat einen schweren Atemzug. „Und geht mein Eisen in Scherben, so schlag ich mit dem Stumpen zu. Mir grauset vor Welt und Leut.“

„Mir nit.“ Malimmes lachte. „Alles ist, wie man’s anschaut. Ein Katzenhaar in der Supp ist ein grauslich Ding. Aber wenn die Katz nackicht wär, so tät sie frieren. Sie will warm haben. Da muß man einsehen, daß sie einen Pelz braucht. Und was ein Pelz ist, muß Haar verlieren. Die Katz kann nit ausschauen, wie sie einer haben möcht, den jedes fremde Härlein kitzelt.“ Bei diesem heiteren Schwatzen öffnete er eine Truhe und kramte allerlei Lederwerk und klirrendes Zeug auf den Tisch heraus. „Laß alles sein, wie’s ist, und guck’s lustig an! Ein Fröhlicher verschluckt die haarige Welt, und sie peiniget ihm den Magen nit. Ein Trauriger muß sie wieder speien. Und nachher graust ihm.“ Nun schob er den Buben in den Sonnenstreif, der durch das Fenster hereinfiel, und zog am Küraß des Jul die Schnallen auf.

„Den laß mir!“ stammelte Jul erschrocken.

„Kriegst ihn schon wieder! Und ist ja doch kein Fremdes in der Stub.“ Der Küraß klaffte auseinander, und Malimmes stellte die leere Eisenmuschel auf den Boden hin. „Der Segen kommt von oben, sagen die Frommen. Aber rüsten muß man von unt auf. Erst die Beinschienen. Die müssen fest am Gurt hängen, sonst drucken sie das Knie. Schau nur, wie gut sie passen! Als hätt sie dir der Hofschneider angemessen!“ Er lachte. „Und ich hab sie doch in des Hauptmanns Rüstkammer nur nach dem Augenmaß ausgesucht.“ Achtsam zog er die Schnallen zu; sie mußten haken und durften nicht drücken. „So, Bub. Die Schuh hab ich dir scharf beschlagen. Auf deine Füß brauchst du nit achtgeben!“ Er schnallte den aus feinen Stahlringen geflochtenen Kettenschurz um des Buben Hüfte. „Tu nur nie einen Schritt nach rückwärts! Spring all weil fest voraus! Ein mutiger Sprung ist halb schon der Sieg. Und in der Not kriegen die Füß Verstand. Die laß nur tun, wie sie mögen. Mußt auch dem Feind nit auf die Füß schauen! Dem schau auf die Hand und in die Augen!“

„In die Augen!“ wiederholte Jul mit leiser Stimme. Der Bub hatte den Blick eines Fieberkranken, der wach ist und ohne Bewußtsein träumt.

Runotter erhob sich von der Fensterbank. Schweigend schob er das geschärfte Schwert in die Lederscheide und begann sich für die eiserne Arbeit zu kleiden.

„So!“ sagte Malimmes. „Jetzt die Armkacheln! Die müssen Luft haben. Versuch’s, Bub, streck die Arm nach aufwärts!“

Jul hob die Arme.

„Gut so! Und vergiß das nie: Ein Streich geht um so tiefer, wie höher als er kommt.“ Bei diesen Worten holte Malimmes vom Tisch ein wunderliches Wehrstück; es sah wie eine große lederne Brille aus und hatte Achselbänder wie ein Mieder.

„Was ist das?“ fragte Jul.

„Wirst schon sehen! Laß dir’s nur antun! Komm!“

„Nein!“ Die Wangen des Buben brannten. „Ich mag das nit!“

„Geh, sei nit unschickig!“ mahnte Malimmes herzlich. „Das Pölsterlein hab ich genäht für dich, daß dir die Harnaschplatten nit das Herzl drucken.“ Nun lachte er heiter. „Angemessen hab ich’s freilich nit. Aber es wird schon passen. Ich hab ein gutes Augenmaß.“

Jul wehrte mit den Händen. „Ich mag das nit.“

Da sagte Runotter ernst: „Tu folgen Bub! Das Leben dreht sich nit um, wenn auch die Menschenleut alles zu öberst und unterst kehren. Tu, wie er’s haben will! Tät die Mutter noch leben, sie könnt nit treuer sorgen für dich.“ Er legte dem Söldner die Hand auf die Schulter. „Vergelt’s Gott, Mensch!“ Dann ging er zur Türe. „Ich schau derweil nach den Gäulen.“

Schweigend gehorchte der Bub und ließ sich dieses wunderliche Wehrstück um die Brust schnallen.

Als Malimmes die Haken schloß, sagte er lustig: „Gelt, es paßt. Ich verschau mich nit leicht.“

Jul hatte feuchte Augen und sah in den Sonnenschein, der das Fenster umflimmerte.

„So! Jetzt kriegst den Küraß wieder, den du nit lassen magst! Du schämigs Bürschl du!“ Malimmes nahm die zwei Eisenmuscheln, legte sie um Brust und Rücken des Buben, schob die Achselkanten unter die Schulterkacheln der Armschienen, ließ die Nuten einschnappen und schloß die Schnallen. „Sitzt alles gut?“

Der Bub nickte.

Und Malimmes fragte lachend: „Sag selber, ob dir der Küraß nit leichter ist, seit du das Pölsterlein hast?“

Wieder nickte Jul.

„Weißt, Bub, allem Hartem muß man was Lindes unterlegen. Sonst druckt’s. – Jetzt heb den Arm und tu einen Streich!“

Die eisernen Platten knirschten, als Jul die Faust hinter den Nacken hob und unter festem Sprung einen Streich ins Leere tat.

