Neuntes Capitel. - In der gleichen Vollmondnacht, in welcher Lampert Someiner dem Salzburger Grenzwall am Hangenden Steine zujagte, erreichte Franzikopus Weiß mit seinem Gesandtschaftswagen das steile Ufer der Salzach. ...

Neuntes Capitel. - In der gleichen Vollmondnacht, in welcher Lampert Someiner dem Salzburger Grenzwall am Hangenden Steine zujagte, erreichte Franzikopus Weiß mit seinem Gesandtschaftswagen das steile Ufer der Salzach. Die Räder knatterten sanft auf schöner Straße. In Herzog Heinrichs Landen gab es gut gepflegte Wege. Die hatte er nötig für seine vielen Truppenzüge. Auch sonst noch hatten diese guten Straßen einen Nutzen. Sie lenkten fast den ganzen italienischen Handel durch niederbayrisches Gebiet und zu Herrn Heinrichs ertragsreichen Mautschranken. Viel Geld verdiente er an diesen guten Straßen, die seine fronenden Bauern bauen und erhalten mußten. Und in keinem Reichsland gab es Wege, die so sicher waren. Machte sich ein Straßenräuber unliebsam bemerkbar, so hatte er flink die Harnischreiter Herzog Heinrichs auf den Fersen und wurde ohne juristische Umständlichkeiten an den nächsten Baum befördert. Der unversöhnliche Vetter Ludwig zu Ingolstadt, der kein Freund von Todesurteilen war, hatte über den Vetter Heinrich das bissige Wort geprägt: „Zu Landshut und Burghausen henkt man, wie man im Spittel hustet!“ Aber die Handeltreibenden rühmten es dem Herzog Heinrich nach, daß man in seinem Lande reise wie in einem Rosengarten. Freilich, viele rote Blutrosen hatten im Straßenstaube blühen müssen, bis der niederbayrische Rosengarten so sicher wurde.

Auf solch einer sicheren Straße konnte auch Franzikopus reisen, ohne viel Geleit zu führen. Er hatte nur zwei gewaffnete Reiter und zwei dienende Brüder mit aufmerksamen Gesichtern bei sich. Seine beiden Läufer hatte er schon am Nachmittage vorausgeschickt, um dem Herzog seine Ankunft melden zu lassen. Das Geschäft, das Franzikopus brachte, war es wert, daß Herr Heinrich für eine halbe Nacht des Bettes vergaß.


Von der hohen Waldböschung, über die sich die Straße zum Tal der Salzach hinuntersenkte, konnte man im hellen Mondlicht die befestigte Stadt Burghausen, Herzog Heinrichs Sommerresidenz, gut überschauen.

Gleich einer langen steinernen Schlange zog sich da drüben die Doppelzeile der Bürgerhäuser am Ufer des rauschenden Flusses hin. Zwischen den Dächern stand die Pfarrkirche wie ein hochgewachsener Hirte zwischen kleinen Schafen. Von der Salzach bog sich ein breiter Wasserarm um den steilen Schloßberg herum, auf dem sich mit Wällen, Palisaden, Mauern, Türmen und vielen Dächern das herzogliche Schloß erhob gleich einer zweiten kleinen, langgestreckten Stadt, die von fünf Schluchten in sechs getrennte, durch Fallbrücken verbundene Festungen zerschnitten wurde. Die vielen Dächer waren überleuchtet vom friedlichen Glanz des Mondes. Kleine Fenster schimmerten wie blanke Silbermünzen; andre, hinter denen noch Licht war, blinkten rötlich wie Sterne bei dünnem Nebel.

Vor dem untersten Burgtor kletterte Franzikopus aus dem Wagen und ließ einen schön geschnitzten, mit blauem Stahl beschlagenen Schrein herausheben, der die Geschenke des heiligen Zeno von Reichenhall enthielt.

Seinen Troß mußte der Kaplan bei der Torwache zurücklassen. Zwei Soldknechte des Herzogs trugen den Schrein.

Auf langem Wege ging es durch fünf Burghöfe, die beim Geflacker der Pfannenfeuer von Wachen wimmelten. Es ging vorbei an hohen Kornkammern, Haferkästen und Arsenalen. Fünf Zugbrücken fielen vor Franzikopus und stiegen hinter ihm wieder auf.

Unter dem Tor des Schloßhofes empfing ihn der Kastellan, führte ihn zu einer trüb erleuchteten Halle und verschwand, um den Gast bei Herzog Heinrich zu melden.

Während Franzikopus in einem Lehnstuhl ruhte, überlegte er seine Anrede. Die ersten Worte verlangten Vorsicht. Sprach man den Herzog lateinisch an, so wurde er verdrießlich, weil er kein Latein verstand und das bekennen mußte. Und begrüßte man den Herzog in deutscher Sprache, so wurde er ärgerlich bei dem Gedanken: „Der redet Deutsch, weil er weiß, daß ich Lateinisch nicht verstehe.“

Franzikopus grübelte. Inzwischen stieg der Kastellan über zwei Wendeltreppen hinauf zu einem weißen, kahlen Korridor, dessen einziger Schmuck aus großen Hirschgeweihen bestand; Herzog Heinrich war ein leidenschaftlicher Jäger, der in seinen Wäldern das Hochwild überreichlich hegte und den Bauern nicht erlaubte, daß sie Hunde hielten oder ihre Felder durch Zäune schützten.

Eine schmale, niedere Tür führte zu einem großen, vielfenstrigen Raume. Rote Kerzen brannten mit starkem Harzgeruche auf vier Hirschgeweihen, die an eisernen Ketten unter der Balkendecke hingen. Um die Wände zog sich mannshoch eine braune, plumpe Täfelung mit Bänken und schweren Kästen. An der Mauer, die über diesem Holze frei blieb, war kein Bild, kein Schmuck, keine Kostbarkeit, nur eine Reihe handwerksmäßig gemalter Wappenschilder mit Spruchbändern. Auf jedem dieser Bänder wiederholten sich in großer Schrift die gleichen drei Worte: „Denk des Loys!“

Stühle wie in einer Bauernstube. Und in der Mitte des Raumes stand ein großer, schwerfälliger Tisch mit Papierrollen, Urkunden und Plänen, mit kleinen Modellen von Schanzen, Kammerbüchsen und hussitischen Heerwagen. An diesem Tasche, schreibend, saß ein Kahlköpfiger in schwarzem Ordenskleid, Nikodemus, des Herzogs geheimer Rat und kluger Finanzmann. Und neben dem Tische – mit den Fäusten am Gürtel, in roten Strumpfhosen und grauem Kittel, der nach Art der Bauernröcke geschnitten und mit Marderpelz gesäumt war – ging Herzog Heinrich auf und nieder, ein kleiner, frischer, brauner Herr von fünfunddreißig Jahren, zart gewachsen und flink beweglich, mit steil herausstechender Nase, mit den Aderwülsten des Jähzornigen an Hals und Schläfen. Dickes, streng gescheiteltes Schwarzhaar, das in kräuseligen Wülsten nach beiden Seiten strebte, umschattete das schmale, olivenfarbene Gesicht, aus dem die Augen eines Menschenverächters dunkel, stolz und lauernd herausbrannten. Er glich einem Südländer. Von seinem Urgroßvater. Kaiser Ludwig wiederholte sich kein Zug an ihm. Alles an Heinrich kam aus dem Blute seiner zierlichen Mutter Maddalena, die ein Kind des Barnabas Visconti war.