„Höia! Gut so!“ lachte Malimmes in Freude. „Beim richtigen Hieb müssen Streich und Fürsprung allweil eins sein, wie Männdl und Weibl in der Lieb. Der Streich muß schlagen, der Sprung muß stoßen. Und wenn’s den andern niederreißt – gleich drüber weg und gegen den nächsten los! So springt man all weil der Not davon und dem Leben zu.“

„Wenn es – den andern – niederreißt?“ Jul atmete schwer, und ein wehes Suchen war in seinen verstörten Augen. „Das muß hart sein –“

„Was, Bub?“

„Den ersten fallen sehen. Und wissen, man ist schuld an seinem Tod.“

„Da gewöhnt man sich dran. Beim ersten bremselt’s einen. Beim zweiten tut man sich schon leichter. Beim dritten ist’s wie Nußknacken. Und alles schiebt man auf den Krieg. Was willst? So macht halt der Krieg die Leut.“

„Krieg? Das ist ein grausiges Wort!“ Wieder atmete der Bub, als lägen ihm schwere Gewichte auf der Seele. „Muß das sein auf der Welt?“

„Meinen sollt man freilich, es wär nit nötig. Von jedem Krieg, der anhebt, könnt ein Gescheiter sagen: ›Das muß nit sein, es geht auch anders.‹ Aber da schreien die unsinnigen Narren gleich: ›Es muß, es muß!‹ Und so geht’s haltlos.“

„Wird das allweil so bleiben?“

„Solang die Menschen nit anders werden. Jetzt sind sie halt noch, wie sie allweil gewesen. Und eh der Maulwurf nit das Graben laßt, wird der Mensch die Rechthaberei und das Zannen nit lassen.“

Malimmes hatte vom Tisch ein stählernes Ringgeflecht genommen, welches Hauptschutz und Halsberge in einem Stück war. Und während er am Fenster in der Sonne stand und immer dieses leisklirrende Flechtwerk schüttelte, damit die Stahlringe sich glatt und gleichmäßig legen möchten, schwatzte er mit ruhigen Worten:

„Freilich, es kann auch anders sein. Was Sicheres weiß keiner. Könnt auch sein, daß Elend, Schreck und Grausen ein notwendig Ding im Leben sind, damit die Menschen merken, was Glück und ruhsame Zeiten wert sind. Bei ewigem Tag müßten die Menschen wie blind sein. Sehen lernt man bloß in den Nächten. Und wie kostbar der Frieden ist, das lernt man bloß im Krieg. Und Katz ist Katz, und Krieg ist Krieg. Schlagt der ander zu, so mußt du dich wehren. Und stehen muß, wer nit fallen will. Noch allweil besser: Ich leb und schnauf, derweil der ander ins Gras beißt. In Gottesnamen, drischt man hak den andern nieder. So muß man’s halten als guter Kriegsmann.“

Er stülpte dem Jul eine leichte, wattierte Leinenkappe übers Haar und zog ihm dann das feine Stahlgeflecht über Wangen und Nase herunter.

Aus dem Oval der Kettenhaube guckte das eng von glitzernden Ringen umrahmte Gesicht des Buben bleich heraus. Seine Augen sahen in die Sonne, während er düstern fragte: „Malimmes?“

„Was, lieber Bub?“

„Glaubst du, daß die Berchtesgadnischen viel gute Kriegsleut haben?“

„Nit viel. Mein Bruder ist keiner.“ Lachend kniete Malimmes auf den Boden nieder, weil er an den Beinschienen noch was zu richten fand.

Zögernd, immer mit dem Blick an dem leuchtenden Fleck der Sonne hängend, fragte Jul: „Meinst du, daß der Jungherr Someiner ein guter ist?“

Malimmes hob jäh das Gesicht. Seine sonnverbrannte Stirn entfärbte sich, und die große Narbe fing dunkel zu glühen an. Doch ruhig sagte er: „Ein schlechter oder guter – Angst brauchst du nit haben. Wir zwei, wir fürchten uns nit. Wirst du nit fertig mit ihm – ich hilf schon, weißt!“

Da klang es wie ein zorniger Schrei: „Das darfst du nit!“

„Was nit?“

Die Stimme des Buben wurde langsam und schwer: „Den mußt du mir lassen!“ Müd machte Jul mit der Faust die Bewegung eines Schlages.

Ein kurzes Schweigen. „Gut!“ Und Malimmes mit einem wunderlichen Lächeln, stand vom Boden auf. „Wie’s dir am besten taugt. Man muß nur allweil sagen, wie man’s haben will.“ Er ging zum Tisch und holte die eiserne Schaller. „Aber – eins mußt du dir merken, Bub: Was man will, muß man können. Oder man darf nicht wollen, was man nit kann.“ Weiter sprach er kein Wort mehr, während er dem Buben den blanken Eisenhut über die Kettenhaube stülpte und unter dem geschützten Kinn die Sturmspange festmachte. Schweigend schnallte er ihm das Dolchgehenk um den Küraß und gab ihm die Schwertkette um die Schulter.

Jul, den Knauf des Schwertes fassend, sagte leis: „Viel Ding im Leben sind hart.“

„Das Härteste sollst du nit kennen lernen.“

Mit großen Augen sah der Bub den Söldner an. „Das Härteste? Was ist das?“

„Wenn einer friert. Und möcht sich wärmen an der besten Glut. Und kann seiner Lebtag nie nit zum richtigen Ofen kommen.“

Jul fragte scheu: „Was tut so einer?“

„Lachen!“ Da fand Malimmes wieder seinen heiteren Ton. „Wenn er ein Kluger sein will. Oder heulen – wenn er ein wehleidiges Rindviech ist.“

Runotter trat in die Stube.

„Guck, Bauer! Jetzt schau den Buben an! Allweil heißt’s: Herr Albrecht, der Münchner Prinz, wär von allen fürstlichen Jungherren der Feinste. Aber im Eisen kann er auch nit schöner dastehen als wie der Jul! Und wenn der Bub erst droben hockt auf seinem Burghausener Falben! Gotts Unmut und Schabernack des Lebens – ich freu mich drauf!“

„Geh, du!“ sagte der Bub erglühend.

Und Runotter nickte. In dem Lächeln, das seinen schmalen Mund umzuckte, waren Schmerzen. Er faßte die Hand des Buben. „Geb’s Gott, daß wir uns morgen die Hand wieder bieten können. Oder übermorgen. Weiter denk ich nit.“

Die Knechte kamen. Heiner war sehr stolz auf die sauber genähte Leinenkappe, die unter seinem Eisenhut herausguckte. Er rühmte die Geschicklichkeit der weiblichen Hände im allgemeinen, insbesondere die geschickte Hand der guten Traudi. Aber die Traudi, obwohl sie schon in der Stube war, hörte das warme Lob nicht. Schweigend deckte sie den Tisch, brachte das Mahl und den Weinkrug mit dem letzten Trank, den die sieben in der Burg von Plaien nehmen sollten. Immer gingen die zornigen Augen des schweigsamen Mädels zwischen Jul und Malimmes hin und her.

Die sieben beteten. Sechse redeten fromm mit Gott. Das blonde Mädel, das ein keimendes Leben unter dem Herzen trug, erflehte von der Allmacht des Himmels den Tod eines jungen Menschenkindes.

Während die sieben unter sparsamen Worten aßen, rann immer wieder ein feines Zittern durch den Stubenboden, durch alles Gemäuer. Und ein dumpfer Lärm quoll aus dem Tal herauf, das dem Burghügel zu Füßen lag.

Dieses leise Erdenzittern rührte von den schweren Geschützen her, von denen jedes – die beiden Kammerbüchsen, die grobe Farzerin und der schwere Blidenkarren – durch ein Gespann von sechzehn Pferden über die steile Bergstraße gegen den Hallturm hinaufgezogen wurde. Dazu noch zwanzig Kugel- und Pulverkarren, jeder mit zehn Pferden bespannt.

Das geschah ›zu heilsamer Verwarnung‹ – um den heiligen Peter wegen seiner ›friedensbrecherischen Brandschatzung bayrischer Bauernhöfe‹ zu nachgiebiger Reue und zu schuldiger Buße zu bewegen.

Vor und neben und hinter diesen dröhnenden, rasselnden Kriegsfahrzeugen marschierte und ritt ein Heerhaufe, der sich, seit er von Burghausen eingetroffen war, um zwanzig Reiter, sechzig Spießknechte und sechs Faustbüchsen vermindert hatte. Die waren mit Franzikopus Weiß am Ufer der Saalach abgeschwenkt, um unter Befehl des heiligen Zeno den Inhalt jenes Schatzkoffers abzuverdienen, der das kostbare Eingeweide des ›runden Turmes‹ von Burghausen vergrößert hatte.

Kurz vor der neunten Morgenstunde rückte auch die Wehrmacht von Plaien aus. Hinter den Mauern blieben nur ein paar Helme als Besatzung und Torwache zurück. Die gebrandschatzten Bauern vom Hirschanger, wie alle Mannsleute von den Bauernhöfen im Umkreis der Feste, mußten als Schanzgräber mit ausrücken.

In dem Raiszuge, der von Plaien hinaufklirrte zum Hallturm, hielt sich das Häuflein der Ramsauer dicht hinter dem Hauptmann Grans und seinem Sergeanten: Jul auf dem zierlichen Falben, Runotter auf dem flinken Schimmel, der seinen Ramsauer Heubauch völlig verloren hatte, und Malimmes auf dem noch übrigen Ackergaul, bei dem die Künste des Reiters die Fälligkeiten des Kriegsrosses ersetzen mußten. Die drei Knechte schritten als Spießleut hintendrein.

Runotter und Jul waren schweigsam. Hauptmann Grans tuschelte leis mit dem Sergeanten. Doch sonst ging ein heiteres Schwatzen, Lachen und Singen durch den frisch marschierenden Zug, für den in die ser reinen Morgenluft eine Witterung von Beute war.

Der Berchtesgadnische Hallturm lag versteckt, weil der Weg durch dichten Hochwald führte. Als der Zug schon bald zur Paßhöhe kam, holte er den Burghausener Heerhaufen ein, dessen Spießknechte auf einem neben der Straße gelegenen Hügel Auf dem ›Fuchsenstein‹, die Bäume niederschlugen, um die drei Geschütze und das Schleuderwerk in gute Stellung zu bringen, achthundert Schritte von der Gadnischen Grenzmauer entfernt.

Der Hall der Axtschläge, das Dröhnen der stürzenden Bäume, die aufgeregt durcheinander schreienden Menschenstimmen, das Stampfen, Keuchen und Wiehern der Pferde, das Rädergeknatter und die Kommandorufe übertönten das Murmellied der klaren Bäche und das schöne Rauschen des Waldes, über dessen Wipfel ein scharfer Ostwind herblies. Und die heiß werdende Sonne glänzte herunter auf ein Geblitze von Waffen und auf ein Gewimmel tollgewordener Farben, die so lustig durcheinander leuchteten, als sollte inmitten des ernstgrünen Bergwaldes eine bunte Faschingsmette ihren Anfang nehmen.

Hauptmann Grans war mit dem Büchsenmeister Kuen und dem Hauptmann Seipelstorfer zu einem geheimen Kriegsrat zusammengetreten, abseits vom Gewimmel des Heerhaufens und vom Geschrei der Burghausener Gelägerdirnen, die ihre Huschelzelte und Zapfbuden aufschlugen, schon Feuer machten und zu kochen begannen.

Die drei Herren, die sich da berieten, waren so guter Laune, als vertrieben sie sich die Zeit mit dem Erzählen lustiger Geschichten.

Auch bei den Geschützen gab’s eine Heiterkeit. Die Bauern, von denen die meisten noch nie eine Bumbarde gesehen hatten, drängten sich mit Hacken und Spaten auf den Schultern um die zwei Kammerbüchsen und die plumpe Trommelkanone, die sechs Rohre hatte, mit Hilfe des Springfeuers einer Zündschnur in flinker Folge sechs faustgroße Kugeln schoß – pu pu pu pu pu pu – und von diesem hurtigen Gepummer ihren Namen hatte. Die kleinere der beiden Kammerbüchsen hieß die ›Hornaußin‹, und auf der größeren war in schwer entzifferbarer Spiegelschrift ein Vers in Metall gegossen:

Die Landshuterin heiß ich
Auf den Ingolstädter pfeif ich.