Dieser kleine Herzog, ein großer Fürst und kühner Kriegsmann, schien so scharf zu hören wie ein Iltis. Bevor die Tür sich öffnete, hatte er schon den leisen Schritt des Kastellans vernommen. Und kaum schob der alte Mann den Kopf zur Türe herein, da fragte Herr Heinrich: „Kam er?“

„Ja, Herr!“

„Wie sieht er aus?“

Der Kastellan zögerte mit der Antwort. „Wie einer, vor dem man sich hüten muß.“

„Dann flink herauf mit ihm!“ Der Herzog wurde heiter. „Gott soll’s, wollen!“

Bei der Türe fragte der Alte: „Soll man ihm Dach und Zehrung im Schloß bieten?“

„Nein! Der soll in der Herberg bleiben. Da verdient der Leutgeb, und ich spare mein Geld.“

Der Kastellan wollte gehen. Da klang durch die offene Tür, vom Korridor herein, ein tollendes Kinderlachen, das immer näher kam.

Der Herzog fuhr auf: „Was soll das? Warum ist der Junge zu so später Stunde nicht im Bett?“

Das feine, helle Lachen war schon nahe vor der Türe. Dazu klang eine leise, ängstliche Mädchenstimme: „Kind, Kind, Kind!“ Lachend kam was Kleines über die Schwelle gewirbelt, in langem Hemdlein und mit nackten Füßen, ein vierjähriges Bübchen, gesund und kräftig, das glühende Gesichtl von wirren Locken umflogen.

In Zorn schrie der Herzog: „Man soll das pflichtvergessene Weibsbild stäupen und hinauswerfen!“

Erschrocken blieb das Bübchen stehen. Bei seinem Anblick schmolz der Zorn des Vaters. Er raffte einen schwarzen Mantel auf, der über der Lehne eines Sessels hing, umhüllte den Knaben, trug ihn zum Tisch und stellte ihn auf die Platte, so daß die Gesichter der beiden einander gegenüber waren.

Eine junge Magd mit bleichem Gesicht wollte eintreten; auf der Schwelle wurde sie zurückgezogen, und es erschien eine fünfundzwanzigjährige Frau, schlank, mit einem roten, pelzverbrämten Mantel über dem dünnen Nachtgewande. Scheue, verschüchterte Augen glänzten groß in dem blassen Rundgesichtchen dieser Frau, die mit siebzehn Jahren zum ersten Male Mutter geworden und nach acht Geburten in sieben Jahren schon vorzeitig zu altern drohte. Der Schreck vor dem Muttergespenste war in diesem kindhaften Frauenblick. Zwei Söhne starben im ersten Lebensjahr; zwei Söhne kamen verfrüht und tot zur Welt. Drei Mädchen lebten. Und dieser gesunde, blühende Knabe.

Lautlos war der Kastellan davongegangen. Und Nikodemus verschwand durch eine Seitentür, die man, als sie geschlossen war, in der Täfelung nicht mehr sah.

Herzogin Margarete, weil der Gemahl ihre Nähe nicht zu bemerken schien, blieb scheu und fröstelnd bei der Mauer stehen.

Herr Heinrich hatte die Hände unter den Mantel geschoben, der das Kind umhüllte, knutschte vergnügt das kräftige Körperchen des Knaben und fragte mit gespielter Strenge: „Du Wildfang, warum schläfst du nicht? Kinder, die gesund sein wollen, müssen schlafen.“

Leise sagte das Büblein: „Hab zum Vatti wollen.“

Die Augen des Herzogs glänzten auf. Seine Stimme blieb streng. „Zum Vatti sollst du kommen, wenn die Sonne scheint. Jetzt stehen Mond und Stern am Himmel. Da sollst du schlafen.“ Er küßte den Knaben auf die Wange, und seine Stimme verwandelte sich. „Jung, hast du mich lieb?“

Lachend streckte das Kind die Händchen nach Haar und Nase des Vaters.

Der fragte heiter: „Wer bin ich?“

„Vatti.“

„Ja. Auch. Aber sag mir, wie ich bei den dummen Menschen heiße?“

„Heinich der Swazze.“

„Wie noch?“

„Heinich Bluthund.“

Der Herzog lachte. „Wie noch?“

„Heinich der Filz.“

„Stimmt! So muß es sein. Dean du, mein lieber Junge, sollst ein Reicher werden! Du kleiner Herkules! Gott soll’s wollen! Und Geld ist Macht.“ Wieder küßte Herr Heinrich den Knaben auf die Wange. „So! Und jetzt geh schlafen! Und machst du nicht gleich die Augen zu, so hau ich dir ein paar feste auf dein dickes Quartier.“

Der Knabe klammerte die Ärmchen um des Vaters Hals.

„Laß luck! Jetzt mußt du schlafen gehen. Also! Wie sagt mein Jung beim Schlafengehen zum Vatti?“

„Gut Nacht!“

„Nein! Besinn dich! Wie sagt mein Jung?“

Der Knabe zog die Brauen zusammen und sprach langsam die drei schwierigen Worte: „Denk – des – Lllloys!“

„Ja, mein Jung!“ Die Augen des Herzogs funkelten. „An den will ich denken. Heute mehr als je!“ Er drehte das Gesicht über die Schulter. „Komm! Und nimm ihn!“

Schweigend trat die Herzogin zum Tische, löste das schwarze Tuch von dem Knaben und umhüllte ihn mit ihrem roten Mantel.

„Das unverläßliche Weibsbild soll man fortjagen. Der Jung braucht eine sichere Wartung. Der da soll mir am Leben bleiben. Gott soll’s wollen!“

Leise sagte die Herzogin: „Das Mädchen hat nichts verbrochen. Die Schuldige war ich.“

„Das hättest du verschweigen sollen. Wer seine Schwächen und Fehler eingesteht, ist dumm. Für die eigne Torheit läßt man andre leiden, wenn man herrscht. Zur Fürstin taugst du nicht, als Frau bist du kalt wie eine Suppe von gestern. Hast du den Ehrgeiz, auch noch als schlechte Mutter zu gelten?“

Ein weher Kampf war in dem verstörten Gesicht der jungen Frau. Ihre zitternden Arme umklammerten das Kind. Nach kurzem Schweigen sagte sie tonlos: „Ich sehne mich heim.“

„Das ist zwecklos.“

„In deinem Hause bin ich wie eine Magd und Gefangene. Ich! Das Weib des Fürsten.“

„Weib? Du? Ein Weib? Nein, gute Gretl! Du bist wie eine steyrische Mehlspeis. Bring den Jungen ins Bett und leg dich schlafen! Sonst hast du morgen wieder die blauen Ringe um die Sehnsuchtsaugen.“ Herr Heinrich ging voran und öffnete vor der Herzogin die Türe. Die junge Frau, die den Knaben an ihrer Brust umklammert hielt, verschwand wie eine Flüchtende.

Es dauerte noch eine Weile, bis Franzikopus eintrat. Während er sich tief und ehrfurchtsvoll verneigte, stellten die zwei Spießknechte den Schrein auf die Bank.

Franzikopus fing zu reden an und gab sich mit schauspielerischem Geschick als Ehrgeizigen, der gerne wie Cicero reden möchte, die schwierige Sache nicht fertigbringt und sich mit bäuerischem Deutsch behelfen muß.

Das dunkle, strenge Gesicht des Herzogs wurde vergnügt. In Neugier betrachtete er den ungeschickt erscheinenden Redner und fing zu lachen an. „Pfäfflein, du bist ein verflucht schlaues Luder!“

Schmunzelnd verbeugte sich Franzikopus, als hätte ihm Herr Heinrich ein große Schmeichelei gesagt.

„Und das dort?“ Der Herzog deutete auf den Schrein. „Soll das mir gehören?“

Franzikopus öffnete die Schatztruhe. Teller, Platten, Becher und Kannen funkelten. „So grüßt der heilige Zeno.“

Schweigend nahm Herr Heinrich eine Kostbarkeit um die andre aus dem Schrein und prüfte sie als Kenner, der nach dem Gewichte geht. Als er den letzten Becher zurückstellte, sagte er: „Schön! Im Himmel des heiligen Zeno wohnen gute Goldschmiede! Jetzt sind sie Meister. Als sie den Leidenskelch des Heilands schmiedeten, waren sie noch Lehrlinge.“

Im Anschluß an das Bild von den Goldschmieden des Himmels fand Franzikopus Weiß sehr salbungsvolle Worte und sagte schließlich: „Gott ist wunderbar in allen Plänen und Werken. Seinen treuen und rechtschaffenen Diener gewährt er Gnade und Hilfe. Die Ruchlosen aber straft er nicht nur im Jenseits, auch schon hier auf Erden.“

„Und da leben wir beide noch?“ Lachend musterte Herr Heinrich das verdutzte Gesicht des Franzikopus. Dann gab er den beiden Soldknechten einen Wink. „Man soll das in meinen Turm hinüberschaffen.“ Die Knechte schlössen den Schrein und trugen ihn davon. Herr Heinrich sah ihnen nach. Als sie verschwunden waren, sagte er: „Den Gruß des heiligen Zeno schätze ich auf Sold und Zehrung für hundertzwanzig Mann mit vierzig Pferden auf sieben Tage, mit Pulver und Bespannung für eine Büchse, die hauptgroß schießt.“ Als Franzikopus, der etwas unsicher geworden, noch immer stumm blieb, fragte der Herzog: „Wird das dem heiligen Zeno genügen?“

„Herr“, flüsterte Franzikopus und deutete mit dem Finger, „da draußen lauscht einer.“

„Wo?“

„Dort! Er hat den Holzzapfen aus einem Astloch genommen. Ich sehe vom Kerzenschein sein Auge glänzen.“

„Nikodemus!“ rief der Herzog heiter. Der Kahlköpfige erschien. „Dieser kluge Mann da wünscht, daß du hier in der Stube hören sollst, was er mir zu sagen hat.“ Nikodemus lachte, und Franzikopus errötete wie ein Mädchen, während eine Zornlinie um seine Mundwinkel spielte. „Also?“ sagte Herr Heinrich und ließ sich nieder. Auch Franzikopus und Nikodemus nahmen Platz. „Was will dein Heiliger kaufen von mir?“

Der Gesandte sprach. Er hatte an Herzog Heinrich und Nikodemus zwei aufmerksame Zuhörer, die mehrmals einen raschen Blick miteinander tauschten.

Franzikopus log nicht. Er blieb bei der Wahrheit des heiligen Zeno. Doch die Geschichte von den Folgen des Mordauer, alias Hängmooser Ochsenhandels bekam jetzt ein viertes Gesicht.

Als der Kaplan verstummte, blieb Herr Heinrich eine Weile nachdenklich. Dann sagte er: „Deiner dreihundert andächtigen Ramsauer, die noir beten wollen, erbarmt sich mein christlich Gemüt. Aber freien Durchlaß durch mein Land von Plaien gewähr ich euch nicht. Aus Barmherzigkeit für den heiligen Zeno, den ich als ungefährlichen Nachbar liebe. Der heilige Peter von Berchtesgaden würde ihm das geschorene Haardach bös verprügeln. Darunter würden meine Reichenhaller, mein Salzhandel und meine Saalacher Sassen leiden. Und euch Hilfe schicken, um den heiligen Peter zu klopfen, der ein lieber Patron ist? Das muß ich mir sehr überlegen. Was meinst du Nikodemus?“

Der Kahlköpfige sagte ruhig: „Herr, da muß ich dringend abraten.“

„Hörst du, Pfäfflein?“

Franzikopus begann in Hast zu reden.

Der Herzog hob die Hand. „Laß gut sein! Was Neues sagst du mir nicht. Du weißt nur, was gestern in der Nacht und früher geschah. Ich weiß, was heute geschehen ist und was jetzt geschieht.“

Die Augen des Kaplans erweiterten sich.

Herr Heinrich lachte. „Bleib ohne Neugier! Ich sage dir nicht, was ich weiß. Nein, Mann! Den goldenen Gruß des heiligen Zeno müssen wir als Vorschuß für andre Dinge nehmen. Jetzt kann ich nickt helfen. Der Ingolstädter lauert. Der schlägt an der Donaulos, wenn ich mich an der Saalach schwäche. Zwischen Burghausen und Ingolstadt liegt altes Stroh. Fliegt hier im Süden ein Funke, so schlägt im Norden das Feuer auf. Wenn ich euch helfe, weck ich Gefahren für mein Land und Volk. Auch für mich selbst. Ich stehe wegen jener Dummheit zu Konstanz unter weltlichem und geistlichem Gericht.“ Die Züge des Herzogs verzerrten sich. Dann lachte er wieder. „Soll ich meine Richter durch Unbequemlichkeiten erbosen? Auch hab ich König Sigismund mein Wort gegeben, daß ich Frieden halte, solange mich der Loys nicht angreift. Du wirst mir bezeugen können, daß ich mich dieses Worts in Ehrfurcht vor dem König erinnere.“

Wieder sprach Franzikopus, rasch und erregt. Hilfe für den heiligen Zeno wäre kein Friedensbruch, sondern ein christliches Werk. Und alte Mißwirtschaft könnte hier geregelt werden. Die Ramsau gehöre durch natürliche Lage zum Schwarzenbachtal des heiligen Zeno. Und das Berchtesgadnische Land, verwüstet durch schlechte Führung und bedrückt von Schulden, könnte sich nur unter Schutz und Hand eines starken Fürsten wieder zu gedeihlichem Leben erholen.

„So? Die schone Ramsau wollt ihr haben?“ unterbrach der Herzog. Er gähnte. Und klopfte sich ein paarmal mit der schlanken, braunen Hand auf den offenen Mund. „Und ich soll nehmen, was übrig bleibt? Teilen? Nein! Mit dem Teilen hab ich schlechte Erfahrungen gemacht. Teilen heißt unzufrieden werden. Man muß klug auf das Ganze gehen.“

Franzikopus erblaßte. Bevor er sprechen konnte, sagte der Herzog:

„Für solche Dinge gehört ein waches Gehirn. Heute bin ich, müd und schläfrig. Ich brauche Ruh und will mich zu Bett legen. Morgen früh wird der heilige Zeno Bescheid erhalten.“ In Herrn Heinrichs ruhige Stimme kam ein Klang von Erregung. „Gott soll’s wollen!“ Er stand vom Sessel auf, nickte zum Abschied, ging auf ein Finster zu, legte die Hände hinter den Rücken und sah unbeweglich in die Nacht hinaus.

Der Kaplan, als er sich von seiner Verblüffung erholt hatte, wollte sprechen. Da machte Nikodemus mit gut gespieltem Schreck ein Schweigezeichen, nickte bedeutungsvoll, führte den Gesandten höflich aus der Stube, übergab ihn dem Kastellan und schloß die Türe.

Herr Heinrich drehte sich mit einer raschen Wendung vom Fenster weg. Seine Augen brannten, eins wilde Erregung zitterte in seinem Gesicht, und die Oberlippe zog sich von den Zähnen zurück. „Nikodemus!“ Die Stimme war ein rauhes Flüstern. „Diese Gelegenheit hat mir Gott geschickt!“ Mit stoßenden Fäusten schien er etwas Unsichtbares zu fassen. „Jetzt hab ich den Loys! Und will ihn rupfen, daß nur ein paar Flocken noch übrigbleiben von seiner Pariser Wolle!“ Der Herzog wollte lachen. Das wurde nur ein heiserer Laut. Er riß ein Fenster auf, atmete tief, und mit den Fäusten am Gürtl begann er durch das Zimmer zu schreiten, die Züge des Gesichtes hart gespannt von wühlendem Denken.