Als die Bauern das Sprüchlein enträtselt hatten, begannen sie eine derbe Debatte über die Frage, ob dieser unreine Reim als sinngemäß zu erachten wäre. Lang hatten sie nicht zu lachen; sie mußten gleich die Schanzarbeit auf dem Fuchsenstein beginnen.

Vor der zehnten Morgenstunde wurde der Sergeant mit dem weißen Fähnlein und einem Geleit von vier Knechten ausgeschickt, um sich beim heiligen Peter nach dem letzten Worte zu erkundigen.

„Geh mit!“ sagte Hauptmann Grans zu Malimmes. „Du bist einer, der weiß, wie man eine Mauer angucken muß!“

Malimmes empfing diesen Auftrag wie eine willkommene Sache. Er ließ den Ackergaul galoppieren, um das Häuflein der Parlamentäre einzuholen. Das war ein kurzer Ritt. Schon nach hundert Schritten, an der Grenze des bayrischen Landes, ging der Wald zu Ende. Am Saum des Gehölzes liefen alte Schanzgräben durch das Tal und erzählten von Fehden vergangener Zeiten.

Vor wenigen Tagen war da ein dichter Hochwald noch ein paar hundert Schritte weiter gegen den Hallturm hin gestanden. Die Berchtesgadnischen hatten quer durch das schmale Tal, von Bergwand zu Bergwand, diese tausend hundertjährigen Bäume niedergeschlagen, um für die Angreifenden die Deckung zu mindern. Dadurch hatten sie für sich selbst den Schutz eines fast unüberwindlichen Verhaues gewonnen; in mannshohem Wuste lagen, jedem Ansturm wehrend, die niedergeschlagenen Bäume wirr durcheinander, den Waldgrund des engen Tales und die Straße bedeckend mit einem Gefilze starrender Äste. Wo die Straße unter diesem grünen und braunen Chaos verschwand, da standen friedlich drei Grenzpfähle in bunten Farben beisammen; der eine trug das Wappen mit den Schlüsseln des heiligen Peter, der andre zeigte das Wappen des heiligen Zeno, an den dritten war eine Tafel mit der Inschrift genagelt: „Hie Paierlant!“

Und hinter dem braunen und grünen Gewirr von Stämmen und Ästen erhob sich die lange, nach links und rechts gegen die unwegsamen Felswände kletternde, durch sieben feste Türme gestützte Mauer des Gadnischen Grenzwalles am Hallturm, mit dem klobigen Torbau in der Talsohle, mit der hochgezogenen Brücke zwischen den beiden Tortürmen.

Auf den Zinnen sah man viele kleine, zierliche Figürchen, die von Waffen blitzten. Steile, sonnbeglänzte Dächer stiegen hinter der Mauer auf. Die Sonne vergoldete alles Gestein und Gemäuer, machte alle Kanten gleißen wie poliertes Metall und zeichnete die Schatten der Türme wie blaue Bilder in dieses Gold. Ein so farbenschöner, wundersamer Anblick war’s, daß man hätte träumen mögen: „Hier steht die Pforte eines paradiesischen Landes!“ Doch ums Träumen war es dem Sergeanten mit dem weißen Fähnlein, seinen vier Geleitsknechten und dem Malimmes in dieser Stunde nicht zu tun. Sie hatten die Pferde zurückgelassen, und während der Sergeant, der diesen üblen Weg seit Mitternacht schon zum fünften Male machte, das weiße Fähnlein mit den Zähnen festhielt, quälten sich die sechse unter Schwitzen, Lachen und Fluchen durch das Gewirr der Äste. Je näher sie dem Tor des Hallturmes kamen, um so deutlicher hörten sie die Spottreden der Gadnischen Herren und Knechte, die auf der Mauer waren und mit Heiterkeit der mühseligen Kletterei der Parlamentäre zuguckten. Aber diese Heiterkeit und ihre Späße hatten etwas Gezwungenes. Den Gadnischen war nicht sonderlich wohl zumute. Ein mächtiger Fürst, den man ernster nehmen mußte als den heiligen Zeno, war ihnen bös geworden, bedrohliche Dinge schienen da im Dunkel zu spielen, und eine schwere Übermacht lag vor der Mauer. Diese Mauer war von erfahrenen Kriegsleuten angelegt, war gut und konnte auch einem harten Sturme trotzen. Und der Weg zur Mauer war vorerst noch gesperrt durch diesen niedergeschlagenen Wald. Das Gewirr dieser hunderttausend Äste war aber nur ein Schutz, solang gut Wetter blieb und dieser scharfe Ostwind blies. Da würde der Hauptmann Grans sich hüten, Feuer in diesen Verhau zu werfen. Der Ostwind würde die Flammen hinunterblasen in die bayrischen Wälder, gegen den Heerhauf, der da drunten lagerte und sich eingrub mit seinen Geschützen, und gegen die Höfe und Mauern von Plaien.

Doch wenn das Wetter umschlug und der Westwind einsetzte?

Aber war der Patron der Gadnischen, der heilige Peter, nicht der himmlische Wettermacher? Der würde sich doch als verläßlich und treu erweisen? Und die Sonne scheinen und den Ostwind blasen lassen?

Auch Herr Armansperger, der bejahrte Hauptmann des Berchtesgadnischen Hallturms, erhoffte sich alles Beste von den Schönwetterkräften des heiligen Peter. Dennoch hatte er in dunkler Sorge am hellen Morgen einen reitenden Boten nach Berchtesgaden zu Herrn Pienzenauer gesandt und ihm die rätselhafte Brandschatzung auf dem bayrischen Hirschanger, die unerfüllbare Forderung des Hauptmanns von Plaien und das Nahen eines mächtigen Heerhaufens melden lassen. Bei dieser Nachricht war Fürst Pienzenauer mit dem Stoßgebet aus dem Bette gesprungen: „Hätt doch der Teufel die siebzehn Ochsen geholt, eh Ruppert sie bei den Schwänzen packte!“

Was zu Berchtesgaden ein Eisen schwingen konnte, mußte zum Hallturm marschieren, die neue Anna und die neue Susanne rasselten im Galopp ihrer Gespanne der bedrohten Pforte des Landes zu, die Kugel- und Pulverkarren knatterten hinterdrein, und Fürst Pienzenauer ritt in sausender Hast nach der andern Seite davon, um von Salzburg Hilfe in der Not zu erflehen, und wär’s auch gegen Verpfändung der Schellenberger Pfannstätte. Lieber ein kostbares Glied aus dem Leibe reißen, als mit dem Kopf bezahlen.