In Sorge betrachtete Nikodemus den Fürsten. Er wußte, aus welchen Erinnerungen der Aufruhr dieses Augenblicks quoll und was in Herzog Heinrich ruhelos brannte. Das war nicht die Erinnerung an jenen Schimpf, den der mit Worten flinke Ingolstädter vor vier Jahren zu Konstanz Herrn Heinrich bei einem Handel um alte Schulden ins Gesicht geworfen hatte, vor König Sigismund, in Gegenwart des mit der ehemals bayrischen Mark Brandenburg belehnten Fritz von Zollern, des Gemahls der schönen, Else, der Schwester Heinrichs. „Sohn eines Kochs?“ Dummes, häßliches Gesindegeschwätz, das ein Denkender nicht hätte auf die Zunge nehmen sollen! Herzog Friedrich, Heinrichs Vater, war nicht der Mann, um sich betrügen zu lassen von seinem Weibe, Sohn eines Kochs! Der sinnlose Schimpf war gerächt, mit sieben blutigen Schwertstreichen und brannte nicht mehr in Heinrich. Dieser Schimpf war eine Lächerlichkeit geworden, seit zwischen den Särgen von Geschwistern dieser ›kleine Herkules‹ heranwuchs, dieser lachende, blühende, von Gesundheit und Lebenskräften strotzende Knabe, in dem die wittelsbachische Art das Blut der Visconti übersprungen und des Vaters makellose Abstammung erwiesen hatte.

Dieser Knabe, in dessen frischem, rosigem Gesichtlein die Augen des wittelbachischen Ahnherrn glänzten, hatte einen quälenden Zorn aus der Seele des Vaters hinausgelacht. Doch in dem Herzen, in dem dieser große Zorn getobt hatte, war eine kleine, stumme, brennende Scham, zurückgeblieben. Und dieses Kleinere war das Härtere, war unerträglich, war wie der ruhelose Schrei einer Eifersucht, deren schmerzendem Griff Herr Heinrich sich nick entwinden konnte.

Meuchelmord? So nannten es die andern, wenn sie von jenem nächtlichen Überfall zu Konstanz redeten. Herzog Heinrich lachte dieses Wortes. Kampf oder Mord? So läppische Unterschiede macht die Rache nicht. Die Rache will schlagen, töten. Aber sie muß das können! Nicht schwach darf sie sein – nicht so schwach, wie zu Konstanz die Faust dieses von Zorn geschüttelten Rächers war!

Seit vier Jahren ist kein Tag und keine Nacht vergangen, ohne daß jenes wirre, von Blut übergossene, von Scham überglühte Bild in Herzog Heinrich erwachte.

Die dunkle, stille Gasse zu Konstanz. In finsterem Winkel steht und lauert dieser Kleine, dieser Schlanke und Zierliche, der in der Größe seines Zornes ein Rächer werden will. Er und seine Helfer, alle gepanzert und bewaffnet bis an die Zähne. Und da kommt in stiller Nacht dieser Eine geritten, geschützt durch den Frieden des heiligen Konzils, kommt von einem heiteren Königsmahl, ein Lachender und Sorgloser, ein Lebensfroher, mit glühendem Wein im Blute, prunkvoll gekleidet, ohne Waffen, ohne Gefolge, auf ruhig schreitendem Zelter, nur geführt von zwei fackeltragenden Edelknaben. Heiter, nach Art eines Trunkenen, plaudert er mit den beiden Buben; noch ehe man ihn sieht Zitterschein der Fackeln, vernimmt man sein starkes, frohes Lachen schon. Ein Fünfzigjähriger! Und hat noch immer das Lachen eines Jünglings!

In der finsteren Ecke schlagen dem lauernden Rächer beim Klang dieses hellen Lachens die Zähne aufeinander. Waren diese beiden nicht Söhne von Schwestern? Nicht die Nachkommen des gleichen Ahnherrn? Warum ist der eine seiner zarten Mutter Bild, der andre das Bild seines kraftvollen Ahns? Warum hat dieser Zierliche nur das Zähneschauern seiner körperlichen Schwäche? Warum jener Starke dieses helle, frohe, sorglose Lachen – in der Nacht des gleichen Tages, an dem er den andern gedankenlos und ungerecht beschimpfte? Und kommt geritten. Und lacht. Und schwatzt mit den Edelknaben und prahlt von einem französischen Feste, das er dem König Sigismund geben will. „Das soll ein Fest werden, wie man Feste nur in Paris zu rüsten versteht! Die deutschen Bären sollen noch ein Jahr lang an ihren Tatzen lecken. Und rennen und stechen laß ich bei meinem Fest. Und bin ich der Sieger, wie immer, dann wird sich einer ärgern, bis er Galle speit! So ein Kleiner! O du Laus du!“ Er lacht – und wird stumm – hebt sich im Sattel und lauscht.

In der vorn Fackelschein übergaukelten Dunkelheit knirschte eine Stimme durch verbissene Zähne: „Den ungerechten Schimpf in den Hals dir!“ Dieser Kleine, dieser Zierliche, stößt mit der Wucht seines Zornes den starken, hochgewachsenen Reiter aus dem Sattel. Und während der Zelter scheu davonrast und die verstörten Fackelträger entfliehen, schlägt und sticht Vetter Heinrich auf den zu Boden gestürzten Vetter Ludwig los und schlägt ihm Wunden, die den Tod herbeirufen. Doch dieser Blutende, dieser fast schon Sterbende, der auf der Erde liegt, wehrt sich wie ein verzweifelter Löwe, fängt die Streiche mit Armen und, Händen auf, klammert in letzter Kraft die zerschnittene Faust um Heinrichs Handgelenk und entwindet dem Rächer das Eisen. Heinrich schreit nach seinen Helfern. Die schlagen drein. Der Blutende auf der Erde hat jetzt ein Schwert, um sich zu schützen. Fackeln in den Gassen. Geschrei von rennenden Menschen, von Männern in Eisen. Und Heinrich, der ein Schwertloser geworden, muß zu entrinnen suchen, gewinnt das Tor, ist landflüchtig, reitet durch Nächte und Tage – und hinter seinen festen unbezwingbaren Mauern, zu Burghausen, holt ihn die Nachricht ein, daß Vetter Loys nach sieben Wunden, von denen jede einen minder Starken hätte töten müssen, wieder genesen wird. Die Rache, weil sie mißlang, ist eine Lächerlichkeit geworden vor Heinrichs eignen Augen.

Der Anblick seines neugeborenen Knaben, in dem sich das Bild des großen Ahnherrn wiederholen will, erstickt in Heinrich den Zorn über jenen sinnlosen Schimpf: „Du Sohn eines Kochs!“ Doch hinter dem schwindenden Zorn bleibt eine ruhelose Scham, die an seinem Leben zehrt wie ein giftiges Geschwür. Das martert ihn durch Tag und Nacht. Und wenn er im Kloster zu Raitenhaslach vor dem Grabstein der Herzogin Maddalena steht, ist kein Gebet in ihm, nur dieser Gedanke: „Fluch dir, Mutter, daß du mich, mit der Kraft und dem Geist des Vaters in Hirn und Seele, an Leib und Gliedern zu einem Sohn deiner zierlichen Schwäche machtest!“ Und das dürstende Verlangen, den andern zu vernichten, ist heißer noch in dieser kleinen, eifersüchtigen Scham, als es in jenem großen Zorne von Konstanz war.

Loys, der Genesene, tobt als ein Unversöhnlicher zu Ingolstadt, wirbt Helfer wider Heinrich, wo er sie finden kann, und queruliert gegen den ›Meuchelmörder‹ bei König und Papst. Die Fürbitte Friedrichs von Zollern, der Sigismunds Getreuester ist und in heißer Schlacht das Leben des Königs rettete, wendet von seinem Schwager Heinrich die Acht des Reiches ab. König Sigismund – er schuldet Geld an Ludwig, schuldet Geld an Heinrich – entschlägt sich des Richteramtes und schiebt die unbequeme Entscheidung dem Papste zu. Der empfängt die reichen Geschenke Heinrichs, segnet seine frommen Stiftungen, untersucht und verschleppt die Sache von Konstanz und verhängt den Kirchenbann über Ludwig im Bart, weil er die Klöster zu Kaisheim, Tegernsee und Scheyern durch ungebührliche Steuern bedrückte.

Heinrich verstärkt die Mauern seiner Burgen und Städte, schließt geheime Verträge mit den Vettern zu München, läßt Pulver mahlen und Büchsen gießen, verdoppelt die Zahl seiner Söldner, bewaffnet seine wehrfähigen Bauern, verpfändet dem König sein Wort, daß er Frieden halten und sich übelsten Falles nur wehren wolle, wenn der Vetter Loys ihn molestiere – und rüstet, rüstet, rüstet – und lauert auf die Stunde, die den Ingolstädter zu einer Unvorsichtigkeit verleiten, zu verfrühtem Losschlagen verführen wird.

Die Stunde kam. Sie brachte den von Heinrich ersehnten Stoß, der die locker hängende Lawine der Vernichtung niederrollen läßt über Volk und Land der bayrischen Bruderstämme – weil ein Starker an Geist und Blut, doch ein an Gelenken Schwacher die Scham über seine Zierlichkeit nicht ertragen kann und ein Riese werden will.

„Nikodemus?“ Herzog Heinrich hielt in seinem raschen Aufundniederschreiten inne und sagte mit rauhem Lachen: „Ich will dem heiligen Zeno eine zwanzig Pfund schwere Kerze opfern. Man soll sie gießen am Morgen, soll sie aufstecken in meiner Hauskapelle und brennen lassen durch Tag und Nacht.“

Wieder begann er sein jagendes Wandern um den Tisch herum, blieb stehen und sagte leise: „Dieser kleine Fuchs des heiligen Zeno ist ein großes Schaf. Mein Wort vom Klugen, der aufs Ganze geht, hat ihm bei seinem Hunger nach der Ramsau einen Schrecknagel ins Gehirn getrieben. Ich besorge, daß er heute nacht nicht schlafen wird. Er wird zwei neue Eisen ins Feuer legen, wird heimliche Briefe schreiben, nach Ingolstadt, nach München. Von seinen Boten, fürcht ich, wird einer zu Gott kommen, nicht zu meinem Vetter Ernst.“ Die zitternden Fäuste um den Gürtel klammernd, trat er vor Nikodemus hin mit brennenden Augen. „Wie siehst du es an?“

Ruhig sagte der Kahlköpfige: „So wie Ihr, Herr! Als eine Gelegenheit, die schieben wird. Den heiligen Peter von Berchtesgaden in den Landshuter Sack stecken? Das würde Euch übel vermerkt werden bei König und Papst. Auch bei den Vettern in München. Aber dem heiligen Zeno zulieb dreihundert andächtige Wallfahrer schützen? Das ist frommes Werk und wird gute Früchte tragen. Es muß nur eine Woche lang so aussehen, als sollte dem einscherigen Krebs von Burghausen mit dem Lande des heiligen Peter die zweite Schere gegen Salzburg wachsen. Wenn wir Salzburg zwicken, wird zu Ingolstadt ein Wehleidiger schreien.“

Der Herzog nickte. „Den Haller Fuchs hab ich angelogen. Ich weiß nicht, was heute nacht da drüben hinter dem Untersberg geschieht. Aber wenn der Pienzenauer statt Hirn nicht einen Strohwisch unter dem Haardach hat, dann – dann –“ Er streckte die Fäuste auseinander. „Gott soll’s wollen!“ In Hast ergriff er einen kleinen Holzhammer und schlug an eine Glocke. Wie ein tönender Schreck des Lebens fuhr der scharfe Hall durch die nächtliche Stille des Schlosses.

Ein Diener und drei Schwergepanzerte kamen gesprungen.

Zu dem Diener sagte Herr Heinrich: „Bring mir Wein und, Kirschen!“ Dann gab er mit raschen Worten seine Befehle an die Trabanten: „Du! Man soll dreißig reitende Boten bereithalten. Fort! – Und du! Man soll in aller Stille die Herberg überwachen, in der die Reichenhaller Leute wohnen. Schickt der Haller Kaplan ums Tagwerden zwei Boten davon, so soll man ihnen unauffällig folgen. Schlägt der eine die Straße nach Ingolstadt ein, so soll man ihn geheim beschützen und die Eile seines Wegs befördern. Den andern – wenn er nach München will – soll man drei Wegstunden von Burghausen festnehmen und verschwinden lassen. Es ist viel Krankheit im Lande. Ein Reisender kann sterben. Den Brief, den man bei ihm findet, will ich haben. Fort! – Und du! Weck den Hauptmann Seipelstorfer und den Büchsenmacher Kuen! Sag den beiden: Bis zur achten Morgenstunde müssen hundertzwanzig Pferde und dreihundert Spießknechte mit dreißig Faustbüchsen marschfertig sein, dazu zwei Kammerbüchsen, eine Farzerin und ein Blidenkarren, Zeug und Zehrung für vierzehn Tage. Um sieben Uhr soll der Hauptmann kommen und seine Weisung holen. Fort!“

Als Herzog Heinrich mit Nikodemus wieder allein war, streckte er sich und dehnte die Arme wie einer, dem froh um die Seele wird. „Jetzt setz dich, Lieber! Und schreib! Zuerst an die Münchner Vettern. Da müssen wir sänftiglich reden und ehrlich bekennen, daß wir den heiligen Peter nicht zu kränken wünschen, nur die Wallfahrtsfreiheit zum heiligen Zeno schützen wollen. Nein! Zuerst den Brief an meine schöne Schwester Else!“ Der Herzog lachte. „Gott ist mit mir! Wie gut sich das trifft, daß Schwager Zollern gerade da droben im Norden ist, in seiner neuen Mark. Das ist ein Redlicher. Die Redlichen sind hilfreich, aber manchmal unbequem. Und klug ist er. Ich sorge, der würde wittern, was gekocht wird, würde zum König halten und den Frieden wahren. Der Schwester will ich einreden, was nötig ist. Sie soll, solange der Fritz seinen jungen Kohl im Brandenburger Sande pflanzt, den Loys in Franken zwicken, bis er ungeduldig wird und eine von seinen flinken Dummheiten macht. Schreib, Lieber! Spitze dir eine feine, zarte Feder! Am Buchstaben hat das Zierliche seine Vorteile wie an Weibern.“

Der Herzog nahm einen festen Schluck des sauren Trausnitzer Weines, den der Diener in einem großen Zinnkrug gebracht hatte. Um den Tisch wandernd, diktierte Herr Heinrich den Brief an seine schöne Schwester Else von Zollern, aß dazu die schwarzen Kirschen und spuckte die Kerne zum Fenster hinaus.

Nach dem Brief an die Münchner Vettern wurden Briefe an die Hauptleute von Heinrichs Burgen geschrieben, an die mit ihm verbündeten Bischöfe, Ritter und Städte. Zu verläßlichen Lehensherren konnte Herr Heinrich ehrlich reden. Doch in den meisten der Briefe, die da geschrieben wurden, hieß es nur: Man höre von verdächtigem Unternehmen des Ingolstädters; man wisse, daß ihm von jeher nie zu trauen war und daß man sich stets der übelsten Dinge von diesem Übermütigen und Gewissenlosen zu versehen hatte; man solle streng den vom König gebotenen Frieden wahren, doch auf der Hut sein und alle beste Wehr bereithalten, um einem drohenden Überfall begegnen zu können.

Je länger Herr Heinrich diktierte, um so besser wurde seine Laune. Zwischen die Sätze, die Nikodemus zu schreiben hatte, schob der Herzog sein erregtes Geplauder hinein, seinen stachligen Spott und seine derben Scherze. Immer wieder mußte Nikodemus lachen. Und so heiter wurde Herr Heinrich, daß er bei seinem ruhelosen Wandern die Kirschkerne hinaufschnippte gegen den Namen Loys, der auf allen Spruchbändern der Wände zu lesen war.

Der Morgen fing zu grauen an, der Tag wurde hell, und die klare Sonne glänzte an den Fenstern durch das bucklige Glas herein, während auf den Hirschgeweihen noch immer die Kerzen brannten und mit ihrem Qualm und Harzgeruch die Stube füllten.