Herr Armansperger, während er vom Bord der Mauer Zwiesprach mit dem Sergeanten von Plaien hielt, konnte das Rädergerassel der zwei nahenden Geschütze hören, die man binnen sechsunddreißig Stunden zu Berchtesgaden geschmiedet und gegossen hatte. Als sie über die Innenbrücke des Hallturms fuhren, machten sie einen so dröhnenden Spektakel, daß Herr Armansperger sein eignes Wort nimmer hörte und nicht weiterverhandeln konnte. Er verschwand von der Mauer. Vor den sechs Parlamentären fiel die Kettenbrücke über den Wassergraben herunter. Man sah in eine Halle, die von Gepanzerten wimmelte. An die zwanzig kamen heraus, und der Plaiensche Sergeant, dem man die Augen mit einem weißen Tuch umhüllte, wurde in die Feste geführt. Hinter ihm hob sich die Brücke wieder.

Seine vier Geleitsknechte lagerten sich in der schönen Sonne auf dem Boden. Malimmes blieb stehen, auf den Bidenhänder gestützt, und musterte mit prüfendem Blick das Gemäuer und die Türme.

Er sah es gleich: Diese Mauer mußte man in schwerem Sturme berennen. Zu umgehen war sie nicht. Zur Linken und zur Rechten, wo sie gegen den Untersberg und gegen den Rotofenkopf des Lattengebirges auslief, war steiles, unwegsames Gehänge. Oder gab es da doch einen Weg? Irgendwo da droben? Für Füße, die mit den Bergen vertraut waren? Zur Rechten, auf dem Rotofenkopf? Nein. Zur Linken, auf dem Untersberg?

Die Augen des Malimmes spähten. Hoch droben im Sturz des Berges entdeckte er ein Felsband. Das war, auch wenn der Mondschein half, ein übler Weg für die Nacht. Ein Weg, auf dem es bei jedem Schritt ums Halsbrechen ging. Aber ein Weg war es doch.

Schmunzelnd musterte Malimmes die Mauer wieder. Wo war auf dieser linken Seite die schwächste Stelle?

Da gewahrte er auf einem Wehrsöller dieser Mauerseite unter andern Leuten der Besatzung das verwitterte Bartgesicht seines Bruders Marimpfel. Als langjähriger Hofmann stand Marimpfel bei der Kerntruppe des Stiftes. Die hatte man hingestellt, wo man die besten Leute brauchte, weil da die Mauer am leichtesten zu fassen war. Hier mußte man also stürmen, hier den Gadnischen in den Rücken fallen.

Malimmes umging den Wassergraben, der in dem steinigen Talschnitt nur das Tor und seine Türme schützte. Auf steilem Felsgerölle stieg er gegen den Fuß der Mauer hin und winkte lachend zum Wehrsöller hinauf: „Grüß dich, Bruder! Auch schon munter?“

Marimpfel war verdrießlich. Er brüllte über die Mauer: „Eh du heut die Augen auf getan hast, hab ich die Hos schon viermal umgedreht.“

„Sooo?“ Malimmes lachte. „Wenn du mit dem Eisen so flink bist wie mit dem Hosenbändel, da wird’s uns schlecht gehen.“

„Kann schon sein, daß man dich aufzieht. Beim wievielten Hänfenen bist du schon?“

„Auf den sechsten wart ich. Oder kommt erst der fünfte? Mir geht’s wie einer Wittib, die nimmer weiß, was ihr zusteht.“

Weil dieses Gleichnis die Mannsleut auf der Mauer erheiterte, lachte auch Marimpfel mit. „Bist du bei denen da drüben? Soldest dem Landshuter?“

„Das nit. Aber haben hätt er mich mögen.“

„Zu dem tatst passen! Ist ein Feiner, der! Wissen tut man’s. Aber sagen darf man’s nit. Mir scheint, der hat heut nacht auf dem Hirschanger die bayrischen Kinder schiech in den eignen Dreck gewickelt.“

„Tu’s ihm halt verzeihen! Bedreckte Kinder muß man nit gleich wegschmeißen. Wozu ist das saubere Wasser da? Geh, Bruder, sei gutherzig!“

„Was Bruder! Ich bin Hofmann. Bei mir da heißt’s: Hie Freund, seil Feind!“

Malimmes lachte. „Da bin ich dümmer wie du. Für midi bleibst allweil noch ein Tröpfl aus meiner Mutter Blut. Und da kannst mir als Bruder einen Gefallen tun!“ Im Gesicht des Malimmes spannte sich jeder Zug. „Magst von mir einen Gruß ausrichten an euren Jungherrn Someiner?“

Marimpfel, der lieber nach Ingolstadt geritten wäre, als daß er hier auf der Mauer stand, war seit zwei Tagen auf Lampert Someiner nicht gut zu sprechen. Er brüllte: „Den Gruß richt selber aus! Aber weit wirst laufen müssen!“

Einer von den Spießknechten auf der Mauer faßte den Schreier am Arm, als wollte er ihn zum Schweigen mahnen. Marimpfel befreite seinen Arm. „Laß aus! Ich weiß schon, was ich red. Es gibt halt Leut, die lieber in der Welt umeinandersausen, als daß sie auf der Mauer bei ehrlicher Fehd ihr feines Häutl verkaufen.“

Die Augen des Malimmes erweiterten sich. Und er dachte an den ›hurtigen Reiter‹, von dem Herr Heinrich zu Burghausen gesprochen hatte. Heiter lachend nickte er zu Marimpfel hinauf. „Da muß ich meinen Gruß halt selber bestellen, wenn ich hinter die Mauer komm.“

„Du? Hinter die Mauer?“ Ein Hohngelächter. Auch die andern Spießknechte da droben beteiligten sich.