Immer hörte man einen dumpfen Lärm. Der klang aus den Burghöfen, in denen der Heertrupp und die Troßwagen zum Ausmarsch gerüstet wurden.

Gegen sechs Uhr morgens meldete man dem Herzog einen Boten der Plaienburg. Herr Heinrich schrie: „Herauf mit ihm! Da ist was los!“

Der Kastellan brachte einen langen, grau verstaubten Söldner, der lächelnd auf den kleinen Herzog heruntersah und einen Kratzfuß machte wie bei heiterem Wiedersehen. Es war Malimmes vom Taubensee.

Herr Heinrich, ohne zu dem Boten aufzuschauen, riß ihm den gesiegelten Brief aus der Hand – und las – und wurde vergnügt. „Nikodemus! Gott hat’s wollen. Ich habe diesen Haller Fuchs nicht angelogen. Ich bin ein Ehrlicher, der die Wahrheit redet. Ich weiß, was geschehen ist heut nacht. Der Pienzenauer hat eben Hurtigen reiten lassen. Nach Ingolstadt!“ Herr Heinrich sprang zur Täfelung hinüber, riß die Geheimtür auf, verschwand und von draußen hörte man seine Stimme: „Du! Sechs flinke Reiter nach Straubing hinauf! Da kommen zwei, auf der Passauer Straß, ein Jungherr und sein Knecht. Der Brief da weist, wie sie ausschauen. Die zwei soll man kitzeln. Es soll so scheinen, als wollt man sie fangen. Aber nur hetzen soll man sie. Je flinker sie zum Ingolstädter Mautbaum kommen, um so besser!“ Eilig trat der Herzog wieder in die Stube, nahm einen Trank Wein, und als er die Kanne hinstellte, fragte er über die Schulter: „Kannst du gleich wieder reiten, Mann? Oder mußt du rasten?“

„Rasten? Nein. Aber ein neues Roß muß ich haben. Mein Gaul ist hin.“

Herr Heinrich drehte langsam das Gesicht, als wäre ihm der Klang dieser Stimme aufgefallen. Sein erhitztes Gesicht verlor die Farbe, während er den Söldner betrachtete, der in einer Garbe dieser gelben Morgensonne stand. Nun lachte Herr Heinrich ein bißchen, beugte sich zu Nikodemus hin und sagte ihm leise ins Ohr, was an den Hauptmann von Plaien zu schreiben wäre. Und als Nikodemus den Brief begann, ging der Herzog auf Malimmes zu und stieß ihn mit dem Finger vor die Brust.

„Du? Bist du’s?“

Malimmes nickte lustig. „Wohl, Herr! Vergeltsgott für mein Leben! Das Schnaufen bleibt allweil ein liebes Ding.“

„Nikodemus!“ Herr Heinrich sah zum Tisch hinüber. „Guck! Das ist Malimmes, der Galgenvogel von Nüremberg, mein Botschaftsbringer von der Himmelstür.“ Die Stimme des Herzogs bekam einen wunderlich unsicheren Klang. „Daß der heut kommt? Just heut? Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“

Heiter sagte der Kahlköpfige: „Wie man’s nehmen mag. Zeichen reden nach unserem Willen.“

„So soll es ein gutes sein für mich, ein schlechtes wider den andern!“ Lang betrachtete Herr Heinrich den Söldner. Dann fragte er schmunzelnd: „Hast du heut ein warmes Sitzfleisch?“

„Ich hab’s noch nit untersucht, Herr! Aber wer in fünfthalb Stund auf einem schlechten Gaul von Plaien nach Burghausen reitet, dem geht der Sattelfleck nit mit Grundeis.“

„Teufel“, staunte der Herzog, „da mußt du eiserne Schenkel haben! Und zähes Blut hast du auch“, er deutete auf den brennenden Narbenstrich im Gesicht des Malimmes, „wenn du den da überstanden hast!“

„Drei Wochen Spittel hat er mich all weil gekostet.“

Rasch fragte der Herzog: „Wann war das?“

„Grad einen Monat ist’s her, daß ich aufgestanden bin.“

„Nikodemus!“ Herr Heinrich drehte das Gesicht. „Hast du das gehört? Ist das nicht seltsam?“ Einen Monat war es her, daß der Herzog an seinem hitzigen Fieber gelitten hatte, an einem Anfall seines Erbübels, vor dem die Ärzte ratlos standen. Und über Nacht war Herr Heinrich wieder genesen, man wußte nicht wie. „Was sagst du dazu?“

Der Kahlköpfige lachte. „Nicht viel, Herr! Der helle Witz eines gesunden Menschen und die kranken, dunklen Dinge des Lebens haben nichts miteinander zu schaffen.“

Der Herzog nickte; doch die abergläubische Regung schien nicht völlig in ihm erloschen zu sein; es war an dem scheuen Verwundern zu merken, mit dem er den Malimmes betrachtete. „Warum bist du den Nürembergern davongegangen?“

„Weil ich gern gesund bin, Herr! In den Nüremberger Huschelgärten ist’s arg parisisch zugegangen. Da bin ich lieber ein Deutscher blieben.“

Herr Heinrich furchte die Brauen und nickte. Rasch griff er hinauf zu der Schulter des Söldners. „Gesundbleiben heißt ein Starker sein. Ja, Mensch! Wahr deine Gesundheit!“

„Das tu ich, Herr! Ich überfriß und übersauf mich nit. Regnet’s Prügel, so deck ich mich. Wo ander Leut sich ärgern, tu ich lachen. Und mit den Weibern bin ich sparsam. Bloß daß man ledig wird seiner Plag.“

Der Herzog betrachtete den langen Söldner. „Nikodemus! Den seh dir an! Das ist ein Mensch.“

„Ja, Herr“, sagte Malimmes fröhlich, „oft ist mir selber zumut, als tät ich kein Viech nit sein.“

„Soldest du bei meinem Hauptmann zu Plaien?“

„Da hab ich bloß Unterstand mit meinem Herrn. Und hab mich dem Hauptmann angetragen als Boten, weil ich ein fester Reiter bin.“

„Magst du Hofmann werden? Bei mir?“

„Ich hab einen guten Herrn, bei dem ich aushalt durch dick und dünn.“

„Wer ist das?“

„Der Runotter von der Ramsau. Der ist in Fehd wider Berchtesgaden –“

„So?“ Herr Heinrich lachte.

„Hat flüchten müssen, und der Hauptmann von Plaien hat ihn unter Dach genommen.“

Der Herzog sagte zum Tisch hinüber: „Schreib in den Brief hinein, daß ich dem Soldherrn dieses Boten gewogen bin.“

Die Augen des Malimmes glänzten, als hätte er jetzt den Botenlohn empfangen, um dessentwillen er den jagenden Ritt getan und einen von den beiden Ackergäulen des Runotter zuschanden gehetzt hatte.

Dem Kastellan, der bei der Türe stand, befahl der Herzog: „Man soll dem Mann da Trank und Speise reichen, als Botengab zehn rheinische Gulden!“ So verschwenderisch war Herr Heinrich selten. „Und für den Heimritt schenk ich ihm aus meinem Heerstall den Gaul, der nach meinem eignen Roß der beste ist.“ Lachend faßte Herr Heinrich den Söldner an der Brust. „Bleib gesund, du! Und wahr dich vor dem Galgenholz! Ich kann nicht jedesmal als Schutzengel dabeistehen, wo man einen hinaufzieht. Und alle Stricke reißen nicht.“ Heiter sah er dem Söldner nach, der mit dem Kastellan die Stube verließ. Als die Türe geschlossen war, ging der Herzog mit flinkem Schritt auf ein offenes Fenster zu, atmete tief und blickte eine Weile in die schöne Morgensonne hinaus. Dann fragte er über die Schulter: „Du? Wie sagt der Lateiner bei einem guten Zeichen?“

„Omen accipio.“

Herr Heinrich nickte. „Omen accipio! Gott hat mir heute zeigen wollen, wie gesund ich bin. Und jetzt leg ich mich schlafen. Mach die Briefe fertig! Und kommt der Hauptmann um die Weisung, so schick ihn zu meinem Bett. Mit dem Haller Füchslein mache, was du willst. Du weißt ja, wie ich’s meine.“

Als der Herzog rasch davonging, erhob sich der Kahlköpfige zu einer Verbeugung.

Lauter und lauter wuchs der Lärm in den Burghöfen.

Eine halbe Stunde später wurde Franzikopus Weiß aus der Herberg ins Schloß geholt. Bei seinem langsamen Anstieg durch die Burghöfe konnte er den Kriegshaufen schätzen, der da zum Ausmarsch geordnet wurde. So viel Hilfe hatte der heilige Zeno sich nicht ersehnt; doch Franzikopus konnte lächeln; schon im ersten Grau des Morgens waren seine beiden Boten, die zwei dienenden Brüder, mit den Briefen an Herzog Ernst zu München und Herzog Ludwig zu Ingolstadt als harmlose, unauffällige Bettelmönche zum Tor hinausgeschlüpft.

In der Schreibstube des Nikodemus erwartete den Kaplan der armen Chorherren von Hall eine etwas unklare Sache – ein Vertrag des Wortlautes: „Auf inständiges Bitten des heiligen Zeno stellt Herzog Heinrich für den Schutz andächtiger Wallfahrer zwanzig Rosse und sechzig Spießknechte mit sechs Faustbüchsen zu Diensten, ohne Wissen, in welcher Weise der heilige Zeno diese Hilfstruppe zu verwenden gedenkt; bei vorkommendem Mißbrauch von sehen des Heiligen entschlägt sich Herzog Heinrich jeder Verantwortung vor Gott, Papst und König.“

Franzikopus machte den Einwurf, daß Herr Heinrich von vierzig Pferden, hundertzwanzig Spießknechten und einer Kammerbüchse gesprochen hätte.

Ruhig erwiderte Nikodemus: „Mein gnädigster Fürst hat die Grüße des heiligen Zeno im Gewicht ums Doppelte überschätzt. Ich mußte als meines Herrn gewissenhafter Diener den Irrtum richtigstellen.“

„Und der Kriegshaufe, der da drunten in den Höfen zum Ausmarsch geordnet steht?“

„Soll die Besatzung von Plaien und zwei andern Burgen ablösen. Das war schon bestimmt vor Wochen.“

Als Franzikopus unterschrieb, hatte er ein krebsrotes Gesicht.

Unter dem Geläut der Kirchenglocken und bei strahlender Morgensonne zog der rasselnde Kriegshauf in langem Zuge, mit vielen Troßwagen und einem lärmenden Schwärm von Gelägerdirnen zum Tor hinaus.

Franzikopus, dem man von einer Reise im Wagen abgeraten hatte, ritt an der Spitze des Zuges zwischen dem Hauptmann Seipelstorfer und dem Büchsenmeister Kuen. Die beiden plauderten sehr freundlich mit dem Kaplan des heiligen Zeno.

Auf der schönen Straße, über die sich der Heerzug dem blau in der südlichen Ferne stehenden Untersberge zubewegte, war Malimmes vor zwei Stunden im Trab davongeritten.

Gegen das Bergland stieg der Weg. Und Malimmes, obwohl er Eile hatte, schonte den feinen, schlanken Falben, den er sich in Herrn Heinrichs Heerstall ausgesucht. Zu dieser Wahl hatte des Herzogs Stallmeister den Kopf geschüttelt. „Das ist ein Rößl für einen leichten Buben. Ein so fester Kerl wie du braucht einen schweren Gaul.“ Doch Malimmes hatte seinen Sattel auf den zierlichen Falben gelegt: „Der taugt mir, den nimm ich.“

Gegen die dritte Nachmittagsstunde erreichte er, vom Ufer der Saalach aufwärts reitend, den schütteren Buchenwald, der den Burghügel von Plaien umzog. Steil ging’s hinauf. Doch trotz des siebenstündigen Rittes hatte der Falbe noch einen festen Schritt; Malimmes klopfte ihm, während die Zugbrücke herunterknarrte, zärtlich den nassen Hals.

Ein altes, enges, winkliges Mauernest, oft zerstört, immer neu wieder aufgebaut. Die Zinnen der Umwallung bestanden aus frischem Mörtel werk und hatten junge Schirmdächer; die aus plumpen Felsen gefügten Grundmauern, die mit dem Gestein des Hügels verwachsen schienen, waren ein halbes Jahrtausend alt und hatten Teile, die noch älter waren; eingemauerte Bogen und Pfeiler zeigten die braunen, stahlharten Ziegel jener versunkenen Zeit, in der ein römischer Wachtposten die das Saalachtal durchziehenden Salzfrachten geschützt hatte.

Unter dem Torgewölb umdrängten die Söldner, die den Brückendienst versahen, den Malimmes mit ihren lärmenden Lobsprüchen. „Bist ein Kerl! So ein Gewaltsritt! Ist ein Ding, das dir nit leicht einer nachmacht!“ Und der feine Falbe, den der Bote als Geschenk des Herzogs mitbrachte, erregte Aufsehen.

Beim Eintritt des Malimmes in den engen, schattenkühlen Schloßhof erhob sich einer, der wie ein unruhig Harrender auf der Stiege des Wehrganges gesessen, ein müder, gebeugter Mann mit völlig ergrautem Haar. Seit jenem Tag, an dem man in der Amtsstube des Herrn Someiner um die siegelwidrigen Kühe und die siegelgerechten Ochsen geredet hatte, schien Runotter um ein Jahrzehnt gealtert. Eine steinerne Trauer war in seinem abgemagerten Gesicht, aus dem die tiefliegenden Augen wie dunkle Zornflammen herausbrannten.

Auf den lachenden Gruß des Malimmes antwortete Runotter nur mit einem stummen Nicken. Sein bohrender Blick forschte in dem Gesicht des Reiters.

Leise sagte Malimmes: „Mir daucht, es wird Arbeit geben. Schon morgen.“

Der Bauer streckte sich, als wäre dieses Wort eine Erfüllung seiner Sehnsucht. Doch die Trauer in seinen Augen vertiefte sich, als fiele aus dieser Nachricht auch ein neuer Sorgenstein auf seine Seele.

„Und gut geredet hab ich mit dem Herzog“, flüsterte Malimmes weiter, „der Hauptmann wird dem Jul und dir das Dach nimmer künden, Bauer! Von heut an bist zu Plaien ein Gast, dem der Herzog gewogen ist.“

„So?“

„Und guck das Rößl an, das ich mitgebracht hab für den Jul! Da wird er sitzen drauf wie ein Fürstensohn.“ Die Augen des Malimmes suchten. „Wo ist der Bub?“

Runotter sagte müd: „Auf dem Turm hockt er und schaut, ich weiß nicht, wohin.“

Als Malimmes antworten wollte, kam aus dem Herrenhaus ein festes, struwelhaariges Mannsbild in höchst unkriegerischen Filzpantoffeln herausgeschritten, Martin Grans, des Herzogs Hauptmann auf der Plaienburg. Malimmes sprang aus dem Sattel, machte seine Botenmeldung, übergab den gesiegelten Brief und führte, während der Hauptmann gleich zu lesen begann, den schwitzenden Falben zu einem der schlechten Ställe, die unter den Wehrgang eingebaut waren.

Martin Grans schien an dem Auftrag, den er da zu lesen bekam, keine sonderliche Freude zu haben. Er knurrte einen Fluch durch die Zähne.