„Wohl! Morgen! Aber tu nit Sorg haben! Bruder ist Bruder. Wo du auf der Mauer stehst, da stürm ich nit.“

„Komm nur, wenn du Schneid hast!“ schrie Marimpfel in Zorn. „Aber trauen tust dich nit!“

„Sooo? Bist du so stark, daß du Angst hast vor dir selber?“ Und lachend ging Malimmes dem Wasser graben zu.

Die Brücke fiel. Man nahm dem Sergeanten die weiße Binde von den Augen. Dann rasselten die schweren Ketten wieder gegen die Mauer hinauf.

Der Sergeant trat auf die Seinen zu und sagte: „Krieg! Sie schwören noch allweil, daß sie unschuldig wären an der Brandschatzung.“

Heiter fragte Malimmes: „Ist das für dich eine Neuigkeit?“

Die sechse kletterten über die niedergeschlagenen Bäume.

Als die heißgewordene Sonne in der Mittagshöhe stand, eröffnete man auf dem Fuchsenstein das Feuer mit der Burghausener Trommelkanone. Und da mußten die Berge ein Echo für einen neuen, drolligen Hall ersinnen, den sie zum ersten Male Hörten:

„Pu pu pu pu pu pu!“

Bei diesem Gepummer, das die Berge ein bißchen undeutlich nachmachten, flog über dem niedergeschlagenen Wald drüben an einem Turm des Gadnischen Tores eine Wolke von Staub und Steinbrocken auf. Und neben einer Mauerluke wurde der Chorherr Jettenrösch ohnmächtig. Wohl erholte er sich bald. Aber der Streifschuß, den er am rechten Arm bekommen, machte ihn doch zu weiteren Heldentaten unbrauchbar. Und weil er an zarte Hände gewöhnt war, entzog er sich dem Hallturmer Feldscher, ritt mit einem Notverband nach Berchtesgaden und gab sich bei seiner Pfennigfrau, dem frummen Fräulein Rusaley, in verläßliche Pflege.

Bald nach dem ersten Schuß der Trommelkanone fing auf dem Fuchsenstein auch die ›Landshuterin‹ zu pfeifen und die ›Hornaußin‹ zu stechen an. Vom Hallturm antworteten die ›Anna‹ und die ›Susanne‹; sie hatten feste Stimmen und doch eine schwache Lunge; die Steinkugeln, die sie schössen, fielen entweder in das Astgewirr des niedergeschlagenen Waldes oder richteten an den Schanzen des Fuchsensteins nur schwächlichen Schaden an, der von den fronenden Bauern flink wieder ausgebessert wurde.

Gegen die zweite Nachmittagsstunde war drunten beim heiligen Zeno zu Reichenhall, im Tal der Saalach, etwas Seltsames zu gewahren. Das magere Flüßlein verwandelte sich plötzlich in eine riesige Silberschlange. Eine Überschwemmung bei schönem Wetter! Herr Martin Grans verstand dieses Rätsel: Um mit den Burghausener Hilfstruppen die Berchtesgadnische Grenzwacht im Scwarzenbachtal berennen zu können, ließ der heilige Zeno den angestauten Wehrsee wieder ablaufen. Das brauchte Zeit! Bis der Reichenhaller Sturmhaufe da drüben hinter dem Lattengebirge trocknen Boden bekam, mußte wohl die ganze Nacht und der Morgen vergehen. Aber dann hatte der heilige Zeno leichten Weg. Und wenn er nicht als erster nach Berchtesgaden kommen und den besten Rahm von der Raubschüssel schöpfen sollte, mußte man auf dem Fuchsenstein und beim Hallturm flinke Arbeit machen.

Die Hauptleute wurden unruhig und gerieten in Sorge. Sie kannten ihre Kriegsknechte und wußten aus häufiger Erfahrung, was von dem plünderungslustigen Haufen, dessen halber Sold in der Aussicht auf Beute bestand, zu erwarten war, wenn er um das ersehnte Raubgut betrogen wurde. Da gab es Aufruhr und Meuterei.

Seit dem Bericht, den Malimmes von der Mauer brachte, hatten die Hauptleute ihren Sturmplan fertig. Doch immer blies dieser verwünschte Ostwind, der den Hallturm wie mit einem wunderwirkenden Mantel umhüllte.

War der heilige Peter kein verläßlicher Patron der Seinen? Oder gibt es Dinge, wider die auch der stärkste aller Heiligen machtlos ist? Denn kaum begann die silberne Riesenschlange im Tal der Saalach dick zu werden, da sah man auf dem ebenem Lande draußen aus dem reinen Blau des heißen Sommertages ein paar kleine, weiße, kugelige Wölklein herauswachsen, die von Minute zu Minute größer wurden. Die nordwestliche Ferne umdunstete sich. Bei der Donau drunten, dort, wo Ingolstadt und Regensburg liegen mußten, schob sich eine stahlblaue Wolkenbank über den Horizont herauf. Dieses dunkle Blau der Ferne wurde bräunlich, gelblich, wurde silbergrau vom Regen, vom fallenden Hagel des nahenden Gewitters.

Als begänne die reine Luft über den Bergen diesen Himmelsaufruhr der Ferne schon zu fühlen, so fing der schöne Ostwind in Unruh zu wechseln an. Martin Grans erklärte: Das von der Donau herziehende Gewitter würde über dem Untersberge stehen, ehe der Abend käme; und durch den niedergeschlagenen Wald müßte ein Sturmweg ausgebrannt sein, bevor in der Nacht die löschenden Regenströme fielen.