Aus der offenen Stalltür klang die Stimme des Malimmes: „Her da, Heiner! Tu mit sauberem Stroh das Rössel bürsten, bis es trücken ist! Das Maul und die Hessen reib ihm mit einem Schlückl Branntwein! Flink!“ So grau verstaubt, wie er in den Burgfried eingeritten, kam Malimmes aus dem Stall gesprungen und eilte hinüber zu der kleinen Eisentür des Turmes, der in der südlichen Ecke des Hofes plump hinaufstieg in das Blau.

Mißmutig faltete der Hauptmann den Brief zusammen, ging auf Runotter zu, bot ihm die Hand und wurde freundlich.

Zufrieden lachte Malimmes vor sich hin und verschwand in dem dunklen Türloch des Turmes. Von dem vierzehnstündigen Botenwege schienen seine Knochen nichts zu spüren. Bei jedem Sprunge nahm er drei von den hohen Steinstufen. Mit Geklirr und Gerassel ging’s hinauf über steile Wendeltreppen, durch Wehrstuben, in denen Armbrusten und Faustbüchsen unter dem spärlichen Licht der winzigen Fenster hingen. In der Wachtstube des vierten Stockes saßen ein paar Spießknechte mit heiterem Lärm beim, Knöchelbecher. Noch eine letzte steile Stiege, und Malimmes tauchte durch die Bodenluke hinauf zum Söller des Turmes. Das wundersame Bild, das von allen Seiten über die Zinnen herleuchtete, war wie ein Farbenjauchzen der schönen Erde. Rings um die Tiefe des Turmes ein Gewoge von Wäldern. Gegen Norden ein sanft gehügeltes Land mit grünen Wiesen und gelben Feldern, mit weißen Straßen und silberblitzenden Bachläufen. Gegen Osten, Süden und Westen der ruhige Riesenkranz der Berge, mit grünen, grauen und weißen Gipfeln, mit bewohnten Tälern, mit dem besonnten Gemäuer der Berchtesgadnischen Festungswerke beim Hallturm, mit dem Dächergewirre von Reichenhall und den weißen Stiftsmauern des heiligen Zeno, dessen Münster nur mit den beiden Turmspitzen über einen bewaldeten Hügel herüberguckte. Und hinter diesen fernen, weißen Mauerstrichen war etwas Braunes und Graues zu sehen, gleich dem Budengewirr eines dörflichen Marktes, das Zelt- und Barackengeläger der andächtigen Bittgänger aus der Ramsau.

Weiße Tauben flogen um den Turm, und Schwalben schössen er schrillem Gezwitscher blitzschnell durch die klare Sonne.

In einer Zinnenscharte saß Jul auf dem Mauersaum, das vorgeneigte Gesicht vom schwarzen Haar umhangen, um die Brust den blank gefegten Plattenküraß. Versunken spähte der Bub zum Hallturm hinüber und in die Ferne des Berchtesgadnischen Landes.

Malimmes legte ihm die Hand auf die Schulter. „Gottes Gruß, lieber Bub! Da bin ich wieder.“

Wie ein Erwachender hob Jul den Kopf mit dem schwankenden Haar. Die blauen stillen Augen in dem sonnverbrannten Gesicht hatten einen verlorenen Blick.

„Wach auf! Tag wird’s!“ Malimmes rüttelte den Buben zärtlich an der Schulter. „Die müde Faulheit hat ein End. Es ist ein Kriegshauf unterwegs. In des Herzogs verdeckten Sudhafen schaut unsereins nit hinein. Aber ich denk, wir liegen morgen vor dem Hallturm und schlagen los.“

Ein Schreck war in den Augen des Buben, ein jähes Erblassen ging ihm über Stirn und Wangen.

„Du! Wirst doch nit Angst haben!“ mahnte Malimmes mit lachender Herzlichkeit.

Stumm schüttelte Jul den Kopf.

„So freu dich! Geh! Da kannst du deinen Zorn wider die Herren austoben. Und wo du stehst, da steh ich bei dir. Streck dich, Bub! Seit vierzehn Tag hast du was gelernt von mir. Reiten kannst du wie ein Jungherr. Ein Rößl hab ich dir gebracht, wie der heilige Peter keines im Stall hat. Und mit dem Eisen verstehst du dich aufs Klopfen wie ein Kesselschmied.“

Jul erhob sich und wollte gehen.

„Höia? Was ist denn?“ Malimmes faßte den Buben am Arm. „So lauf mir doch nit allweil gleich davon!“

„Tu mich auslassen! Ich muß hinunter zu ihm.“ Wie dunkler Sammet war’s im Klang dieser tiefen, wehen Knabenstimme. „Was morgen kommt, wird ihm hart werden.“

„Hart?“

Jul nickte. „Sein Zorn muß schlagen, seine Treu verwehrt’s ihm.“ Er drehte langsam das Gesicht gegen die Ferne, in der die Gadnischen Berge blauten. „Müssen, was man mit will? Das ist ein arges Ding. Und macht einen müd.“ Den Arm aus der Faust des Malimmes lösend, ging Jul davon.

Schweigend stand der Söldner, und wie ein frischer Blutstreif brannte die große Narbe in seinem Gesicht, als er den Buben durch die Dachluke des Turmsöllers hinuntertauchen sah.

Die Schritte des Jul erloschen in dem heiteren Lärm, den da drunten in der Wehrstube die würfelnden Spießknechte machten.

Nun drehte auch Malimmes das Gesicht gegen die Berchtesgadnische Ferne hin und tat einen leisen Pfiff.

Er lachte hart.

Flinke, rappelnde Tritte klangen auf der Holzstiege. Das blonde Mädel aus dem Ramsauer Leuthaus surrte erhitzt durch die Luke herauf, mit einer Schüssel und einem zinnernen Weinkrug. Heiße Freude glänzte in den Augen des verhärmten Gesichtes. „Da bist ja wieder!“

Er nickte und wollte an ihr vorbei.

Erschrocken vertrat sie ihm den Weg und sagte sanft: „Magst nit essen und trinken? Nach so einem weiten Weg?“

„Maidl!“ Malimmes sah ihr streng in die Augen. „Tu mich in Ruh lassen! Unser Anfang ist ein End gewesen. Den Freudenpfennig legt man hin auf den Tisch. Man dreht ihn nit siebenmal um. Wenn dich dürsten tut nach einem Mannsbild – es sind doch feste Buben in der Burg, such dir halt einen aus.“

Sie sah ihn an und Zähren kollerten ihr über den Mund herunter. „Wenn man einmal die Deinig gewesen ist, mag man keinen andern nimmer.“

Malimmes schien verdrießlich zu werden. Doch er lachte. „Du Gänsl, du dummes! Sei gescheit und tu dir das junge Leben nit beschweren!“

Der freundliche Klang seiner Worte machte ihr Mut. Sie schmiegte sich scheu an seinen Arm und flüsterte: „Ich muß dir was sagen. Seit gestern weiß ich’s.“

„Was?“

„Daß ich Mutter bin. Von dir.“

„Nit schlecht!“ Heiter streckte sich Malimmes. „Wenn man hundertweis die Menschen totschlagt, müssen sie einschichtig wieder herwachsen.“ Freundlich strich er mit der Hand über das Blondhaar des Mädels. „Tu dich freuen! Mutter sein ist ein gutes Ding. Trag dein Kindl in Lieb und Sauberkeit! Brauchst du was von mir, so verlangt! Und wenn du kommst und bringst mir das Kindl, so reden wir weiter. Jetzt hab ich nit Zeit. Behüt dich derweil!“

Er ging mit Lachen davon und verschwand in der Luke.

Traudi trocknete die Tränen vom Gesicht und trug dem Malimmes den Weinkrug und die Schüssel nach.

Aus der Tiefe des Turmes klang wachsender Stimmenlärm und wirres Geräusch herauf.

Hauptmann Grans begann die kleine Besatzung der Plaienburg für die ›Ablösung‹ zu rüsten und ließ unter den Gehängen des Burghügels die Stallbuden für den Kriegstrupp aufschlagen, der am kommenden Morgen im Saalachtal erscheinen mußte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Ochsenkrieg. Erstes Buch.