Beim Fuchsenstein entwickelte sich ein aufgeregtes, wirr durcheinander zappelndes Leben. Zwanzig Freiwillige, in den Bergen geborene Leute, wurden aufgerufen und mit den Ramsauern unter den Befehl des Malimmes gestellt. Und während die sechsundzwanzig durch den Wald davonkletterten, gegen den Untersberg hinauf, fingen die ›Hornaußin‹ und die ›Landshuterin‹ fleißig zu brüllen an, und die Blide mit ihrem großen, surrenden Schleuderbeutel begann in hohem Bogen die brennenden Pechfässer zu werfen. Wie braune Tageskometen mit langen Rauchschwänzen flogen sie durch die schöne Sonne, fielen vor der Berchtesgadnischen Mauer in den Waldverhau und steckten das Astgewirr der niedergeschlagenen Stämme in lohenden Brand.

Wenn die Gadnischen mit Wasserkübeln schwarmweis aus dem Hallturm herausstürzten, um den aufschlagenden Brand zu löschen, begannen auf dem Fuchsenstein die Faustbüchsen zu knattern, und die Trommelkanone pupupuputete. Der Büchsenmeister Kuen verstand seine Sache. Von den Löschleuten des heiligen Peter wurde mancher, der mit zwei triefenden Wasserkübeln aus dem Tor des Hallturmes herausgesprungen war, mit leeren und schlaffen Händen wieder in das Tor hineingetragen.

Als unter dem Kugelhagel des Fuchsensteines gegen den züngelnden Brand des Verhaues mit Wasser nicht mehr aufzukommen war, begannen die Antwerke auf der Gadnischen Mauer große Körbe mit Erde, Sand und Mist in das Feuer zu schleudern, um es zu ersticken. Aber der Ostwind blies, schürte die halb erlöschenden Gluten immer wieder an, ließ das Feuer von der Gadnischen Mauer weg durch den Waldverhau sich durchfressen gegen den Fuchsenstein und trieb die dicken Rauchwolken auf den bayrischen Heerhaufen zu und über die Plaienschen Gehänge des Untersberges.

So dick war die Luft mit diesen Rauchmassen angefüllt, daß man von dem nahenden Gewitter in der nördlichen Ferne nichts mehr sehen konnte. Herr Martin Grans, der sonst nicht zu den Andächtigen zählte, begann auf die Hilfe des Himmels zu bauen. „Laßt der gütige Herrgott nit regnen, bis der Sturmweg durchgebronnen ist, so haben wir des Teufels Arbeit wider uns selber gemacht.“

Auch die sechsundzwanzig, die durch den Hochwald des Untersberges hinaufkletterten, hatten unter diesen stickenden Rauchschwaden, die der fackelnde Ostwind über sie her peitschte, schwer zu leiden. Oft mußten sie sich zu Boden werfen, die Gesichter in das Moos drücken oder die in einem Wildbach mit Wasser getränkten Mäntel um die Köpfe wickeln. Doch je höher sie kamen, um so dünner wurde der Rauch. Die Leute klommen über den steilen Hang empor, keuchend, hustend, die Gesichter von Schweiß übergössen. Wo sie rinnendes Wasser fanden, fuhren sie mit den Händen hinein, tranken und benetzten die Augen. Jul, der immer unter den ersten kletterte, wurde schwach und fing zu taumeln an. Malimmes stützte den Buben, Runotter lief um Wasser. Da schlug unter heftigem Sausen der Wind um, und plötzlich waren die sechsundzwanzig in reiner Luft und hatten über sich den blauen Himmel und die klare Sonne, unter sich ein graues, flutendes Rauchmeer, das sich gegen Osten schob und den ganzen Kessel des Tales füllte. Von dem brennenden Verhau, vom Fuchsenstein und vom Hallturm war unter diesen hastig treibenden Schleiern nichts zu sehen.

Jul erholte sich, als er Wasser getrunken hatte. Auf alle Fragen, ob er sich wohl fühle und wieder klettern könne, nickte er stumm. Malimmes nahm dem Buben die Eisenschaller, die Kettenhaube und die Armkacheln ab; und alles lud er am Bidenhänder auf seine Schulter. Runotter sagte: „Gib mir das!“ Malimmes schüttelte den Kopf: „Ich spür’s nit.“

Sie klommen, bis der Wald zu Ende ging und auf dem steilen Gehäng die niederen Latschenstauden begannen. Hier mußten sie bleiben und die Nacht erwarten.

„Tu mir die Leut in guter Deckung zwischen den Stauden halten“, sagte Malimmes zu Runotter, „ich steig mit dem Buben zu einem Fleckl hinaus, wo ich guten Lugaus hab.“ Er legte die Wehrstücke zu Boden. „Komm, Jul! Eh die Nacht nit da ist;, brauchst du dein Wehrzeug nimmer.“

Die beiden kletterten über den Sturz des Berges hin, bis Malimmes sagte: „Der Westwind treibt den Rauch zum Rotofen hinüber. Wir müssen uns decken. Sonst könnten wir sichtig werden für die am Hallturm. Komm, tu rasten und laß dir wohl werden!“

Auf einer schroffen Felsnase ließen die zwei sich zwischen dichten Latschenstauden in das linde Berggras nieder. Durch eine Gasse des Gebüsches konnten sie hinunterschauen in die Tiefe, in der das Feuer als roter Vorläufer der Kriegsscharen kämpfte. Die Kammerbüchsen schwiegen, seit der wallende Rauch da drunten das Zielen unmöglich machte. Doch der schärfer werdende Westwind säuberte den Fuchsenstein immer mehr von diesen grauen Schleiern. Man konnte schon das Gewimmel des Heerhaufens und das Zeltgewirr des Gelägers erblicken. Das alles sah so fein und zierlich aus wie ein Spielzeug vornehmer Kinder. Nun entschleierte sich auch der Brand des niedergeschlagenen Waldes. In der Tiefe mußte das eine grauenhafte Flamme sein; doch aus der Höhe gesehen war’s ein hübsches, liebliches Geflacker, rötlich, bläulich und gelb, mit zartem Rauchgeringel; das Rauschen und Geprassel des Feuers klang herauf wie das Geplätscher eines Brunnens; und wenn das Schleuderwerk auf dem Fuchsenstein nach den noch nicht in Brand geratenen Teilen des Waldverhaues ein neues, flammendes, qualmendes Pechfaß schleuderte, war es anzusehen, als flöge da drunten ein kleiner Käfer, dessen Rückenschild in der Sonne glitzerte.

Lachend sagte Malimmes: „Da schau hinunter, Bub! Jetzt versteh ich ein lützel was von des lieben Herrgotts Gleichmut. Wenn das da drunt schon für uns so kleinweis herguckt, wie lausig muß für einen in der höchsten Höh alles ausschauen, was auf dem Erdboden umeinander krabbelt!“

Ein schweres Atmen machte ihn aufblicken. Er sah erschrocken in das erschöpfte Gesicht des Jul, dessen Augen rote Ränder hatten wie von heißem Weinen.

„Bub?“

Jul beugte sich langsam vor und deutete mit gestrecktem Arm hinunter gegen den Hallturm, über den sich der Rauch zwischen heiß wabernden Luftströmen in dicken Schwaden hinwälzte. – „Schau nur – schau – was müssen die armen Leut da drunt für ein schweres Schnaufen haben!“

Malimmes mußte barmherzig sein und lügen: „Ist nit so arg! Die können sich hinter der Mauer bergen und in den Wehrstuben hocken.“

„Bis –“ Jul konnte nimmer reden.

„Was meinst du, Bub?“

„Bis wir kommen und dreinschlagen mit dem Eisen.“ Die Zähne des Buben knirschten wir vor einem Schreikrampf. „Ich weiß doch, wie schiech es ist! Und muß es tun. Ich muß – ich muß –“

Da sagte Malimmes hastig: „Das nit, Bub! Nit ums Herrgotts willen! Auf den einen wirst du morgen nit losschlagen müssen. Per ist nit da drunt bei der Mauer. Fürgestern ist er nach Ingolstadt geritten.“

Jul hob das erstarrte Gesicht, um das die schwarzen, nassen Haarsträhnen hingen. In seinem Blick war ein tiefer Schreck, der hinüberglänzte in eine so schöne Freude, als käme eine erlöste Seele aus diesen Augen heraus. Dann war’s wieder eine schwere Trauer. Jul schüttelte den Kopf, als möchte er sagen: Du verstehst mich nit! Sich beugend, preßte er die Stirn auf das eisengeschiente Knie und brach in stummes, würgendes Schluchzen aus.

Malimmes legte den Arm um des Buben Küraß. Reden konnte er nicht. Und wie ein Frierender fing er zu zittern an. Dieser Rauhe, der ohne Träne war, hätte in diesem Augenblick die Sonne vom Himmel reißen mögen, um sie einer dürstenden Menschenseele in die Hände zu legen.

Sich leis bewegend, wiegte er den schluchzenden Buben an seiner Schulter. Dann fing er mit einer Stimme, die fein und heiter klang, nach einer seltsam heimlichen Weise langsam zu singen an:

„Ich leb, weiß nit, wie lang,
Ja, leb, wie lang?
Ich sterb und weiß nit, wann,
Ja, sterb, und wann?
Ich reit, weiß nit, wohin,
Wohin?
Weiß nit, warum ich so fröhlich bin!“

Das gleiche sang er ein zweites Mal. Und wieder. Wieder. Bis Jul das Gesicht erhob und flüsternd sagte: „Das ist schön.“

„Gelt ja? Hab nit oft ein Wörtl gehört, das gescheiter geredet hätt von Glück und Leben. Und weißt du, wo ich das Liedlein herhab? Sieben Jahr ist’s, Bub, da hab ich einem Heckenreiter gesoldet. Und die Regensburger haben mich hopp genommen und haben mich in den schiechen Turm geworfen, den man den Gießübel heißt. Und in der trüben Lochstub ist das Liedlein eingeschnitten gewesen in den mürben Tisch. Und weißt du, von wem? Der Lochwärtl hat mir’s gesagt: von einem, den die Regensburger zum Tod gesprochen haben.“

Irgendwo ein dumpfes Rauschen. Und ein Dröhnen in der Ferne, wie von tausend brüllenden Hauptbüchsen.

Jul und Malimmes hoben die Gesichter. Und da sahen sie in den fernen Lüften ein Wunder stehen, so schreckhaft und von so herrlicher Schönheit, daß sie ihrer selbst und aller Nähe vergaßen.

Weit draußen im Tal der Saalach, in der Scharte zwischen Untersberg und Staufen, stand über dem ebenen Land das entfesselte Gewitter, das von der Donau gezogen kam. Unter dem blauen Himmel und neben der Sonne, die noch auf die Berge schien, war das ferne Wettergewölk anzusehen wie eine riesenhafte, graublaue und schwarzbraune, mit Gold und Silber beschlagene Himmelstruhe, durch deren Ritzen die edlen Geschmeide Gottes blitzten. Aus der oberen Wolkendecke, die von Sonne schimmerte, wuchsen schneeweiße Dampfbäume gegen das leuchtende Blau hinauf, wie Palmen und Pinien gestaltet, mit rosigen Blumen und goldenen Trauben behangen. Und unter den Wolken, in dem stahlblauen und schattengrauen Gewirr der Regengüsse, zuckten mit grellem Schein oder in grünlichem Leuchten die Blitze hin und her. Und wenn die Blitze nach aufwärts durch die Wolkendecke stachen, faßten sie die silbernen Nebelbäume, ringelten sich wie glitzernde Schlangen über die Stämme hinauf, verteilten sich im Gezweig, machten die Blumen und Trauben brennen – und aus den Wipfeln fuhren sie verzüngelt in die blassen Dünste wie wehendes Goldhaar. Und dazu ein Rauschen, Dröhnen und Rollen, als käme der Schöpfer gefahren auf seinem Wagen, der gezogen wurde von den Riesen der Ewigkeit.

Schweigend nahm Malimmes den Eisenhut vom Haar. Und Jul, die Hände ineinanderklammernd, fing mit der bebenden Stimme eines Weibes zu beten an.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Ochsenkrieg. Erstes Buch.